Meine Woche: FCKAFD, Mob gegen die Grünen und gefährdete Kunst in Hongkong

Heute beginne ich meinen Wochenrückblick mit einem politischen Rant. Dazu gibt es eine sehenswerte Doku über Kunst und Freiheit in Hongkong, einen berührenden und erschreckend Artikel einer Mutter über den Einfluss von rechten Podcasts auf ihren Sohn, das Zeitalter der Überraschungen und etwas Notalgie mit Super Mario.

Collage aus vier Bildern, drei kleine quadratische in der oberen Reihe, ein längeres in der unteren: Von links oben nach rechts unten: 1.Luftaufnahme der Protesten in Hongkong eine Menschenmasse steht um den Schriftzug "Free Hong Kong, Democracy Now" herum.
2. Foto von NES-Mini und SuperNES-Mini nebeneinander.
3. Szene aus dem Trailer zum Film "Super Mario Bros." Mario und Luigi stehen nebeneinander und geben sich einen Fistbump
4. Die Bücher aus meinem Foto (siehe unten) zu Neu im Regal.

Meine persönliche Woche verlief wieder völlig ereignislos und uninteressant (genau so, wie ich es mag 😉 ). Was von der politischen Woche leider nicht gesagt werden kann. Die Proteste der Bauern sind jetzt wohl endgültig zum rechten Mob mit Fackel und Forke verkommen. Die Verrohung ist erschreckend, die jeder Grundlage entbehrende Hetze gegen die Grünen und einzelne Politiker*innen ebenso. Ein Teil unserer Gesellschaft steht anscheinend kurz davor, zur SA-Schlägerbande zu verkommen.

Und da fällt den Redaktionen der Öffentliche-Rechtlichen nichts Besseres ein, als noch mehr AFD-Politiker*innen einzuladen, um deren rechtsextremen Positionen eine Plattform zu bieten, wodurch diese immer mehr im Zuge einer Diskursverschiebung nach rechts in der sogenannten gesellschaftlichen Mitte verankert werden. Bei Maybrit Illner gab es am Donnerstag die volle populistische Breitseite mit Jens Spahn, Sahra Wagenknecht und Beatrix von Storch. Und Illner glaub wahrscheinlich immer noch, dass sie mit dieser »gesellschaftlichen Meinungsvielfalt« die Demokratie hochhält und die Rechten thematisch stellt und entzaubert, in Wahrheit aber genau das Gegenteil erreicht.

Ich habe auch vieles inhaltlich an der Politik der Grünen zu kritisieren, aber eben auf einer sachlichen Ebene. Wer weiterhin unqualifiziert gegen die Grünen jenseits aller Fakten ablästert, wird von mir in den sozialen Medien geblockt. Denn ein Teil unserer Gesellschaft hat sich von jeglicher faktenbasierter und sachlich-inhaltlicher Debatte entfernt. Da bringt Diskutieren nichts mehr. Solchen Menschen muss man jegliche Plattform entziehen. Alles andere gießt nur Öl ins Feuer.

Artikel

Einer der erfolgreichsten Podcasts impft unsere Kinder mit radikalem Gedankengut – und keiner kriegt’s mit

Jugendliche heute schauen bestimmt nicht Maybrit Illner oder andere Talkshows im Fernsehen, die hören sich eher Podcasts an. Z. B. Hoss und Hopf, wie der Sohn einer Stern-Redakteurin, die sich entsetzt darüber wundert, warum der plötzlich rechte Parolen von sich gibt. Ein eindrucksvoller und erschreckender Beitrag.

The 2023 Hugo Nomination Scandal Gets Worse

Und sind die Anti-Demokraten erst mal an der Macht, müssen sie ihre oppressiven Zensurmaßnahmen oft gar nicht selbst ausführen, das machen wir dann schon oft selbst in vorauseilendem Gehorsam, wie z. B. die jüngsten Entwicklungen im Hugo-Skandal zeigen. Was da lost ist, beim einstmals wichtigsten Preis der englischsprachigen Phantastikszene erklärt uns Cora Buhlert.

Das Zeitalter der bösen Überraschungen

Diese Woche gab es wieder eine neue Studie zum möglichen Versiegen des Golfstroms, die erneut erschreckende Szenarien entwirft. Warum das eben nicht einfach eine weitere Studie von vielen ist und uns einigen böse Überraschungen bevorstehen, erklärt der stets lesenswerte Lars Fischer in Spektrum der Wissenschaft. Und je schlimmer uns die Klimakrise trifft, desto schlimmer werden jene Probleme, die die Menschen in die Arme von Populisten treibt, obwohl eigentlich das Gegenteil wichtig wäre. Hängt alles mit allem zusammen.

Dokus

Hongkong – Zensur. Protest. Kunst.

Apropos China und Zensur. Das hier ist eine ausgezeichnete Reportage über Kunst und Aktivismus in Hongkong, die zeigt, wie dystopisch die Zeiten dort geworden sind, dass der Protest aber trotz Hunderttausender ins Exil Geflohener nicht gänzlich verstummt ist und kritische Kunst zumindest verschlüsselt noch möglich ist.

Hongkong war bis 1997 britische Kronkolonie und damit keine Demokratie. Aber es herrschte Meinungs-, Kunst- und Pressefreiheit. Die Briten haben es versäumt, Hongkongs Bevölkerung und Politiker*innen mit in die Rückgabeverhandlungen mit China einzubeziehen oder sie in die Unabhängigkeit zu überlassen. Dass die garantierte Autonomie bis 2047 nicht das Papier wert ist, auf dem es steht, haben wir in den letzten Jahren erleben können. In Hongkong zeigt sich, wie erschreckend es ist, wenn eine einst freie Gesellschaft von einer Autokratie übernommen und zerstört wird. Taiwan schaut hier ganz genau hin.

Arte-Mediathek

Der Regisseur dieses Films Kiwi Chow kommt in der Reportage ausführlich zu Wort.

Filme

Zhao, der Unbesiegbare (King Boxer/Tian xia di yi quan, 1972)

Da hat Quentin Tarantino also diesen dramatischen Sirenensound in Kill Bill her. Wieder was gelernt. Im Vergleich zu den letzten beiden hier besteprochenen Shaw-Brother-Filmen (Das Schwert der gelben Tigerin und One Armed Swordsman) ist der hier schon deutlich fortgeschrittener, was die Inszenierung der Kämpfe angeht, die finden auf einem anderen Level statt. Ansonsten ist es halt der übliche Kram über verfeindete Kampfkunstschulen, die sich bitter bekämpfen. Und das auf ziemlich brutale Weise, hier werden Augen mit Fingern ausgestochen. Lohnt sich vor allem wegen der Kämpfe und aus filmhistorischen Gründen.

Super Mario Bros. Movie

Unterhaltsame Portalfantasy über zwei Schluffis aus Brooklyn, die mit einer Prinzessin ein Fantasykönigreich vor dem bösen Thanos äh Bowser retten müssen und dabei über sich hinauswachsen.

Ich muss gestehen, dass ich sehr skeptisch war, halte ich doch die erste Verfilmung mit Bob Hoskins für ein anarchistisches Meisterwerk, das mit seiner subversiven Kritik an Franchises und Marken, indem es sie einfach völlig ignoriert und sein eigenes Ding durchzieht, seiner Zeit voraus war.

Doch der Film hat bei mir genau die richtigen Nostalgie-Knöpfe gedrückt, bin ich doch, wie so viele, mit Super Mario aufgewachsen. Meine erste Konsole, da muss ich in der vierten Klasse gewesen sein, war das NES mit Super Mario 1, Teil 2 (der eigentlich gar kein Super Mario war) und dem phantastischen Teil 3, den ich mit seiner Kreativität und dem Abwechslungsreichtum geliebt habe. Ebenso wie Super Mario World auf dem SNES. Das war dann auch schon mein letztes klassisches Super-Mario-Spiel, ich habe mir zwar noch die N64 gekauft, aber ohne Mario. Mario Kart 64 und Mario Party hingegen habe ich mit meinen Freunden damals rauf und runter gespielt. Das letzte Mal auf der Wii, die ich aber nicht selber hatte. Zuletzt habe ich die alten Spiele dann auf dem NES-Mini und dem SNES-Mini gespielt und mich wieder fast wie ein Kind dabei gefühlt. Hätte aber auch echt mal Lust, Super Mario Wonder auf der Switch zu spielen, da das echt gut aussieht und sehr originell zu sein scheint.

Der Film ist mir fast zu kurz und hektisch geraten, der hätte sich ruhig etwas mehr Zeit in der Röhrenwelt nehmen können. Als kurzweiliger Spaß aber sehr sehenswert, nur die Musikauswahl mit den üblichen alten Kamellen von AC/DC und den Beastie Boys ist doch sehr langweilig geraten.

Ach ja, mit dem Japanuary mache ich einfach weiter, und bespreche das ganze Jahr lang regelmäßig japanische Filme. Diese Woche war Stray Dog von Kurosawa Akira dran. 218 wurden übrigens insgesamt im Japanuary besprochen. Die könnt ihr jetzt alle hier nachlesen.

Tor Online

Folgt dem weißen Kaninchen: Bücher, die aus der „Patrix“ führen

Populismus, Autokratie, Diktatur, Rechtsextremismus, das alles funktioniert innerhalb eines Systems, dass wir bei der Beschäftigung mit diesen Themen oft aus den Augen verlieren. Sie gedeihen im Patriarchat. In der letzten Woche stellte uns Judith Vogt einige Sachbücher zu diesem Thema vor, in dieser Woche sind des Science-Fiction- und Fantasy-Romane, die zeigen, wie es auch ohne die „Herrschaft des Vaters“ gehen kann.

Meine Lektüre

Eigentlich will ich keine Bücher bekannter, erfolgreicher weißer Autoren mehr bessprechen, aber Der Weg der Wünsche von Patrick Rothfuss hat es mir einfach angetan, denn so etwas jenseits aller Genreklischees und Tropen gibt es nur selten in Buchform zu lesen. Entschleunigt und voller Poesie.

Neu im Regal

Die im Text unten erwähnten Bücher in genau dieser Reihenfolge von links nach rechts auf einem Tisch mit den Covern nach vorne aufgestellt.

Ralf Langroth heißt eigentlich Jörg Kastner, und von dem habe ich schon ein paar gute Thriller mit historischen Themen gelesen, und Band 1 Die Akte Adenauer fand ich auch sehr gut und spannend. Weshalb ich schon auf Ein Präsident verschwindet gespannt bin, wo es um die Geschichte von Verfassungschutzpräsident Uwe John geht.

Zu Sparks von J. R Dawson wird es noch einen eigenen Blogbeitrag geben, wenn es am 28. Februar erscheint. Das Buch wurde vom Verlag auf meine Initiative eingekauft. Die deutsche Ausgabe ist richtig schick geworden, ein echter Hingucker in der Buchhandlung, und das Buch ist sowieso großartig.

Von Keitu Gakus Boys Run The Riot habe ich bereits Band besprochen.

Inspector Mouse von Caroline Ronnefeldt werde ich demnächst rezensieren. Aber sieht diese Ausgabe mit dieser tollen Covergestaltung nicht einfach großartig aus! Für mich das beste Cover, das ich seit langem gesehen habe.

Ebenfalls besprechen werde ich Der nasse Tod von Kenzaburō Ōe, der meinen Einstieg in die Klassiker der japanischen Literatur sein soll.

Musik

Lambrini Girls

Musik gibt es diese Woche von den Lambrini Girls, efrischender, politischer Post-Punk aus Großbritannien.

Foto der Woche

Seit zwei Wochen sind die Zugvögel bei uns wieder unterwegs.

Zugvögel in V-Formation am blauen Himmel

Meine Woche: Hongkong im Neonlicht und Japan im Shinkansen

Meine Woche in Filmen, Serien, Dokus und Artikeln. Infernal Affairs, The Outlaws, Unterwegs im Shinkansen, Hongkong: Heiß geliebtes Neonlicht und The Last Dinner Party.

Collage aus vier Screenshots. Oben drei kleine quadratische, in der unteren Reihe ein längliches: 1. Szene aus "Infernal Affairs", die beiden Protagonisten stehen auf einem Hochhausdach. Andy Lau trägt Handschellen hinter dem Rücken, Tony Leung zielt mit einer Pistole auf seinen Kopf.
2. Ein Neonschild aus Hongkong, oben eine grüne Schildkröte, darunter ein chinesisches Schriftzeichen und darunter eine kleine Suppenschüssel. Es geht um Schildkrötensuppe.
3. Drei der fünf Musikerinnen von The Last Dinner Party in Trauerkleidung unter einem schwarzen Regenschirm. Aus dem Video "Nothing Matters".
Unten die sechs Hauptfiguren aus der Serie "The Outlaws" in einer Reihe stehend mit roten Warnwesten und schaufeln, Besen und Rechen in der Hand.

