Meine Woche: FCKAFD, Mob gegen die Grünen und gefährdete Kunst in Hongkong

Heute beginne ich meinen Wochenrückblick mit einem politischen Rant. Dazu gibt es eine sehenswerte Doku über Kunst und Freiheit in Hongkong, einen berührenden und erschreckend Artikel einer Mutter über den Einfluss von rechten Podcasts auf ihren Sohn, das Zeitalter der Überraschungen und etwas Notalgie mit Super Mario.

Collage aus vier Bildern, drei kleine quadratische in der oberen Reihe, ein längeres in der unteren: Von links oben nach rechts unten: 1.Luftaufnahme der Protesten in Hongkong eine Menschenmasse steht um den Schriftzug "Free Hong Kong, Democracy Now" herum.
2. Foto von NES-Mini und SuperNES-Mini nebeneinander.
3. Szene aus dem Trailer zum Film "Super Mario Bros." Mario und Luigi stehen nebeneinander und geben sich einen Fistbump
4. Die Bücher aus meinem Foto (siehe unten) zu Neu im Regal.

Meine persönliche Woche verlief wieder völlig ereignislos und uninteressant (genau so, wie ich es mag 😉 ). Was von der politischen Woche leider nicht gesagt werden kann. Die Proteste der Bauern sind jetzt wohl endgültig zum rechten Mob mit Fackel und Forke verkommen. Die Verrohung ist erschreckend, die jeder Grundlage entbehrende Hetze gegen die Grünen und einzelne Politiker*innen ebenso. Ein Teil unserer Gesellschaft steht anscheinend kurz davor, zur SA-Schlägerbande zu verkommen.

Und da fällt den Redaktionen der Öffentliche-Rechtlichen nichts Besseres ein, als noch mehr AFD-Politiker*innen einzuladen, um deren rechtsextremen Positionen eine Plattform zu bieten, wodurch diese immer mehr im Zuge einer Diskursverschiebung nach rechts in der sogenannten gesellschaftlichen Mitte verankert werden. Bei Maybrit Illner gab es am Donnerstag die volle populistische Breitseite mit Jens Spahn, Sahra Wagenknecht und Beatrix von Storch. Und Illner glaub wahrscheinlich immer noch, dass sie mit dieser »gesellschaftlichen Meinungsvielfalt« die Demokratie hochhält und die Rechten thematisch stellt und entzaubert, in Wahrheit aber genau das Gegenteil erreicht.

Ich habe auch vieles inhaltlich an der Politik der Grünen zu kritisieren, aber eben auf einer sachlichen Ebene. Wer weiterhin unqualifiziert gegen die Grünen jenseits aller Fakten ablästert, wird von mir in den sozialen Medien geblockt. Denn ein Teil unserer Gesellschaft hat sich von jeglicher faktenbasierter und sachlich-inhaltlicher Debatte entfernt. Da bringt Diskutieren nichts mehr. Solchen Menschen muss man jegliche Plattform entziehen. Alles andere gießt nur Öl ins Feuer.

Artikel

Einer der erfolgreichsten Podcasts impft unsere Kinder mit radikalem Gedankengut – und keiner kriegt’s mit

Jugendliche heute schauen bestimmt nicht Maybrit Illner oder andere Talkshows im Fernsehen, die hören sich eher Podcasts an. Z. B. Hoss und Hopf, wie der Sohn einer Stern-Redakteurin, die sich entsetzt darüber wundert, warum der plötzlich rechte Parolen von sich gibt. Ein eindrucksvoller und erschreckender Beitrag.

The 2023 Hugo Nomination Scandal Gets Worse

Und sind die Anti-Demokraten erst mal an der Macht, müssen sie ihre oppressiven Zensurmaßnahmen oft gar nicht selbst ausführen, das machen wir dann schon oft selbst in vorauseilendem Gehorsam, wie z. B. die jüngsten Entwicklungen im Hugo-Skandal zeigen. Was da lost ist, beim einstmals wichtigsten Preis der englischsprachigen Phantastikszene erklärt uns Cora Buhlert.

