Gelesen: Kurzbesprechungen Juli 2014

Robert Harris – Intrige

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Im Jahr 1894 wird der französische Hauptmann Alfred Dreyfus zu lebenslanger Haft verurteilt und auf die Teufelinsel verbannt, wo er unter unmenschlichen Bedingungen gehalten wird. Dreyfus soll Informationen an die Deutschen verkauft, und damit sein Land verraten haben. Doch der Offizier Marie-Georges Picquart, der an der Verhaftung von Dreyfus beteiligt war, findet heraus, dass da etwas nicht stimmt, dass etwas vertuscht und womöglich ein Unschuldiger verurteilt wurde.

Die Affäre Dreyfus ist einer der größten Justizskandale der europäischen Geschichte. Harris konzentriert sich hierbei auf den Ermittler Picquart, der den ganzen Skandal aufdeckt und dabei seine eigene Karriere und sein eigenes Leben aufs Spiel setzt. Hauptsächlich geht es um die Ermittlungsarbeit und die späteren Gerichtsverhandlungen. Der Roman beginnt recht gemächlich, gewinnt aber gegen Ende rasant an Tempo und Spannung.

John Everson – Nightwhere

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Ein junges Paar gerät in eine Beziehungskrise, weil er Blümchensex möchte und sie Schmerz. Nach Besuchen in Swingerclubs zieht es Sie in den legendenumwobenen Nachtclub Nightwhere, wo die dunkelsten Träume wahr werden sollen. Sie gleitet immer mehr in die Welt des Schmerzes ab, während er merkt, dass er sie Schritt für Schritt oder besser Schlag für Schlag verliert.

Der Festa Verlag bezeichnet dieses Buch als SM-Roman. Ich habe die englische Fassung gelesen. SM ist durchaus ein Thema, wird mir aber insgesamt zu plump und oberflächlich behandelt. Statt schrittweise in diese Welt einzuführen, wird es schon kurz nach Beginn übernatürlich und brutal. Hier werden keine subtilen Schmerzen zugefügt, sondern direkt mit der fetten Stacheldrahtkeule zugeschlagen, dass sofort das Blut spritzt. Die übernatürlichen Elemente, die deutlich von Hellraiser und Co. beeinflusst sind, kommen mir teilweise auch zu platt rüber. Interessant hätte die Beziehung zwischen den beiden Protagonisten werden können, aber auch die bleibt zweidimensional. Man erfährt nichts über ihre Vergangenheit, ihr Berufsleben oder sonst was außerhalb der Sexualität. Der Roman besitzt durchaus interessante Ansätze, die aber zu schnell in plumper Gewalt versanden. Dabei ist er gar nicht so schlecht geschrieben, aber für mich funktioniert er aus den oben genannten Gründen nicht so richtig.
Andre Marx – Die drei Fragezeichen – Der Geist des Goldgräbers

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Nach Marx‘ starkem Comeback Die Spur des Spielers ist dies eine eher schwächere Folge aus seiner Feder. Der titelgebende Geist des Goldgräbers lockt die Erwartungen auf eine falsche Fährte, hat er doch mit dem eigentlichen Fall kaum etwas zu tun und verliert nach anfänglichem Spuk schnell an Bedeutung. Die Stimmung in der Wüstenoase der älteren Herrschaften mit ihren Spleens, ihrer Wohngemeinschaft und skurrilen Haustieren ist sehr treffen und anschaulich beschrieben, der eigentliche Fall aber eher unspektakulär. Trotz eines gewagten und schockierenden Endes, das ich leider schon nach 45 % der Lektüre (beim belauschten Telefonat) richtig vorausgesehen habe.

Michael Marcus Thurner – Der Gottbettler

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Das Heer des Gottbettlers erobert eine Stadt nach der andern, Hoffnung liegt einzig auf einer lebensmüden, uralten Kräuterhexe, einem angehenden Zauberer und einem versoffenen Kriegsveteranen.

