Meine Woche: Schamanen, Schlangen und Tokyo bei Nacht

Der Hauptschwerpunkt liegt natürlich wieder auf Japan, mit den Filmen River – The Time Loop Hotel und Inu-Oh sowie der Fortsetzung der Mini Theater Journey und zwei schicken Videos zu Tokyo bei Nacht. Aber ich stelle auch drei interessante Filme aus Lateinamerika vor, die sich mit unterschiedlichen Aspekten der Kolonialisierung auseinandersetzen.

Collage aus vier Screenhots. Drei kleine in der oberen Reihe, ein großes in der unteren.
1. Männliche Hauptfigur aus "Adios Buenes Aires" sitzt auf einem Dach und spielt Ziehharmonika.
2. Weibliche Hauptfigur aus "River" in einem Kimono von vorne zu sehen.
3. Der junge Schamane aus "Der Schamane und die Schlange" in Nahaufnahme von vorne.
4.  Ein Straße in Tokio bei Nacht, die vorbeigehenden Passanten mit Regenschirm spiegeln sich in einer Pfütze im Neonlicht.

Youtube

Cinematic Reality: Japan | Photography Journey from Tokyo to Osaka

Sehr schöner halbstündiger Film von illkoncept, der in tollen Bildern, das Stadtleben von Tokyo und Osaka (vor allem bei Nacht) gefilmt hat. Einfach unterlegt mit entspannter Musik, die hier und da mit den vielen Neonlichtern im Regen Bladrunner-Vibes aufkommen lässt.

Tokyo Solitude

Sehr elegant gedrehter Kurzfilm von teemu.mp4 , der ganz ohne Worte auskommt und drei einsame Menschen in Tokyo bei Nacht zeigt.

Jig Theater (Tottori, JAPAN) – MINI THEATER JOURNEY

So klein sind die Städte der Mini Theater Journey meist gar nicht, Tottori hat fast 200.000 Einwohner und liegt an der Westküste Japans. Das Jig Theater wirkt nicht wie ein klassisches Kino, eher wie ein Schulgebäude, was daran liegt, dass es tatsächlich eine Grundschule war. Wie auch bei den anderen Kinos der Tour gibt es hier ein Café, eine Bibliothek und einen kleinen Verkaufsbereich. Das wirkt schon alles sehr improvisiert, aber auch knuddelig und wie aus der Gemeinschaft für die Gemeinschaft. Ich muss da an das Uni-Kino aus meinem ersten Studium in Siegen denken.

Artikel

Five Films for Learning Japanese. Recommendations from Experts in Japanese Language Education

Das Japanese Filmfest (von der Japanese Foundation) hat auch immer wieder interessante Artikel. So dieser hier, in dem von Experten fünf Filme für Menschen empfohlen werden, die Japanisch lernen. Bisher habe ich davon nur Summer Wars gesehen.

Ich schaue relativ viele japanische Filmen und Serien und empfinde es als sehr hilfreich. Zum einen, was die Aussprache angeht, aber auch in Bezug auf Begriffe, Redewendungen oder Sprechweisen, die in offiziellen Lernmaterialien nicht erwähnt werden, aber nah am japanischen Alltag sind. Allerdings muss man dort auch vorsichtig sein, denn in vielen Animes wird zum Beispiel kein alltägliches Japanisch gesprochen, ebenso wenig in historischen Serien und Filmen. Und ich freue mich auch einfach über die kleinen Erfolgserlebnisse, wieder mal ein Wort oder gar einen ganzen Satz verstanden zu haben. Sich jeden Tag mit Japanisch zu umgeben, ist einfach hilfreich, aber das gezielt einzusetzen, dürfte noch effizienter sein.

Veranstaltungen

Japan Food Festival

Vom 31. Mai bis zum 2. Juni findet in Düsseldorf das Japan Food Festival statt. Düsseldorf ist ja bekannt für seine große japanische Gemeinde, da wird es sicher viel leckeres authentisches Essen geben. Leider überschneidet sich der Termin mit der Nippon Connection in Frankfurt.

Hörspiel

Hardland

Ich habe diese Woche die ersten beiden Folgen von Hardland gehört, der ARD-Hörspielumsetzung des gleichnamigen Romans von Benedict Wells, den ich ganz gut fand. Das Hörspiel ist sicher nicht schlecht gemacht, hört sich aber sehr öffentlich-rechtlich an. Nicht falsch verstehen. Ich mag die Hörspiele, des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Das legendäre Herr der Ringe-Hörspiel, Die drei Sonnen oder ganz aktuelles wie Mia Insomnia. Aber Hardland hört sich so gar nicht nach USA der 1980er an, nicht nach den Filmen, die Vorbild für Wells waren. Ich finde es schon zu kunstvoll inszeniert. Hier wird in den Dialogen auch noch deutlicher, dass Jugendliche einfach nicht so reden, wie sie es in dem Roman tun. Wirkt stellenweise auch wie eine inszenierte Lesung, da es sich mit dem hohen Erzähleranteil nicht von der Vorlage lösen möchte, und ich vermute mal, teile der Musikeinlagen stammen von dem Singer/Songwriter, der mit Wells seinerzeit auf Lesetour war.

