Meine Woche: Tiefsee, Mafia und neue Hosen

Meine Woche in Artikeln, Dokus, Büchern, Youtube-Videos und und Filmen: The Parades, Deep Sea, Shine Your Eyes, „How to Have Sex“, die Mini-Kino-Reihe aus Japan und eine Doku über Mafia und Banken, und lästige Einkäufe.

Collage mit Szenen aus den Filmen "How to Have Sex", "Shine Your Eyes", The Parades" und "The Deep Sea".

Artikel

Demokratie braucht weniger „Politikerphrasen“ und mediale Dramatisierung

Marian Weisband im Deutschlandfunk über phrasendreschende Politiker und Medien, die das noch hochbauschen und so der Demokratie schaden. Ich persönlich kann Politier*innen kaum noch zuhören, da sie wirklich fast nur noch in unerträglichen Phrasen reden und schwammige Nicht-Aussagen von sich geben. Robert Habeck ist meistens (auch nicht immer) eine erfrischend Ausnahme.

Youtube

Mini Theater Journey: Cinema Onomichi (Hiroshima, JAPAN)

Okay, weiter geht es mit der Mini Theater Journey (wenn ich durch bin, packe ich noch mal alle in einen Bietrag) und meiner vorläufigen Reiseplanung für das nächste Jahr. Onomichi ist eine Stadt mit über 100.000 Einwohner*innen in der Präfektur Hiroshima. Da dürfte ein Besuch in der gleichnamigen historischen Stadt wohl doch mit auf die Route kommen, obwohl ich ja die klassischen Touristenziele meiden möchte (siehe letzten Wochenrückblick). Onomichi gilt als Filmstadt, da berühmte Regisseure von dort stammen und es früher viele Kinos gab, bis irgendwann alle schlossen. Für mich schwer vorstellbar, dass es in einer so großen Stadt keine Kinos gibt. Das Cinema Onomichi öffnete dann 2008 unter Eigeninitiative einiger Einheimischer.

Going Back to Japan | A Half Japanese Story

Elina Osborne, die sonst Videos zu ihren Wanderungen dreht, hat einen schönen kleinen Film zu ihrem Besuch in der Heimat ihrer verstorbenen Mutter gedreht. Im ländlichen Japan besucht sie ihre Tante und berichtet aus dem Alltag und von früher.

Doku

Mafia und Banken

Ausgezeichnete dreiteilige Doku über die Verstrickungen von organisierter Kriminalität, Banken und Politik, die den Eindruck verstärkt, dass Justiz und Rechtsstaat nur dazu da sind, den Pöbel in Schach zu halten und dem Bürgertum die Illusion von Gerechtigkeit und Demokratie vorzugaukeln.

Arte-Mediathek

Filme

Shine Your Eyes

Brasilianischer Film über einen jungen Igbo aus Nigeria, der nach Sao Paulo kommt, um seinen großen Bruder zu finden, aber feststellt, dass dieser nicht ganz die Wahrheit über sein Leben dort erzählt hat und seit einem Jahr verschwunden ist. Sich auf dessen Spuren begebende, lernt Amadi die Menschen kennen, deren Leben sein Bruder beeinflusst hat, und erfährt, welchen wilden Theorien zur Ergründung des Universums er nachgegangen ist. Ein toller Film über Einwanderer in Sao Paulo, aber auch ein bewegendes Familiendrama mit einer dichten Atmosphäre. Der hat mich echt überrascht. Klare Empfehlung von mir. Und interessant zu sehen, dass sich am Straßenbild Sao Paulos seit meinem Aufenthalt dort 2006 nicht viel verändert hat.

The Parades

Der aktuelle Film von Michihito Fujihat mich überrascht. Kürzlich habe ich erst den eher düsteren Village von ihm besprochen, schaue gerade die Serie The Journalist, und auch ansonsten scheint er eher Thriller gedreht zu haben. Doch The Parade ist ein ganz toller und berührender japanischer Film über eine Schicksalsgemeinschaft von Verstorbenen, die sich in einer Zwischenwelt gegenseitig hilft, mit sich selbst und dem Leben ins Reine zu kommen. Es beginnt mit Minako, die nach einen Tsunami am Strand aufwacht und sich auf die Suche nach ihrem Sohn begibt, aber bald feststellen muss, dass niemand sie sehen oder hören kann. Sie ist tot, aber noch nicht ins Jenseits übergegangen, weil es noch Unfinished Business gibt. Dabei stößt sie sie auf eine Gruppe unterschiedlicher Menschen, die alle ihre eigene bewegende Geschichte haben, und zu einer so herzlichen Gemeinschaft zusammenwachsen, wie ich es nur aus japanischen Filmen kenne (in denen oft, wie auch hier, Lily Franky mitspielt 😉 ).