Das Zeitalter der bösen Überraschungen

Diese Woche gab es wieder eine neue Studie zum möglichen Versiegen des Golfstroms, die erneut erschreckende Szenarien entwirft. Warum das eben nicht einfach eine weitere Studie von vielen ist und uns einigen böse Überraschungen bevorstehen, erklärt der stets lesenswerte Lars Fischer in Spektrum der Wissenschaft. Und je schlimmer uns die Klimakrise trifft, desto schlimmer werden jene Probleme, die die Menschen in die Arme von Populisten treibt, obwohl eigentlich das Gegenteil wichtig wäre. Hängt alles mit allem zusammen.

Dokus

Hongkong – Zensur. Protest. Kunst.

Apropos China und Zensur. Das hier ist eine ausgezeichnete Reportage über Kunst und Aktivismus in Hongkong, die zeigt, wie dystopisch die Zeiten dort geworden sind, dass der Protest aber trotz Hunderttausender ins Exil Geflohener nicht gänzlich verstummt ist und kritische Kunst zumindest verschlüsselt noch möglich ist.

Hongkong war bis 1997 britische Kronkolonie und damit keine Demokratie. Aber es herrschte Meinungs-, Kunst- und Pressefreiheit. Die Briten haben es versäumt, Hongkongs Bevölkerung und Politiker*innen mit in die Rückgabeverhandlungen mit China einzubeziehen oder sie in die Unabhängigkeit zu überlassen. Dass die garantierte Autonomie bis 2047 nicht das Papier wert ist, auf dem es steht, haben wir in den letzten Jahren erleben können. In Hongkong zeigt sich, wie erschreckend es ist, wenn eine einst freie Gesellschaft von einer Autokratie übernommen und zerstört wird. Taiwan schaut hier ganz genau hin.

Arte-Mediathek

Der Regisseur dieses Films Kiwi Chow kommt in der Reportage ausführlich zu Wort.

Filme

Zhao, der Unbesiegbare (King Boxer/Tian xia di yi quan, 1972)

Da hat Quentin Tarantino also diesen dramatischen Sirenensound in Kill Bill her. Wieder was gelernt. Im Vergleich zu den letzten beiden hier besteprochenen Shaw-Brother-Filmen (Das Schwert der gelben Tigerin und One Armed Swordsman) ist der hier schon deutlich fortgeschrittener, was die Inszenierung der Kämpfe angeht, die finden auf einem anderen Level statt. Ansonsten ist es halt der übliche Kram über verfeindete Kampfkunstschulen, die sich bitter bekämpfen. Und das auf ziemlich brutale Weise, hier werden Augen mit Fingern ausgestochen. Lohnt sich vor allem wegen der Kämpfe und aus filmhistorischen Gründen.

Super Mario Bros. Movie

Unterhaltsame Portalfantasy über zwei Schluffis aus Brooklyn, die mit einer Prinzessin ein Fantasykönigreich vor dem bösen Thanos äh Bowser retten müssen und dabei über sich hinauswachsen.

Ich muss gestehen, dass ich sehr skeptisch war, halte ich doch die erste Verfilmung mit Bob Hoskins für ein anarchistisches Meisterwerk, das mit seiner subversiven Kritik an Franchises und Marken, indem es sie einfach völlig ignoriert und sein eigenes Ding durchzieht, seiner Zeit voraus war.

Doch der Film hat bei mir genau die richtigen Nostalgie-Knöpfe gedrückt, bin ich doch, wie so viele, mit Super Mario aufgewachsen. Meine erste Konsole, da muss ich in der vierten Klasse gewesen sein, war das NES mit Super Mario 1, Teil 2 (der eigentlich gar kein Super Mario war) und dem phantastischen Teil 3, den ich mit seiner Kreativität und dem Abwechslungsreichtum geliebt habe. Ebenso wie Super Mario World auf dem SNES. Das war dann auch schon mein letztes klassisches Super-Mario-Spiel, ich habe mir zwar noch die N64 gekauft, aber ohne Mario. Mario Kart 64 und Mario Party hingegen habe ich mit meinen Freunden damals rauf und runter gespielt. Das letzte Mal auf der Wii, die ich aber nicht selber hatte. Zuletzt habe ich die alten Spiele dann auf dem NES-Mini und dem SNES-Mini gespielt und mich wieder fast wie ein Kind dabei gefühlt. Hätte aber auch echt mal Lust, Super Mario Wonder auf der Switch zu spielen, da das echt gut aussieht und sehr originell zu sein scheint.

