Netzstreifzüge 1

Heute mal ganz unphantastische Netzstreifzüge.

Mimi & Käthe: Erlebnispornographie: ist ein Blog der beiden jungen Berlinerinnen Mimi und Käthe, die dort unterhaltsam über pornografische Themen schreiben. Aber nicht nur, es gibt auch ernste Themen, und die Beiträge haben trotz des gelegentlich etwas nervigen flapsigen Vice-Stils Substanz und Herz. 2016 wird ihr erstes Buch bei Heyne Hardcore erscheinen. Durch die Programmvorschau bin ich auch auf diesen Blog aufmerksam geworden.

Armer Autor, Du hast echt keine Freunde: Autor Tom Hillenbrand (Drohnenland) mit einem kämpferischen Beitrag in seinem Blog, in dem es um die Ausbeutung von Autorinnen und Autoren geht, und um den Offenbarungseid, den die Autorenverbände leisten, und mit dem sie jene im Stich lassen, die sie eigentlich vertreten sollten. Hintergrund ist der Streit um die Ausschüttung der VG-Wort, die anscheinend über Jahre rechtswidrig Beteiligungen, die eigentlich den Urhebern (Autoren) zustehen, an die Verwerter (Verlage) gezahlt haben. Mehr dazu kann man bei Tom im Blog lesen.

Should Literary Journals Charge Writers Just to Read Their Work? – Joy Lanzendorfer auf The Atlantic über eine bedenklich stimmende Entwicklung auf dem amerikanischen Kurzgeschichtenmarkt. Viele Magazine verlangen inzwischen eine Lesegebühr von den Autoren, die ihre Geschichten dort einreichen.

I worked in a video store for 25 years. Here’s what I learned as my industry died. – sehr lesenswerter Artikel auf Vox.com von Dennis Perkins , der 25 Jahre lang in mehreren Videotheken gearbeitet hat. Er schildert, wie sich das Geschäft über die Jahre verändert hat, und wie Streamingdienste wie Netflix zum Niedergang der Videothekenkultur beigetragen haben.

Ich bin zwar selbst recht zufriedener Kunde bei Netflix, aber nur bezüglich Serien, das Filmangebot ist grottig, und eben das führt auch zu einem Niedergang der Filmkultur. Ich bin mit einer Videothek in nur 50 Metern Entfernung aufgewachsen. Meine ersten Erinnerungen bestehen noch aus einer Mischung aus VHS- und Video-2000-Kassetten. Diese kleine Dorfvideothek hatte nur eine recht bescheidenen Auswahl, war für mich aber eine wahre Schatztruhe, die meinen Filmgeschmack und damit auch einen Teil meiner kulturellen Bildung maßgeblich mitgeprägt hat.

In die Videothek ging man (zumindest in meinem Umfeld) in der Regel nicht, um sich die großen Blockbuster auszuleihen, sondern, um nach den unbekannten kleinen und teils verschrobenen Filmperlen zu suchen, die eben nicht im Kino laufen. In Zeiten vor dem Internet, wo nicht jede Filminformation und Rezension nur einen Klick entfernt war, hat es sich zu einer Kunst entwickelt, aus Klappentext und den wenigen Bildern auf der Rückseite zu erkennen, ob der Film etwas taugen könnte. Wenn der Name Stephen Baldwin draufstand, taugte er z. B. nichts (außer es war Die üblichen Verdächtigen). Damals – bis hinein ins DVD-Zeitalter – konnte ich schon mal ein bis zwei Stunden in der Videothek stöbern, bis ich mich für einen Film entschieden habe. Und wenn der Film erst einmal bezahlt und ausgeliehen war, hat man ihn sich auch komplett angesehen. Da hat Perkins ganz Recht, wenn er schreibt, dass die Filmauswahl im Streamingzeitalter sehr beliebig geworden ist, dass man einen Film schnell abbrechen kann, wenn er nicht direkt gefällt; dass man dann einfach einen anderen anmacht, weil es ja im Flatrateangebot nichts kostet. Eine Entwicklung, durch die die Filmkultur deutlich flacher geworden ist.

Bei mir hier im Westerwald gibt es schon seit fast 10 Jahren keine Videothek mehr im näheren Umkreis. Filme leihe ich mir inzwischen auf DVD per Versandleihe (Videobuster, früher bei Lovefilm) aus. Aber das ist nicht dasselbe. Man legt sich eine Wunschliste mit ca. 20 Titel an, kann aber nicht wählen, welche einem als Nächstes geschickt werden, was dazu führen kann, dass man gerade gar nicht in der Stimmung ist, sich diesen Film anzusehen, den man vor zwei Monaten auf die Liste gesetzt hat. Das spontane Stöbern, einen Film zu entdecken, ihn auszuleihen und völlig begeistert zu sein, das fehlt mir schon sehr. Auch ist die Filmauswahl bei Streamingportalen viel zu mainstreamlastig und dünn. Netflix USA hat eine etwas bessere Auswahl, und auch einige asiatische Filme im Angebot, aber seit ich keine Videothek mehr in meiner Nähe habe, sind mir doch viele interessante asiatische Filme entgangen.

Die wirklich interessanten Filme kaufe ich mir auch noch auf DVD (reicht mir völlig, Blu-Ray brauche ich nicht), aber Filmen, bei denen ich mir so sicher bin, ob sich er Kauf lohnen wird, und die es im Verleih oder Stream nicht gibt, bleiben auf der Strecke. Auf den ersten Blick ist durch Netflix, iTunes, Amazon usw. alles sehr viel schneller und besser verfügbar geworden, nur einen Mausklick entfernt, bequem zu erhalten, ohne das Haus verlassen zu müssen, aber in Wirklichkeit, ist das Angebot durch die Vormacht der Algorithmen eingeschränkter und weniger bunt geworden. Die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen, aber schön zu lesen, dass sich auch noch andere wehmütig an sie zurückerinnern.