An dieser Stelle möchte ich mich für eure Teilnahme an der Umfrage bedanken. Die Mehrheit ist für weniger Empfehlungen mit ausführlicheren Kommentaren. Die werde ich heute noch nicht liefern, aber versuchen, es in Zukunft zu machen. Was die Themen angeht, ist es ausgeglichen, aber leider gab mir das Umfrage-Tool keine Möglichkeit auf Mehrfachantworten. Das Datum lasse ich in der Überschrift von jetzt an weg, das macht sie zu sperrig und lang, außerdem steht es ja sowieso links daneben im gelben Feld.

Die heutige Ausgabe ist relativ kurz, die Woche war für mich ziemlich ereignislos. Zur Hetzkampagne gegen die Journalistin Alexandra Föderl-Schmid durch den widerlichen rechten Hetzer Julius Streicher äh Julian Reichelt gibt es einige gute Artikel, die zeigen, dass die Plagiats-Vorwürfe bezüglich ihrer Dissertation falsch und niederträchtig sind.

Ansonsten herrscht hier bei mir in der Gegend Karnevals bzw. Fastnacht und ich hüte mich davor, überhaupt das Haus zu verlassen, da ich mit dieser preußisch organisierten und uniformierten Besäufnis-Fröhlichkeit überhaupt nichts anfangen kann.

In diesem Jahr wird der Fokus bei mir vor allem auf Japan liegen, aber teilweise auch auf Hongkong.

Serie

The Outlaws

Die Empfehlung für die britische Serie The Outlaws kommt leider etwas spät, da die 1. Folge nur noch bis zum 13. Februar in der ZDF-Mediathek verfügbar ist. Eine sehr gelungene Mischung aus Sozialdrama, britischem Humor und Gangsterkram. Aber Christopher Walkens Figur erinnert doch stark an Mickey aus Ray Donavan, nicht nur optisch. Der Name Misfits für eine Serie über Leute, die Sozialdienst leisten müssen, war wohl schon vergeben.

Es geht um eine Gruppe ungleicher Delinquenten aus allen Gesellschaftsschichten, die aufgrund unterschiedlicher Vergehen zusammen Sozialstunden machen müssen. Dabei lernen wir Schritt für Schritt ihre Hintergrundgeschichten kennen, welche Umständen und Situationen sie in diese Lage gebracht haben. Hinzu kommen ein paar dramatische Entwicklungen, die dafür Sorgen, dass sich diese Menschen, die sich zunächst nicht ausstehen können, gegenseitig helfen.

ZDF-Mediathek

Artikel

France’s comic-book tradition is hitting new heights

Im Guardian gibt es einen interessanten Artikel von Phil Hoad über den aktuellen Comic-Boom im sowieso schon sehr Comic affinen Frankreich.

Rechte Popmusik: Eingebildete Rebellen

Für die taz berichtet Julian Weber davon, wie sich rechte Musik immer mehr Richtung Pop bewegt. Dazu stellt er die aktuelle Ausgabe des Magazins Testcard vor, die sich ganz dem Rechtspop widmet. Zu meiner Jugendzeit in den 90ern machten noch verrauschte Kopien von schrammelig klingenden Rechtsrockbands wie Störkraft, Kraftschlag oder Landser unter der Hand die Runde oder von eindeutig rechtsextremem Liedermachern wie Frank Rennicke. Heute sind rechte Text im Schlager und Rap anzufinden, bei Leuten, die teilweise im Fernsehen auftreten oder auf Youtube Millionen Klicks erhalten.

Weber geht aber durchaus kritisch mit den einzelnen im Buch enthaltenen Essays um, wenn es dort darum geht, Entwicklungen aus der Nazi-Zeit und dem Faschismus rückwirkend als Pop zu deklarieren. Über die aktuellen Akteure des Rechtspops erfährt man in dem Beitrag allerdings kaum etwas.

To Americanize or Americanise: Writing a New Zealand Novel in the America-Dominant Publishing World

Für Lithub berichtet die neuseeländische Maori-Autorin Rebecca K Reilly – deren Roman Greta & Valdin gerade erschienen ist – von den Bestrebungen seitens der Buchbranche bzw. Vorschlägen Dritter, ihren Roman passgerechter für ein amerikanisches Publikum zu machen, um Literatur mit Lokalkolorit, mit Ecken und Kanten in eine gleichförmige McDonalds-Form zu bringen, die überall auf der Welt gleich schmeckt.

Tor Online

„Pariarchale Bilder und Denkfiguren finden sich nicht nur in Geschichte und Gegenwart, sondern auch in der Phantastik. Eine Anleitung zur intellektuellen Selbstverteidigung von Judith Vogt“ in ihrem Artikel Smash the Patriarchy – in der Phantastik.

Podcast

Peggy Piesche, warum fehlt der Kolonialismus in der deutschen Erinnerungskultur?

Sehr interessanter kurzer Podcast über die Frage, warum der deutsche Kolonialismus in der deutschen Erinnerungskultur nicht präsent genug ist. Dazu gibt es kluge Antworten von der Kulturwissenschaftlerin Peggy Piesche.

Doku

Unterwegs mit dem Shinkansen

Ich vermute, dass Redakteure der Öffentlich-Rechtlichen immer wieder Shinkansen-Dokus drehen, damit Bahnmanager, die zufällig reinschalten, vor Scham im Boden versinken (eine Scham, die im Verhältnis zur Höhe der Bonuszahlungen sinken dürfte). Hier geht es aber nicht nur um den Zug, sein Pünktlich- und Sauberkeit, sondern auch um Menschen, die entlang der Strecken leben. Und das ist angenehm wenig aus Tokyo. Wir lernen ein Fake-Food-Künstlerin kennen, einen Wasabi-Bauern, eine Geisha, einen Trommelbauer, eine Salaraymaen, der seiner Rennradleidenschaft auf einer der schönsten Strecken der Welt fröhnt und viele mehr. Interessant finde ich es vor allem, von Menschen, die voll im Hamsterrad des Berufsleben stecken, zu erfahren, welchen Leidenschaften sie in der knapp bemessenen Freizeit nachgehen.

ARD-Mediathek

Hongkong: Heiß geliebtes Neonlicht

Das Klischeebild von Hongkong dürfte in den meisten Köpfen mit Neonlicht beleuchtete sein. Diese kurze Reportage auf Arte zeigt, wie sich Neonschilder nach dem 2. Weltkrieg in Hongkong ausgebreitet und zur Kunstform entwickelt haben, inzwischen aber immer mehr aus dem Stadtbild verschwinden.

Film

Infernal Affairs

Die Ära, die als das goldene Zeitalter des Hongkong-Kinos gilt, ging von 1980 bis 1997. Doch auch nach der Übergabe, vor allem in den Nullerjahren, sind einige der besten Filme entstanden (In the Mood For Love z. B.), bevor der endgültige Niedergang mit dem Machtantritt von Xi Jinping begann.

Zuletzt habe ich diesen Hongkong-Thriller aus dem Jahr 2003 gesehen, als ich mir die DVD kurz nach Erscheinen gekauft habe. Und ich kenne kaum einen Thriller, der so dynamisch und spannend inszeniert ist, dabei gibt es hier erstaunlich wenig Schießerieen, die Spannung findet auf einer anderen Ebene statt, im Katz-und-Maus-Spiel der von Andy Lau und Tony Leung gespielten Protagonisten,

Als Martin Scorsese The Departed gedreht hat, behauptete er später, Infernal Affairs nicht zu kennen, was nur schwer zu glauben ist, sind einige Szenen doch praktisch eins zu eins übernommen worden. Ich finde da Original übrigens deutlich besser, weil eleganter inszeniert. Es ist auch ziemlich gut gealtert, einzig einige Musikeinlagen mit Rockgitarren wirken etwas deplatziert.

Den Film gibt es aktuell in der Arte-Mediathek, ebenso wie die beiden Fortsetzungen, die ich noch nicht kenne, mir demnächst aber ansehen werde. Ich schätze Arte für solche Filme sehr, aber warum gibt es nur französische Untertitel zur Originalfassung? Und bei den Teilen 2 und 3 gar keine Originaltonspur?

Auf meinem Blog habe ich noch einen wunderbaren Film von Naomi Kawase besprochen. Zu dem gibt es auch eine sehr informativen und tiefergehenden Podcast bei Schöner Denken.

Musik

The Last Dinnner Party

Wenn ich von neuer toller Musik aus dem Spiegel erfahre, bin ich wohl late to to party. Wie auch immer, von The Last Dinner Party habe ich bisher drei Songs gehört, und die finde ich alle großartig. Erfrischend abwechslungsreiche Musik, die sich was traut.

Meine Woche 31.12.2023: Jahresrückblick, Buchhandel und Filmtipps

Ich gebe einen kleinen persönlichen Jahresrückblick, bespreche einige Filme von Wuxia über stilsicheren australischen Horror bis zur Liebeserklärung ans Kino und gehe auf die aktuell schwierige Situation für kleine Buchhandlungen ein.

Collage aus den beiden Fotos von mir und meinem Vater weiter unten im Beitrag. Dazu ein Filmausschnitt aus "Das Schwert der gelben Tigerin" mit der Hauptdarstellerin und ein Ausschnitt aus dem Film "Empire of Light" der das prächtige Foyer des Kinos zeigt.

Artikel

Großhändler Zeitfracht will kleine Läden seltener beliefern

Zeitfracht ist eine der drei Großbuchhändler, von denen unsere Buchhandlungen beliefert werden. Für kleine, unabhängige Buchhandlungen brechen jetzt noch härtere Zeiten an, da sich deren Belieferung für Zeitfracht anscheinend nicht mehr lohnt. Wer keinen großen Konzern hinter sich hat, hat es immer schwieriger auf dem Buchmarkt. Hunderttausende Bücher (vor allem von kleineren Verlagen) wurden bereits bei den Grossisten ausgelistet, was bedeutet, dass sie in den Buchhandlungen las nicht lieferbar gelten. Kapitalismus und freier Markt führen vor allem dazu, dass sich die Marktmacht auf wenige große Konzerne und Unternehmen konzentriert, während die kleineren immer weiter auf der Strecke bleiben.

Ob es wirklich sinnvoll ist, jedes Buch über Nacht am nächsten Tag in die Buchhandlung geliefert zu bekommen, ist eine andere Frage. Wir sollten lernen, uns wieder mehr zu gedulden. Allerdings war das schon ein Wettbewerbsvorteil (oder zumindest ein Grund, noch halbwegs mithalten zu können) gegenüber Amazon, deren Lieferzuverlässigkeit auch für Prime-Kunden in den letzten Jahren stark nachgelassen hat.

Beim Börsenblatt gibt es eine Rechtfertigung von Zeitfracht, und bei Resonanzen ein Interview mit einer Buchhändlerin.

Poor Britannia – Großbritanniens verarmte Gesellschaft

Kein Artikel sondern ein Spiegel-Podcast ist Acht Milliarden. Eine besonders interessante Folge (April 2023) ist Poor Britannia, in der es über die Verelendung und Verarmung der britischen Mittel- und Unterschicht geht. Ich habe schon einige Reportagen und Dokus über die Entwicklung im Königreich gesehen und bin entsetzt über die Situation. Gleichzeitig werden die Reichen und Superreichen immer reicher und die Politik des Landes ist weiterhin ausschließlich auf diese Personen ausgerichtet. Ist mir ein Rätsel, warum es dagegen noch keine größere Protestbewegung gibt und jene, die das Volk ins Elend treiben, weiter gewählt werden.

Filme

Talk To Me

Beeindruckender Debütfilm zweier australischer Youtuber, der sein Ding von Anfang bis Ende stilsicher durchzieht. Aus den begrenzten Mitteln holt der das Optimum heraus und sieht dabei erstaunlich schick aus. Über eine Gruppe Jugendlicher, die als eine Art TikTok-Challenge mittels verwunschener Hand Tote beschwören und sich von ihnen in Besitz nehmen lassen. Was anfangs ein großer Spaß ist, geht natürlich irgendwann in die Hose. Auf den Film bin ich schon länger gespannt, da Daniel Schröckert mit den beiden Machern bekanntfreundet ist und das Projekt regelmäßig in Kinoplus erwähnte. Von der Qualität des Films war am Ende trotzdem noch selbst überrascht. Hat mir besser gefallen als Smile oder Evil Dead.

Summer Ghost (Samā Gōsuto)

Schöner, kurzer Coming-of-Age-Anime über drei jugendliche Außenseiter, die gemeinsam einen Geist suchen und neben Freundschaft auch Motivation finden, weiterzumachen. Sehr einfühlsam und rührend inszeniert.

