Parque Oziel – Eintrag 12: Sport, Religion, Tiere und ein Fazit

Ein letzter Ausflug nach Brasilien; der letzte Teil meiner Diplomarbeit. Die anderen gibt es hier

Parque Oziel im Ganzen

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Hier hat der Fotograf versucht, möglichst viel von Parque Oziel auf ein Foto zu bekommen, und es ist ihm gut gelungen. Zwischen den Häusern, von denen viele eine Antenne auf dem Dach haben, und den grünen Bäumen, die vereinzelt zwischen den Häusern emporwachsen, kann man den Linienbus sehen, der etwa alle 90 Minuten durch die staubigen Straßen Oziels fährt. Am linken Bildrand genau in der Mitte, kann man erkennen, wie sich die Kirche über die anderen Dächer erhebt. Der Himmel ist eine Mischung aus Weiß und Blau. Die Wolken hängen beeindruckend tief über der Szene.

Das Bild spiegelt sämtliche in Oziel vorherrschenden Farben wieder. Das Grün der Bäume und Sträucher, das Braun der Straßen, das Rot der Ziegelbauten und das Grau der Wellblechdächer. Ich kann mir vorstellen, dass die Kinder durchaus stolz auf ihre Siedlung sind, wenn sie aus dieser Perspektive auf sie nieder schauen.

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Für mich persönlich ist dies das schönste Foto. Dem Fotografen ist es perfekt gelungen, den Sportplatz genau im Zentrum des Bildes festzuhalten; eingebettet in das Grün der unmittelbaren Umgebung. In der weiteren Umgebung sieht man, wie sich Häuser als kleine weiß-rote Punkte aus dem kräftigen Grün abheben. Auf dem Sportplatz kann man die Abwässer sehen, die leider aufs Fußballfeld laufen und sich hinter dem rechten Tor in einem sumpfigen Morast sammeln.
Der Sportplatz fügt sich nahtlos in die restliche Umgebung ein, und zeigt, wie untrennbar Parque Oziel und der Fußball miteinander verbunden sind. Ein Leben ohne Fußball ist für diese Kinder nicht vorstellbar. Fußball ist in Brasilien eine Art Religion.

5.6 Sport

Nachdem ich gezeigt habe, wie eng der Fußball mit dem Ganzen verbunden ist, komme ich nun zum Sport im Speziellen. Hier sticht der Fußball natürlich hervor. Brasilien ist in der ganzen Welt als große Fußballnation bekannt, und es gibt sicher kaum einen Fußballfan auf der Welt, der Pelé nicht kennt. Im Fußball liegen auch alle Hoffnungen der Jungen. Zehn Jungen gaben in ihrem Steckbrief als Zukunftswunsch an, Fußballspieler werden zu wollen. Sie träumen davon der nächste Pelé, Ronaldo oder Ronaldinho zu werden. Das tun viele Kinder in Deutschland auch, aber für die Kinder aus der Favela ist Fußball die einzige zumindest halbwegs realistische Chance aus der Armut zu kommen – auch wenn sie verschwindend gering ist.

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Hier sieht man die Kinder beim Fußballtraining mit Joao. Das Tor ist kleiner als normalerweise, der Platz uneben und entspricht nicht den Standardmaßen. In Deutschland würde man ihn als Bolzplatz bezeichnen. Doch für die Kinder bedeutet dieser Platz – der 1998 vom Canario und einigen Helfern in Eigenarbeit gebaut wurde – viel. Fußball ist etwas, für das man kein Geld braucht. Man muss nur zwei Füße und einen Ball haben. Es tragen auch nicht alle Kinder Fußballschuhe – was auf diesem Bild schwer zu erkennen ist. Viele spielen mit normalen Turnschuhen.

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Gemäß der traditionellen Rollenverteilung in Oziel spielen die Jungen Fußball und die Mädchen Volleyball. Auch wenn auf diesem Bild hauptsächlich Jungen zu sehen sind. Es ist der Sportplatz, auf dem die Schule ihren Sportunterricht macht. Da müssen dann auch die Jungen mal Volleyball spielen.

Die Mädchen hegen allerdings nicht die gleichen Träume vom Volleyball wie die Jungen vom Fußball. Nicht ein Mädchen hat geschrieben, dass sie Volleyballspielerin werden möchte.
Ich bin überrascht, auf dem Platz kleine Flutlichtmasten zu sehen, die es ermöglichen auch im Dunkeln zu spielen. Was sicher eine gute Sache ist, da es im Süden Brasiliens – also auch in Campinas – im Sommer bereits um 19.00 Uhr dunkel wird. Am rechten Bildrand ist auch noch ein Basketballkorb zu erkennen. Hinter dem Platz sieht man einige der wenigen zweistöckigen Häuser von Parque Oziel. Bis auf zwei Personen tragen alle weiße T-Shirts, und einige tragen lange Jeanshosen. Das lässt mich ein wenig daran zweifeln, dass es sich um eine reguläre Sportstunde handelt.

5.7 Religiöse Motive

Neben der Kirche wurden auch noch andere religiöse Motive fotografiert, die sich im Wohnhaus der Kinder befinden.

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Hier wurde eine Heiligenfigur fotografiert, wie man sie hauptsächlich aus der katholischen Kirche kennt. Dabei handelt es sich um die Jungfrau Maria. Die kleinere Figur links daneben kann ich nicht zuordnen. Es könnte von der Hautfarbe her vielleicht einer der Heiligen Drei Könige sein. Rechts neben den Figuren kann man ein kleines Poster sehen das, zwei junge Menschen zeigt, die in die Kamera lachen. Dieses Poster taucht auf den Fotos der Kinder öfters auf. Ich vermute, dass es sich dabei um ein Werbeplakat der religiösen Gemeinde der Bewohner Oziels handelt. Laut Prof. Fichtner handelt es sich dabei um eine Pfingstkirche, die den Menschen ihre Sünden vorhält und dafür, quasi als Ablass, Geld verlangt. Da ich aber nichts Genaues darüber weiß, werde ich hier auch nicht näher darauf eingehen und es auch nicht bewerten.