How to Have Sex

Erzählt von drei jungen Engländerinnen, die für ein paar Tage auf eine Party-Insel fliegen und dort mit anderen jungen Engländer*innen Party zu machen. Das geht so lange gut, bis Tara am Strand Sex hat, dem sie zwar zunächst noch (wenn auch schon widerstrebend) einwilligt, der sich aber sehr schnell sehr falsch anfühlt. Dem Film (und Darstellerin Mia McKenna-Bruce) gelingt es sehr gut, zu zeigen wie das Erlebte so langsam bei Tara einsinkt, die zwar versucht, weiter Party zu machen, um ihre Verletzlichkeit zu überspielen, was aber nicht wirklich gelingt, und sie sich immer unwohler und traumatisierter fühlt.

Deep Sea (Shen Hai)

Wunderschön und kunstvoll animierter chinesischer Film über ein junges Mädchen, das sich mit Vater, Stiefmutter und Stiefbruder auf eine Kreuzfahrt begibt, sich aber eigentlich nur nach ihrer Mutter sehnt. Dabei geht sie über Bord und landete in einem fantastischen Tiefseerestaurant. Der Film ist optisch ein Kunstwerk, erzählt eine berührende Geschichte ist aber auch superanstrengend zu sehen, da er total hibbelig und hektisch ist, keine Sekunde stillsteht, immer irgendwo Hektik im Bild herrscht.

Meg 2

Ach kommt, Leute, der macht doch Spaß. Wenn auch nicht so viel, wie Teil 1, da er diesem nichts Neues hinzuzufügen hat und alles eine Stufe schlechter erzählt. Aber da ich als Kind trashige Tiefseefilme wie Caprona oder Deep Star Six geliebt habe, bin ich weiterhin anfällig für solche Machwerke.

Im Zuge Meinens spontanen Tiefsee-Specials habe ich mir noch The Abyss auf Arte aufgenommen und angemacht, nach einer Stunde aber wieder abgeschaltet, da die deutsche Synchro gar nicht geht. Allein schon die Stimme von Ed Harris passt überhaupt nicht. Dazu die suboptimale Übersetzung. An einer Stelle, sagt der Chef der Navy-SEALS, er habe seine Anweisungen gehabt. Aber Navy-SEALS erhalten keine Anweisungen, sondern Befehle. Da warte ich lieber mal auf die Gelegenheit, mir den Film, den ich seit meiner Kindheit nicht mehr gesehen habe, mit Originaltonspur anzusehen.

Lektüre

Project 562 | Matika Wilbur

In der letzten Ausgabe habe ich ganz vergessen, auf meine Besprechung des Buch Project 562 hinzuweisen.

Foto vom aufrecht stehenden Buch "Project 562", darauf ist eine ältere indigene Frau mit modischer Brille, kurzen grauen Haaren und traditioneller Kleidung vor einem blauen Himmel in einem Weizenfeld zu sehen.

Wer sich für die indigene Bevölkerung der USA oder überhaupt die USA interessiert, sollte dieses Buch lesen. Mit Project 562 möchte Matika Wilbur unsere Wahrnehmung der indigenen Bevölkerung Amerikas ändern. Ob ihr dies mit diesem ambitionierten und faszinierenden Projekt gelungen ist, erfahrt ihr in diesem Beitrag.

Tor Online

Faschistische Hobbits? Julius Evola und die rechtsextreme Adaption von J.R.R. Tolkiens Welt

Was reizt Faschist*innen wie Georgia Meloni so am Herrn der Ringe? Welche Lesarten von Tolkiens Werk lassen solche Interpretationen zu? Tobias Hof klärt uns auf.

Highlight der Woche

Einkaufen

Ich hasse, es einkaufen zu gehen. Ich hasse es wirklich. Vor allem, wenn es um Klamotten geht. Aber manchmal geht es nicht anders. Ich besitze kaum noch Hosen, die mir passen, die keine Löcher haben oder deren Knöpfe jederzeit zu gefährlichen Geschossen werden können. Während der Pandemie habe ich mir zwei Hosen bestellt, die aber nur so halbwegs passen, am Bund eigentlich etwas zu weit sind, und nur nicht runterrutschen, wenn ich sie ordentlich festbinde. Ich schicke aber auch keine bestellte Kleidung zurück, da ich weiß, dass die dann vermutlich geschreddert im Müll landet. Also ging es ins Geschäft, Hosen anprobieren. Habe auch zwei gefunden, die ganz okay sind.