Größtenteils begleiten wir diese drei Figuren und den zweifelnden Heerführer des Gottbettlers. Das Buch weicht von den üblichen Klischees und Handlungsbögen ab und ist eigentlich ganz interessant. Mir persönlich war die Sprache aber zu derb und vulgär. Josefson hat das in der SF und F-Rundschau als erfrischend bezeichnet, mir war es aber zu viel des Guten. Ich mag „Grim and Gritty“ wie bei Abercrombie, aber hier kommt es mir sprachlich zu plump rüber, obwohl Thurner eigentlich ein guter Autor ist. Das Interessante an der Geschichte sind die Figuren. Die alte Hexe, hinter der mehr steckt, als man anfänglich vermutet, der Zauberer, der immer besser wird, je mehr sein verstümmelt wird (keine neue Idee, in dieser Form aber interessant). Und der Säufer, der einst ein großer Krieger war. Als ambivalente Figuren, die teilweise sehr unmoralisch handeln. Das sind keine Figuren, die einem ans Herz wachsen. Der Handlungsverlauf entpuppt sich auch als recht überraschend und konsequent. Einzig der titelgebende Gottbettler bleibt mir zu nebulös, der ist fast schon ein McGuffin. Ich hatte das Buch schnell durch, es war nicht unspannend, aber es wird mir auch nicht lange im Gedächtnis bleiben (bis auf den Begriff „alte Furztrommel“).

Don Winslow – Die Sprache des Feuers

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Sturköpfiger Brandermittler ermittelt für eine Versicherung in einer für Winslow typischen kalifornischen Surferumgebung. Anfangs gibt es sehr viele Informationen über Brandermittlungen und Brände, später wird die Geschichte aber richtig spannend und weißt eine überraschende Wendung auf, mit der ich nicht gerechnet hätte. Ein sehr guter Winslow.

Phantastisch 55: Zusatzmaterial zum Artikel „Ein Buchmarkt im Wandel“

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In der aktuellen Ausgabe des vierteljährlich erscheinenden Phantastikmagazins Phantastisch ist ein Artikel von mir erschienen, in dem es um die aktuelle Lage auf dem phantastischen Buchmarkt geht. Unter anderem bin ich sämtliche Vorschauen der vier großen Phantastikverlage Heyne, Blanvalet, Piper und Bastei/Luebbe von 2010 bis 2015 durchgegangen und habe sämtliche Titel in den Kategorien Fantasy und Science Fiction gezählt. Getrennt jeweils nach den Kategorien deutsche Originalausgabe, Übersetzung in Erstausgabe und Neuauflage. Unter Neuauflage fällt alles, was in irgendeiner Form zuvor schon erschienen ist.

Daraus ist eine umfangreiche Statistik entstanden, auf die ich im Artikel zwar ein wenig eingehe, dich ich aber nur in kleinem Umfang darin unterbringen konnte. Mit diesem Eintrag möchte ich noch die Statistiken und eine Grafik nachreichen, die es nicht ins Heft geschafft haben. Den Artikel werde ich hier natürlich nicht wiedergeben, den kann man in der Phantastisch lesen, die ab sofort beim Atlantis Verlag erhältlich ist.

Nur kurz: Es geht darum, ob mein Eindruck der letzten Jahre stimmt, dass die Zahl an Neuübersetzungen im Bereich Fantasy und vor allem Science Fiction in den letzten Jahren stark zurückgegangen ist. Deshalb die Beschäftigung mit den Verlagsvorschauen. Ich wollte es konkret wissen. Dazu habe ich aber auch Stimmen von ÜbersetzerInnen und Buchhändlern gesammelt und eine Umfrage zum Leseverhalten durchgeführt.
Beim Leseverhalten ging es um die These, dass der Rückgang an Übersetzungen dazu führen könnte, dass sich immer mehr Leserinnen die unübersetzten interessanten Titel und abgebrochenen Reihen im englischen Original besorgen, dadurch immer besser im Englischlesen werden und auf Dauer dem deutschen Buchmarkt ganz verloren gehen. Deshalb die Statistik auf der einen Seite und die Leserinnenbefragung auf der anderen.