Religiöse Motive, Kreuze, Heiligenbilder, Bibelverse und eben diese Werbeplakate sind auf den Fotos immer wieder zu sehen. Sie zeigen, welch große Rolle Religion im Leben dieser Menschen spielt.

5.8 Tiere

Wenn man durch Oziel geht, sieht man vor allem Kinder und Tiere. Unzählige Hunde, die durch die Straßen toben.

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Hunde dominieren das Straßenbild von Oziel, doch wie man hier sehen kann, gibt es auch Katzen. Wobei ich mich nicht daran erinnern kann, selbst Katzen in Oziel gesehen zu haben.
Auf diesem Bild ist interessanterweise die Katze angeleint und nicht der Hund. Auf einem anderen Foto, auf dem nur diese Katze zu sehen ist, kann man die Leine noch deutlicher erkennen. Die beiden Tiere scheinen jedenfalls miteinander auszukommen. Ich kenne mich mit Hunderassen nicht sehr aus, würde diesen aber den Dackeln zuordnen. Ein Dackel wie man sie in Deutschland oft in Begleitung eines Försters sieht. Die Katze hat eine ungewöhnliche Mischung aus weißem und braunem Fell, mit einem schwarzen Schwanz.
14 Kinder haben in ihrem Steckbrief den Hund als ihr Lieblingstier angeben.

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Ich war sehr überrascht, als man uns in Parque Oziel auf eine kleine versteckte Farm führte, auf der es Schweine, Kühe, Pferde und einen Papagei gab. Hier präsentiert sich der Vater stolz mit nacktem Oberkörper auf einem Pferd. Er schaut grimmig von oben auf den Fotografen herab und erinnert dabei ein wenig an die stolzen Gouchos (brasilianische Cowboys), die man teilweise noch im Norden Brasiliens findet. Auf dieser Seitenaufnahme kann man nicht gut sehen, wie mager dieses Pferd ist. Auch die Kühe und die Schweine in Oziel waren sehr mager.

6. Abschließende Betrachtungen

Es ist eine Reise, auf die uns die Kinder mitgenommen haben. Eine Reise durch ihr Leben, ihren Alltag. Ich habe diese Reise sehr genossen und hoffe, dass es ihnen werter Leser ebenso erging. Ich hoffe, dass durch die Informationen die diese Diplomarbeit geliefert hat und vor allem durch meine Bildanalyse und Interpretation, es mir gelungen ist, die Reise so authentisch und ehrlich wie möglich zu gestalten. Ich hoffe sie haben den Gestank der Abwässer riechen könne, den Staub zwischen ihren Zehen gefüllt, die Hunde bellen gehört und die Kinder lachen. Ich hoffe sie konnten die grünen Bäume, Sträucher und Wiesen Oziels sehen ebenso wie die gezimmerten Bretterbuden und die gemauerten Häuser, und zwar durch die Augen von Kindern.

Bei 915 Aufnahmen ist es nahezu unmöglich – im Rahmen einer solchen Diplomarbeit – allen Bildern gerecht zu werden. Aber ich denke ich habe eine repräsentative Auswahl getroffen, die als Wegweiser durch das Leben der Favela dienen konnte. Eine Auswahl, die die wichtigsten Aspekte im Leben dieser Kinder zeigen.

Ich wollte herausfinden, ob sich die Kinder der Probleme ihrer Lebenslage bewusst sind. Wie tief dieses Bewusstsein geht, kann ich nicht sagen, dass es aber vorhanden ist, haben die Bilder gezeigt.

Und mögen diese Bilder noch so traurig erscheinen, ich sehe in ihnen vor allem Hoffnung. Hoffnung für die Kinder, die gezeigt haben, dass sie intelligent und aufgeweckt sind, und dass Potenzial für eine bessere Zukunft besitzen. Die Augen, durch die wir sehen, wenn wir diese Bilder anschauen, sind die Zukunft von Parque Oziel.

 

Nachtrag:

Ausstellung1

P1000102

Parque Oziel – Eintrag 11: Gebäude, Straßen und Natur

Trotz der Sommerpause gibt es heute neue Bilder aus Brasilien. Hier die vorigen Beiträge aus meiner Diplomarbeit von 2007: https://translateordie.wordpress.com/category/parque-oziel/

P.A.F
„Mutter ich bin im P.A.F.“, das ist der Lieblingssatz von Claudiney (siehe Steckbriefe). Wenn die Kinder nicht in der Schule sind, sind sie im Jugendzentrum P.A.F. Es gehen natürlich nicht alle die in die Schule gehen auch ins Jugendzentrum, aber doch eine hohe Anzahl. Haben sie morgens Schule, sind sie nachmittags dort und umgekehrt.

Abb 20Abb. 20
Hier wurde das Jugendzentrum von der Straßenseite aus fotografiert. Denn Schriftzug „P.A.F P.Q Oziel – Projeto Aprendendo do Futuro“ („Projekt Lernen für die Zukunft“) kann man gut lesen. Bis auf die eine Stelle, an der die Klimaanlage eingesetzt wurde. Sie klafft aus der Wand heraus, als sei sie mit einer Kanone hineingeschossen worden. Dahinter befindet sich der Computerraum. Die Klimaanlage ist notwendig, damit die Computer nicht überhitzen.