Der Film ist mir fast zu kurz und hektisch geraten, der hätte sich ruhig etwas mehr Zeit in der Röhrenwelt nehmen können. Als kurzweiliger Spaß aber sehr sehenswert, nur die Musikauswahl mit den üblichen alten Kamellen von AC/DC und den Beastie Boys ist doch sehr langweilig geraten.

Ach ja, mit dem Japanuary mache ich einfach weiter, und bespreche das ganze Jahr lang regelmäßig japanische Filme. Diese Woche war Stray Dog von Kurosawa Akira dran. 218 wurden übrigens insgesamt im Japanuary besprochen. Die könnt ihr jetzt alle hier nachlesen.

Tor Online

Folgt dem weißen Kaninchen: Bücher, die aus der „Patrix“ führen

Populismus, Autokratie, Diktatur, Rechtsextremismus, das alles funktioniert innerhalb eines Systems, dass wir bei der Beschäftigung mit diesen Themen oft aus den Augen verlieren. Sie gedeihen im Patriarchat. In der letzten Woche stellte uns Judith Vogt einige Sachbücher zu diesem Thema vor, in dieser Woche sind des Science-Fiction- und Fantasy-Romane, die zeigen, wie es auch ohne die „Herrschaft des Vaters“ gehen kann.

Meine Lektüre

Eigentlich will ich keine Bücher bekannter, erfolgreicher weißer Autoren mehr bessprechen, aber Der Weg der Wünsche von Patrick Rothfuss hat es mir einfach angetan, denn so etwas jenseits aller Genreklischees und Tropen gibt es nur selten in Buchform zu lesen. Entschleunigt und voller Poesie.

Neu im Regal

Die im Text unten erwähnten Bücher in genau dieser Reihenfolge von links nach rechts auf einem Tisch mit den Covern nach vorne aufgestellt.

Ralf Langroth heißt eigentlich Jörg Kastner, und von dem habe ich schon ein paar gute Thriller mit historischen Themen gelesen, und Band 1 Die Akte Adenauer fand ich auch sehr gut und spannend. Weshalb ich schon auf Ein Präsident verschwindet gespannt bin, wo es um die Geschichte von Verfassungschutzpräsident Uwe John geht.

Zu Sparks von J. R Dawson wird es noch einen eigenen Blogbeitrag geben, wenn es am 28. Februar erscheint. Das Buch wurde vom Verlag auf meine Initiative eingekauft. Die deutsche Ausgabe ist richtig schick geworden, ein echter Hingucker in der Buchhandlung, und das Buch ist sowieso großartig.

Von Keitu Gakus Boys Run The Riot habe ich bereits Band besprochen.

Inspector Mouse von Caroline Ronnefeldt werde ich demnächst rezensieren. Aber sieht diese Ausgabe mit dieser tollen Covergestaltung nicht einfach großartig aus! Für mich das beste Cover, das ich seit langem gesehen habe.

Ebenfalls besprechen werde ich Der nasse Tod von Kenzaburō Ōe, der meinen Einstieg in die Klassiker der japanischen Literatur sein soll.

Musik

Lambrini Girls

Musik gibt es diese Woche von den Lambrini Girls, efrischender, politischer Post-Punk aus Großbritannien.

Foto der Woche

Seit zwei Wochen sind die Zugvögel bei uns wieder unterwegs.

Zugvögel in V-Formation am blauen Himmel

Wo ist die Neugierde hin? Die Lust auf Neues? Hat meine Generation aufgegeben?

Diesen Beitrag hätte ich auch Alles Lappen außer ich nennen können, da ich jetzt über mehrere Seiten damit angeben werde, was für einen tollen Musikgeschmack ich habe und wie aufgeschlossen ich für neue Ideen, Theorien und Betrachtungen ich bin, während meine Altergenossen (bin Jahrgang 79) sich entweder in die sprichwörtlichen alten weißen Männer verwandeln (was die Einstellung angeht), oder einfach nur noch in alten festgefahrenen Geschmäckern und Weltbildern schwelgen.

Kürzlich habe ich den großartigen Film Der schlimmste Mensch der Welt gesehen, in dem eine der Figuren, ein Mittvierziger, der unheilbar an Krebs erkrankt ist, sagt, er habe schon lange vor der Diagnose aufgegeben. Er höre gar keine neue Musik mehr, nur die alten Sachen. Und wenn er neue Musik für sich entdecke, dann nur alte Sachen, die es früher schon gab, die ihm damals nur entgangen seien.

