46 Bücher habe ich dieses Jahr gelesen (theoretisch sogar 52, wenn ich noch sechs Elric-Romane mitzählen würde, aber bei mir gelten nur abgeschlossene Bücher und da fehlen noch zwei Romane). 22 von Frauen oder nicht-männlichen Personen (so weit ich das beurteilen kann). Trans-Personen (wie Elliot Page oder Keito Gaku) zähle ich natürlich zu dem Geschlecht, dem sie sich zugehörig fühlen. 12 Bücher stammen von nicht-englisch- oder deutschsprachigen Autor*innen. 4 Sachbücher, ein Comic und ein Manga.
Hier jene zehn Titel, die mir davon am besten gefallen haben. Dabei handelt es sich nicht unbedingt um die zehn besten Bücher, die ich dieses Jahr gelesen habe, sondern um jene, die mir subjektiv am besten gefallen habe. Und es sind ausschließlich Titel, die ich dieses Jahr zum ersten Mal gelesen habe, aber nicht unbedingt Bücher, die auch dieses Jahr erschienen sind.
The Jasmine Throne | Tasha Suri
The Jasmine Throne von Tasha Suri. Einer der besten Fantasyromane, die ich in den letzten Jahren gelesen habe. Opulenter Weltenbau, der Magie und Natur auf sehr originelle Weise verbindet; eine mitreißende Geschichte; vielschichtige Figuren und eine an die indische Kultur angelehnte Mythologie. Im Mittelpunkt stehen drei Frauen, die für ihr Recht zu leben, aber auch die Freiheit ihres Landes kämpfen. Hat den World Fantasy Award 2022 verdient erhalten. Auf Deutsch ist das Buch leider noch nicht erschienen.
Six Four | Hideo Yokoyama
Eine grandiose Mischung aus Krimi, Verwaltungsepos und Gesellschaftsporträt. Hier meine ausführliche Besprechung.
Gute Nacht, Tokio | Atsuhiro Yoshida
Gute Nacht Tokio erzählt wunderbar melancholisch und entrückt von Nachtschwärmern und Menschen, die beruflich nachts unterwegs sind. Hier meine ausführliche Besprechung.
Neongrau | Aiki Mira
Das teilgeflutete und verregnete Hamburg bietet die perfekte Kulisse, um die Neonlichter des Cyberpunks stimmungsvoll zu reflektieren. Und neonschlau holt Aiki Mira das Optimum aus diesem Szenario, sowohl sprachlich, inhaltlich, als auch vom Weltenbau her und den vielschichtig herausgearbeiteten Figuren und den vielen kleinen originellen Geschichten, die dem Neurosubstrat des Romans seine Substanz verleihen.
Es geht um Gamer*innen, KIs, Konzerne, VR, eine Revolution, Identität, aber vor allem (insert Vin-Diesel-Voice) Familie – und was wir daraus machen.
Babel: or the Necessity of Violence | Rebecca Kuang
Nicht nur der beste Fantasyroman, den ich seit Jahren gelesen habe, sondern auch einer der wichtigsten. Und eine Liebeserklärung an die Sprache und das Übersetzen. Hier meine ausführliche Besprechung.
Das Ende der Ehe | Emilia Roig
In Das Ende der Ehe fordert Emilia Roigs die Abschaffung einer patriarchalen Institution, die systematisch und strukturell Frauen unterdrückt und benachteiligt. Hier meine ausführliche Besprechung.
James Tiptree Jr.: Das geheime Leben der Alice B. Sheldon | July Phillips
In dieser Biografie geht es um das Leben von Alice B. Sheldon, die unter dem Pseudonym James Tiptree Jr. zu einer berühmten Science-Fiction-Schriftstellerin wurde, ihre wahre Identität lange geheim hielt, aber auch jenseits davon ein sehr interessantes Leben führte, jedoch kein einfacher Mensch war. Hier meine ausführliche Besprechung.
Dies ist mein letztes Lied | Lena Richter
Eine berührende Novelle, die zeigt, warum dieses Format in der Science Fiction besonders stark ist, und die eine tolle Mischung aus Abenteuer und moderner SF á la Becky Chambers bietet. Hier meine ausführliche Besprechung.
Die Insel der tausend Leuchttürme | Walter Moers
Im Vorfeld hatte ich mich über den Preis von Walter Moers’ Die Stadt der Tausend Leuchttürme aufgeregt, habe es dann aber zum Geburtstag bekommen. Würde sich der Preis eines Buches aus dem Lesespaß damit zusammensetzten, wären die 42 Euro durchaus gerechtfertigt. Denn so viel hatte ich schon lange nicht mehr mit einem Roman.
Hildegunst von Mythenmetz ist zurück. Angeregt durch seinen verstorbenen Dichtpaten Danzelot begibt er sich zur Kur auf die Insel Eydernorn, um sich im Sanatorium seine eingebildeten Krankheiten behandeln zu lassen. Nebenher lernt er das Krakenfieken, macht Bekanntschaft mit skurrilen Einheimischen, erkundet Flora und Fauna und vor allem die berühmten 111 Leuchttürme, von denen jeder ein einzigartiges und faszinierendes Mysterium ist.