Da ich dem Artikel nichts vorwegnehmen möchte, stelle ich die Statistiken zunächst mal unkommentiert hier rein. Auf die Umfrage gehe ich, wenn ich irgendwann Zeit habe, auch noch näher ein. Ich habe die Statistik als Exel-Datei diesem Artikel beigefügt. Mir fehlt momentan die Zeit dafür, das Datenmaterial irgendwie anschaulicher aufzubereiten.

Die Verlagsvorschauen erscheinen zweimal im Jahr, Frühling/Sommer und Herbst/Winter. Auf der Grafik unten sieht man die Entwicklung der SF und Fantasyneuerscheinungen der vier erwähnten Verlage von 2010 bis Winter 14/15. Die Zahl der Veröffentlichungen ist klar zurückgegangen. Die Zahl der Neuübersetzung auch deutlich. Die Zahl der deutschen Originalausgaben und der Neuauflagen ist zwar auch zurückgegangen, im Verhältnis zu den Übersetzungen aber relativ stabil geblieben. Die genauen Zahlen gibt es wie gesagt unten in der Exceltabelle.

Grafik Übersetzungen

 

Tabelle Fantasy und SF (mit vollständigen Zahlen)

 

Aktuelles: Phantastische Netzstreifzüge 24

Das schlechte Gewissen – Adam Roberts ( auf Die Zukunft) zur Frage, ob die Science Fiction der Raumfahrt eher geschadet habe. Eine Frage, die gar nicht so weit hergeholt ist. Immer hin ist der Pionierdrang der 60er Jahre zum Erliegen gekommen und die bemannte Raumfahrt dümpelt so vor sich hin. In der öffentlichen Meinung scheint eine Mehrheit ihr gegenüber negativ eingestellt zu sein, vor allem weil man es für Geldverschwendung hält. Ich sehe es wie Roberts, die Bereisung (nicht die »Eroberung«) des Weltalls ist die Zukunft der Menschheit. Irgendwann (wir werden es wohl nicht mehr erleben) werden die Ressourcen der Erde verbraucht sein, wird der Planet verbraucht, zerstört oder sonst was sein. Und dann wird man froh sein, wenn man auf den Weltraum ausweichen kann. Außerdem gibt es da noch eine Menge zu entdecken. Wo bleibt den der Abenteuergeist und Entdeckerdrang jenseits von Kosten/Nutzen-Rechnungen?

War of the worlds: who owns the political soul of science fiction? – Und nochmal Adam Roberts (diesmal im Guardian) über die politischen Einflüsse auf das Literaturgenre Science Fiction und seine Autoren.

SteglitzMind stellt Anubis mit „Lake Hermanstadt“ vor – der einer der lesenswertesten, interessantesten und anspruchsvollsten Phantastikblogs des deutschen Sprachraums ist.

Pre-1923 Utopias and Science Fiction by Women – das ist eine sehr lange und interessante Liste.

Iain M. Banks’ Culture Spits in the Eye of Nihilism – Wer wissen will, was es mit diesem Kultur-Universum des im letzten Jahr leider verstorbenen Ian M. Banks zu tun hat, sollte diesen Einstiegsartikel von Mordicai Norde lesen. Banks hatte nicht nur wundervolle Ideen, sondern besaß auch die literarischen Fähigkeiten, daraus bemerkenswerte Romane zu machen. Mein Einstiegstipp ist Bedenke Plebas, ein actionreicher und unterhaltsamer Einstieg in die Kultur, der nicht ganz so sperrig ist, wie manch anderer Roman von Banks.

In der Hölle von heute sucht der Teufel einen Job – Dietmar Dath in der FAZ über den aktuellen Stand des Horrorgenres. Aufhänger ist die Anthologie Horror Without Victims, deren Titel schon ein faszinierendes Gedankenspiel andeutet.