Ich wohne auf dem Dorf, die nächste größere Stadt ist Koblenz. Dort bin ich als Kind immer Samstagsmorgens zum Einkaufen hingefahren. Wobei mich schon damals nur die Buchhandlungen interessiert haben (wo ich auch meine Liebe zur Fantasy entdeckt habe). Bücher kaufen ist okay, alles andere mehr als nur lästig.

Aber ich habe mir auch einen neuen Fahrradsattel gekauft. Das Mountainbike habe ich mir erst letzten Sommer zugelegt, das ist super, nur der Sattel aus recyceltem Autoreifen ist mir zu hart. Ich dachte, ich gewöhne mich mit der Zeit dran, aber es wurde nicht besser und das Sitzen darauf zur Qual. Der neue Sattel macht nach einer ersten Testfahrt letzten Donnerstag am ersten sonnigen Frühlingstag einen sehr guten Eindruck.

Zwei Fahrradsättel nebeneinander. Rechts ein gut gepolsterter auf dem Mountainbike montiert. Links ein ziemlich harter und flacher, den ich in der Hand halte.

In der Buchhandlung war ich dann natürlich auch, hätte es aber fast geschafft, sie ohne Kauf zu verlassen, bis ich auf dem Weg zu Ausgang am Ramschtisch vorbeikam. Da fand ich zwei Hardcover für sieben Euro im Angebot, die schon länger auf meiner Leseliste stehen.

Die beiden Hardcoverausgaben von "Grand Hotel Europa" und "Ocean" mit dem Titelbild nach vorne in einem Bücherregal stehend.

Aus der Pendergast-Reihe von Preston/Child bin ich nach Band 15 (Demon) von inzwischen 21 ausgestiegen, weil die Bücher immer schlechter und abstruser wurden. Zu Ocean – Insel des Grauens habe ich aber gelesen, der könne von den neuesten Bänden am ehesten noch ein wenig an das alte Feeling anknüpfen. Mal sehen.

Und Grand Europa Hotel wollte ich schon länger lesen, weil ich einfach Hotelgeschichten mag. Und es da anscheinend gar nicht so viele gute Bücher gibt, in denen der zentrale Handlungsort ein Hotel ist. Falls ihr mir Bücher empfehlen könnt, die in Hotels spielen, immer her damit.

Nunca Mais! Meine Gedanken zur Präsidentschaftswahl in Brasilien

2006 reiste ich im Rahmen meines Studiums für neun Wochen nach Brasilien, um dort ein Fotoprojekt mit Kindern in einer Favela durchzuführen. Vom ersten Abend an erlebte ich eine gastfreundliche, offene und vielfältige Gesellschaft. Zu unseren Gastgebern gehörten eine ehemalige Bildungsministerin, die uns in ihrer Penthousewohnung einquartierte; ein junger Computerexperte aus der unteren Mittelschicht, der uns in seinem winzigen Zweizimmerappartement aufnahm; eine Großfamilie, die gerade ihr eigenes Haus in einem Neubaugebiet gebaut hatte und uns für sechs Wochen praktisch adoptierte; und ganz einfache Menschen aus der Favela, die uns zu sich zum Essen eingeladen haben, mit denen wir zusammen gekocht, Fußball und Tischtennis gespielt, demonstriert und gelacht haben.

2006 befand sich Präsident Lula da Silva in seinem dritten Amtsjahr, die Wirtschaft boomte und Brasilien entwickelte sich zu einer prosperierenden Demokratie, in der auch Menschen aus ärmeren Schichten Aufstiegschancen hatten. Natürlich herrschte noch Gewalt, vor allem durch Drogenkriminalität, Korruption, Mauscheleien, Kinderprostitution und Diskriminierung der Armen und Schwarzen. Aber das Land befand sich auf dem richtigen Weg, Lula hatte es geschafft, dass nicht mehr nur die Reichen vom steigenden Wohlstand der Nation profitierten. Ich erlebte ein Land voller Lebensfreude, in dem Optimismus und Aufbruchstimmung herrschten. Ordem e Progesso – aber mit Samba im Blut.

Der Sportplatz von Parque Oziel in Campinas, Brasilien im Jahr 2006

Am Sonntag hat Brasilien einen zukünftigen Diktator gewählt, der aus seinem Faschismus keinen Hehl macht, gegen Minderheiten hetzt, die Natur ausbeuten möchte, indigene Völker vertreiben, einen radikalen Marktliberalismus predigt und von der Militärdiktatur und ihren Folterern schwärmt, die seiner Meinung nach mehr Menschen hätte töten sollen, und nicht nur foltern.

Wie konnte es so weit kommen?