Funny Pages

Einer dieser Indie-Filme, wie sie vor allem in der zweiten Hälfte der 1990er und in den frühen Zweitausender gedrehte wurden. Ist aber von 2022 und noch eine Ecke schräger. Es geht um einen jungen Mann, der die High-School hinwirft, weil er Comic-Zeichner werden will und sich an Kunstschulen bewirbt. Dafür nimmt einen merkwürdigen Job an und zieht in einen noch merkwürdigere WG. Um diese Wohnverhältnisse zu beschreiben, fehlen mir ein wenig die Worte. Als wäre er ins Arschloch einer Comicfigur von Robert Crumb gezogen, wo schon andere schräge Vögel hausen. Bis auf die Hauptfigur – die vor allem auf Underground-Comics steht – sind alle anderen mega unsympathisch und es ist mir ein Rätsel, warum er die Nähe zu ihnen sucht. Der Film ist von Anfang bis Ende sehr unangenehm, aber trotzdem irgendwie interessant. Wurde von A24 produziert. Er war mir aber völlig unbekannt, bis ich ihn vor wenigen Tagen beim Stöbern auf Paramount+ entdeckt habe.

The Roundup: No Way Out

Dritter Teil der Prügelfilmreihe mit Don Lee, der hier wieder kräftig austeilt. Teil 1 fand ich schwach, Teil 2 sehr unterhaltsam und auch der dritte hat Spaß gemacht, obwohl er wieder eine massive Verherrlichung exzessiver Polizeigewalt ist. Eine wirkliche Story gibt es nicht. Verschiedene Gangster-Fraktionen kloppen sich um gestohlene Drogen, und Don Lee mittendrin, der ständig Verdächtige misshandelt, um an Informationen zu kommen, die ihn zu neuen Schurken führen, die ihm direkt ans Leder wollen und dafür aufs Maul bekommen. Die Kämpfe selbst fand ich aber deutlich langweiliger als in Teil 2, da sie deren Kreativität vermissen lassen. Hier gibt es ständig Rechts-Links-Rechst-Kombinationen von Don Lee, und schon gehen die Gegner zu Boden. Ab und zu packt der die Dampframme aus und sie fliegen gleich meterweit durch die Gegend. Wer den Vorgänger mochte, wird auch hier seinen Spaß haben, kann aber völlig unabhängig von den anderen Teilen geschaut werden.

Empire of Light

Der neue Film von Sam Mendes ist eine Hommage an die vergangene Pracht alter Filmpaläste und Kinos. Allerdings werden hier eine Menge Fässer aufgemacht: Rassismus, psychische Erkrankung, Liebe mit großem Altersunterschied. Und das alles fügt sich nicht so vollständing zu einem stimmigen Ganzen, da die Themen alle nicht ausreichend behandelt werden können. Trotzdem ein toller und schöner Film mit hervorragenden Darsteller*innen (allen voran Olivia Coleman und Micheal Ward). Und das Kino sieht echt klasse aus. Auch wenn der Film die Magie des Kinos nicht so ganz einfangen kann. so halb ist doch auch okay.

Disney+

Das Schwert der gelben Tigerin

Mit den Kung-Fu-Filmen der Shaw Brothers bin ich aufgewachsen, habe viele davon gesehen, teils sogar im Kino, aufgrund der oft austauschbaren Titel kann ich mich aber an viele nicht mehr erinnern. Den hier habe ich aber definitiv noch nicht gesehen.

Die gelbe Tigerin ist im Film übrigens eine goldene Schwalbe und wird von Hongkongfilmlegende Cheng Pei-pei toll gespielt. Der internationale Titel lautet Come Drink With Me, was dem chinesischen Original Dàzuì Xiá näher kommt. Das bedeutet so viel wie »betrunkener ritterlicher Held« und dürfte eine humorvolle Anspielung auf den Begriff Wuxia selbst sein, denn das heißt grob übersetzt »im Wushu bewanderte ritterliche Helden“.

Und so bietet der Film eine Mischung aus teils brutaler Kampfkunst und humorvollen Einlagen, wenn unser zweiter Protagonist, der betrunkene Held ins Spiel kommt. Der Film ist von 1966 und dementsprechend sehen die Kampfszene teils recht putzig aus, sind insgesamt aber toll in beeindruckenden Settings inszeniert. Hat Spaß gemacht.

Ach ja, geht darum, dass die Heldin ihren Bruder aus den Fängen einer mächtigen Gaunerbande befreien will.

Gibt es mit 13 anderen Filmen der Shaw Brothers auf Mubi (bei Prime gibt es noch einige andere).

Youtube

Mark Kermode reviews Scala!!!

Ausnahmsweise mal eine Filmbesprechung, und zwar die von Mark Kermode zur Dokumentation Scala!!! Über den gleichnamigen subversiven Londoner Filmklub, der sich gerne über die Regeln hinweggesetzt hat und eine ziemlich tolle Institution gewesen sein muss.

Trailer

Scala!!!

Und hier der Trailer zu Scala!!! Ich hoffe, dass Mubi oder Arte sich erbarmen, die Doku zu zeigen.

Fun Fact

So blond war ich einmal

Nahaufnahme von mir als Grundschulkind auf dem Steg vor einem Teich hockend. Die Haare hellblond.

Jahresrückblick

Einen ausführlichen Jahresrückblick erspare ich mir und euch. Beruflich war 2023 für mich ein gutes Jahr. Privat eher Bescheiden, da mein Vater im Sommer überraschend verstorben ist. Und global gesehen natürlich völlig beschissen. Darauf muss ich ja hier nicht weiter eingehen. Vor allem angesichts der Gewissheit, dass die Krisen in den nächsten Jahren nur noch zunehmen werden und der Abschluss eines miesen Jahres keine Hoffnung mehr auf ein besseres mit sich bringt.

Links steh ich in gelbem T-Shirt und kurzer Hose, rechts mein Vater mit karriertem Hemd, Dreiviertelhose und Schirmmütze. Zwischen uns ist im Hintergrund eine lange Hängebrücke aus Stahl über einem grünen Tal zu sehen.

Hier stehe ich mit meinem Vater vor der Geierlay, das Foto hat meine Mutter gemacht. Wir sind immer gerne Wandern gewesen.

Ein paar private Highlights gab es aber schon. Erstmals seit Beginn der Pandemie bin ich wieder verreist und überhaupt unter Leute gegangen. Ich war in Berlin und habe erstmals seit 2020 wieder alte Freunde getroffen. Auf der Buchmesse und dem BuCon war ich ebenfalls, wo ich viele Freunde und Bekannte nach langer Zeit wiedertraf und tolle Gespräche führte. Und ich bin erstaunt, dass ich mich bei dem Ganzen immer noch nicht mit Corona angesteckt habe. Auch im Kino war ich erstmals seit Januar 2020 wieder. Ansonsten habe ich meine Leidenschaft fürs Schwimmen wiederentdeckt.

Japanisch lernen geht recht langsam (aber stetig) voran, sodass ich meine Reise nach Japan für 2025 plane. Immerhin, bei jedem neuen Film, jeder neuen Serienfolge auf Japanisch verstehe ich ein, zwei Worte mehr. Doch es ist noch ein langer Weg, der aber trotzdem Spaß macht.

Ausblick

Mein Job bei Tor Online geht so weiter, wie in diesem Jahr. Was Übersetzungen angeht, habe ich noch alle Kapazitäten für 2024 frei. Bloggen werde ich erstmal weiter wie bisher. Im Januar geht es mit dem Japanuary los (genauere Infos hier), da werde ich acht japanische Filme besprechen.

An dieser Stelle möchte ich mich bei euch dafür bedanken, dass ihr hier fleißig mitlest. Und ich wünsche euch einen guten Rutsch ins neue Jahr und eine gesundes, friedliches und erfolgreiches 2024!

Meine Woche 26.11.2023: Echt, Konzernschriftsteller und der Tod des Kinos

In der aktuellen Ausgabe stelle ich das beeindruckende Sachbuch Killers of the Flower Moon vor, empfehle eine Doku über eine Band, mit deren Musik man mich damals hätte jagen können, gehe der Frage nach, wer das Kino ermordet hat und empfehle unter anderem den Anime Suzume.

Die Woche

Die Woche verlief nicht ganz so gewöhnlich wie sonst, da ich am Mittwoch jemanden zu einer ambulanten Zahn-OP unter Vollnarkose fahren musste. Hat dann von 8.00 bis 15.00 Uhr gedauert und mich einen Arbeitstag gekostet. Was aber nicht schlimm war, da ich am Dienstag vorgearbeitet habe. Überrascht hat mich, dass in der zahnchirurgischen Praxis überall Cola rumstand. Das ist für die Patient*innen gedacht, damit der Kreislauf nach der Narkose wieder in Gang kommt. Habe in der Wartezeit immerhin viel gelesen bekommen. Wenn ich ein gutes Buch (E-Book) dabei habe, in dem ich ganz versinke, machen mir lange Wartezeiten nichts aus.

Worüber ich mich freue

Das neue Bild meiner Mutter, das in der Küche hängt. Ist mit der gleichen Technik entstanden wie das aus der letzten Woche.

Artikel

Über Konzernschriftsteller und die Veränderung der Buchbranche

Ein interessantes Interview mit Dan Sinykin in der FAZ zu dessen Buch Big Fiction, vor allem über die Frage, wie der Aufkauf traditioneller unabhängiger Verlage durch Konzerne die Literatur und das Schreiben großer Schriftsteller*innen verändert hat. Dürfte auch für Deutschland gelten, soweit ich das aus der Literaturbranche mitbekomme. Ich arbeite ja auch für so einen Traditionsverlag, der inzwischen zu einem riesigen Konzern gehört.

The Strange $55 Million Saga of a Netflix Series You’ll Never See

Bisher dachte ich, bei Netflix würden halbwegs kluge Köpfe sitzen, also dort, wo die Entscheidungen über Geld und Projekte getroffen werden. Doch die Geschichte von Carl Erik Rinsch und seinem Projekt Conquest – die fast zu gut ist, um wahr zu sein – bringt diesen Glauben ins wanken. John Carreyrou hat sie für die New York Times niedergeschrieben. 55 Millionen Dollar hat Netflix hier verbrannt, aber wie das abgelaufen ist, ist schon mehr als kurios.

Meine Lektüre

Killers of the Flower Moon | David Grann

Kindle-Cover des Buch "Killers of the Flower Moon" mit dem Filmposter als Titelbild. Die linke Bildschimrhälfte zeigt Leonardo Di Caprio, die rechte den Buchtitel und Blurbs.

Die Sachbuchvorlage zum aktuellen Film von Martin Scorsese, die ich gelesen habe, weil ich hörte, der Film soll die Hintergründe zu diesen teuflischen Verbrechen nur sehr unzureichend beleuchten. Es geht darum, wie die Osage in Oklahoma – nachdem Öl auf ihrem Land gefunden wurde, was ihnen Reichtum brachte – Ziel weißer Golddigger wurden, die sie geheiratet und dann nach und nach umgebracht haben. Mal mit einer Kugel in den Kopf, oft aber auch durch Vergiften. Es waren weiße Männer wie Frauen, die mordeten; innerhalb eines Jahrzehnts, das als Reign of Terror bekannt war, starben mehrere Dutzend Osage unter verdächtigen Umständen, viele der Morde wurden nie aufgeklärt.

Das Buch liefert die Hintergründe dazu, wie die Osage in diese Lage geraten sind. Erst wurden sie von ihrem Land vertrieben, dort wo sie ansiedeln sollten, wurde Öl gefunden, doch diesen Reichtum wollte ihnen das weiße Amerika nicht gönnen, weshalb viele von ihnen unter weiße Vormundschaft gestellt wurden, bei der sie praktisch um jeden Cent betteln mussten. Und viele der Osage, die unter einer solchen Betreuung standen, starben auf unnatürliche Weise. Es wurde ein perfides System zu deren Ausbeutung entwickelt, an dem Richter, Ärzte, Banker, Geschäftsmänner, Senatoren, Gouverneure usw. beteiligt waren.

Das Buch beginnt mit dem Mord an Anna Brown, der Schwester der Osage Molly Burkhart (Lily Gladstone), die wiederum mit Ernest Burkhart (Leonardo Di Caprio) verheiratet war, dem Neffen von William Hale (Robert De Niro), dem Schlimmsten und Mächtigsten aller weißen Verbrecher während des Reign of Terror. Zunächst werden die erfolglosen Ermittlungen mehrere Privatdetekteien geschildert, die Untätigkeit der lokalen Behörden, bis das FBI (das damals noch nicht so hieß) in Gestalt von Tom White (Jesse Plemons) auf den Plan trat. White ist einer der wenigen anständigen weißen Protagonisten in dieser Geschichte.

David Grann geht aber noch weiter, nachdem die Geschichte von White, Hale und Moly Burkhart erzählt ist, forscht er vor Ort bei den Nachkommen der Familien nach, wie viele ungeklärte Todesfälle es noch gab und deckt ein Ausmaß an niederträchtigen Verbrechen auf, das einem den Atem verschlägt.

Den Film habe ich noch nicht gesehen. Ich warte, bis er bei AppleTV verfügbar ist. Eigentlich wollte ich das Buch ausführlicher besprechen, weiß aber nicht, ob ich das noch schaffe. Es ist auf jeden Fall ein großartiges und wichtiges Sachbuch, das ein Stück amerikanische Geschichte erzählt, das die meisten Amerikaner*innen wohl lieber unter den Teppich kehren würden.