ARD-Audiothek

Filme

Ich habe nicht nur eine Leidenschaft für Japan, sondern seit meinem Brasilienaufenthalt 2006 auch ein großes Interesse an Lateinamerika und seiner Geschichte. Diese Woche habe ich drei Filme gesehen, die in Kolumbien, Chile und Argentinien spielen und unterschiedliche Phasen der Geschichte abdecken. Geprägt sind sie allle von der Brutalität und den verheerenden Wirkungen des Kolonialismus. Selbst Adiós Buenos Aires, in dem die große Wirtschaftskrise von 2001 thematisiert wird. Hier wurde das Land von den korrupten Eliten, den Nachfahren und Erben der Kolonialisten geplündert und ruiniert, in Strukturen, die seit über 200 Jahren bestehen.

Der Schamane und die Schlange (El abrazo de la serpiente)

Zwei Forscher, die im Abstand von 40 Jahren den Amazonas bereisen und von einem indigenen Schamanen begleitet werden. Eine Reise ins Herz der kolonialen Finsternis, auf der Suche nach Kautschuk und Gott. Ein fast meditativer Film über den Verlust, nein Raub von Kultur, das herzlose Wesen der Unterdrückung und die Beschaffenheit der Welt. Basierend auf den Aufzeichnungen von Theodor Koch-Grünberg.

Mubi

Colonos

Großgrundbesitzer José Menéndez, der pervers viel Land in Patagonien besitzt, schickt Anfang des 20. Jahrhunderts ein dreiköpfiges Killerkommando los, um sein Land von den lästigen Indigenen zu säubern. Das Kommando zieht mordend und vergewaltigend durchs Land, bekommen aber zum Teil auch, was sie verdienen. Bildgewaltige, düstere Anklage an den Kolonialismus, der den Gründungsmythos von Chile zerstört. Wie ein Western inszeniert. Auch Der Schamane und die Schlange ist eine Anklage an die Ausbeutung durch den Kolonialismus, enthält aber viele poetische Phasen und es wird gelacht. In Colonos lacht niemand. Basiert auf einer wahren Geschichte. An Originalschauplätzen konnte nur sehr eingeschränkt afu einer Mülldeponie und am Flughafen gedreht werden, da das Land noch immer der Familie Menéndez gehört.

Mubi

Adiós Buenos Aires

Über einen alleinerziehenden Vater mit Schuhgeschäft und Tango-Band während der großen Wirtschaftskrise von 2001 in Argentinien, der das Land verlassen möchte, da er keine Hoffnung mehr hat, dass es dort besser wird. Bis ihm eine rabiate Taxifahrerin ins Auto fährt. Schöner kleiner Film, wenn auch keine Filmperle, da er sehr vorhersehbar und kitschig verläuft, aber mit liebenswert schrulligen Figuren, kleinen Alltagspoesien und angenehmer Melancholie.

Inu-Oh

Vorweg als Warnung, dieser Anime ist vor allem ein Musikfilm, es wird also die meiste Zeit musiziert und gesungen. In der ersten Hälfte vor allem mit der Biwa im Stil des Noh-Theaters, ab der Mitte wandelt sich der Film zu einer opulenten Rock-Oper. Als ich den Film startete, musste ich vom Zeichenstil her und der Dynamik direkt an Night Is Short Walk On Girl denken, und siehe da, er ist vom gleichen Studio und Regisseur Masaaki Yuasa. Eine klassische japanische Geschichte erzählt in einer Mischung aus Tradition und Moderne.

River – Time Loop Hotel (Ribâ, nagarenaide yo)

Habt ihr schon Beyond the Infinite Two Minutes gesehen? Falls nicht, solltet ihr das schnell nachholen. Ein toller kleiner Film über jemanden, der auf seinem Fernseher eine Botschaft aus zwei Minuten in der Zukunft empfängt – von sich selbst. Was daraus in diesem begrenzten Setting gemacht wird, ist genial.

Auch in River vom gleichen Filmteam geht es um zwei Minuten, nur wiederholen die sich hier immer wieder. Die Mitarbeiter*innen und Gäste (das sind tatsächlich nur Männer) eines schnuckeligen Hotels mit Onsen sind in einer zweiminütigen Zeitschleife gefangen, müssen der Sache auf den Grund gehen und finden dabei einiges über sich selbst raus.