Moers in Höchstform, was er hier in opulenten Beschreibungen an Fantasie einbringt, steht der Stadt der träumenden Bücher in nichts nach. Die meiste Zeit passiert gar nicht viel, Hildegungst verbringt im Prinzip einfach einen ruhigen Kuraufenthalt, aber das ist so grandios und einfallsreich geschrieben, dass ich davon gar nicht genug bekommen konnte. Zwischendurch gibt es auch immer wieder Andeutungen, dass die Hummdudel nicht sind, was sie scheinen und der pittoreske Kulisse des trägen Kurorts ein düsteres Geheimnis verbirgt, actionreich wird es daber erst im Finale auf den letzten 100 Seiten. Und das dann so richtig. Bombastische wäre noch eine Untertreibung, was hier an apokalyptischem Endzeitspektakel aufgefahren wird.
Und so gut das Finale geschrieben ist, ich glaube, der Roman hätte mir sogar noch besser gefallen, wenn Hildgunst einen gemütlichen Kuraufenthalt verbracht hätte und am Ende einfach wieder zurück aufs zamonische Festland geschippert wäre. Trotzdem für mich ein Meisterwerk der deutschsprachigen Fantasy. Auch sprachlich eine Wucht.
Killers of the Flower Moon | David Gran
Die Sachbuchvorlage zum aktuellen Film von Martin Scorsese, die ich gelesen habe, weil ich hörte, der Film soll die Hintergründe zu diesen teuflischen Verbrechen nur sehr unzureichend beleuchten. Es geht darum, wie die Osage in Oklahoma – nachdem Öl auf ihrem Land gefunden wurde, was ihnen Reichtum brachte – Ziel weißer Golddigger wurden, die sie geheiratet und dann nach und nach umgebracht haben. Mal mit einer Kugel in den Kopf, oft aber auch durch Vergiften. Es waren weiße Männer wie Frauen, die mordeten; innerhalb eines Jahrzehnts, das als Reign of Terror bekannt war, starben mehrere Dutzend Osage unter verdächtigen Umständen, viele der Morde wurden nie aufgeklärt.
Das Buch liefert die Hintergründe dazu, wie die Osage in diese Lage geraten sind. Erst wurden sie von ihrem Land vertrieben, dort wo sie ansiedeln sollten, wurde Öl gefunden, doch diesen Reichtum wollte ihnen das weiße Amerika nicht gönnen, weshalb viele von ihnen unter weiße Vormundschaft gestellt wurden, bei der sie praktisch um jeden Cent betteln mussten. Und viele der Osage, die unter einer solchen Betreuung standen, starben auf unnatürliche Weise. Es wurde ein perfides System zu deren Ausbeutung entwickelt, an dem Richter, Ärzte, Banker, Geschäftsmänner, Senatoren, Gouverneure usw. beteiligt waren.
Das Buch beginnt mit dem Mord an Anna Brown, der Schwester der Osage Molly Burkhart (Lily Gladstone), die wiederum mit Ernest Burkhart (Leonardo Di Caprio) verheiratet war, dem Neffen von William Hale (Robert De Niro), dem Schlimmsten und Mächtigsten aller weißen Verbrecher während des Reign of Terror. Zunächst werden die erfolglosen Ermittlungen mehrere Privatdetekteien geschildert, die Untätigkeit der lokalen Behörden, bis das FBI (das damals noch nicht so hieß) in Gestalt von Tom White (Jesse Plemons) auf den Plan trat. White ist einer der wenigen anständigen weißen Protagonisten in dieser Geschichte.
David Grann geht aber noch weiter, nachdem die Geschichte von White, Hale und Moly Burkhart erzählt ist, forscht er vor Ort bei den Nachkommen der Familien nach, wie viele ungeklärte Todesfälle es noch gab und deckt ein Ausmaß an niederträchtigen Verbrechen auf, das einem den Atem verschlägt.
Den Film habe ich noch nicht gesehen. Ich warte, bis er bei AppleTV verfügbar ist. Eigentlich wollte ich das Buch ausführlicher besprechen, weiß aber nicht, ob ich das noch schaffe. Es ist auf jeden Fall ein großartiges und wichtiges Sachbuch, das ein Stück amerikanische Geschichte erzählt, das die meisten Amerikaner*innen wohl lieber unter den Teppich kehren würden.
Abschlussbetrachtungen
Drei Sachbücher, dreimal Fantasy, zweimal Science Fiction und zweimal Japan. Die Mischung erstaunt mich ein wenig. Kaum allgemeine Belletristik, kein klassischer historischer Roman, kein Thriller, keine Autobiografie (Pageboy hat die Liste knapp verpasst). Hätte nicht gedacht, dass so viel Phantastik hier landet. Und gleich zweimal Science Fiction aus Deutschland und einmal Fantasy.
Bei Erstellung dieser Top 10 gehe ich nach meiner internen Punktewertung, die ich immer gleich nach Lektüre vergebe. Da gibt es keine Quote, Bevorzugung oder gewollte Ausgewogenheit, ich wähle einfach die zehn Bücher aus, denen ich die meisten Punkte gegeben habe.