Japan für die Hostentasche: Was Reiseführer verschweigen | Francoise Hauser

Taschen-Ausgabe von "Japan für die Hosentasche". Das Titelbild zeigt im greiß angeordnete Piktogramme mit japanischen Motiven (wie den Fuji, Samurai, Sumoringer, Geisha usw.).

Als ich das Buch geschenkt bekommen habe (nochmals Danke Andy!), habe ich mich natürlich gefreut, dachte aber trotzdem: Na, ob das mir noch was Neues erzählen kann? Gerade auch wegen des reißerischen Untertitels, der direkt aus einer Google-AdSense-Werbung stammen könnte. Hatte dann aber doch so einiges Interessantes zu bieten, an kleinen Fakten über Japan, die mir bisher noch nicht bekannt waren, das alles in einem lockeren, humorvollen Tonfall präsentiert, ohne sich über vermeindliche Verschrobenheiten der Japaner*innen lustig zu machen, wie es viele andere ähnliche Bücher tun.

Filme

Suzume (すずめの戸締まり)

Mal wieder ein richtig schöner Film von Makoto Shinkai, der, obwohl es hier unter anderem um einen jungen Mann geht, der in einen dreibeinigen Stuhl verwandelt wird, ein ernstes Thema behandelt. Für manche, die das Tōhoku-Erdbeben 2011 erlebt haben, kein einfacher Film. Es geht um die Schülerin Suzume, die einen Studenten kennenlernt, der magische Türen verschließt, um Katastrophen zu verhindern. Dadurch entwickelt sich ein toller Roadtrip, der auch eine Reise in ihre tragische Vergangenheit ist.

Gibt es bei Crunchyroll

Mission Impossible: Dead Reckoning

Die Reihe ist für mich immer noch der bessere Bond, doch nach dem starken Fallout ist sie für mich zusammen mit den Figuren auserzählt. Der Film ist immer noch nett anzusehen, aber nur noch eine Variation von schon dagewesenen Motiven und Themen. Hier wird der MI-Baukasten einfach um ein paar spektakuläre Stunts herumgebaut, die Cruise wohl noch machen möchte, bevor er den Rollator auspacken muss. Und eigentlich geht es nur um den Motoradfallschirmsprung, der im Making-Off (also real ohne Effekte) viel beeindruckender aussah. Ansonsten die üblichen Kämpfe und Verfolgungsjagden, die zusammen mit den Erklärbärszenen und den Quasselstunden einzeln viel zu lang geraten sind, was den Film auch viel zu lang macht. Und die Zug-Kletterszene am Ende ist ja mal 1:1 aus Uncharted geklaut (also dem Spiel, nicht der Verfilmung) Hätte nichts dagegen, wenn die Reihe hiermit enden würde. Aber einen Teil wird es ja noch geben.

Passages

Mit Franz Rogowski, Ben Wishaw und Adèle Exarchopoulos, über einen deutschen Regisseur, der mit einem Engländer in Paris verheiratet lebt und sich mit einer französischen Lehrerin einlässt, was zu einer komplizierten Dreiecksbeziehung führt. Mein Problem mit dem Film ist, dass der Protagonist ein totaler Unsympath ist, eine Art narzisstischer Emitionsvampir, der die Emotionen seiner Partner*innen aussaugt und davon lebt, ohne sich über deren Befinden Gedanken zu machen. Das ist natürlich der Kern des Film, aber hat mir deswegen und auch, weil die beiden anderen Figuren deutlich zu kurz kamen, nicht so wirklich Spaß gemacht, obwohl es ein ganz guter Film ist.

Mubi

Die Reise nach Tokio (Tōkyō monogatari)

Der wohl bekannteste Film von Yasujirō Ozu, über ein älteres Ehepaar, das die erwachsenen Kinder in Tokyo besucht und feststellen muss, dass die alle ihr eigenes Leben führen, in das der Besuch so gar nicht reinpasst. Meditativer Film über Familie und die Abnabelung der Kinder.

Arte Mediathek

Fallen Angels (Duòluò Tiānsh)

Das war der erste Film, den ich je von Wong Kar-Wai gesehen habe, 1996 muss das gewesen sein, als er auf Premiere im PayTV lief. Und ich war ganz hin und weg von diesen hypnotischen Kameraeinstellungen, den delierenden, fieberhaften Fahrten durch Hongkongs enge Straßen, dem stets etwas schrägen Bild und der verzerrten Optik. Eine richtige Geschichte erzählt der Film nicht, und das ist auch gut so, den umso stärker wirken Atmosphäre und Stimmungen der einzelnen Episoden und Figuren. Für mich auch heute noch der schönste Film Wongs. Nicht der eleganteste, das ist In the Mood for Love, aber der schönste.

Youtube

Searching for Fallen Angels‘ Lost Lens

Und hier ein sehr gutes Video dazu, wie die besondere Optik in Fallen Angels mit einer ultraweiten Linse von Kameramann Christopher Doyle erzeugt wurde.

Senpai in Japan: HONG KONG hat mich UMGEHAUEN….

Durchs Kino (John Woo, Wong Kar-Wai, Tsui Hark, Fruit Chan, Ann Hui) bin ich Hongkong-Fan aus der Ferne geworden, war aber leider noch nie dort. Lese auch gerne Bücher zur Stadt (siehe hier) und lasse mir keine Doku und kein Video über Hongkong entgehen. Seit den Protesten und der chinesischen Oppression ist die Stadt nicht mehr, was sie mal war, aber die Kulisse ist immer noch beeindruckend. So wie hier im Reisevideo von Senpai, der die Stadt mit einer befreundeten Hongkongerin besichtigt.

Who Murdered Cinema

Ist ein von Patrick (H) Willems als True-Crime-Ermittlung inszenierter Video-Essay über die Frage, wer das Kino auf dem Gewissen hat. Zunächst erklärt er uns, wie sich das Kino in den letzten Jahrzehnten verändert hat und warum Dramen mit mittlerem Budget, die einst an der Spitze der Jahreskinocharts standen, Filme wie Rain Man oder Kramer vs. Kramer, heute nur noch unter Ausschluss der Öffentlichkeit auf Streaming-Diensten laufen oder gar nicht mehr produziert werden, während die erfolgreichsten Filme nur noch Fortsetzungen und Franchises sind. Und warum deren Erfolgsformel inzwischen auch nicht mehr so zieht. Dann präsentiert er uns die üblichen Verdächtigen, wie Netflix, Studiobosse und Roger Rabbit und geht dann darauf ein, wie das Kino vielleicht noch zu retten ist.

Schön finde ich, wie er erklärt, wie der hochprofitable Heimkinomarkt (DVD/Blu-Ray) vom Streaming zerstört wurde, das sich bis heute als defizitär erwiesen hat.

Wirklich neue Erkenntnisse oder Gedankengänge hat das Video nicht zu bieten, fasst alles aber kompakt zusammen, auch wenn es etwas zu lang geraten ist und zu viel Schnurrbärte enthält.

The Golden Age of Japanese Cinema

Ein Videoessay von The Cinema Cartography, der gut herausarbeitet, was das sogenannte Golden Age des japanischen Kinos, also die 1950er, ausmacht, aber auch verdeutlicht, dass es schon in den Jahrzehnten davor eine lebendige Filmlandschaft in Japan gab. Mir war nicht bewusst, wie massiv die Zensur der USA nach Ende des 2. Weltkriegs für japanische Filmschaffende war. Der Berg Fuji durfte nicht dargestellt, werden. Keine Katanas, keine Verbeugungen.

Warum Filmtrailer immer schlechter werden

David Hain spricht mir aus dem Herzen, was aktuelle Filmtrailer angeht. Die sind kaum noch zu ertragen. Hain erklärt gut an Beispielen, was daran alles nervt.

Dokus

Echt – Unsere Jugend

Die Musik von Echt galt damals bei mir und in meinem Umfeld als die personifizierte Uncoolness, ich meine, die sind im ZDF-Fernsehgarten aufgetreten, der gerontokratischen Vorhölle des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Außerdem waren sie drei, vier Jahre jünger, und welcher Jugendlicher mag schon, was jüngere so machen. Dass ihnen damals solch massiver Hass entgegengeschlagen ist, war mir allerdings entgangen. Ab dem zweiten Album fand ich die Musik auch ganz okay und dachte bei manchen Songs: Gar nicht so schlecht.

Die Band hat sich nach vier Jahren aufgelöst. Während dieser Zeit sind zahllosen Stunden an Videomaterial entstanden, und daraus hat Sänger Kim Frank jetzt eine dreiteilige Doku-Serie gemacht, die Aufstieg und Fall der Band dokumentiert. Die Ereignisse kommentiert und reflektiert er selbst aus dem Off, teils ziemlich persönlich. Und so entsteht ein intimes Porträt, das sehr vielschichtig daherkommt und mir richtig gut gefallen hat. Faszinierend finde ich, dass die Band aus fünf Jugendfreunden bestand, trotzdem nur vier Jahre hielt, die Mitglieder aber heute noch Freunde sind.

ARD-Mediathek

Serien

Ich habe keine Serie beendet, die ich hier jetzt vorstellen könnte. Aber ich bin einiges am schauen und komme gar nicht hinterher mit den interessanten Sachen. Viele beschweren sich, dass Netflix nichts Gutes mehr bringen würde, was ich anders sehen. Momentan stauen sich bei mir die aktuellen Staffeln von The Witcher, Sex Education, One Piece, Bodies, Blue Eyed Samurai, Wrestlers sowie Ishiko and Haneo. Es gibt dort immer noch genügend neue Serien, dass ich nicht in Versuchung komme, mein Abo zu kündigen. Würde ich auch schon allein wegen der vielen nicht-englischsprachigen und vor allem japanischen Serien nicht machen.

Meine Woche 26.03.2023: Pornhub, Pogues und Aldo Moro

Musik gibt es von Meg Meyers mit ihrem neuen Album TZIA und dem Wasia Project. Dokus zu Pornhub und Shane MacGowan von den Pogues. Eine grandiose Serie zur Entführung von Aldo Moro, eine mitreißende zum Buch Daisy Jones and the Six. Das Hörspiel Mia Insomnia. Und als Filmtipp Das Bankett des Kaisers von Tsui Hark.

Musik

Meg Meyers – TZIA

Die Musik von Meg Meyers mag ich schon seit Desire und Monster. Erinnert mich an die junge Fiona Apple und PJ Harvey, hat aber trotzdem ihren eigenen Stil abseits des Mainstreams. Weshalb sie wohl auch nie den großen Durchbruch hatte. Dafür ist ihre Musik zu abgründig, ihr Auftreten zu eigenwillig. Genau so, wie ich es mag.

Letzten Freitag ist ihr neues Album TZIA erschienen. Das kommt musikalisch ziemlich heavy daher, mit relativ viel Elektronik, aber auch schweren Gitarren. Nach erstem Hören gefällt es mir richtig gut.

Wasia Project

Netter Song mit schönem Video. Hat mir der Youtube-Algorithmus diese Woche in die Timeline gespült.

Dokus

Money Shot: The Pornhub Story

Über die Geschichte des Streamingportals Pornhub. Die Doku lässt viele Seiten zu Wort kommen, Gegner von Pornografie und solchen Internetseiten, ebenso wie Sexperfome*rinnen, Darsteller’innen, Journalist’innen und ehemalige Mitarbeiter’innen. Dramaturgisch ist sie ganz geschickt aufgebaut. So hören wir eine ganze Weile vernünftig klingende Argumentationen von Aktivist*innen, die gegen Menschenhandel, Ausbeutung und Kinderpornografie mobil machen, bei denen sich dann aber herausstellt, dass die evangelikale Rechte dahinter steckt, die diese Themen nur als Trittbrett und PR für ihren Kreuzzug gegen die körperliche Autonomie von Frauen sowie LGBTQ+ und trans Menschen missbraucht.

Keine Frage, Pornhub hatte über viele Jahre ein großes Problem mit Kinderpornografie, Vergewaltigungsvideos, Revenge-Porn und Raubkopien. Hat dass alles zugelassen, weil es mehr Traffic und damit Profit brachte, und erst nachgegeben und alles, was nicht verifiziert ist, von der Plattform geschmissen, als der Druck zu groß wurden. Sie sind aber auch eine Plattform, die Sexarbeiter’innen und Perfomer’innen ein regelmäßiges Einkommen und Sicherheit am Arbeitsplatz ermöglicht.

Nichtsdestotrotz steckt hinter Pornhub der überaus zwielichtige und fragwürdige Konzern Mindgeek, dem fast alle Porno-Tube-Plattformen gehören, auf denen der oben beanstandete Contend weiter verfügbar ist.

Wer Pornografie mit gutem Gewissen konsumieren möchte, sollte lieber zu seriösen Plattformen mit ethisch einwandfreiem Geschäftsmodell gehen, wie z.B. die Produktionen von Erika Lust. Onlyfans scheint mir auch ein ganz guter Weg zu sein, von dem vor allem die Performer’innen selbst profitieren. Wir als Konsument’innen sollten darauf achten, keine Produktionen zu unterstützen, die junge Frauen ausbeuten und zu Sachen zwingen oder drängen, die sie nicht machen möchten.