Etwas, dass ich bei vielen Freunden, Bekannten und anderen (vor allem) Männern meines Alters bemerke. Das gilt für viele Lebensbereiche, aber bei Musik ist es für mich besonders auffällig, und ich sehe sie auch stellvertretend für das Phänomen. Wohl kein Medium spricht (viele von) uns auf so eine emotionale Weise an, wie Musik. Sie geht durch den ganzen Körper und setzt sich in unserem Gehirn fest, wenn wir lange genug zuhören.

Musik – Die prägenden Jahre

Musik hat viele früh geprägt. Sie war ein Identifikationsmerkmal, hatte Einfluss auf den gesamten Lebensstil. Die einen waren Punks, Goths oder Metalheads, die anderen Hip-Hopper oder Raver. Die Jugendsubkulturen haben sich um Musik gebildet. Eine so intensive Prägung hallt auch im späteren Leben noch nach. Ich habe mich nie einer bestimmten Szene zugehörig gefühlt, sondern mochte von allem etwas, nur nicht den Scheiß, der im Radio lief. Ich mochte einfach „gute“ Musik.

Musik kann uns in schlechten Zeiten aufbauen, uns Kraft geben, durch Krisen bringen. Zuletzt habe ich viele Videos zu Tori Amos gesehen, und unter so gut wie jedem, zahlreiche Kommentare gelesen, Toris Musik hätte den Leuten das Leben gerettet, ihnen geholfen, schwere Krisen und Zeiten durchzustehen. Musik hat diese Kraft.

Unsere Geschmäcker werden vor allem in der Kindheit und den Jugendjahren geformt. Und an diese Zeit erinnern wir uns (wenn wir denn keine schlimme Kindheit hatten) gerne zurück, oder wenn wir eine hatten, dann, wie uns die Musik vielleicht hindurch geholfen hat. In späteren Jahrzehnten kehren wir gerne zu dieser Geborgenheit zurück.

Das lässt sich grob unter dem Begriff Nostalgie zusammenfassen, wird dem Ganzen aber nicht wirklich gerecht.

Die Macht der Nostalgie

Unsere Popkultur ist geprägt von Nostalgie. Jene, die mit Star Wars, Marvel-Comics und anderen Franchisen aufgewachsen sind, machen heute selbst Filme und Serien in diesen Universen, und wer nicht auf der kreativen Seite steht, schaut sie sich gerne an. Denn sie bringen uns zurück in unsere Kindheit, erinnern uns daran, wie toll es war, Samstag morgens, um 7.00 Uhr aufzustehen, um auf RTL Spider-Man and his Amazing Friends zuschauen; wie wir uns gefreut haben, wenn es wieder Taschengeld für ein neues Comicheft gab; oder die Faszination, als wir das erste Mal den Millennium Falcon über die Leinwand oder den Bildschirm flitzen sahen.

Das ist eine Nostalgie, die für mich schon toxische Ausmaße angenommen hat, weil sie fast ausschließlich aus einem Blick in die Vergangenheit besteht, während die Zukunft, selbst in Werken der Science Fiction, in Vergessenheit gerät. Von der Gegenwart ganz zu schweigen. Aber das ist ein anderer Artikel (den ich schon vor einiger Zeit angefangen, aber nie beendet habe).

Ein kluger Autor (mir will gerade nicht einfallen, wer es war – Douglas Adams vielleicht) sagte einmal, dass wir alles, was nach unserem 30 Lebensjahr entstanden sei, scheiße finden würden.

Neue Musik entdecken

Gerade für Musik finde ich das sehr passend. Mir ging es ähnlich, bis zu ungefähr meinem 35. Lebensjahr fand ich auch, dass keine gute neue Musik mehr geschaffen werde, und hörte nur die Sachen, die ich schon als Jugendlicher und junger Erwachsener mochte, oder zumindest neue Musik von Musiker*innen, die damals schon Musik gemacht haben.

Ich glaube, das ist vor allem Bequemlichkeit. Wir werden faul, sind zufrieden, mit dem, was wir haben. Werden geistig träge, verschließen uns dem Neuen. Denn das könnte uns ja in unserer Selbstgewissheit erschüttern, dass früher alles besser war, dass wir die tollste Jugend von allen hatten und die Jugend von heute nur zu bemitleiden sei. Wir waren halt doch die Geilsten.