Die Steine vor dem Gebäude scheinen zu der Baustelle auf dem Nachbargrundstück zu gehören.
Das P.A.F. wurde bereits 1998 zusammen mit seiner Fußballschule gegründet (vgl. Thewes/Unverzagt, 2005). Die Absicht war, die Kinder von der Straße zu holen, damit sie dort nicht auf dumme (kriminelle) Gedanken kommen. Die Mitarbeiter arbeiten ehrenamtlich, oft den ganzen Tag. Sie bieten den Kinder Fußballtraining, Volleyball, Ping Pong und einen Computerkurs.

Abb 21Abb. 21
Man kann die Ausstattung des P.A.F. nicht mit der eines deutschen Jugendzentrums vergleichen. Wie wir hier sehen können, ist die Ping-Pongplatte eine umfunktionierte Tafel. Das Netz hängt schief, die Schläger haben keinen Griff und keinen Belag. Wenn man ins P.A.F. reinkommt, sieht man so gut wie immer mindestens zwei Kinder miteinander Tischtennis spielen. Wie hier zu sehen, auch unterschiedlichen Alters.

Das P.A.F. ist ein ambitioniertes Projekt, das versucht den Kindern Oziels eine sinnvolle Beschäftigung zu geben. Es lebt dabei von dem freiwilligen, ehrenamtlichen Engagement einiger Erwachsenen, die sich Sorgen um die Zukunft der Kinder machen.

Kirche
Die Kirche wurde insgesamt  sechsmal fotografiert, und ist damit eines der am häufigsten fotografierten Gebäude.

Abb 22Abb. 22
Wenn man die Kirche von der Straße aus betrachtet – wie auch der Fotograf auf Abb. 22 – muss man zwangsläufig nach oben schauen. Dominiert wird das Bild dabei von dem Mittelteil des Gebäudes, auf dessen Spitze das Kreuz steht. Direkt darüber liegen – drohend – dunkle Wolken. Beim betrachten dieses Bildes, kann ich den Zorn Gottes förmlich spüren. Dem Fotografen ist es gut gelungen diesen leicht drohenden Charakter der Kirche einzufangen. Für ein Kind muss dieser Blick nach oben noch einschüchternder wirken. Rechts von der Kirche sehen wir noch einen Teil des Gesundheitszentrums und links das P.A.F.

Die Kirche “Nossa Senhora De Guadalupe” wurde schon 1997 gebaut; es war die erste Kirche in Oziel. Bei der Landbesetzung ist es eine beliebte Taktik zuerst eine Kirche zu bauen, da die Behörden nur ungern eine Kirche einreißen. Brasilien ist ein sehr religiöses Land und Kirchen werden von den meisten Brasilianern respektiert.

Religion spielt im Leben der Bewohner von Parque Oziel eine große Rolle. Sie sind Evangelistas – eine religiöse Strömung, die sehr strenge Regeln hat. Sie trinken zum Beispiel keinen Alkohol.

5.5 Parque Oziel

Was natürlich auch häufig fotografiert wurde, ist Parque Oziel an sich. Dabei unterscheide ich drei Kategorien. Straßenszenen, Natur und Oziel im Ganzen.

Straßenszenen

In Brasilien spielt sich das Leben auf der Straße ab. Das ist natürlich eine pauschalisierende Aussage, aber diesen Eindruck habe ich bereits an meinem ersten Tag in Sao Paulo gewonnen. Ein Eindruck, der sich auch in Oziel bestätigen sollte.

Bei den Schotter- und Matchpisten fällt es schwer von Straßen zu sprechen, aber das sind sie.

Abb 23Abb. 23
Hier ein Beispiel für eine relativ gute Straße in Oziel. Eine Straße, die man mit dem Auto entlangfahren kann. Und in Oziel gibt es genug Menschen, die ein Auto besitzen.
Der Fotograf stand am linken Straßenrand. Die Straße füllt fast die gesamte rechte Bildhälfte aus und wird nach links gehend immer schmaler, bis sie in der oberen linken Ecke endet. Es ist nicht nur die Straße zu sehen sondern auch die Häuser an ihrer rechten Seite. Ein grünes – für Oziel relativ schönes – Gebäude. Man sieht auch die Strommasten und Leitungen, die die Häuser mit legalem Strom versorgen. Das war nicht immer so. Anfangs gab es nur an den Zufahrtsstraßen zu Oziel Stromleitungen, die von den Bewohnern illegal und unter Lebensgefahr angezapft wurden.

Abb 24Abb. 24
Auch wenn dieses Bild unscharf ist, zeigt es deutlich, wie die Straßenverhältnisse nach starkem Regen sind. Wir waren im Sommer dort, also zur Regenzeit. Es regnete alle drei bis vier Tage, und die Straßen sahen nach jedem Regen anders aus. Das bedeutet für die Bewohner erhebliche Probleme, müssen sie doch versuchen, das Wasser aus ihren Häusern zu halten.

Abb25Abb. 25
Hier sehen wir deutlich, was der Regen anrichten kann. Ein Mann versucht verzweifelt das, auf sein Haus zuströmende Wasser umzuleiten. Die Wassermassen reißen Match, Abwässer und Müll mit sich. Es wurden auch schon ganze Häuser weggespült.

Es ist ein trauriges Bild, das eine der Schattenseiten der Favela zeigt. Aus der Wahl dieses Motivs schließe ich, dass sich die Kinder der Problematiken der Favela durchaus bewusst sind, und sich mit ihnen auseinandersetzen. Obwohl die Straßen von Müll gesäumt sind, sehen wir links einen Müllbehälter, in dem der Müll für die Müllabfuhr gesammelt wird.

Natur
Die Landbesetzung Parque Oziel wurde auf einer grünen Fläche erbaut. Trotz des rasanten Wachstums an Wohnhäusern ist immer noch ein Teil dieser grünen Fläche erhalten.

