Da mir momentan die Zeit für neue Blogeinträge fehlt (am Samstag geht es mit den Netzstreifzügen weiter), hier mal wieder eine ältere Buchsprechung von mir, in der es um ein Werk meines Übersetzer- und Bloggerkollegen sowie Freundes Frank Böhmert geht. Die Rezi erschien ursprünglich im Fantasyguide, wo es auch unser Berliner Mit-SFler Ralf Steinberg besprochen hat.
Rezension:
Berlin (West) 1973: freie Fahrt für freie Rotzlöffel. Und Olli, der Berlins Straßen mit seinem Bonanza Rad unsicher macht, ist das Paradebeispiel eines Rotzlöffels. Er deckt den frisch gewachsten Wagen seines Sportlehrers mit Sand ein, bespritzt Frau Klehm mit Kakao und klaut Fischfutter. Ein richtiger Bart Simpson, wie ihn beinahe jede Klasse hat. Oder ist das alles nur eine Frage der Perspektive? Sehen die Erwachsenen, die auf Olli herab blicken, alles falsch von dort oben. Entgehen ihnen die Details?
Auch »Brillenbubi« Bernd schaut auf Olli herab. Genau genommen von einem Baum im Grunewald. Olli ist nach einer Verkettung unglücklicher Umstände abgehauen, und Bernd hat sich verlaufen. Doch bevor die beiden Schicksalsgefährten Freunde werden können, setzt es erst einmal eine ordentliche Tracht Prügel. Wie es sich für Jungs eben gehört. Dann werden Comics gelesen, zusammen auf einem Rad gefahren, Erwachsene bepöbelt und Mülleimer in die Horizontale verschoben.
Doch hinter dem harten Kern eines rauen Jungen steckt auch ein Herz. Und so beschließt Olli, Bernd dabei zu helfen nach Hause zu finden. Nach Kreuzberg, wo die ganzen Asozialen wohnen. Genug Stoff also für ein Großstadtabenteuer, in dem die beiden Helden es noch mit U-Bahn-Kontrolleuren, Kettenhunden, Hertha-Pennern und Mädchen zu tun bekommen.
Autor Frank Böhmert (seines Zeichen »asozialer« Treptower) versetzt den Leser zurück in eine Zeit, in der es noch keine Handys, Computer und IPods gibt. Er versetzt den Leser vorangeschrittenen Alters zurück in seine Kindheit. Auch wenn ich Jahrgang 79 bin, haben die Abenteuer von Olli und Bernd viele Kindheitserinnerungen bei mir hervorgerufen. Der Anschiss vom Schuldirektor, die Angst nach Hause zu kommen, weil man Mist gebaut hat, die Erkundungsgänge in Ruinen, das kommt auch einem Dorfbengel wie mir bekannt vor.
In Böhmerts Werk steckt aber mehr als nur abenteuerlicher Fünf-Freunde-Stoff. Es geht um Kinder, die in materieller Armut und emotionalem Reichtum leben, während andere wünschten, ihre wohlhabenden Eltern würden sich mal über den Mist aufregen, den ihr Sohn gebaut hat. Wenn Kinder merken, dass sie nur zur Dekoration da sind, ist eine Kindheit in Gefahr. Da bedarf es guter Freunde, um solche Defizite auch nur halbwegs zu kompensieren.
Als Neu-Berliner habe ich mich besonders über die Einblicke in ein Berlin gefreut, das ich bei meinem Streifzügen durch die Stadt nur noch erahnen kann. Bäume und Asphalt mögen noch derselbe sein, und vermutlich auch noch viel zu viele der S-Bahn-Wagen, aber wie Schliemann, bevor er anfing Troja auszugraben, kann ich nur noch vermuten, was die Zeit begraben hat. Frank Böhmert erweist sich als ausgezeichneter Archäologe, der es schafft, seine Figuren mit einem authentischen Tonfall auszustatten und jede Menge Details hineinpackt, die die 70er Jahre wieder auferstehen lassen.
Fazit:
Bloß weg hier!« setzt den Leser auf den Sozius, spuckt noch mal kräftig aus, tritt in die Pedale und nimmt ihn mit zurück in eine längst vergessene Zeit namens Kindheit. Ein Ort, an dem hinter jedem Baum ein Abenteuer lauert; in jeder Ruine ein Geheimnis wartet und die Zukunft noch Möglichkeiten und Träume verspricht.
P.S. erschienen ist das Buch übrigens bei Golkonda