Und jetzt sind wir die angehenden spießigen Opas, die über die Jugend schimpfen und mit erhobener Faust Wolken anbrüllen.

Bei mir war das plötzlich vorbei. Es fing mit der französischen Sängerin ZAZ an, deren erstes Album ich mir schon 2014 gekauft habe, deren Konzert 2016 mich aber endgültig vollauf begeistert hat. Seitdem bin ich immer auf der Suche nach neuer junger Musik, höre dabei die alte aber trotzdem noch.

Musik als Indikator für andere Lebensbereiche

Ich bin überzeugt, dass sich diese Einstellung auch auf andere Lebensbereiche überträgt. Wer nur an dem Zeugs von früher hängt, denkt auch wie früher, ist in alten Weltbildern und Gewissheiten verwurzelt. Allein der Gedanke, diese zu hinterfragen oder gar abzulegen, ist beängstigend.

Ich kann so etwas oft beim Thema Rassismus feststellen. Ganz nach dem Motto: Was weiße Menschen über Rassismus nicht hören wollen, aber wissen sollten. Allein die Vorstellung anzudeuten, man könnte selbst auch gewisse rassistische Verhaltensweisen und/oder Ansichten verinnerlicht oder zumindest auch schon an den Tag gelegt haben, bringt viele in eine aggressive Verteidigungshaltung, die nicht selten mit Beleidigtsein und einem Verhärten der Fronten endet. Etwas, das Freundschaften beendet.

Die Bereitschaft, sich in die Situation der Betroffenen hineinzuversetzen, Empathie zu zeigen und vielleicht das eigene Handeln in der Vergangenheit zu hinterfragen, damit es Zukunft nicht mehr vorkommt, ist oft nicht gegeben.

Ich fand Alice Hasters Buch zum Beispiel augenöffnend und finde, wir sollten es alle lesen und darüber nachdenken. Gerade lese ich Emilia Roigs Das Ende der Ehe, in dem sie absolut nachvollziehbar und gut begründet argumentiert, warum die Institution Ehe in erster Linie der Aufrechterhaltung des Patriarchats und der Unterdrückung der Frau dient. Bis heute, auch in glücklichen Ehen. Ich werde es noch ausführlich besprechen.

Ich bin nie Fan der Ehe gewesen, aber Roig führt auch Argumente auf, die ich so noch nicht betrachtet habe, die ich aber für sehr überzeugend halte. Liebesfilme und romantische Beziehungsfilme werde ich jetzt immer anders und kritischer sehen als vor der Lektüre ihres Buchs. Gleiches gilt für Liebeslieder.

Gerade solchen Büchern, die uns helfen können, bestimmte Themen und Lebensweisen aus anderem Blickwinkel zu betrachten und kritisch zu hinterfragen, stoßen oft auf massive und verbal gewalttätige Reaktionen. Oder zumindest auf die Weigerung, sich damit auseinanderzusetzen. Gleiches gilt für Bücher und Argumentationen, die unser politisches System (nicht die Demokratie an sich) und den Kapitalismus infrage stellen.

Gefangen im Hamsterrad

Es gehört natürlich zum System, dass es sich keine kritischen Bürger wünscht, weshalb sie so ins Hamsterrad eingespannt sind, dass sie nach Feierabend zu erschöpft sind, sich noch mit etwas kritisch auseinanderzusetzen oder etwas Neues zu entdecken. Sie wollen einfach etwas entspannen, am besten mit einer kleinen Dosis Nostalgie, die an eine Zeit erinnert, als das Leben nicht so stressig und anstrengend war, als es einfacher war und noch nicht aus Arbeit bestand.

Kritisches Hinterfragen, Neues zu entdecken kostet Energie, das ist ein Luxus, den sich oft nur Privilegierte leisten können, oder jene, die aus dem Hamsterrad heraustreten.

Aber das ist durchaus möglich. Das muss nicht auf einmal passieren. Wir können das in kleinen Schritten und Dosen machen. Unsere Neugierde und Aufgeschlossenheit von früher neu entdecken. Ich empfinde das für mich als sehr bereichernd. Musik ist da nur ein kleiner Beitrag. Bücher, die Herausforderungen sind, aus anderen Kulturkreisen stammen; Filme, die nicht dem klassischen Hollywood-Blockbuster-Nostalgie-Schema entsprechen. Mal ein Buch hier, ein Film da, etwas Musik hin und wieder, die vielleicht das alte Feuer wieder entfacht.