Abb 26Abb.26
Hier ist es dem Fotografen gelungen, beides einzufangen. Die Häuser und die Grünflächen, die einer Symbiose ähnelnd ineinander übergehen. Die Farbe Grün dominiert das Bild, die braunen Häuser sind nur als kleine Punkte am Horizont zu erkennen. Obwohl Oziel ca. 30.000 Einwohner hat, wirkt es durch diese Mischung eher wie ein Dorf. Das graue sterile Beton- und Asphaltflair, das den Rest von Campinas dominiert, hat hier noch nicht Einzug gehalten.
Dieses Bild vermittelt Idylle. Ein gemütlicher Nachmittag im Grünen, während man die träge vorbeiziehenden weißen Wolken beobachtet.

Abb 27Abb. 27
Hier ein weiteres Bild, das eine idyllische Atmosphäre vermittelt. Ein schmaler sich gemütlich windender Bach, dessen Verlauf sich am oberen Bildrand in grünem Buschwerk verliert. Dabei handelt es sich um eine eher seltene Naturaufnahme. Reine Natur findet man unter den 915 Aufnahmen selten. Meist sind Gebäude mit drauf oder es wurde der Himmel fotografiert.

Abb 28Abb. 28
Dass die Idylle trügen kann, zeigt dieses Bild. Die Kinder scheinen sich der Müllproblematik in Oziel bewusst zu sein. Diese Stelle scheint ein Ort zu sein, an dem Müll abgeladen wird. So sauber und ordentlich die Häuser auch von innen aussehen, so vermüllt sind leider die Straßen und Teile der Landschaft.
Hier ist es dem Fotografen darauf angekommen sowohl die Natur als auch deren Verschmutzung einzufangen. Das runde Gebilde in der Mitte scheint ein Rohr zu sein. Vielleicht eines, das Abwässer leitet. Wobei es keine Kanalisation in Oziel gibt. Die Abwässer laufen direkt auf die Straße.

Parque Oziel – Eintrag 10: Wohnungen und Gebäude

Sonntag – Brasilientag. Wie immer hier ein neuer Teil aus meiner Diplomarbeit von 2007. Hier gibt es die vorherigen Teile: https://translateordie.wordpress.com/category/parque-oziel/

5.3 Wohnung

Obwohl die Häuser in Oziel auf uns und auch auf die Brasilianer der Mittel- und Oberschicht ärmlich wirken, und wir uns nicht vorstellen, könnten in einer solchen Behausung zu leben, haben die Kinder keine Hemmungen stolz ihre winzigen Häuser und deren spärliche Möblierung zu zeigen. Sie haben nicht viel, präsentieren aber stolz das Wenige, das sie haben. Was fast alle haben, ist ein

Fernseher

Abb 13Abb. 13
Brasilien ist eine Fernsehnation, die süchtig nach den täglich ausgestrahlten Telenovelas – Seifenopern, die vorwiegend das fiktive Leben der Reichen und Schönen zeigen – ist. Und auch in der Favela darf der Fernseher nicht fehlen. Die hier von dem Fotografen in leichter Schräglage fotografierte Kommode mit dem Fernseher, der Hi-Fi Anlage und dem DVD-Player ist ein typischer Anblick für die Wohnungen in Parque Oziel. Wo diese eigentlich teuren Geräte herkommen, wagte ich nicht zu fragen. Elf unterschiedliche Fernseher wurden von den Kindern fotografiert. Das unterscheidet brasilianische Slums vermutlich von anderen Armenvierteln in der Welt. Ich denke dieses eine Beispiel für Fernseher reicht. Erwähnen sollte ich vielleicht noch, dass man in Brasilien an jeder Straßenecke raubkopierte DVDs billig kaufen kann.

Einrichtung

Die Einrichtung der Wohnungen ist meist spärlich aber durchaus ausreichend. Kühlschrank, Herd, Schränke, Bett oder zumindest Matratzen sind in der Regel vorhanden. Meist sind es natürlich gebrauchte Möbel, die man hier in Deutschland höchstens auf dem Sperrmüll finden würde.

Abb 14Abb. 14

Kühlschränke scheinen für die Kinder wichtig zu sein, wurden sie doch mehrfach als Motiv gewählt. Hier steht der Kühlschrank eingebettet zwischen zwei Schränken, vollgestellt mit Blumen und religiösen Symbolen. Die Wohnungen sind eng, also muss der wenige vorhandene Platz effektiv genutzt werden. Auf dem Schrank steht ein Küchengerät, daneben hängt ein Regenschirm. Der Sommer in Brasilien ist auch Regenzeit. Es regnet alle paar Tage sehr stark, und Regenschirme sind zu dieser Zeit von großem Nutzen.
Die Wand im Hintergrund ist nur zum Teil verputzt. In Brasilien ist es üblich, bereits vor Fertigstellung in die Neubauten einzuziehen, sobald ein oder zwei Zimmer fertig sind. Der Rest wird weitergebaut, wenn Geld oder Material dafür zur Verfügung steht.

Abb 15Abb. 15

Hier ein Beispiel für eine unfertige Wohnung. Der Boden ist nur teilweise gefliest, die Farbe bröckelt ab und die Wände sehen feucht aus. Die kahlen Wohnungen sehen ungemütlich aus, und wenn im Winter die Temperaturen unter 10 Grad sinken, muss es in den unbeheizten Häusern ziemlich kalt werden.

Die Motivwahl auf Abb. 14 lässt darauf schließen, dass das Kind das fotografiert hat, sich der problematischen Wohnsituation bewusst ist. Da das Bett nicht in der Mitte des Bildes ist, wurden wohl auch die Wände und der Boden mit Absicht fotografiert. Das Bett steht nicht ganz gerade, und wurde scheinbar absichtlich nach links verschoben, damit der Boden dahinter sichtbar wird.