Wirklich erstaunlich, was auch hier wieder aus einer kleinen Idee auf engen Raum und mit begrenztem Ensemble gemacht wird. Und das in der knappen Zeit, die wie im Flug vergeht und den Film zu keiner Zeit langweilig macht. Nur die Auflösung ist mir einen Tick zu albern geraten, beeinflusst meine Einschätzung des Films aber nur minimal. Ganz so großartig wie Beyond the Infinite Two Minutes ist er nicht, aber dafür eine tolle Wohlfühlkomödie mit einem Cast, der sichtlich Spaß an der Sache hat. Das Drehbuch stammt von Makoto Ueda, der auch schon Night is Short, Walk On Girl und Time Machine Blues geschrieben hat.

Musik

Ren – Mackay

Einer der aufregendsten jungen Musiker ist für mich aktuell Ren (Hi Ren). Mein Lieblingssong von ihm ist das grandiose Duett Chalk Outline mit Chinchilla. Auch seine Rap-Songs wie Hunger oder Losing It sind fantastisch. Sein neustes Werk, Mackay, ist ein Klavierinstrumental und steht den anderen Songs in nichts nach.

Lektüre

Das Leuchten der Rentiere | Ann-Helén Laestadius

Bücher aus Schweden habe ich schon so einige gelesen, und nicht nur Krimis. Doch das indigene Volk der Samen kam darin nicht vor, auch nicht in den Filmen und Serien, die ich bisher gesehen habe. Ann-Helén Laestadius ist selbst Sámi und hat mit Das Leuchten der Rentiere der Lebensweise ihres Volkes ein Denkmal gesetzt. Hier geht es zu meiner Besprechung.

Tor Online

Deutschsprachige Phantastik auf Irland-Reise

Judith Vogt wurde nach Irland eingeladen, um an drei Universitäten aus ihren Werken zu lesen und Vorträge und Workshops zur progressiven Phantastik zu halten. Für uns hat sie einen spannenden Reisebericht verfasst.

Manegen durch andere Welten: Der Zirkus in der Fantasy

Und Alessandra Reß hat sich dem Thema Zirkus in der Phantastik gewidmet.

Japanuary #4: Cure (Kyua, 1997)

In den 90ern lagen Serienkillerthriller schwer im Trend und der Erfolg des J-Horrors (durch Ring) stand kurz bevor. Cure greift Ersteres auf und Letzterem vor. Wie aus heiterem Himmel bringen bisher unbescholtene Bürger völlig emotionslos andere um, als würde sie einer alltäglichen Beschäftigung nachgehen, und können sich im Nachhinein an nichts erinnern.

Blu-ray-Hülle des Film "Cure".

Was zunächst völlig willkürlich wirkt, bringt Detective Takabe bald auf eine mysteriöse Spur. Was hat der junge Mann, der an Amnesie zu leiden scheint und mit einigen der Opfer kurz vorher Kontakt hatte, mit der ganzen Sache zu tun? Gleichzeitig muss Takabe sich noch um seine kranke Frau kümmern, die an Demenz zu leiden scheint.

Cure ist ein abgründiger Thriller der leisen Töne. Es gibt keine wirklichen Actionszenen, die kurzen Verfolgungsjagden werden in der Totalen gezeigt, ohne das viel passiert. Regisseur Kurosawa geht es mehr darum, Atmosphäre in den dunklen und dreckigen Ecken Tokyos zu erzeugen. Teilweise kommt da schon apokalyptische Stimmung auf.

Die willkürlichen Akte sinnloser Gewalt, die keinem Muster folgen, habe ich als Bruch mit der Ordnung und Konformität der japanischen Gesellschaft verstanden. Das fehlende Motiv ist es, was die Handlung so beunruhigend macht. Die Unberechenbarkeit der Gewalt, dass jeder jeden plötzlich töten könnte. Mehr Verunsicherung geht nicht.

CN: Gewalt

Der Film verweigert sich klassischem Spannungsaufbau, vielmehr entwickelt er einen Sog, der uns ebenso wie die Protagonisten, in den Abgrund zerrt. Während es ausreichend Recherche gibt, um uns in seinen Bann zu schlagen, diese jedoch kryptisch genug bleibt, um das Mysterium aufrecht zu erhalten, mit fast hypnotischer Wirkung.

Erst als ich den Film schon durchhatte, ist mir aufgefallen, dass Regisseur Kiyoshi Kurosawa auch Journey to the Shore von 2015 gedreht hat, den ich vor knapp zwei Jahren gesehen habe und ziemlich gut fand. Auch Tokio Sonata stammt von ihm, was ihn zu einem ziemlich vielseitigen Filmemacher macht. Auch wenn er mit Genretiteln wie Cure oder Kairo (Pulse) bekannt wurde. Beides Filme, die ich schon seit mehr zwei Jahrzehnten schauen wollte, aber jetzt erst dazu kam (Kairo steht noch aus).

CN: Gewalt gegen Frauen, nackte Frauenleichen, Mordopfer