Die Welt verstehen, die Gesellschaft verbessern – auch im Kleinen

Über fast zwei Jahrzehnte habe ich Musik nicht als so begeisternd und inspirierend empfunden, wie in den letzten Jahren, nachdem ich mich wieder für Neues geöffnet habe. Sie inspiriert mich, (noch unveröffentlichte) Bücher zu schreiben und zu zahlreichen Blogeinträgen und Artikeln, die nicht nur von früher erzählen.

Mir geht es darum, die Welt zu verstehen, zu erfahren, wie Menschen in anderen Kulturen leben; mich in die Situationen anderer Menschen – vor allem, jene die benachteiligt und diskriminiert werden, die Gewalt erfahren usw. – halbwegs hineinzuversetzen können, in der Hoffnung, vielleicht meinen eigenen winzigen Beitrag leisten zu können, auf ihre Lage hinweisen und sie hoffentlich verbessern zu können.

Klar, ich hab eigenen Probleme. Was geht mich das an? Aber das geht uns alle an, und es wirkt sich auf uns alle aus. Unsere Gesellschaft und unser Miteinander lässt sich nur verbessern, wenn wir alle unseren Beitrag dazu leisten. Und vielleicht fängt es damit an, dass wir wieder neue Musik hören oder Bücher lesen, die jenseits unseres Tellerrands liegen.

Ich will hier niemandem aus meinem Umfeld Vorwürfe machen, wie bei niemandem Schuldgefühle wecken und denke auch an niemand Konkretes. Ich finde es einfach nur schade, wie bequem wir geworden sind. Und finde wirklich, dass etwas mehr Offenheit für Neues und Anderes zu einer positiven Entwicklung beitragen könnte – bei uns selbst, aber auch, was die Gesellschaft als Ganzes angeht.

Als kleine Anregung hier eine Liste mit relativ neuer Musik, die mich in den letzten Jahren begeistern konnte. Dank Youtube und Spotify ist es so einfach wie nie, Neues zu entdecken. Ansonsten empfehle ich noch die Sendung Tracks auf Arte, die immer am Puls der Zeit ist.

Halsey (vor allem das Album If I Can’t Have Love I Want Power)

Taylor Swift (Folklore/Evermore)
Billie Eilish

Jinjer
My Little Airport


Janelle Monáe (Dirty Computers)

Kamasi Washington
Arlo Parks

Celeste
Lowkey

Phoebe Bridgers
Polyphia

Zeit der Verantwortungslosen – der Rückgratlosen

Vorweg: Das hier ist kein sachlicher Artikel, der Wert auf Ausgewogenheit legt, sondern ein Rant, also ein kritischer Meinungsbeitrag, der meine Stimmung der letzten Zeit wiedergibt.

Nachdem ein rechter Mob, durch Lügenmeldungen aufgehetzt, aus dem ultrarechten Hooliganumfeld des Chemnitzer FC organisiert, in einer deutschen Großstadt Hetzjagd auf alles machte, was nicht nach deren verqueren Vorstellungen eines Deutschen entsprach, und die Polizei überfordert und hilflos (von ihrer Führung im Stich gelassen) zusah, wie Hitlergrüße vor laufender Kamera getätigt wurden, hieß es von den Verantwortlichen, so etwas dürfe nicht noch einmal passieren.

Am nächsten Tag passierte es dann wieder. Der Bundesinnenminister, der sonst die Klappe nicht halten kann, hüllt sich in Schweigen, die Verantwortlichen in Sachsen lavieren herum, der Ministerpräsident macht sich Sorgen um den Ruf seines Freistaats und relativiert das Ganze zu einem Marketingproblem.

Zur gleichen Zeit geben der Bundestrainer Joachim Löw, der sich auch zwei Monate lang in Schweigen hüllte, und sein Marketingmanager Oliver Bierhoff – nach dem Debakel bei der Fußball-WM in Russland – eine Pressekonferenz, auf der man die Ergebnisse der zweimonatigen tiefen Problemanalyse präsentieren und die deutsche Nationalmannschaft (die zukünftige ehemalige Die Mannschaft) in Zukunft führen möchte. Fazit: Ja, ja, gab Probleme mit der Defensive, zu viel Ballbesitzfußball, ein paar weniger wichtige Pöstchen werden verschoben, die Mannschaft bleibt aber größtenteils die gleiche. Also weiter wie bisher, nur so viel beschwichtigen wie gerade nötig.