Abb. 16 Habe alle Bilder, auf denen Kinder zu sehen sind gelöscht.

Auf diesem Bild wird der krasse Gegensatz zwischen der Unterhaltungselektronik und dem spärlichen Rest der Wohnung besonders deutlich. Der Junge, der hier genau in der Mitte des Bildes steht und in die Kamera lächelt, scheint seinen ganzen Stolz zu präsentieren. Einen großen Fernseher mit DVD Player und einer Stereoanlage; das alles steht mit zahlreichen CDs in einer ordentlichen Kommode, die wiederum vor einer löchrigen und unprofessionell zusammen gezimmerten Bretterwand steht. Rechts sieht man eine kahle graue Wand in der gleichen Farbe wie der Boden. An den Bildrändern unten rechts und links erkennt man ein großes Sofa, auf dem sicher die ganze Familie vor dem Fernseher Platz nehmen kann.

Für Familien die im Schnitt drei Kinder haben, sind diese Häuser viel zu klein. Oft müssen alle Familienmitglieder in einem Raum schlafen. Auf Abb. 1 ist eine hochgestellte Matratze zu sehen, dies taucht auf mehreren Bildern auf. Die Bewohner müssen den wenigen Platz effektiv nutzen.

5.4 Gebäude

Die Kinder haben viele Gebäude fotografiert, wobei bestimmte Gebäude immer wieder auftauchen. Vor allem die Schule, das P.A.F. und die Kirche. Wohnhäuser wurden eher selten fotografiert, wenn dann, wie weiter oben gesehen, von innen.
Zum passenden Übergang von den Wohnungen zu den Gebäuden sehen wir nun eine der wenigen Außenaufnahmen der Wohnhäuser.

Wohnhaus

Abb 17Abb. 17

Fast in der Bildmitte steht ein aus unterschiedlichen Holzbrettern zusammen gezimmertes „Haus“. Hier in Deutschland würden wir dieses Haus höchstens – abwertend – als Bruchbude bezeichnen. Ein Teil der Vorderfront ist nur mit gelber Folie abgedeckt. Das Dach besteht aus Wellblech. Das Haus wirkt als könnte es bei dem nächsten kräftigen Sturm einfach fortgeweht werden. Links und rechts davon sehen wir zwei im Bau befindliche Ziegelbauten. Diese aus Stein gemauerten Häuser lösen die behelfsmäßigen Bretterbuden mehr und mehr ab.

Dem Fotografen kam es scheinbar nicht nur auf das Haus alleine an, sondern auch auf seine Umgebung. Die zwei bereits erwähnten Steinhäuser, der Weg und der unebene Platz vor dem Haus, die Stromleitung, der Himmel über der Favela und selbige im Hintergrund. Rechts unterhalb der Eingangstür und links von dem kleinen Baum sitzen – kaum zu erkennen – zwei Kinder.

Wenn man bedenkt, dass viele der Bewohner Oziels vorher gar kein Land und keine Unterkunft hatten, ist ein solches Haus schon ein Fortschritt. Es gibt fließendes Wasser und Strom. Das Land gehört den Bewohnern noch nicht. Lange haben sie es illegal besetzt. Inzwischen bietet die Stadt Campinas ihnen das Land zum Kauf an. Leider zu einem – für die Bewohner – unerschwinglichen Preis.

Schule

Wie schon gesagt, die Wohnhäuser wurden selten fotografiert. Das Gebäude das am häufigsten gewählt wurde, ist die Schule von Parque Oziel.

Abb 18Abb. 18

Die Schule wurde von der Straße aus fotografiert. Dabei hat der Fotograf Wert darauf gelegt, dass der Banner mit dem Namen der Schule genau in die Mitte kommt. Das Bild zeigt ein Kind, das einen selbstgebastelten Drachen steigen lässt – ein typisches Bild für die Favela. Man sieht auch den blauen Zaun, hinter dem die Schule liegt. Die Fenster wirken vergittert. Für uns ist eine solche Schule ein ganz normaler Anblick, doch für die Bewohner von Oziel ist dieses Gebäude etwas Besonderes. Es ist das größte Gebäude in der Favela und sticht aus ihr hervor. Es wurde 2004 fertig gestellt. Vorher wurden die Kinder in Blechcontainern unterrichtet, die sich im Sommer unerträglich aufgeheizt haben und eher an Backöfen erinnerten als an eine Stätte des Lernens.

Abb. 19 Habe alle Bilder, auf denen Kinder zu sehen sind gelöscht.

Und hier ein Bild, das dem Schriftzug „Escola Viva“ mehr entspricht. Eine typische Pausenszene wie man sie auf fast allen Schulhöfen der Welt findet. Im Gegenteil zu unseren deutschen Schulen tragen die Schüler hier Schuluniformen. Ein weißes Oberteil und eine blaue Hose. Es ist aber nicht so förmliche Kleidung, wie man sie z. B. aus englischen Schulen kennt. Wie man bei dem Jungen in Grün sieht, tragen sie ihre Uniform nicht immer. Vermutlich gibt es nur eine Uniform, und wenn diese gewaschen wird, bleibt den Kindern nichts anderes als Alltagskleidung übrig. Auf diesem Bild tragen alle Kinder Turnschuhe, und nicht die üblichen Flip Flops. Der Junge in der Bildmitte hält eine Tüte mit Süßigkeiten in der Hand. Vor der Schule gibt es übrigens einen Stand, an dem Süßes verkauft wird.
Die Kinder, die bemerken, dass sie fotografiert werden, schauen in die Kamera.  Die beiden Mädchen links auf der Treppe umarmen sich sogar.