Der Umgang mit Pornografie (und Sexualität) ist auch ein Gradmesser für die Demokratie. Je repressiver und restriktiver Staat und Gesetze gegenüber der Pornografie werden, und damit vor allem gegenüber den Frauen, die in der Industrie arbeiten, desto schlechter ist es meist um die Demokratie und die Freiheit der Gesellschaft bestellt. Pornografie kann Ausbeutung von Frauen und Ausdruck von Misogynie sein, der Kampf gegen Pornografie ist aber meist auch ein Kampf gegen den weiblichen Körper, sexuelle Selbstbestimmung, andere Lebenweisen und die trans und LGBTQ+-Community.

Die Doku gibt es bei Netflix.

Crock of Gold: A Few Rounds with Shane MacGowan

Eine faszinierende Doku über einen Musiker, der mir mit seiner Band The Pogues zwar namentlich ein Begriff war, und von denen ich sicher schon mal Songs gehört habe, die trotzdem weitgehend an meinem Radar vorbeigegangen sind. Die Doku geht erstaunlich lange auf seine Kindheit ein und erzählt nicht nur seine Biografie, sondern teils auch eine musikalische Geschichte Irlands.

MacGowan selbst ist inzwischen körperlich ein Wrack. In einem Interview-Strang sitzt er mit Gerry Adams zusammen, der zehn Jahre älter ist, aber zehn Jahre jünger wirkt. Selbst MacGowans Vater wirkt mit über 80 noch fitter. Durch seine Nähe zur IRA ist MacGowan durchaus eine kontroverse Figure, seine Musik und die Texte sind aber unbestritten großartig. Mit ihrer wilden Mischung aus Irish Punk Folk haben die Pogues etwas ganz Eigenes erschaffen.

Die Doku konzentriert sich aber voll auf Shane MacGowan, aus der Band kommt niemand zu Wort, es geht auch nicht darum, wie sich die Musiker*innen kennengelernt haben, wie sie zusammengearbeitet haben usw. Es geht nur um MacGowan.

Die Doku gibt es noch bis zum 7. Juni in der Arte-Mediathek.

Serien

Und draußen die Nacht (Esterno notte)

Grandios inszenierte Serie über die Entführung und Ermordung des ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Aldo Moro durch die Terroristen der Brigate Rosse, erzählt aus fünf verschiedenen Perspektiven in sechs Folgen, von der jede für sich ein kleines Kunstwerk ist. Geht es um Politiker – zu denen ich auch den Papst zähle – wie den Innenminister, schlägt die Serie schon leicht parodistische Züge an, wahrt dabei aber immer ein Gefühl der Bedrohlichkeit. Geht es um Moros Frau, bleibt der Tonfall ernst und empathisch. Auch bei der Terroristen wird auf Ironie verzichtet. Aldo Moro ist der einzige Politiker, der nicht mit karikaturistischen Elementen porträtiert wird. Bewundernswert ist auch der Stilwille von Regisseur Marco Bellocchio, der die gesamte Serie konstant in eleganten Bildern und mit sicherer Hand durchzieht, wie es keine deutsche Serie hinbekommen würde. Zu meinem eigenen Erstaunen hat mir die Folge mit dem Papst am besten gefallen.

Dort wo die Fakten bekannt sind, hält sich die Serie an die realen Ereignisse, die Lücken werden mit eigenen Spekulationen und Interpretationen gefüllt. Atmosphärisch ist die Serie unheimlich dicht und vermittelt ein packendes und authentisches Bild vom politischen Klima im Italien des Jahres 1978.

Die Serie ist thematisch schwere Kost, kommt sehr bedeutungsschwanger und mit viel Symbolik daher, ist aber trotzdem sehr leichtfüßig inszeniert.

Und draußen die Nacht ist noch bis Juli 2023 in der Arte-Mediathek verfügbar, OmU leider wieder mal nur fürs französische Publikum, die deutsche Synchro ist aber ausgezeichnet. Normalerweise schaue ich keine Serien, ohne Originaltonspur und Untertiteln, aber die hier konnte ich mir einfach nicht entgehen lassen.

Daisy Jones and the Six

Objektiv betrachtet ist Und draußen die Nacht natürlich die bessere Serie, aber sie hat mich vor allem auf einer intellektuellen Ebene angesprochen, während Daisy Jones mich emotional mitgerissen hat, vor allem in der letzten Folge. Das ist über weite Strecken eine lockere Serie über den Aufstieg und Fall einer fiktiven Rockband aus den 70ern, lose angelehnt an die Geschichte von Fleetwood Mac und Stevie Nicks. Die Vorlage von Taylor Jenkins Reid ist als Interviewbuch angelegt, in der Serienadaption tritt das dezent in den Hintergrund. Die Leute geben immer noch ihre Kommentare ab, aber 90% der Zeit sind wir in der Vergangenheit bei der Band. Die Interviewstruktur ist trotzdem wichtig, vor allem für die letzte Folge, die mich, obwohl ich die Buchvorlage kenne und obwohl sie etwas kitschig ist, trotzdem sehr bewegt hat.

Gibt es bei Prime.

Extrapolations

Von dieser AppleTV+-Serie habe ich bisher nur die erste Folge gesehen und verweise deswegen auf die sehr ausführliche und sehr gut begründete Kritik Pathos Porn About Climate Change von Aaron Bady im Los Angeles Review of Books, der gut erklärt, warum das eine Serie von reichen Amerikanern über reiche Amerikaner ist, die in relativ bequemer Lage über ihr schlechtes Gewissen bezüglich des Klimawandels sinnieren. A show about »rich people’s feelings«.

Filme

Das Bankett des Kaisers (īnyù mǎntáng)

Über einen, vom stets wunderbaren (und viel zu früh verstorbenen) Leslie Cheung gespielten, Bandenboss, der zum Küchenlehrling umsattelt, weil er zu seiner Freundin nach Kanada ziehen will. Dabei verliebt er sich aber in die Tochter des Küchenchefs und muss mit ihr das Restaurant des Vaters bei einem Kochwettbewerb retten, der Das Bankett des Kaisers heißt.

Im Prinzip ein klassischer Hongkong-Martial-Arts-Film von Tsui Hark, in dem zwei verfeindete Kampfkunstschulen gegeneinander antreten. Zunächst muss ein legendärer Meister gefunden werden, der dem Alkohol verfallen ist, dann gibt es eine originelle Trainingsmontage als finale Vorbereitung. Nur wird hier nicht gekämpft, sondern gekocht. Die Schurken heißen die Superprofis und die drei Gerichte beim finalen Kochduell sind herrlich abstrus (zumindest hoffe ich das). Viel Slapstick, reichlich durchgeknallter Humor – ein großer Quatsch, der Spaß macht, von PETA aber sicher keine Gütesiegel erhält. Ich sage nur Bärentatze im Schnee, Elefantenrüssel in Vogelnestern gegart und Affenhirn auf …

Den Film gibt es noch bis zum 15.08 in der Arte-Mediathek.

Like Father, Like Son (Soshite Chichi ni Naru)

Um diesen Film von Hirokazu Koreeda habe ich mich lange gedrückt, da mich Geschichten über Familien, deren Babys im Krankenhaus vertauscht werden, so gar nicht ansprechen. Doch jetzt, wo es den Film bei Mubi gibt, konnte ich doch nicht widerstehen. Natürlich geht es um eine wohlhabendere Familie mit einem ambitionierten Architekten als Vater, der seinen Sohn leistungsbewusst erziehen möchte, und eine Familie, die eher so in den Tag lebt, gerne Spaß zusammen hat, mit einem von Lily Frank, in einer seiner typischen Rollen, gespielten Vater,

Ein sehr bewegender Film über das, was Familie ausmacht.

Lektüre

Bullet Train | Kōtarō Isaka

Auf meiner Seite lesenswelt.de bespreche ich den Roman Bullet Train von Kōtarō Isaka, gehe aber auch kurz auf die Verfilmung ein und erkläre, warum ich sie für wenig gelungen halte.

Hörspiel

Mia Insomnia

Zehnteilige Hörspielserie über eine Podcasterin, die herausfinden möchte, warum außer ihr niemand eine bestimmte Folge ihres Lieblingshörspiels Geisterjagd kennt. Selbst der Hauptsprecher und die Produzentin nicht. Also begibt sie sich auf eine Reise in ihre Kindheit, zu dem Ferienhaus, wo sie die letzten schönen Tage mit ihrem Vater verbracht hat. Und kommt einem unglaublichen Geheimnis auf die Spur.

Als Kassettenkind und Fan der drei Fragezeichen hat mich die Prämisse sofort angesprochen. Hier wird die Liebe zu Hörspielkassetten mit dem aktuellen Trend zu Podcasts verbunden. Wir sind hautnah mit dabei, wenn sich Mia auf ihre Reis ins Ungewisse begibt. Erstaunt hat mich, wie schnell die Geschichte ins Phantastische umschlägt, das kam etwas sehr plötzlich. Da hätte ich mir noch etwas mehr Recherche-Zeit im Voraus gewünscht. Doch die phantastischen Elemente werden mit einigen schönen überraschenden Wendungen sehr gut und stimmungsvoll genutzt. Hat mir richtig Spaß gemacht, auch wenn sich über das Ende streiten lässt.

Gibt es in der ARD-Audiothek.

Abschlussbemerkung

Die Besprechungen hier sind alle relativ kurz und oberflächlich. Das liegt einfach daran, dass ich nicht dafür bezahlt werde, sie zu schreiben. Ich mach das alles in meiner Freizeit, zum Spaß, da kann ich es mir nicht leisten, noch mehr Zeit zu investieren. Und es geht ja vor allem darum, euch Tipps für Filme, Musik, Serie, Dokus, Bücher, Hörspiele, Artikel, Youtubevideos zu geben. Da reicht es, die Sachen kurz anzuteasern und meine kurze Einschätzung abzugeben.

Meine Woche 05.03.2023: Wildes Tokio, Hongkong-Kino und künstliche Intelligenz

Mein Schwerpunkt liegt heute auf Filmen aus Hongkong von Johnnie To, Tsui Hark und Wong Kar-Wai, sowie einem ganz tollen aus Japan. Es geht darum, wie KI das Kino und unser Leben verändern wird. Und warum ich Bücher mehr als einmal lese. Dazu Dokus, Serien und Hörspiele.

Was für eine Woche. Der Iran vergiftet seine Kinder, die SPD möchte in Berlin unter einem Rechtsaußen der CDU mitregieren und ist jetzt auch bei Taliban-Vergleichen angekommen, wenn es um die Protestaktionen junger Klimaaktivist*innen geht. Die Verbalradikalisierung des politischen und journalistischen Establishment gegen junge Menschen, die sich außerhalb der für sie zugewiesenen Gehege politisch engagieren, nimmt bedenklich und demokratiezersetzende Züge an. Im Iran können wir sehen, wo solche Worte irgendwann hinführen. Ich hoffe, mein Wochenrückblick hilft dabei, von dem ganzen Scheiß ein wenig abzulenken.

Artikel

Read it again! Bücher noch einmal lesen?

Es gibt ja Menschen, die lesen kein Buch zweimal, weil es noch so viele interessante ungelesenen Bücher gibt. Ich gehöre nicht dazu. Nach 15 bis 20 Jahren lese ich Bücher, die mir richtig gut gefallen haben, gerne ein zweites Mal. Einige meiner Lieblingsbücher habe ich auch schon mehrfach gelesen. Denn es ist nicht das gleiche Buch, dass ich beim zweiten Mal lese, da ich nicht derselbe Mensch bin. Ich habe neues Wissen, neue Erfahrungen. Aber manchmal geht es mir auch einfach nur um Nostalgie. Für Teilzeithelden hat Marie Mönkemeyer einige Gründe für einen Reread aufgeführt.

Wo bleibt Ihr Aufruhr? – Sascha Lobo über künstliche Intelligenz

Ich persönlich gehe davon aus, dass meine Tätigkeit als Übersetzer irgendwann in den nächsten zehn Jahren weitgehend durch KI-Programme wie DeepL ersetzt wird. Vielleicht nicht bei anspruchsvoller Literatur, aber im Unterhaltungsbereich garantiert. Viele aus der Branche wiegeln noch ab, weil sie von dem Stand ausgehen, auf dem sich DeepL aktuell befindet, und bedenken nicht, dass die Fortschritte dieser KI-Programme exponentiell stattfinden und die Rechenleistung sich alle sechs Monate verdoppelt. Die professionellen Go-Spieler haben auch lange noch abgewiegelt, bis ihr Weltbild durch AlphaGo plötzlich erschüttert wurde.