Die Wirtschaft kriselt schon seit Jahren in Brasilien, Lulas Nachfolgerin Dilma Rousseff fehlte das Charisma ihres Vorgängers und sie wurde von einer korrupten Elite aus dem Amt geputscht, die Korruption nahm überhand, die Mittelschicht stürzte wirtschaftlich wieder ab und den Armen fehlt der gemäßigte Hoffnungsträger. Schon 2006 hatten die Pfingstkirchen, die eine gefährliche Lücke geschlossen haben – die nach dem Abzug der Franziskaner- und Benediktinerorden durch den Vatikan klaffte -, einen enormen Einfluss in den Favelas, und die unterstützen jetzt den Faschisten Jair Bolsonaro, der keiner der korrupten großen Parteien angehört und somit zur populistischen Protestfigur wie Donald Trump wurde.

Die Demokratie steht weltweit unter Beschuss, in Ungarn und Polen sind autokratische Regierungen an der Macht, in Italien und Österreich sitzten Rechtsradikale im Kabinett, Russland, Türkei, Kambodscha, Nicaragua und Venezuela sind wieder in die Diktatur abgeglitten, auf den Philippinen hetzt Präsident Duterte Todesschwadron auf Drogenabhänge. Totalitäre Herrscher wie Putin oder Mohammed bin Salman lassen ganz offen Kritiker in anderen Ländern von Killerkommandos ermorden, ohne dass es für sie wirkliche Konsequenzen hat.

Fällt Brasilien, sehe ich ganz Lateinamerika auf der Kippe stehen. Dann könnten wir endgültig in die düsteren Zeiten der Militärdiktaturen abgleiten, die den Kontinent über Jahrzehnte blutig beherrschten. Und ich mache mir große Sorgen um meine brasilianischen Freunde.

Die Folgen für Brasilien

Schon vor der Wahl stürmte die Militärpolizei Universitäten und andere öffentliche Einrichtungen und beschlagnahmte Material über die Militärdiktatur. Ein kleiner Vorgeschmack auf das, was in den nächsten Monaten und Jahren folgen dürfte. Leider ist es Brasilien nie gelungen, die sogenannten »Bleiernen Jahre«, die Zeit der Militärdiktatur von 1964 bis 1985 aufzuarbeiten – sowohl gesellschaftlich als auch juristisch. Letzteres wurde durch ein Amnestiegesetz von 1979 verhindert, das also noch während der Diktatur entstanden ist. Und auch gesellschaftlich lief es eher schleppend voran. Unter der glücklosen Präsidentin Dilma Rousseff, die selbst während der Diktatur gefoltert worden war, wurden zwar Wahrheitskommissionen eingerichtet, mit deren Ergebnis die Opfer von damals aber sehr unzufrieden waren und sie eher als Farce betrachten.

Und jetzt ist ein Präsident gewählt worden, der Carlos Alberto Brilhante Ustra, den ehemaligen Leiter des gefürchtetsten Folterzentrums verherrlicht. Der sich stolz als homophob bezeichnet, den Regenwald rücksichtslos abholzen, und damit die noch verbliebenen indigenen Völker vertreiben und ausrotten möchte, die man schon während der Militärdiktatur in Straflager gesteckt hatte und die auch in demokratischen Zeiten ermordet werden.

Schon während des Wahlkampfes stiegen die Gewalttaten gegen homo- und transsexuelle Menschen an, aber auch gegen öffentlich agierende Anhänger und Wahlkämpfer des anderen Präsidentschaftskandidaten Haddad. Aus unserer deutschen Geschichte wissen wir, dass die Diktatur, auch wenn sie demokratisch initiiert wurde, mit Gewalt auf den Straßen beginnt. Zunächst noch eine brutale, gesetzlose Schlägertruppe, wurde die SA Himmlers nach der Wahl durch das neu Regime legitimiert. Übergriffe und Gewalt, die vom Staat und seinen Organen ausgeht, werden der nächste Schritt sein.

Zum ersten Mal seit über 20 Jahren fühlen sich Angehörige von Minderheiten wieder unsicher und fremd im eigenen Land. Und da es Brasilien Bedrohungen von außen mangelt, werden sie vermutlich auch nach Ende des Wahlkampfes dem neuen Präsidenten weiterhin Zielscheibe dienen, so wie es Trump in den USA vorgemacht hat. Mit Lügen, die während des Wahlkampfes massiv über WhatsApp verbreitet wurden. Das Internet und die sozialen Medien entwickeln sich immer stärker zum Wegbereiter antidemokratischer Kräfte.

Hätte Lula zur Wahl gestanden, wäre es vermutlich anders ausgegangen. Ob etwas an den Korruptionsvorwürfen dran ist, wegen denen er jetzt im Gefängnis sitzt, mag ich nicht zu beurteilen. Verhindert hat seine Kandidatur der Richter Sergio Moro, der gut mit Bolsonora befreundet ist und von ihm zum Dank jetzt als Justizminister ernannt werden soll.