Die Schule ist ein enormer Fortschritt für die Bewohner Oziels und wird von den Kindern – größtenteils – begeistert angenommen. Es gibt Stimmen, die sagen, dass viele Kinder nur wegen des Essens kommen. In der Schulkantine gibt es für viele von ihnen die einzige richtige Mahlzeit am Tag. Ich kann diese Aussage nicht beurteilen. Vor allem bei den Mädchen habe ich aber Begeisterung für die Schule gespürt. Das spiegelt sich auch in den Steckbriefen wieder, in denen als Berufswunsch „Lehrer“ eingetragen wurde.

Obwohl die Schule von außen „groß“ wirkt, gibt es nicht genügend Klassenräume, so dass die Kinder zu unterschiedlichen Zeiten Unterricht haben. Manche müssen morgens in die Schule, andere nachmittags oder abends. Die Ausstattung der Schule wirkte sehr antiquiert. Mir ist da ein Kopierer in Erinnerung geblieben, der von Hand gekurbelt wird und mit Alkohol funktioniert. Die Lehrer die wir kennengelernt haben, wirkten sehr engagiert. Das müssen sie wohl auch sein, um in der Favela zu arbeiten. Viele Lehrer würden den Schritt in eine solche Schule nicht wagen.
Wenn ich mir die Bilder von der Schule anschaue, sehe ich vor allem Hoffnung, und sei sie auch noch so gering. Hoffnung für eine bessere Zukunft dieser intelligenten und netten Kinder, die mit Sicherheit das Potenzial haben, es im Leben weit zu bringen. Ich hoffe nur, dass dieses Potenzial nicht ungenutzt bleibt.

Die Kinder sind aber nicht die einzigen, die in diese Schule gehen.

Ein Abend in der Schule

So langsam kam ich ins Schwitzen und wurde immer nervöser. Der Raum füllte sich. Mehr und mehr Leute holten noch Stühle aus den Nachbarklassen. Es war in illustre Gesellschaft die uns in dem völlig überfüllten Klassenzimmer erwartungsfroh anstarrte. Männer und Frauen im Alter von 17 bis 77. Sie tuschelten miteinander, blickten in unsere Richtung und kicherten. Verzweifelt schaute ich zu Thomas und Soleilla denen es auch nicht besser ging als mir. Eleida lächelte uns dabei fröhlich zu.

Eleida ist eine der Schwestern der Familie Campos. Der Gastfamilie von Soleilla und mir. Sie hat uns das ganze eingebrockt. Eleida unterrichtet abends an der Schule von Parque Oziel eine Alphabetisierungsklasse, dass heißt sie bringt den Bewohnern von Oziel lesen  und schreiben bei. Als die Klasse hörte, dass Eleida Besuch aus Deutschland bekommt, waren sie ganz neugierig darauf uns kennen zu lernen, um mehr über Deutschland zu erfahren. Also bereitete Eleida mit ihnen Fragen vor und lud uns zu nächsten Stunde ein. Nur waren es insgesamt vier Klassen, von denen uns nun jeweils zwei in einer Stunde „verhören“ sollten.
Zumindest fühlte ich mich wie bei einem Verhör. Zu dritt vor der Tafel stehend, von Blicken durchlöchert und keiner Ahnung, wie wir die Fragen auf Portugiesisch überhaupt verstehen sollten.

Als endlich los ging, war der Bann schnell gebrochen. Die Menge durchlöcherte uns mit Fragen über das Leben in Deutschland, Eleida half dabei uns die Fragen verständlich zu erklären wir bekamen es irgendwie auf die Reihe alles zu beantwortet und hatten dabei – wider Erwarten – auch noch Spaß. Als ich auf die Frage, ob wir den Freundinnen hätten, mit nein antwortete, erklärte sich die ganze Klasse bereit mir eine auf der Straße zu suchen. In diesem lockeren Ton gestaltete sich das ganze Interview. Einzig bei einer Frage wurde es etwas heikel. „Ob wir den religiös seien?“, wollten sie wissen. Thomas wich der Frage geschickt aus. Soleilla antwortete so lange bis keiner mehr verstand was sie eigentlich erzählte. Nur ich setzte mich ins Fettnäpfchen. „Ich bin Atheist“, antwortete ich ehrlich. Thomas meinte vor der Fragestunde, die streng religiösen und einfachen Menschen von Oziel könnten bei einer solchen Antwort beleidigt sein. Doch ich bestand darauf, ehrlich zu antworten. Als Reaktion auf meine Antwort sprang ein älterer Mann auf und rief, mich solle Gott auf der Stelle mit einem Blitz erschlagen.

Im Nachhinein muss ich Thomas Recht geben. Eine diplomatischere Antwort meinerseits wäre wohl angebrachter gewesen.

Insgesamt war es aber eine tolle Erfahrung. Die Neugierde dieser illustren Klasse hat mich sehr beeindruckt und fasziniert. Auch ihr Wille, noch im teilweise hohen Alter Lesen und Schreiben zu lernen.

Parque Oziel – Eintrag 9: Selbstporträts und Freunde

Hier der neunte Teil aus meiner Diplomarbeit von 2007. Die vorherigen Teile findet Ihr hier: https://translateordie.wordpress.com/category/parque-oziel/

Selbstporträt

Ich habe die Selbstporträts unter dem Punkt Familie eingeordnet, da man ja selbst zu seiner eigenen Familie gehört. 13 der 34 Kinder haben sich selbst fotografiert. Dabei kann man drei Arten unterscheiden. Diejenigen, die die Kamera ungefähr in Kopfhöhe von sich weghalten, die die sich im Spiegel fotografieren und noch eine dritte kreative Art, auf die ich später näher eingehen werde.