Viele gehen auch davon aus, dass die meisten Menschen Kreativität und den menschlichen Faktor bei Texten und Kunstwerken zu sehr schätzen, um sich mit KI-Ergebnissen abspeisen zu lassen. Wenn ich mir aber ansehe, wie erfolgreich schlecht geschriebene und/oder schlecht übersetzte Bücher teilweise sind, ohne, dass der Mehrheit der Leserschaft das überhaupt auffällt, habe ich da wenig Hoffnung. Und viele Verlage kümmert es auch nicht, so lange es sich verkauft.

So viel zum Artikel von Sacha Lobo und meinen persönlichen Bezügen dazu. Ich denke, dazu werde ich irgendwann noch einen eigenen Blogbeitrag schreiben.

Youtube

Wie Künstliche Intelligenzen das Kino völlig verändern

Auch der Film-Youtuber David Hain hat sich diese Woche auf seinem Kanal Behaind mit dem Thema KI beschäftigt, und wie es das Filmemachen revolutioniert. Er stellt den Film Fall vor, bei dem Schimpfwörter nachträglich durch harmlosere Varianten ersetzt wurden. Damit das lippensynchron bleibt, wurde eine Software entwickelt, die die Lippenbewegungen an die neuen Wörter anpasst. Sowas wird in Zukunft auch bei Filmsynchronisationen in andere Sprachen eingesetzt werden. Eine Technologie, mit der man Menschen alle möglichen Aussagen in den Mund legen kann. Denn die Stimme lässt sich inzwischen auch deepfaken.

Aber das ist bei Hain nur die Einleitung, denn er geht auch der Frage nach, was in Zukunft noch auf uns zukommt. Wie er, sehe ich das größte Problem für originelles, kreatives Kino darin, dass der Erfolg eines Films inzwischen ziemlich genau berechnet werden kann, und die Studios nur noch solches immergleiches Zeug produzieren werden. Also noch mehr, als es ohnehin schon der Fall ist.

Serie

Skins UK

Erstmals seit ca. 2010 (damals auf Hulu) habe ich mir die ersten beiden Staffeln der britischen Serie Skins wieder angesehen. Insgesamt gibt es sieben, aber mehr habe ich nicht gesehen, da ab der dritten die Hauptfiguren wechseln – was aber durchaus verständlich ist, da ihre Geschichten auserzählt sind.

Ich kenne keine Serie, die das Gefühl der letzten Monate und Wochen vor dem Schulabschluss so gut einfängt, wie Skins. Dabei balanciert sie gekonnt zwischen großen Albernheiten und ernsten emotionalen Momenten. Allein die vorletzte Folge der 2. Staffel (mit Cassie in New York) ist ein kleines Meisterwerk.

Klar, eine Serie wie Euphoria erzählt heute noch mal auf einem ganz anderen Niveau, aber in ihr geht es auch um andere Themen. Bei Skins steht vor allem Freundschaft im Vordergrund, zwischen Sid und Tony, Jal und Michelle, Cassie und Chris. Anwar und Maxxie. Liebschaften natürlich auch sowie Trauer und Verlust. Abwesende Eltern sind ein Thema, Eltern, die sich nicht kümmern, nicht verstehen.

Vermutlich werde ich demnächst aber weiterschauen, denn Effi soll noch mit dabei sein, und die war in den ersten beiden Staffeln die coolste Sau von allen.

Gibt es auf Netflix.

Doku

Wildes Tokio

Eine 45-minütige Doku über die Fauna Tokyos. Wer glaubt, die Riesenmetropole würde nur aus Menschen, Stahl, Beton, Asphalt und bunten Lichtern bestehen, täuscht sich. Auch in Großstädten findet die Natur ihren Weg und Tiere ihre Nischen. Da ich kürzlich erst Pom Poko gesehen habe, hat es mich besonders gefreut, dass als erstes Tier der Marderhund seinen Auftritt hat, mit einer Schienenüberquerung, die auch aus dem Film stammen könnte. Ansonsten gibt es Krähen, die sich Nester aus Kleiderbügeln bauen, hungrige Haie in der Bucht von Tokyo um einen Unterwasserschrein, und Möwen, die auf Hochhausdächern brüten.
Ist in der ARD-Mediathek verfügbar.

Hörspiel

Die drei ??? Manuskript des Satans

Die Buchvorlage kenne ich nicht, aber das Hörspiel hat mir richtig gut gefallen. Einen so soliden klassischen ???-Fall hätte ich nicht mehr erwartet. Nur schade, dass das titelgebende Manuskript keine große Rolle spielt. Ansonsten gibt es unheimliche Vorgänge, einen grummelingen Auftraggeber und klassische Ermittlungsarbeit. Und Jürgen Thormann in der wichtigsten Nebenrolle, die er mit 95 Jahren! immer noch hervorragend meistert.

Filme

Hongkong

In den letzten zwei Jahren habe ich schon angefangen, eine DVD-Blu-ray-Sammlung von Filmen aus Hongkong anzulegen, da viele dieser Filme nicht im Streaming erhältlich sind, und wenn doch, dann nur mit deutscher Tonspur (siehe die Filme von Johnnie To). Von Wong Kar-Wai gibt es inzwischen tatsächlich fast alles in vernünftigen Versionen bei Streaming-Anbietern, aber bei John Woo, Fruit Chan und Ann Hui sieht es schlecht aus, weshalb ich mit dem Sammeln angefangen habe. Angeregt durch meine Sichtung von PTU auf Arte habe ich mir letzte Woche drei Filme von Johnnie To bestellt. Bis auf Mad Detective kannte ich die schon alle, die letzte Sichtung liegt aber schon sehr lange zurück.

DVD-Cover zu je drei Filmen in einer Reihe, von oben rechts: Exiled, Mad Detective, Breaking News, Bullet in the Head, Hard Boiled, A Better Tomorrow, Infernal Affairs, Made in Hong Kong, Tao Jie, Days of Being Wild, Chungking Express und In the Mood for Love.

Mad Detective ist für mich bisher Tos schwächster Film. Die Geschichte über den van Gogh unter Hongkongs Ermittlern ist eigentlich gar nicht so schlecht, auch wenn sie zwischendurch etwas wirr wirkt. Hier gibt es Anleihen an den Film Dämon mit Denzel Washington, kann unser Detective doch sehen, wenn Menschen von Dämonen besessen sind. Als er konsultiert wird, nach einem verschwundenen Polizisten zu suchen, eskaliert die Situation. Das Langweilige an dem Film ist die Art, wie er gefilmt ist. Ganz konventionell, ohne die Eleganz und Finesse, die es bei To sonst zu sehen gibt.

Ganz anders Breaking News, einer von Tos besten Filmen. Allein, wie die Schießerei am Anfang gefilmt ist, mit der Kamera, die die Straße hinauffährt, sich dreht und wieder hinunterfährt, bis sie sich in den Himmel hebt. Neben der reichhaltigen Action, ist der Film aber auch eine Kritik an den Medien und wie sie die Arbeit von Sicherheitsbehörden beeinflussen. Aus einer Zeit, in der es in Hongkong noch eine freie Presse gab.

Im Stream gesehen habe ich Happy Together, der einzige Film von Wong Kar-Wai, den ich bisher noch nicht kannte, obwohl ich ihn mir vor über 20 Jahren auf VHS aufgenommen habe. Das lag nicht unbedingt daran, dass mich damals Filme über Liebesbeziehungen zwischen Männern nicht interessiert haben, sondern eher, dass es ein Hongkong-Film ist, der in Argentinien spielt. Ich wollte eben Hongkong sehen und seine Atmosphäre. Der Film ist gut und ein Meilenstein des (asiatischen) Gay-Cinemas. Die beiden Hauptfiguren fand ich allerdings sehr unsympathisch und ihre Beziehung toxisch. Aber von Christopher Doyle in wirklich schönen Bildern gefilmt.

Die Sieben Schwerter von Tsui Hark ist ein ganz ordentlicher historischer Wuxia- bzw. Marrtial-Arts-Film, der zwar auf einer literarischen Vorlage basiert, aber doch stark an Die sieben Samurai erinnert, geht es doch um sieben Schwerkämpfer, die ein Dorf vor einer Armee aus Schurken beschützen müssen. Mit 147 Minuten hat er im Mittelteil ein paar Längen, da er aber ursprünglich auf vier Stunden ausgelegt war, geht durch die Kürzungen bei manchen Sachen das Verständnis verloren.

Ist noch bis zum 13.08.2023 in der Arte-Mediathek erhältlich.

Auf meiner Seite lesenswelt.de gibt es noch mehr zu Hongkong.

Mein Film der Woche kommt aber nicht aus Hongkong, sondern aus Japan:

Call Me Chihiro

Ein wunderbarer Slice-of-Life-Film über eine ehemalige Sexarbeiterin, die an einem Bento-Stand arbeitet, ihre Mitmenschen mit ihre Gutmütigkeit und Laune ermutigt und ermuntert, und so einen herzlichen Kosmos um sich herum schafft, in dem sich die Leute, die sich vorher nicht kannte, gegenseitig helfen.

Es gibt Kritiker, die schreiben, der Film würde weder showen noch tellen, es würde nichts passieren, aber das sind Leute, die – wie Wolfgang M. Schmitt wohl schreiben würde – nur schauen, aber nicht sehen. Denn es passiert eine Menge. Für uns Zuschauer*innen wirkt es wie Kleinigkeiten, doch für die Figuren sind das teils gravierende Veränderungen. Der Film ist eine Hommage an die Poesie des Alltags und zwischenmenschliche Beziehungen, die ohne große dramatische Momente auskommen. Ein heißer Kandidat für meinen Lieblingsfilm des Jahres.

Gibt es jetzt neu auf Netflix.

Japan Independent Cinema: 6 kostenlose Filme im Stream

Auf der Seite des JFF (Japanese Film Festival) können noch bis zum 15. März sechs japanische Independent-Filme kostenlos angesehen werden. Noch habe ich keinen davon gesehen, mir aber auf jeden Fall die beiden Dokus vorgenommen, und hoffentlich auch noch den Rest. An dieser Stelle möchte ich ein großes Lob an all die Filmfestivals aussprechen, die Filme, die in Deutschland teilweise wohl nie erscheinen werden, nicht nur vor Ort auf ihrem Festival im Kino zeigen, sondern sie seit der Pandemie auch online zugängliche machen. Das ist eine echte kulturelle Bereicherung.

Meine Woche 19.02.2023: Asian Americans, Hardy Boys und der Torture Club

Im Ausblick auf die heutige Ausgabe habe ich euch Schmuddelkram versprochen, und den bekommt ihr auch, doch vorher geht es ganz ernsthaft um die Geschichte der Asian Americans, die alten und neuen Hardy Boys, Michael Moorcocks Multiversum und als Genie-Kult verkleidete misogyne Gewalt.

Doku

Von Asien in die USA: Die Geschichte der Asian Americans

Während meiner Nordamerikastudien an der Freien Universität Berlin war Asian-American History so gut wie kein Thema. In einem Seminar haben wir Maxine Hong Kingston The Woman Warrior gelesen, das war es dann auch schon. Und es lag nicht daran, dass ich die falschen Seminare gewählt hatte. Afroamerikanische Geschichte kam etwas häufiger vor, Native American History auch so gut wie gar nicht (das sei was für die Etnologie hieß es). Mein Abschluss ist jetzt zehn Jahre her, ich weiß nicht, wie sehr sich dieser Studiengang bzw. der Fachbereich geändert hat, aber im Rückblick scheint mir die Amerikanistik in Deutschland ein erschreckend weißes Fach zu sein, dass vor allem das Narrativ des weißen Amerikas übernimmt.

In Die Geschichte der Asian Americans, die für mich mit die beste historische Dokuserie ist, die ich je gesehen habe, habe ich in Sachen Asian-Amercian Studies all das nachholen können, was in meinem Studium gefehlt hat. Auch wenn die Doku nur einen Überblick bietet, der Ansatzpunkt liefert, die Thematik zu vertiefen. Was sie so gut macht, ist, dass sie vor allem den Nachfahren und Überlebenden viel Raum gibt, ihre faszinierenden und bewegenden Familiengeschichten zu erzählen, ohne das dabei das große Ganze aus den Augen verloren wird. Denn viele dieser Nachfahren sind inzwischen selbst Experten auf dem Gebiet als Historiker*innen, Journalist*innen, Autor*innen, Bürgerrechtler*innen usw.

Die Serie deckt die Zeit von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit dem Bau der Eisenbahnstrecken ab, über den Chinese Exlucsion Act, Internierungslager für Japaner während des Zweiten Weltkriegs bis zur asiatisch-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Und geht auf die jüngsten Erfolge asiatisch stämmiger Amerikaner ein, aber auch Rückschläge, wie die von Paranoia getriebenen restriktiven Maßnahmen nach 9/11. Die Ausschreitungen in Los Angeles, nach dem Rodney-King-Urteil, in denen sich zeigte, wie die dominante weiße Machtgesellschaft geschickt die afroamerikanische Bevölkerung gegen die koreanische-amerikanische ausspielte (Divide and Conquer). Ca. 2.000 Geschäfte koreanisch stämmiger Menschen brannten ab oder wurden geplündert.