Traurige Tropen.

Dienstag 14. März 2006 Campinas/Brasilien

Der letzte Tagebucheintrag aus Brasilien. Irgendwann gibt es noch einen zusammenfassenden Bericht. Für ausführliche Blogeinträge fehlt mir momentan ein wenig die Zeit. Diese Woche gibt es noch eine Kurzgeschichte.

Heute ging es um 13.00 Uhr nach Oziel. Drei Kameras, die ich nachkaufen musste, habe ich heute verteilt. Leider reichen sie aber immer noch nicht, so dass ich vier weitere kaufen muss.

Neun Kameras habe ich heute schon wieder eingesammelt und zum Entwickeln gebracht. Viel haben wir heute mit den Kindern mangels Ideen nicht gemacht. Thomas kam erst, als ich schon wieder weg war.

Für Sonntag den 26. März haben wir eine Ausstellung geplant. Inzwischen bin ich ein bisschen enttäuscht von unserem Projekt, da wir kaum Zeit mit den Kindern verbringen, und eine richtige Gruppenarbeit gar nicht möglich ist. Im Prinzip sieht das Projekt so aus: Kameras verteilen, Kameras einsammeln, Filme entwickeln lassen und wieder mitbringen.

Nachtrag von 2007:

Da ich mein Tagebuch handschriftlich geführt habe, hat mich nach diesem etwas negativen Eintrag die Lust am Tagebuchführen verlassen. Im Weiteren schildere ich die restlichen zwei Wochen aus der Erinnerung.

Die Enttäuschung des letzten Eintrages hängt vor allem mit den Erwartungen und Plänen zusammen, die wir von Deutschland mitgebracht hatten. Obwohl wir im Vorfeld schon gewarnt wurden, dass in Brasilien nichts so läuft, wie man es plant, ist es im ersten Moment trotzdem enttäuschend, wenn die eigenen Pläne über den Haufen geworfen werden. Diese Enttäuschung hielt aber nicht lange an, und trat während der gesamten Zeit, nur an zwei drei Tagen auf. Wettgemacht wurde sie durch die liebevolle und engagierte Unterstützung seitens unserer brasilianischen Freunde.

In Deutschland hatten wir noch gedacht, mit einer Schulklasse zu regelmäßigen Terminen kontinuierlich arbeiten zu können. Die lokale Schulpolitik machte uns da einen Strich durch die Rechnung. Aber in Brasilien beklagt man sich nicht lange über das, was nicht funktioniert, sondern packt das an, was funktioniert.

So lief die Arbeit mit den Kindern zwar ziemlich chaotisch ab, aber am Ende hat doch alles funktioniert. Sämtliche 34 Kinder haben nach einer Woche, in der sie mit ihren Einwegkameras ihr Umfeld fotografiert haben, die Kameras zurückgegeben, so dass wir die Bilder noch rechtzeitig entwickeln lassen konnten. Wir hatten sogar noch genug Zeit, die Kinder mit einer Videokamera zu ihren Lieblingsfotos zu interviewen. Sie konnten bis zu fünf Bilder aussuchen, die dann in der Ausstellung gezeigt wurden.

Am 26. März um 9.00 Uhr morgens war es dann so weit. Parallel zur Ausstellung fand noch eine Mitgliederversammlung von P.A.F statt, was zahlreiche Besucher garantierte. Voller Stolz präsentierten die jungen Fotografen den Besuchern ihre Bilder. Neben den zahlreichen Verwandten waren auch einige Besucher von der Uni-Campinas gekommen.

Nachtrag 2016:

Während der Ausstellung kam es auch noch zu einem kleinen Konflikt mit einer Professorin der Universität von Campinas. Sie fragte uns, ob sie die Negative (die entwickelten Bilder haben die Kinder erhalten) zum Einscannen mitnehmen könnte. Zwei Tag vor unserer Abreise aus São Paulo! Ich verneinte natürlich, da mir das Risiko viel zu groß war, die Bilder nicht rechtzeitig zurückzubekommen. Zu dem Zeitpunkt wusste ich ja schon aus eigener Erfahrung, wie die Uhren in Brasilien ticken. Hinzu kommt noch, dass sich mit Ausnahme von Corinta bis zur Ausstellung niemand von der Uni für unser Projekt interessiert hatte und gerade jene Professorin uns recht abschätzig begegnet war. Und jetzt, wo sie sahen, was für ein Schatz an Material bei den 900 Fotografien rausgekommen war, wollte sie plötzlich ihren Anteil haben, ohne selbst etwas beigetragen zu haben. Meine strikte Ablehnung führte zu einer kleinen diplomatischen Verstimmung zwischen den Universitäten von Campinas und Siegen. Professor Fichtner kam zu uns und meinte, da habe es wohl ein kleines Missverständnis gegeben. Worauf ich entgegnete: »Ein Missverständnis war das nicht.« Jedenfalls haben wir die Fotos und Negative nicht mehr aus der Hand gegeben. Die Mitglieder meiner Gastfamilie meinten im Nachhinein mit dem Hinweis auf »pirata«, dass diese eine gute Entscheidung gewesen sei.