Abb. 6 Habe alle Bilder, auf denen Kinder zu sehen sind gelöscht.
Abb. 6 ist das gelungenste Selbstporträt. Der Fotograf hat es geschafft, sich selber und vor allem seinen Kopf genau in die Mitte des Bildes zu bekommen. Dabei wird der Oberkörper aber nicht abgeschnitten wie in Abb. 7, sondern ist noch bis zu den Hüften zu sehen. Auch die Arme sind fast bis zu den Ellenbogen zu sehen. Der Kopf wirkt, dadurch, dass er vorgestreckt wird, übergroß und dominiert das Bild eindeutig. Der Gesichtsausdruck ist neutral. Der Fotograf trägt ein ordentliches und sauberes weißes T-Shirt mit Kragen.

Der Hintergrund scheint sorgfältig ausgewählt zu sein. Er zeigt in der unmittelbaren Umgebung des Fotografen einen Bretterzaun und eine Art Verschlag. Der weitere Hintergrund wird von der Farbe Grün dominiert und zeigt zwischen Wiesen und einzelnen Bäumen auch einige Häuser. Der letzte Teil des Hintergrundes, der Horizont, ist eine Mischung aus blauem Himmel und weißen Wolken.

Man kann den Hintergrund in drei Farben aufteilen: Braun, Grün und Blauweiß. Der Kopf des Fotografen schafft, es alle drei Bereiche abzudecken. Auch ihn kann man in drei Farbbereiche einteilen: das Weiß des T-Shirts, das im Kontrast zum braunen Hintergrund steht; das Braun seiner Gesichtsfarbe, das im Kontrast zum grünen Hintergrund steht und das Schwarz seiner Haare, das im Kontrast zum blauweißen Hintergrund steht.

Ohne zu sehen was er fotografiert, ist es dem Fotografen gelungen sich selber genau in die Mitte und in den Vordergrund des Bildes zu setzen, und dabei im perfekten Kontrast zum Hintergrund zu stehen.

Abb. 7 Habe alle Bilder, auf denen Kinder zu sehen sind gelöscht.

Auch hier hat es der Fotograf geschafft, sich genau in die Mitte des Bildes zu setzen. Anders als in Abb. 6 ist der Oberkörper nur in Schulterhöhe zu sehen; die Arme sind gar nicht zu sehen. Durch die gerade Körperhaltung dominiert der Kopf das Bild nicht so stark wie in Abb. 6. Der Mund ist leicht verzehrt und im rechten Mundwinkel kann man ein Piercing erkennen. Um dessen Inszenierung ging es dem Fotografen wohl hauptsächlich. Er ist der Einzige, der sich selbst mehr als einmal, insgesamt viermal, fotografiert hat. Erstaunlicherweise sind es gerade diese vier Fotografien, die die beste Qualität haben. Denn dieser Fotograf ist der einzige, bei dem mehr als 10 Bilder nichts geworden sind, und auch die, die gelungen sind haben eine unterdurchschnittliche Qualität. Er ist auch der älteste Jugendliche in diesem Projekt und der einzige, der nicht mit einem Computer umgehen konnte.

Auf den anderen drei Selbstporträts (siehe DVD im Anhang) wurde ein neutraler Hintergrund gewählt. Auch auf diesem Bild scheint der Hintergrund nur eine geringe Bedeutung zu haben. Vermutlich hat er sich hier vor seinem Haus fotografiert, auf den anderen Selbstporträts dann im Haus.

Abb.8 Habe alle Bilder, auf denen Kinder zu sehen sind gelöscht.

Insgesamt haben sich vier Fotografen im Spiegel selbst fotografiert. Diese ist aber der einzige dem es gelungen ist, auf dem Bild erkannt zu werden. Die andern drei haben die Kamera vor ihr Gesicht gehalten, und sich zu nahe an den Spiegel gestellt. Dadurch blendet der Blitz so grell, dass man kaum etwas erkennen kann. Der Fotograf in Abb.8 hat eine Lösung für dieses Problem gefunden. Sein Abstand zum Spiegel ist groß genug, und dadurch, dass er die Kamera auf Kniehöhe hält, taucht der Blitz nur am unteren Bildrand auf, und man kann den Fotografen erkennen. Auch ein Teil der spärlich eingerichteten Wohnung – wie man sie auch schon von den vorigen Fotos kennt – ist zu sehen.

Die schwarze Box im Hintergrund könnte ein Gitarrenverstärker sein, das ist aber nicht genau zu erkennen. Aber auch das gemalte Bild, auf dem ein Mädchen Panflöte spielt, lässt auf jemand mit musikalischem Interesse deuten. Der Fotograf ist übrigens kein Teilnehmer des Fotoprojektes. Vermutlich ist es ein Bruder.
Der Fotograf betrachtet sich selbst im Spiegel. Es ist aber nicht zu erkennen, ob ihm gefällt was er sieht.

Welches Bild die Kinder von sich selbst haben, kann ich nicht sagen. Aber aus den Berufswünschen in den Steckbriefen (siehe Kapitel „Die Kinder), kann man lesen, dass sie durchaus mit positiv und mit Hoffnung in die Zukunft schauen, wenn auch nicht ganz realistisch. Aber dafür sind sie ja Kinder.

Porträt4Abb.9

Hier noch ein letztes Beispiel für ein kreatives Selbstporträt. Der Fotograf hat den eigenen und den Schatten eines Freundes fotografiert. Wenn man genau hinschaut, kann man die Kamera in der Hand des linken Jungen erkennen.

5.2 Freunde

Es ist meist schwer zu erkennen ob es sich bei den fotografierten Personen um Freunde, Verwandte, Bekannte oder nur zufällig Vorbeikommende handelt. Ich habe vor allem die Bilder der Kategorie Freunde zugeordnet, die andere Kinder innerhalb von Wohnungen und Klassenräumen, beim Sport oder einfach beim Zusammensitzen zeigen. Kinder die dem Fotografen zulachen oder Späße machen. Aufgrund der Deutungsschwierigkeiten werde ich in dieser Kategorie nur einige wenige Bilder behandeln. Ganz weglassen wollte ich sie aber auch nicht, da Freunde im Leben eines jeden Kindes eine wichtige Rolle spielen.