Hier kommen beeindruckende Menschen zu Wort, die von noch beeindruckenderen Menschen erzählen, kontroverse Figuren wie Buddy Uno, die zeigen, wie zerrissen viele von ihnen zwischen dem rassistischen Amerika, das aber doch Heimat ist, und ihrem Herkunftsland waren. Aber vor allem Leuchtfeuer wie Patsy Mink, der ersten Woman of Color im amerikanischen Kongress.

In der Doku geht es nicht nur um Immigrant*innen aus China und Japan, sondern auch Korea, Indien, Pakistan, den Philippinen und von den Hmong. Sie ist allerdings nur noch bis zum 28. Februar in der Artek-Mediathek.

Youtube

Die Werke und Welten von Michael Moorcock

Da ich mich momentan viel mit Elric beschäftige – im Herbst erscheint eine prächtige Gesamtausgabe bei Fischer Tor –, schaue ich mir auch einige Video zum Herrscher von Melniboné und Michael Moorcock selbst an. Kaum eine Fantasy-Saga hat mich so geprägt, nur Raymond Feists Midkemia habe ich als Jugendlicher noch früher gelesen, Der Herr der Ringe folgte erst ein Jahr später. Gerade lese ich Moorcocks aktuellen Elric-Roman The Citadel of Forgotten Myhts, über den ich berichten werde, wenn ich durch bin. Aus dem letzten Jahr gibt es ein schönes Interview von Forbidden Planet mit dem inzwischen 83 Jahre alten Moorcock.

Der Youtube-Kanal the library ladder, dem wir schon allein wegen seiner Stimme zuhören sollten, hat eine Reihe von exzellenten Videos zu Moorcocks Multiversum gemacht. In Teil 1 geht er sehr ausführlich auf jene Werke ein, die Moorcock beeinflusst haben, auf Moorcocks einflussreiches Wirken in den 60er- und 70ern (Stichwort New Worlds) und auf die Wurzeln des Eternal Champion. Und er ist erfrischend kritisch gegenüber Moorcocks Werk.

Artikel

Kunst als Machtmissbrauch

Zu den Aufregern der Woche gehört, dass ein Theaterchoreograf einer Kritikerin Hundekot ins Gesicht geschmiert hat. Was auf den ersten Blick noch lachhaft erscheint, ist ein Akt misogyner Gewalt eines in seiner Männlichkeit bedrohten älteren weißen Mannes gegenüber einer Frau, die ausschließlich Worte benutzt hat, um seine Arbeit zu kritisieren. Kunst, Kultur, Geniekult, da gibt es nichts zu entschuldigen. Für das Magazin 54 Books hat Johannes Franzen einen lesenswerten Artikel dazu und der allgemeinen Situation an deutschen Theatern geschrieben. Dabei geht er auch auf den in Theatern leider immer noch weit verbreiteten Rassismus und toxische Heldenverehrung ein. Mir persönlich ist die Theaterwelt ehrlich gesagt schon immer fremd gewesen.

Serie

The Hardy Boys

Was bei uns Die drei Fragezeichen, sind in den USA die Hardy Boys. Jahrelang ist mir der Name immer wieder begegnet, vor allem Stephen King erwähnt sie gerne in seinen (Coming-of-Age-)-Büchern, zuletzt waren sie Thema in der ersten Staffel von Only Murders in the Building. Auf Disney+ gibt es jetzt eine aktuelle Serien-Inkarnation der Buchreihe, die 1927 begann.

Frank und Joe Hardy sind die draufgängerischen Söhne eines Meisterermittlers. In den Büchern schon 18 und 17, während sie in der Serie 16 und deutlich jünger sind. Die Serie beginnt relativ brutal, erst werden mehrere Männer auf einem Boot ermordert, dann stirbt die Mutter der Hardys unter mysteriösen Umständen. Um denen auf die Spur zu kommen, ziehen sie in die Heimatstadt der Eltern, wo sie bei der Schwester ihres Vaters unterkommen, der wiederum in England unterwegs ist, um zu ermitteln.

Die Hardys freunden sich schnell mit einer Gruppe Jugendlicher an, die die Ermittlungsbande um sie deutlich diverser aufstellt, als es noch in den Büchern der Fall war. In schönster Kleinstadtabenteueratmosphäre stoßen sie auf eine große Verschwörung, in der auch die superreiche Familien ihrer Mutter und vor allem ihre Großmutter verwickelt ist.

Die Ansprüche an Effekt, Schauspielleistungen und das Drehbuch sollten nicht zu hoch sein. Das hier ist eine Jugendserie, die gerne auf Logik verzichtet, wenn sie dafür Abenteuer und Mysterien bieten kann, das alles sehr augenzwinkernd präsentiert. Auch wenn der Teil mit dem mystischen Artefakt etwas zu sehr in übernatürliche Gefilde abgleite und eher an Indiana Jones erinnert, denn an die drei Fragezeichen und die bodenständigere Buchvorlage.

Ich hatte viel Spaß mit der Serie, auch wenn sie mit 13 Folgen mindestens zwei zu lang ist. Die Figuren sind sympathisch, die Beziehungen unter ihnen ausreichend ausgebaut und de Plot trotz einiger Holprigkeiten am Ende schön abgerundet.

Lektüre

The Tower Treasure | Franklin W. Dixon

Das ist der Roman, mit dem die Hardy Boys 1927 ihren Anfang fanden. Sie wohnen in einer ländlichen Gegend an der Küste, der Vater ist ein berühmter Meisterdetektiv, der es sich leisten kann, sie für kleine Ermittlungstätigkeiten ins Flugzeug nach New York zu setzen. Sie wachsen also durchaus in privilegierten Verhältnissen auf.

In der ersten Szene brettern Fank und Joe mit ihren Motorrädern durch die Gegend, kommen an einem verlassenen Unfallwagen vorbei und wollen schließlich herausfinden, wer das Auto ihres Freundes Chet geklaut hat und ob das mit dem Einbruch ins Tower Mansion zusammenhängt, bei dem Wertpapiere und Schmuck geklaut wurden. Aber sie ermitteln nicht nur für die 1.000 Dollar Belohnung, sondern auch, um den Vater eines anderen Freundes zu entlasten, der verdächtigt wird, hinter dem Diebstahl zu stecken. Das Herz haben sie also am rechten Fleck. Die Freundinnen sind, anders, als in der neuen Serie, nur Staffage, das Frauenbild ist recht altmodisch. Rassismen aus der Ursprungsfassung wurden in den 1960ern entfernt. So erhalten wir hier ein altmodisches, maskulines Abenteuer, dass recht seicht daherkommt, aber durchaus Kleinstadtabenteueratmosphäre versprüht. Im historischen Kontext ganz nett zu lesen.

Fault Lines | Emily Itami

„Doch Fault Lines ist kein Liebesroman, keine Romanze, sondern ein Buch über Begegnungen, von Lebenslinien, die sich kurz überschneiden, ein kleines Beben auslösen und sich dann wieder voneinander entfernen.“

Die komplette Besprechung gibt es auf meiner Seite lesenswelt.de.

Tor Online

In meinen SFF News geht es um einen spaßigen Trailer zu Guardians of the Galaxy Vol. 3 Außerdem: Die Seraph-Nominierungen 2023, Nils Westerboer und Anthony Ryan im Otherland, Mats Strandbergs Die Konferenz kommt zu Netflix und der Superbowltrailer zu Indiana Jones 5.

Aus dem Otherland gibt es Science-Fiction-Buchtipps und Judith Vogt schreibt über die Vorzüge der Novelle in der Science Fiction.

Filme

City 24 (二十四城记)

In City 24 porträtiert Jia Zhangke feinfühlig ehemalige Mitarbeiter*innen der Fabrik 420, die nach Jahrzehnten abgerissen wird und einem Luxusapartmentkomplex namens City 24 weichen muss. Wie immer liefert er faszinierende Einblicke in das ländliche China der Arbeiterklasse.

Journey to the Shore (Kishibe no Tabi)

Ruhige Meditation über Tod, Trauer, Verlust und Abschiednehmen, und eine Frau, die mit ihrem ertrunkenen Mann Stationen seines Lebens abklappert. Teils etwas zu bedeutungsschwanger inszeniert, insgesamt aber schön gefilmt und gut gespielt.

The Torture Club

Ein Film, der besser geworden ist, als er eigentlich sein dürfte, was vor allem daran liegt, dass er seine völlig alberne und grenzwertige Prämisse mit tödlichem Ernst durchzieht. Inszeniert von einem Regisseur (Kota Yoshida), der für solche Pinku-Eiga-Softpornos völlig überqualifiziert ist, was er einige Jahre später z. B. mit der gelungenen Gesellschaftssatire Sexual Drive unter Beweis stellt.

The Torture Club liegt dank seiner Fähigkeiten handwerklich deutlich über dem üblichen Pinku-Eiga-Niveau, mit der Geschichte über ein Folter-AG an der Schule, in der Mädchen/junge Frauen? Lernen, Schmerzen auszuhalten oder zu verursachen. Das ist alles so gaga, dass ich schnell vergessen habe, wie unangenehm ein solches Szenario im Schulmädchenumfeld eigentlich ist. Es ist so ein Film, der wirklich nur in Japan gedreht werden kann. Die BDSM-Thematik wird tatsächlich halbwegs respektvoll umgesetzt. Der Trash-’Faktor ist ziemlich hoch, was die Story angeht, und der Male-Gaze dann doch ziemlich unangenehm. Ein Filmkuriosum, das nur für jene interessant sein dürfte, die auf abgedrehte japanische Filme stehen. Ach ja, basiert auf den Mangas von Makoto Fukami.

Filmtipp

In der Arte-Mediathek gibt es aktuell fünf (sonst eher selten gezeigte) Filme dreier großartiger Regisseure (Tsui Hark, King Hu u. Johnnie To) aus Taiwan und Hongkong.

Gesehen habe ich vor fast 20 Jahren schonmal, und am Freitag dann erneut Johnnie Tos PTU. Im Prinzip geht es um einen Kriminalbeamten, der auf einer Bananenschale ausrutscht, seine Waffe verliert, die ganze Nacht mit Kollegen von der Streifenpolizei versucht, sie wiederzubekommen und dabei in einen Bandenkrieg gerät. Für Johnnie-To-Verhältnisse kommt der Film mit erstaunlich wenig Gewalt aus. Ein Messerangriff am Anfang und eine, im Vergleich zu Filmen wie Exile, relativ bodenständige Schießerei am Ende. Dazwischen ein paar übergriffige Beamte und vor allem die Nacht in Hongkong. Die wird von To dynamisch und poetisch eingefangen. Elegant inszeniert, kreiert er selbst mit einfachen Szenen ein wunderbar Atmosphäre.

Foto der Woche

Noch einmal Kraniche, die diese Woche noch tiefer über unserem Haus kreisten und ein schönes Motiv ergaben.

Meine zehn liebsten Bücher 2022

Meine Filmliste muss noch warten, da ich mir 2022 noch einige Filme ansehen werde, aber was Bücher angeht, werde ich mit meiner aktuellen Lektüre dieses Jahr nicht mehr fertig werden. Gelesen habe ich insgesamt 51 Bücher (21 davon von Frauen, (so weit ich das überhaupt beurteilen kann), darunter aber auch sechs noch unveröffentlichte englischsprachige Manuskripte, die ich für einen Verlag begutachtet habe, von denen eines dort auch im Sommer/Herbst 2023 erscheinen wird (inzwischen kann ich verstehen, warum Verlagslektor*innen privat nicht viel gelesen bekommen). Alle Rereads habe ich nicht mit einbezogen, sonst hätten es auch noch Perdido Street Station von China Miéville und Die eisige Zeit/Der Tag des Sehers von Steven Erikson auf die Liste geschafft. Tsugumi ist aber schon so lange her, dass ich mich gar nicht mehr an das Buch erinnern konnte.

Bei den zehn Titeln handelt es sich nicht unbedingt um die zehn besten Bücher, die ich dieses Jahr gelesen habe, sondern um jene, die mir subjektiv am besten gefallen habe. Sechs Bücher stammen von Frauen, an einem siebten hat eine mitgeschrieben. Die Reihenfolge der Liste hat nichts mit einer Wertung zu tu, sie ist rein zufällig gewählt

Die Flüchtigen | Alain Damasio

Das dürfte eines der besten Phantastikbücher der letzten Jahre sein. Ein sprachliches Wunderwerk, das als Near-Future-Dystopie beginnt und durch seinen kleinen Fantasyanteil im Verlauf ein rebellisches, anarchistisches Herz entwickelt, und das trotz aller anspruchsvollen wissenschaftlichen und philosophischen Exkurse eine herzerrreißende und anrührende Familiengeschichte erzählt.

Großartig aus dem Französischen übersetzt von Milena Adam. Erschienen bei Matthes und Seitz.