Leider ging es für uns, aufgrund von anstehenden Abschlussprüfungen in Siegen, schon zwei Tage nach der Ausstellung zurück nach São Paulo, wo wir noch einige Tage bei unserem Freund Badah verbrachten, der uns ja schon zu Beginn der Reise so freundlich bei sich aufgenommen hatte.

Prof. Wanderleys Vorschlag, den er mir während der Ausstellung machte, die Fotografien für meine Diplomarbeit zu verwenden, habe ich übrigens aufgegriffen und ein Jahr später meine Diplomarbeit dazu verfasst. Wer sich dafür interessiert, kann sie hier im Blog lesen.

Zu diesem Projekt wird noch ein zusammenfassender Artikel folgen, indem ich auch über unsere Ausstellung der Fotografien in Siegen und einer Benefizparty zu Gunsten von Parque Oziel berichten werde.

Freitag 10. März 2006 Campinas/Brasilien

Auch heute ging es wieder um 9.00 Uhr nach Oziel. Lea und Thomas sind mit einer Gruppe von 15. Kindern zur Schule gegangen, um Übungsfotos zu machen. Währenddessen habe ich einigen älteren Jungs beim Ausfüllen der Steckbriefe geholfen, und versucht einige beschädigte Kameras zu reparieren. Danach haben wir die Einwegkameras an die 15 Jugendlichen verteilt.

Kurz nach mir kamen auch Bernd, Maria und Oliver an, die das Internetprojekt durchgeführt haben. Um 12.00 Uhr haben wir alle zusammen gegessen, und einen Termin für das Abendessen ausgemacht.

Das geplante Schwimmen ist leider ins Wasser gefallen, da um 13.00 Uhr sintflutartige Regenfälle eingesetzt haben. Ich war innerhalb von 10 Sekunden total durchnässt. Der Bus hatte ein wenig Schwierigkeiten durch die Straßen zu kommen, da der Regen die Abwässerkanäle in strömende Bäche verwandelt hat.

Ich beginne mich jeden Tag ein bisschen wohler zu fühlen, hier in Brasilien und auch in Oziel. heute habe ich erfahren, dass der Canario und alle anderen Mitarbeiter kein Geld für ihre Arbeit bekommen.

Mein neues Lieblingsgetränk „Guarana“ ist in Deutschland leider Verboten, weil es gegen das Betäubungsmittelgesetz verstößt.

Nachtrag 2016: Ich weiß nicht, ob das mit dem Guarana wirklich der Fall war, inzwischen kann man es jedenfalls auch in Deutschland kaufen. Z. B. hier:
Damals hat mir meine Gastfamilie viele kleine Guaranaflaschen zum Abschied geschenkt, damit ich sie in meinem Rucksack nach Deutschland schmuggeln kann. 🙂

Guarana

Donnerstag 9. März 2006 Campinas/Brasilien

Heute ging es wieder um 9.00 Uhr nach Oziel. An der Bushaltestelle haben sich die beiden Busfahrer, die regelmäßig nach Oziel fahren, mit uns unterhalten. Die Menschen in Brasilien sind generell kommunikativer als die Menschen in Deutschland.

An der Kirche neben dem PAF gab es eine Bürgerversammlung mit dem Thema „Wassermangel in Oziel“. Schon seit Tagen gibt es kein Wasser mehr. Die Bürger und der Canario haben beschlossen, einen Protestmarsch in die Stadt zu machen (dem wir uns anschlossen). Zunächst ging es aber durch Oziel, um noch mehr Leute zu mobilisieren. Am Zugang zur Motorpista (Autobahn) gab es noch mal eine kurze Versammlung. Dort hat der Canario mit jemandem von der Prefeitura (Verwaltung) gesprochen, und ihm ein Ultimatum gestellt. Wenn bis 14.00 Uhr nicht mehr Bagger anrücken oder Wasser da ist, wollen sie die Autobahn blockieren. Zu dem Zeitpunkt war es 12.00 Uhr. Um 14.00 Uhr fuhren dann Wagen mit Wassertanks durch Oziel und haben die Wassertanks der Bewohner aufgefüllt.