Einige Wochen zuvor hatte der oben schon erwähnte Bundesinnenmimiminister die Regierung in ihr erste große Krise gestürzt, weil er gegen jede Vernunft seinen narzistischen, bayrischen Sturkopf durchsetzen wollte. Was ihm nicht gelang, er aber trotzdem so tut als ob.

Was allen gemein ist: Keiner war in der Lage und/oder willens Verantwortung für die eigenen Fehler zu übernehmen, die Konsequenzen zu ziehen und zurückzutreten. Lieber schiebt man die Verantwortung auf andere ab, laviert weiter herum und hofft, dass bald Gras über die Sache gewachsen ist, damit man so weiter machen kann wie bisher, ganz im Dienste der eigenen Karriere.

Ein Verhalten, das in den letzten Jahren besonders kultiviert wurde. Oder hat irgendjemand die Verantwortung für das Desaster des vermurksten BER-Flughafenbaus übernommen, der uns Steuerzahler Milliarden kostet, ohne, dass irgendetwas Sinnvolles dabei rauskommt? Weitere der zahllosen Beispiele kann hier jeder selbst gedanklich einpflegen.

Nach einer kurzen Phase, in der Minister und Bundespräsidenten wegen irgendwelchen Nichtigkeiten zurückgetreten sind, ist eine entstanden, in der niemand mehr bereit ist, die politische Verantwortung zu übernehmen, für das, was in den ihm/ihr zuständigen Bereich falsch gelaufen ist. Eine Kultur, die auch durch den Aufstieg von Donald Trump begünstigt wurde, der ungeniert jeden Tag unzählige Lügen auf Twitter von sich geben kann, ohne dass sich noch groß jemand darüber aufregt. Wenn der das kann, warum nicht auch ich, mag sich manch einer denken.

In der Regel sucht man sich ein paar Bauernopfer, die etwas tiefer in der Hierarchie stehen, von der ursprünglichen Trump-Administration sind nur noch wenige übrig und bei VW hat man ein paar einfache Manager zum Sündenbock erkoren. Lügen und Intrigen gab es in Politik und Wirtschaft schon immer, aber noch nie ließ sich die Öffentlichkeit so einfach und offensichtlich verarschen.

Und wenn man jetzt glaubt, jene Pegida-Demonstranten und AFD-Wähler und -Politiker, die würden doch aufstehen und sich das nicht länger bieten lassen, der sollte sich das Wirken dieser Demagogen mal genauer anschauen, die unter dem Deckmantel des Protests und des besorgten Bürgers in erster Linie Hass säen und gegen andere hetzen, die sich nicht wehren können, die mit den eigentlichen Problemen im Land aber nichts zu tun haben: Flüchtlinge und andere Ausländer. Und wer sich gegen Faschismus engagiert, gilt inzwischen schon selbst als Faschist. Eine perverse, verquere Logik, der man mit Sachlichkeit, Vernunft und Fakten nicht mehr beikommen kann.

Das sind Nazis, die hier den Aufstand gegen einen Staat proben, der darauf völlig hilflos reagiert und jenen Hetzern lieber noch in die Hände spielt und sich deren Methoden und Ideologien annähert (man denke nur an das Polizeiaufgabengesetz in Bayern, das sich schon sehr weit vom Grundgesetz entfernt). Es sind Nazis, die die freiheitlich demokratischen Werte unseres Landes mit Füßen treten.

Und diese Hetze fällt auf fruchtbaren Boden und nistet sich parasitär in der Mitte der Gesellschaft ein, die schmierigen Tentakel immer weiter ausstreckend. Solche hässlichen Gewaltausbrüche wie in Chemnitz gehören da noch zu den harmloseren Auswüchsen, bedenklich wird es, wenn selbst die Medien, wenn Zeitungen, TV-Sendungen und andere Presseorgane solche Gewalttaten verharmlosen und relativieren, wenn sie die Gewaltursachen bei anderen suchen und Gegendemonstranten, die für unsere Demokratie eintreten, als Linke (Extremisten) darstellen. Und damit meine ich nicht das widerliche Hetzblatt, deren oberster Brandstifter sich dann im Nachhinein über das ganze Wasser beschwert, mit dem man versucht, die schlimmsten Brandschäden zu verhindern. Es reichelt wieder in Deutschland.