Abb.10 Habe alle Bilder, auf denen Kinder zu sehen sind gelöscht.

Hier eine Gruppe von Freundinnen, die zusammen vor einem Haus sitzt. Das Mädchen mit dem roten Oberteil, das im Vordergrund (an erster Stelle) sitzt, scheint die Hauptperson (sie ist auch die einzige der vier Mädchen die einzeln fotografiert wurde) dieses Fotos zu sein. Durch die Perspektive wirkt sie größer als die anderen drei Mädchen, die hinter ihr sitzen bzw. stehen. Die Szene scheint nicht gestellt zu sein. Alle vier schauen in unterschiedliche Richtungen; die Hauptperson telefoniert mit einem Handy. Die Mädchen scheinen alle im gleichen Alter zu sein, und die unterschiedliche Hautfarbe lässt darauf deuten, dass sie keine Geschwister sind. Sie scheinen auf der Veranda des Hauses zu sitzen, in der linken Bildecke steht ein (Ess?) Tisch; in dem Raum im Hintergrund steht ein Herd.

Alle Mädchen haben lange Haare, wie fast alle Mädchen in Parque Oziel. Ich habe keine Jungen mit längeren Haaren gesehen. Das Mädchen im Vordergrund gähnt; alle vier haben einen fröhlichen und zufriedenen Gesichtsausdruck. Dass nur Mädchen auf dem Bild zu sehen sind, ist ein typischer Anblick für Parque Oziel. Mädchen spielen mit Mädchen und Jungen mit Jungen. Die Jungen spielen Fußball, die Mädchen Volleyball. Die traditionelle Rollenverteilung zeigt sich hier auch bei den Kindern.

Abb.11 Habe alle Bilder, auf denen Kinder zu sehen sind gelöscht.

Hier ein Beispiel für ein gestelltes Gruppenfoto. Sechs Mädchen stehen nebeneinander, daneben eine etwas ältere Frau mit einem kleinen Mädchen auf dem Arm. Der einzige Junge auf dem Bild sitzt abseits im Schatten, und wirkt als würde er nicht richtig dazugehören.
Als Erstes fallen mir die Beine der Mädchen auf, die fast alle nur sehr knappe Röcke tragen. Drei lachen richtig und zeigen ihre Zähne; drei haben ein angedeutetes Lächeln und nur zwei haben einen neutralen Gesichtsausdruck.

Das blonde hellhäutige Mädchen steht im krassen Kontrast zu den Anderen und sticht aus diesem Bild auffallend hervor. Blonde Haare sieht man in Brasilien selten, und in der Favela noch viel seltener. Nur das Mädchen mit dem hellblauen Oberteil und die Frau schauen direkt in die Kamera. Alle anderen blicken in unterschiedliche Richtungen. Sie tragen alle die typischen Flip Flops und sind bunt gekleidet – eine für Brasilien typische bunte Bekleidung, die die brasilianische Lebensfreude widerspiegelt. Typisch für die Favela ist auch, dass nur ein Erwachsener und viele Kinder auf dem Bild sind, was für den Kinderreichtum Brasiliens steht.
Der Hintergrund ist eine graue – für die Favela untypisch – verputzte Mauer. Die Gruppe steht genau in der Mitte des Bildes. Nur der Junge fällt aus dem Rahmen.

Abb.12 Habe alle Bilder, auf denen Kinder zu sehen sind gelöscht.

Dieses Bild zeigt die einzige halbwegs asphaltierte Straße in Oziel (und das auch nur für ein kurzes Stück). Die einzige Straße, auf der es möglich ist, mit einem solchen Roller zu fahren. Man sieht diese Roller auch nicht sehr oft in der Favela, so dass sich mehrere Kinder mit einem vergnügen müssen. Was, wie man auf dem Foto sieht, auch gelingt. Zwar ist nur ein Kind auf dem Roller, doch die anderen drei Jungen laufen mit und haben dabei sichtbar Spaß. Zwei der Junge halten sich an dem Jungen auf dem Roller fest und stützen ihn dabei. Alle vier sind barfuß. Wenn ich da an die ganzen Abwässer und den Müll denke, der auf den Straßen liegt, sträuben sich mir dabei alle Nackenhaare. In Deutschland würde kaum ein Kind auf die Idee kommen, ohne Schuhe auf der Straße Roller zu fahren. Die Straße ist übrigens die Hauptstraße, die auch der Linienbus entlang fährt. Insgesamt ist sie aber nicht stark frequentiert. Autos kommen nur gelegentlich vorbei. Einem freien Spielen steht also nichts im Wege.

Die Kinder in Oziel haben kein eigenes Zimmer und wenig Spielzeug. Die Möglichkeiten sich mit sich selber zu beschäftigen sind sehr gering. Zum Vergleich: Ich selber hatte als Kind nicht nur ein eigenes Zimmer, sondern noch ein extra Spielzimmer, in dem ich mein zahlreiches Spielzeug unterbringen konnte. Ich konnte stundenlang alleine spielen, ohne mich zu langweilen. Trotzdem habe ich auch viel Zeit mit Freunden auf den Straßen unsers Dorfes verbracht.
Richtige Spielplätze gibt es in der Favela nicht und die Mitgliedschaft im P.A.F. kostet 3 Reais (ca. 1 Euro) im Monat – viel Geld für diese Familien. Es liegt also nahe, mit anderen Kindern Freundschaft zu schließen, und das Wenige, das die Favela zum Spielen hergibt, zu teilen.