Um 13.00 Uhr haben wir uns mit Gruppe 1 getroffen. Zunächst ging es kurz durch Oziel, damit die Kinder ein paar Probefotos mit einer Digitalkamera machen konnten. Was gut funktionierte und einige gute Bilder hervorbrachte. Diese haben wir uns dann am Computer angeschaut und besprochen. Zum Schluss haben die fünf Kinder jeweils eine Einwegkamera bekommen. Ich denke, die Gruppenarbeit hat ganz gut funktioniert. Alle haben mitgearbeitet, und dank der Mithilfe von Joao hat auch die Verständigung geklappt.

Dienstag 7. März 2006 Campinas/Brasilien

Heute bin ich schon um 6.00 Uhr aufgestanden, um pünktlich um 9 Uhr in Oziel zu sein. Die Einteilung der Gruppen lief ziemlich chaotisch ab, da ich auch nicht wusste, was der Canario von uns wollte. Wir haben dann den ganzen Tag mit den Kindern am Computer Steckbriefe ausgefüllt. Nachmittags kamen Prof. Fichtner, seine Frau Maria Benites und Wanderley. Mit denen ging es zum Fußballspielen. Prof. Fichtner hat auch gespielt. Wir haben mit ihm ausgemacht, uns dieses Wochenende zum Essen zu treffen.

Zu Beginn des Tages war ich, wegen der chaotischen Organisation, ziemlich genervt. Am Ende war es aber doch noch ein guter Tag.

Es waren drei brasilianische Studenten da, die auch ein Projekt in Oziel durchführen wollen. Irgendetwas mit Fußball und 300 Kindern.

Und hier ein paar von den Kindern mit den Einwegkameras geschossenen Fotos:

Montag 6. März 2006 Campinas/Brasilien

Heute haben wir uns um 9.30 Uhr in Oziel getroffen, um ein Ping-Pong Turnier zu veranstalten. Deutschland gegen Brasilien. Da wir nur drei Deutsche waren, haben uns noch vier Brasilianer unterstützt. Am Ende haben wir mit einem Punkt Unterschied verloren. Ich habe aber das Gefühl, dass die Brasilianer ein bisschen geschummelt haben und solange gespielt haben, bis sie in Führung lagen. 😉 Danach sind wir in die Stadt gefahren, um nachzufragen, was die Entwicklung der Filme kosten wird: 330-400 Reais – akzeptabel. Außerdem waren wir ganz lecker chinesisch essen. Ich hatte Curry-Hünchen. Danach ging es noch in ein Café, ein bisschen Caipirinha trinken.

Nachtrag 2016: Ein recht ereignisloser Eintrag, aber ab morgen geht es dann mit der Durchführung des Fotoprojekts los. Er zeigt zumindest, dass Sport eine gute Methode ist, besser in Kontakt zu kommen. Die Sprachbarriere spielt keine Rolle und man hat gemeinsam Spaß.

Samstag 4. März 2006 Campinas/Brasilien

Heute bin ich schon um 7.00 Uhr aufgestanden, um pünktlich um 9.00 Uhr in Oziel zu sein. Wir waren auch nicht ganz alleine, sondern wurden glücklicherweise von Chris begleitet. Wir hatten extra für 9.00 Uhr eingeladen, in der Hoffnung, dass dann bis 10.00 Uhr genügend Kinder da sein werden. In Brasilien ist es normal eine Stunde zu spät zu kommen, teilweise sogar höflich. Als wir dann um 9.15 Uhr (dank der Busverbindung)  im PAF (wir Paffi ausgesprochen) angekommen sind, waren schon 30 Kinder da. Sie saßen alle brav auf ihren Stühlen und hörten dem Canario zu, der ein geborener Lehrer ist. Zuerst erzählte der Canario einiges, das ich nicht verstanden habe. Danach haben wir uns den Kindern und die Kinder sich uns vorgestellt. Dann haben wir den Kindern einige deutsche Wörter beigebracht und sie konnten uns Fragen stellen. Im Anschluss hat der Canario ein Ping-Pong Turnier zwischen Deutschland und Brasilien ausgemacht.

Als wir dann angefangen haben, die Gruppen einzuteilen, ist auch Wanderley eingetroffen. Corinta konnte heute nicht, weil sie – wie ich es verstanden habe – eine Massage bekommen hat. Insgesamt haben sich 36 Kinder zu dem Projekt angemeldet. Schwierigkeiten gab es ein wenig bei der Einteilung, da sich vor allem 13-16 jährige gemeldet haben. Nach einigen Umverteilungsmaßnahmen war aber auch dieses Problem geregelt.
Nachdem sich die Kinder angemeldet hatten und gegangen sind, gab es noch ein leckeres Mittagessen. Natürlich Fejao und dazu Spaghetti. Wanderley hat uns danach mit in die Stadt genommen.