Deutschland hat nicht nur ein Naziproblem, sondern auch eines mit der Haltung. Denn genau dort, wo jene sitzen, die diesem Naziproblem entschieden entgegentreten könnten, sitzen rückgratlose Opportunisten, die nicht nur – aus welchen Gründen auch immer – auf dem rechten Auge blind sind, sondern generell nicht Willens, für eigenen Fehler geradezustehen und hässlichen Problemen gegenüber mit Haltung aufzutreten. Mehr als hohle Phrasendrescherei scheint von der politischen Debattenkultur der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht übrig geblieben zu sein.

Bleibt zu hoffen, dass sich die demokratische Zivilgesellschaft als standhaft und wehrhaft erweist, um solchen Entwicklungen an der Basis Einhalt zu gebieten. Die Zeit für Samthandschuhe gegenüber jenen, die unsere Demokratie und unsere freiheitliche Gesellschaft zerstören wollen, ist vorbei. Ganz gleich, ob sie für rechtsextreme Parteien in Parlamenten sitzen, diese wählen, mit gewaltbereiten Mobs marschieren oder in den Etagen großer Wirtschaftsunternehmen sitzen.

Unsere demokratische, liberale Gesellschaft, wie wir sie in den letzten Jahrzehnten genießen konnten, ist nur durch konsequentes Handeln und Haltung zu retten, nicht durch Schweigen, Relativieren und Herumlavieren.

Hass ist keine Haltung. Über Jahrzehnte schwelten Hass und Rassismus unter der Oberfläche, man äußerte das aber nur unter vorgehaltener Hand. Inzwischen trauen sich immer mehr mit ihrem Hass und Rassismus, gar mit ihrem Nazitum, an die Öffentlichkeit. Diese Hetzer und Verblendeten müssen wieder spüren, dass Hass keine Meinung ist, dass Rassismus geächtet wird, dass Meinungsfreiheit nicht bedeutet, dass einem niemand widerspricht. Wir müssen dieses Land wieder unbequem für jene machen, die nicht bereit sind, sich in eine demokratische, liberale Gesellschaft zu integrieren, die sich dem Grundgesetz und der Toleranz verschrieben hat; wir müssen es unbequem machen, für jene, die die Errungenschaften der letzten Jahrzehnte, die in mühsamen und aufreibenden Kampf erstritten wurden, wieder zerstören wollen. Null Toleranz für die Intoleranten, für jene, die von Heimat blöken, ohne zu verstehen, dass ihre Wurzeln nur in einem Boden gedeihen können, der frei, reichhaltig und vielfältig ist.

Wir tanzen in den Ruinen unserer Jugend – ein Rant über mich und meine Generation

Wir tauchen hinab zu den Ruinen unserer Vergangenheit, unter einer dicken Taucherglocke, deren Sichtfenster uns dank Augmented Reality nur das zeigt, was wir sehen wollen: Eine romantisierte Illusion unsere Jugendjahre, die alles Negative ausblendet, so zuckersüß, dass wir in ihr kleben bleiben und im Zuckerrausch gar nicht merken, wie wir nicht nur den Blick für die Zukunft verlieren, sondern auch die Gegenwart nur noch verzerrt wahrnehmen.

Die 80er-Jahre liegen voll im Retrotrend, nicht nur in der Popkultur, wo Serien wie Stranger Things und Bücher/Filme wie Ready Player One die Nerdkultur dieser Dekade bis zum Exzess zelebrieren und zum neuen Goldenen Kalb stilisieren. Auch in der Politik: In Nicaraguar wird ein ehemaliger Rebell, der einst gegen eine brutale Diktatur kämpfte, selbst zum brutalen Diktator; Polen und Ungarn kehren zu autokratischen Regierungsformen zurück, ebenso wie Russland und die Türkei. In Deutschland sitzen wieder Nazis im Parlament, in Österreich und Italien sogar in der Regierung, während sich Großbritannien selbst zerfleischt und die Welt buchstäblich in Flammen steht.

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