Breasts and Eggs | Mieko Kawakami

Schonungslose, aber poetische Geschichte einer jungen Japanerin, die in Armut aufwächst, in Einsamkeit lebt und durch ihre Asexualität Schwierigkeiten hat, ihren Kinderwunsch im starren Konstrukt der japanischen Gesellschaft erfüllt zu bekommen. Hat ein paar Längen bei den Monologen von Natsukos Freunden, die ihre jeweiligen Lebensgeschichten erzählen, liest sich insgesamt aber großartig und liefert Einblicke in die japanische Gesellschaft, die man sonst eher selten bekommt. Noch offener und direkter als in den Romanen von Sayaka Murata, Yoko Ogawa und Banana Yoshimoto.

Die englische Übersetzung stammt von Sam Bett und David Boyd. Es gibt auch eine deutsche Ausgabe von Katja Busson, die als Brüste und Eier bei Dumont erschienen ist.

The Marvels | Brian Selznick

The Marvels von Brian Selznick ist eine wunderbar berührende und außergewöhnlich erzählte Familiengeschichte. Der geschriebene Teil über ca. 200 Seiten fällt etwas ab zu den gezeichneten 400 ersten, kann aber durch seine Auflösung trotzdem überzeugen. Ich kann allerdings auch verstehen, dass noch kein dt. Verlag hier zugegriffen hat, denn das Buch kommt im Format eines Jugendbuchs her, doch diese Liebeserklärung ans Theater, an Shakespeare und ungewöhnliche Familienmodelle dürfte nur wenige Jugendliche ansprechen. Ist eher was für Erwachsene wie mich, die sich gerne außerhalb der üblichen Erzählkonventionen bewegen.

The Impossible City: A Hong Kong Memoir | Karen Cheung

Ein ganz tolles Porträt des jungen Hogkongs von 1997 bis zur Gegenwart. Cheung geht vor allem auf die drastischen Veränderungen im alltäglichen und kulturellen Leben ein. Sie ist eine junge Hongkongerin, deren vertraute Umgebung, die Stadt, die sie so liebt, Stück für Stück in einem autoritären System verschwindet, was wirklich herzzerreißen zu lesen ist. Dabei geht sie aber auch auf die davon unabhängigen sozialen Probleme für junge Menschen ein, wie die Wohnungsnot oder die unzureichende Gesundheitsversorgung im Bereich psychischer Erkrankungen. Die Verhältnisse, unter denen sie jahrelang wohnen muss, sind wirklich gruselig, aber für Hongkong nicht ungewöhnlich. Eine wehmütige Liebeserklärung an eine Stadt, die aber nie so war, wie sie in den Filmen von z. B. Wong Kar-Wai romantisiert wurde. Das Buch bietet uns Leser*innen im Westen, die Möglichkeit, über unser bisheriges Bild von Hongkong zu reflektieren.

The Tender Bar | J. R. Moehringer

Ich habe mich lange nicht mehr so wohl in einem Buch gefühlt, wie in J. R. Moehringers Jugendmemoiren The Tender Bar, einer (sicher romantisch verklärten) Liebeserklärung an die Stammgäste des Publicans in Manhassat, die aber auch seinen Abnabelungsprozess schildert. Großartig, wie er diese unterschiedlichen Menschen mit ihren Eigenheiten beschreibt, die Gemeinschaft, die dort entstanden ist, aber auch die sozialen und finanziellen Probleme, mit denen sie zu kämpfen haben. Ist aber halt auch so ein typisches autobiografisches Buch eines weißen Autors mittleren Altes. Darüber muss man sich klar sein. So divers wie Clooneys Verfilmung besetzt ist, ist das Umfeld Moehringers in den 70/80er-Jahren nicht gewesen. Leider verfehlt die weichgespülte Verfilmung den Kern des Buchs und lässt die tragischen Entwicklungen einzelner Figuren und das bewegende Kapitel über 9/11 aus. Moehringer ist ein begnadeter Erzähler, der seine eigenen (Fehl-)Entscheidungen erfrischend schonungslos beschreibt.

Tsugumi | Banana Yoshimoto

Das Buch habe ich vor ca. 20 Jahren schon einmal gelesen, konnte mich aber kaum noch an den Inhalt erinnern, nur, dass eine Grube im Garten eine Rollle gespielt hat und es mir gefallen hat. Und das hat es auch bei der Zweitlektüre. Yoshimoto versteht es meisterhaft, kleine Szene und Stimmungen einzufangen, dazu der mehr als interessante Charakter der titelgebenden Tsugumi. Die ist gar nicht die Erzählerin des Romans. Das übernimmt ihre beste Freundin Maria, die im Alter von 19 Jahren aus dem kleinen Küstenstädtchen nach Tokio zieht, aber für einen letzten Sommer noch einmal zu Tsugumi und ihrer Familie zurückkehrt. Was Anlass für viele Erinnerungen an die gemeinsame Kindheit ist. Die hat Tsugumi in einem stets kränklichen, geschwächten Körper aber mit eisernem Willen und scharfer Zunge verbracht und nicht wenige Menschen mit ihrer unverblümten bis boshaften Art vor den Kopf gestoßen.

Aus dem Japanischen übersetzt von Annelie Ortmanns

Last Night at the Telegraph Club | Malinda Lo

Chinatown/San Francisco 1954, die 17-jährige Lily entdeckt ihre Zuneigung zum eigenen Geschlecht und ihrer Mitschülerin Kath, während die Familie mit dem Red Scare zu kämpfen hat. Einfühlsam und bewegend geschrieben. Liefert interessante Einblicke in die queere Szene dieser Zeit sowie das Leben der chinesischen Einwanderer*innen. Abseits aller Klischees, die über dieses Jahrzehnt kursieren.

Vita Nostra | Sergej und Marina Dyachenko

Hauptfigur Samokhina muss vor Sonnenaufgang nackt im Meer schwimmen, im Winter durch den Park joggen und danach ins Gebüsch pinkeln, um Goldmünzen auszukotzen, mit denen sie Zutritt zu einem Institut erhält, dessen Arbeitsbücher überhaupt keinen Sinn ergeben.

Außergewöhnlicher und sehr gelungener Dark-Academia-Weird-Fiction-Roman in slawischer Erzähltradition des ukrainischen Autorenpaaars Marina und Sergej Dyachenko. Erschien 2007 im russsischen Original, 2018 in der englischen Übersetzung von Julia Meitov Hersey. Gibt es leider nicht auf Deutsch.

Die phantastischen Elemente sind auf sehr ungewöhnliche Weise integriert, mit einem faszinierenden Ansatz, den ich hier nicht spoilern will. Trotzdem scheint mir das in erster Linie ein Buch übers Erwachsenwerden zu sein und dem Unabhängigwerden von den Eltern.

Sergej Dyachenko ist dieses Jahr leider verstorben. Die englische Übersetzung der Fortsetzung erscheint im März 2023 als Assassin of Reality.

Indelible City: Dispossession and Defiance in Hong Kong | Lousia Lim

Lousia Lim über die Jahrhunderte alte Geschichte Hongkongs, den King of Kowloon, die Vernichtung Hongkongs durch die chinesische Regierung und ihr eigenes Verhältnis zur Stadt ihrer Kindheit. Spannend und faszinierend.

Unser Teil der Nacht | Mariana Enriquez

Eine großartige Mischung aus Coming-of-Age-Horror und okkult-verkorkster Familiengeschichte vor dem Hintergrund der Militärdiktatur in Argentinien. Warnung: Es gibt drastische Gewalt gegenüber Kindern. Im Zentrum stehen Juan und sein Sohn Gaspar. Juan ist ein Medium, das mit einem übernatürlichen Wesen namens „Die Dunkelheit“ Kontakt aufnehmen und dunkle Magie wirken kann. Dafür wird er von einem geheimen, mächtigen Orden ausgebeutet, möchte seinem Sohn dieses Schicksal aber ersparen.

Der Roman ist von der Struktur her postmodern angelegt, seine unterschiedlichen Teile werden nicht in chronologischer Reihenfolge erzählt, setzen sich am Ende aber, wie bei einem Puzzle zusammen. Mal ist er brutal und verstörend, dann gibt es wieder richtig schöne Passagen, mit vermeintlich jugendlicher Idylle. Ein gewaltiges Familienepos, stilistisch herausragend, atmosphärisch dicht und vor allem mal in einem für das Horrorgenre ungewohnten Setting.

Deutsche Übersetzung aus dem Spanischen von Inka Marter und Silke Kleemann.

„The Borrowed“ von Chan Ho-Kei (übersetzt von Jeremy Tiang)

Schon seit meiner Kindheit bin ich Fan des Hongkong-Kinos. Angefangen hat es mit Jackie Chan und weiteren Martial-Arts-Filmen aus dem Hause Shaw Brothers. Bald folgten Fantasyfilme wie a Chinese Ghost Story und ähnliche Werke aus dem Dunstkreis von Tsui Hark sowie die knallharten Actionfilme von John Woo und Co. Doch so richtig entflammt wurde diese Liebe zu Hongkong erst durch die Filme von Wong Kar-Wai, als ich 1996 im Alter von 16 Jahren Fallen Angels sah, gefolgt von Chungking Express, As Tears Go By und meinem Lieblingsfilm von Wong: Days Of Being Wild, in dem Kameramann Christopher Dolye das Hongkong der 60er Jahre in so betörend schönen Bildern einfängt.

Dementsprechend war ich natürlich sofort Feuer und Flamme, als ich von Chan Ho-Kei The Borrowed las, das nicht nur ein genialer Krimi sein soll, sondern auch ein breites Panorama von Hongkong seit dem Zweiten Weltkrieg zeichnet. Und das tut es. In sechs Episoden wird aus dem Berufsleben des genialen Polizeiermittlers Inspector/Superintendend Kwan, der in der ersten Geschichte einen Fall löst, obwohl er im Koma liegt. Dieser Episode merkt man an, dass sie vom cleveren japanischen Krimi á la Keigo Higashino beeinflusst ist. Von da an macht Autor Chan dann Sprünge in die Vergangenheit, um jeweils entsprechende und besonders herausstechende Stationen aus Kwans Berufsleben, die sich stilistisch stark unterscheiden, aber immer sehr klug konstruiert sind und viel Einblick in das gesellschaftliche Leben Hongkongs liefern.

Die Perspektive wechselt, nicht immer weiß man gleich, aus welcher Perspektive die jeweilige Geschichte erzählt wird, oft benutzt Chan auch die auktoriale Erzählebene. Bei den überraschenden Wendungen geht er ähnlich wie Jeffrey Deaver vor: Lange gaukelt er der Leserin vor, sie würde der Perspektive des Ermittlers vollständig folgen und alles wissen, was er weiß. Entscheidende Informationen lässt er dann aber geschickt aus, damit der Ermittler am Ende und auch auf Etappen zwischen durch, überraschende Erkenntnisse und schließlich die Lösung präsentieren kann.

Doch nicht jede Episode folgt dem klassischen Ermittlungsprinzip. Einmal wird ein Kind entführt und es entwickelt sich ein spannendes Katz-und-Maus-Spiel, bei dem nichts ist, wie es scheint. Ein anderes Mal überwacht die Polizei ein Hochhaus, in dem sich die meistgesuchten Gangster Hongkongs aufhalten, was schon fast zu einem Belagerungsszenario führt, wie in Johnie Tos Breaking News. Und in der letzten Episoden geht es um politische Unruhen im Hongkong der 1960er-Jahre, als viele Kommunisten (von China gestützt) gegen die britische Kolonialmacht aufbegehrten und es für die Polizei Bombenanschläge zu vereiteln gilt.

All die Episoden sind – mal abgesehen vom Ermittler Kwan – geschickt lose miteinander verknüpft, manche Personen treten häufiger auf, andere nur ein, zweimal, aber mit großer Wirkung, die sich vor allem auch dadurch entfaltet, dass die Episoden eben in umgekehrter chronologischer Reihenfolge erzählt werden.

The Borrowed biete einen faszinierenden und spannenden Einblick in die Geschichte Hongkongs von den 1960er-Jahren bis in die Gegenwart, und ist nebenbei auch ein verdammt cleverer Krimi mit denkwürdigen und charmanten Figuren. Die Filmrechte hat übrigens Wong Kar-Wai erworben.

Auf Deutsch ist das Buch unter dem Titel Das Auge von Hongkong erschienen (dabei lautet Kwans Spitzname »Eye of Heaven«), leider nur in der Übersetzung der englischen Übersetzung von Jeremy Tiang. Und da ich nicht so auf Übersetzungs-Stille-Post stehe, habe ich mir die englische Fassung gekauft.

Eigentlich sollte diese Besprechung noch ausführlicher werden, da ich mir aber Anfang der Woche einen Korbhenkelriss im Meniskus zugezogen habe und momentan nur bedingt einsatzfähig bin, nutze ich die wenige Zeit am Computer aktuell für meinen Brotjob. Weshalb es hier auf dem Blog in den nächsten Wochen weiterhin ziemlich ruhig bleiben könnte.