Donnerstag 2. März 2006 Campinas/Brasilien

Heute waren wir von 9.00 Uhr morgens bis 19.00 Uhr in Oziel. Als Erstes haben wir Fußball gespielt. Die Jugendmannschaft von Oziel hatte Training, und wir haben
einfach mitgespielt. Dabei habe ich allerdings meine Schuhe ruiniert. Überall in Oziel laufen die Abwässer über die Straße, und leider auch auf den Sportplatz. Nur ein kleiner Bach, der über das Feld läuft. Aber hinter dem Tor sammelt sich alles und wird zu einer ekligen, stinkenden Pampe, in die ich ausgerechnet reingelaufen bin. Ich hatte aber noch Glück, dass ich nicht ausgerutscht bin.

Nach dem Fußballspiel sind wir mit dem Canario in seinem VW-Bus rum gefahren, und haben auf Portugiesisch per Mikrofon und Lautsprecher, eine Einladung zu unserem Projekt vorgelesen. War sehr lustig. Danach waren wir auch über Internetkamera mit Leuten in Sao Paulo, Siegen und Spanien verbunden.

Nachtrag 2016: Meines Wissens ist der unebene Bolzplatz, auf dem kein Ball gerade rollt, inzwischen, durch ein weiteres von Studenten initiiertes Projekt, einem ordentlichen Kunstrasenplatz gewichen.

Die Tour in dem Bulli war wirklich lustig, die alte, verrostete Karre hatte nur zwei Sitze: einen für den Fahrer (Canario) und einen für den Beifahrer (Thomas). Lea und ich mussten hinten rein, wo es gar keine Sitzbänke gab, die hatte man ausgebaut, dafür gab es einen total verdreckten Boden, so dass ich mich in hockender Position hinkauerte, um meine Hose nicht hoffnungslos zu verschmutzen. Auf dem Dach des weißen Bullis befand sich ein riesiger Lautsprecher – eine recht abenteuerliche Konstruktion (siehe Foto) -, über den wir auf Portugiesisch die Einladung zu unserem Projekstart vorgelesen haben. Im Nachhinein haben wir erfahren, dass die Leute kein Wort von dem verstanden haben, aber trotzdem neugierig beim Canario nachfragten, worum es ginge. Dem Canario ging es vor allem darum, zu zeigen, dass wir Deutsche waren. Es gibt auch eine Videoaufnahme davon, wie ich da hinten wackelnd im über die unebenen Straßen zockelnden Bus sitze und ins Mikrofon plärre. Leider kann ich sie nicht mehr finden.

Der Bulli des Canarios.

Der Bulli des Canarios.

 

Mittwoch 1. März Campinas/Brasilien

Heute sind wir um 14.00 Uhr nach Oziel gefahren, um mit dem Canario die Plakate aufzuhängen. Der Canario war zunächst anderweitig beschäftigt. Deshalb sind wir zunächst mit dem Fußballtrainer Joao und Adailton los. Als Erstes ging es auf eine kleine Fazenda (Farm) mit Hühnern, Schweinen, Kühen, Pferden und einem Papagei. Dort haben wir uns ziemlich lange mit den Bewohnern unterhalten, und sind dann in gemütlichem, bisweilen langweiligem Tempo weitergegangen. Nach einem kurzen Barbesuch mit ekligem Orangensaft ist auch der Canario zu uns gestoßen. Nachdem wir einige Supermärkte mit Plakaten ausgestattet hatten, hat es angefangen zu regnen – ein richtiges Gewitter. Nach einer Stunde Wartezeit – mittlerweile war es auch dunkel geworden – hat uns der Canario seinen Regenschirm geliehen und zur Bushaltestelle gebracht. Der Bus, der normalerweise bis zum Terminal fährt, hat uns an der ersten Halltestelle nach Oziel, an der Autobahn rausgeschmissen. Von dort aus mussten wir mit einem kleinen Bus ins Zentrum fahren.

Nachtrag 2016: Ein solches Gewitter kann für die Favela und ihre Bewohner verheerende Auswirkungen haben. Die unbefestigten Straßen sind aus Lehm, werden schnell unterspült, verlieren leicht ihre Form und werden für Autos unpassierbar. Das Wasser sammelt sich in ihnen zu Bächen, die zu heftigen Strömen auswachsen können und direkt in die Häuser laufen und diese unter Wasser setzen. Da es keine Kanalisation gibt und die Abwässer in kleine Straßengräben geleitet werden, kann der ganze Dreck wieder in den Häusern landen.

Die Fotos wurden alle von Kindern des Projekts mit Einwegkameras aufgenommen.