Say Hello to the 420 Science Fiction, Fantasy and Horror Books Coming Out in July – SF-Signal stellt mal wieder die englischsprachigen Neuerscheinungen des Monats vor. Darunter sind aber auch viele Neuauflagen von Piers Anthony und Andre Norton (eine Autorin, die in Deutschland kaum bekannt ist, bzw. nicht mehr. Viele ihrer Bücher erschienen von den 1950er bis in die 1980er Jahre hinein auch auf Deutsch).
Auf jeden Fall lesen, will ich Tower Lord von Anthony Ryan, die Fortsetzung von Blood Song. Ansonsten habe ich nichts entdeckt, was mich auf den ersten Blick interessiert. Vielleicht The City von Dean Koontz. Von dem habe ich schon lange nichts mehr gelesen. Ach ja, und natürlich Tigerman von Nick Harkaway.

Neue Bücher Juli 2014 – und Fatasybuch.de stellt die deutschsprachigen Neuerscheinungen vor. Darunter ist viel generischer Kapuzenheini-Fantasykram dabei und eine Neuauflage von Steven Eriksons Der Tag des Sehers, zweiter gesplitteter deutscher Teil des Meisterwerks Memories of Ice aus dem komplexen und genialen Spiel der Götter, das man aber mit Band 1 die Gärten des Mondes beginnen sollte.
Bei den SF-Büchern interessiert mich eventuell Nexus von Ramez Naam. Ja,Heyne bringt gelegentlich noch SF-Neuerscheinungen! Darunter auch Banks letzten Kulturroman Die Wasserstoffsonate.

Wo man mich hört: Auf Radio F.R.E.I. zu einem alternativen SF-Hörspielpreis

Habe gerade mein erstes Radiointerview gegeben. Per Telefon, live auf Sendung. Weiß gar nicht, warum ich mich darauf eingelassen habe. 😉 Ich telefoniere nicht gerne und ich geben nur ungerne Interviews. (War aber ein ganz angenehmes Gespräch.)

Hintergrund ist ein alternativer Science Fiction Hörspielpreis, den wir mit ein paar Leuten bei SF-Fan.de organisieren. Der soll eine Art Alternative zur Hörspielkategorie vom Kurd Laßwitz Preis werden. Dessen Hörspieljury im Schnitt alle zwei Jahre keinen Preis verleiht, weil man der Meinung ist, dass es keine nominierungswürdigen Hörspiele gebe, und man auch kategorisch alle kommerziellen Hörspiele, die bei Hörspielverlagen im Handel erscheinen ausschließt.. Als in diesem Jahr kein Preis verliehen wurde, obwohl der WDR 2013 mit der Hörspielumsetzung der Romane »Daemon/Darknet« ein visionäres, brisantes und topaktuelles Hörspiel geschaffen hat, kam die Sache mit dem Alternativpreis ins Rollen.

Das Interview war für eine Sendung des Senders Radio F.R.E.I., den ich vorher gar nicht kannte. Da bringt Moderator John Weide in der Sendung VIP regelmäßig Hörspielnachrichten. Eine Meldung hat er aus dem Blogeintrag von Frank Böhmert gebastelt, in dem sich Frank über die Sache mit der nicht-Preisverleihung aufregt. Mich hat der Moderator als „Rädelsführer“ des Alternativpreises ausgemacht und deshalb interviewt. Ich habe die Sendung selbst nicht gehört. Sie wird wohl heute im Web zwischen 15.00 und 17.00 Uhr wiederholt. Ich müsste so um 15.20 drankommen. Ich werde sie mir leider nicht selbst anhören können, da ich um diese Zeit arbeiten muss. Ist vielleicht auch besser so. Ich kann meine eigene Stimme nicht ausstehen.

Uns geht es vor allem darum, mehr Aufmerksamkeit für die SF-Hörspielproduktionen des jeweiligen Jahres zu wecken, auch wenn die Jury des ja sehr renommierten Kurd Laßwitz Preis meint, es sei nur Mist erschienen.

 

Nachtrag: Hier kann man sich das Interview auch anhören: http://www.radio-frei.de/index.php?iid=7&ksubmit_show=Artikel&kartikel_id=4679