Meine Woche 26.03.2023: Pornhub, Pogues und Aldo Moro

Musik gibt es von Meg Meyers mit ihrem neuen Album TZIA und dem Wasia Project. Dokus zu Pornhub und Shane MacGowan von den Pogues. Eine grandiose Serie zur Entführung von Aldo Moro, eine mitreißende zum Buch Daisy Jones and the Six. Das Hörspiel Mia Insomnia. Und als Filmtipp Das Bankett des Kaisers von Tsui Hark.

Musik

Meg Meyers – TZIA

Die Musik von Meg Meyers mag ich schon seit Desire und Monster. Erinnert mich an die junge Fiona Apple und PJ Harvey, hat aber trotzdem ihren eigenen Stil abseits des Mainstreams. Weshalb sie wohl auch nie den großen Durchbruch hatte. Dafür ist ihre Musik zu abgründig, ihr Auftreten zu eigenwillig. Genau so, wie ich es mag.

Letzten Freitag ist ihr neues Album TZIA erschienen. Das kommt musikalisch ziemlich heavy daher, mit relativ viel Elektronik, aber auch schweren Gitarren. Nach erstem Hören gefällt es mir richtig gut.

Wasia Project

Netter Song mit schönem Video. Hat mir der Youtube-Algorithmus diese Woche in die Timeline gespült.

Dokus

Money Shot: The Pornhub Story

Über die Geschichte des Streamingportals Pornhub. Die Doku lässt viele Seiten zu Wort kommen, Gegner von Pornografie und solchen Internetseiten, ebenso wie Sexperfome*rinnen, Darsteller’innen, Journalist’innen und ehemalige Mitarbeiter’innen. Dramaturgisch ist sie ganz geschickt aufgebaut. So hören wir eine ganze Weile vernünftig klingende Argumentationen von Aktivist*innen, die gegen Menschenhandel, Ausbeutung und Kinderpornografie mobil machen, bei denen sich dann aber herausstellt, dass die evangelikale Rechte dahinter steckt, die diese Themen nur als Trittbrett und PR für ihren Kreuzzug gegen die körperliche Autonomie von Frauen sowie LGBTQ+ und trans Menschen missbraucht.

Keine Frage, Pornhub hatte über viele Jahre ein großes Problem mit Kinderpornografie, Vergewaltigungsvideos, Revenge-Porn und Raubkopien. Hat dass alles zugelassen, weil es mehr Traffic und damit Profit brachte, und erst nachgegeben und alles, was nicht verifiziert ist, von der Plattform geschmissen, als der Druck zu groß wurden. Sie sind aber auch eine Plattform, die Sexarbeiter’innen und Perfomer’innen ein regelmäßiges Einkommen und Sicherheit am Arbeitsplatz ermöglicht.

Nichtsdestotrotz steckt hinter Pornhub der überaus zwielichtige und fragwürdige Konzern Mindgeek, dem fast alle Porno-Tube-Plattformen gehören, auf denen der oben beanstandete Contend weiter verfügbar ist.

Wer Pornografie mit gutem Gewissen konsumieren möchte, sollte lieber zu seriösen Plattformen mit ethisch einwandfreiem Geschäftsmodell gehen, wie z.B. die Produktionen von Erika Lust. Onlyfans scheint mir auch ein ganz guter Weg zu sein, von dem vor allem die Performer’innen selbst profitieren. Wir als Konsument’innen sollten darauf achten, keine Produktionen zu unterstützen, die junge Frauen ausbeuten und zu Sachen zwingen oder drängen, die sie nicht machen möchten.

Der Umgang mit Pornografie (und Sexualität) ist auch ein Gradmesser für die Demokratie. Je repressiver und restriktiver Staat und Gesetze gegenüber der Pornografie werden, und damit vor allem gegenüber den Frauen, die in der Industrie arbeiten, desto schlechter ist es meist um die Demokratie und die Freiheit der Gesellschaft bestellt. Pornografie kann Ausbeutung von Frauen und Ausdruck von Misogynie sein, der Kampf gegen Pornografie ist aber meist auch ein Kampf gegen den weiblichen Körper, sexuelle Selbstbestimmung, andere Lebenweisen und die trans und LGBTQ+-Community.

Die Doku gibt es bei Netflix.

Crock of Gold: A Few Rounds with Shane MacGowan

Eine faszinierende Doku über einen Musiker, der mir mit seiner Band The Pogues zwar namentlich ein Begriff war, und von denen ich sicher schon mal Songs gehört habe, die trotzdem weitgehend an meinem Radar vorbeigegangen sind. Die Doku geht erstaunlich lange auf seine Kindheit ein und erzählt nicht nur seine Biografie, sondern teils auch eine musikalische Geschichte Irlands.

MacGowan selbst ist inzwischen körperlich ein Wrack. In einem Interview-Strang sitzt er mit Gerry Adams zusammen, der zehn Jahre älter ist, aber zehn Jahre jünger wirkt. Selbst MacGowans Vater wirkt mit über 80 noch fitter. Durch seine Nähe zur IRA ist MacGowan durchaus eine kontroverse Figure, seine Musik und die Texte sind aber unbestritten großartig. Mit ihrer wilden Mischung aus Irish Punk Folk haben die Pogues etwas ganz Eigenes erschaffen.

Die Doku konzentriert sich aber voll auf Shane MacGowan, aus der Band kommt niemand zu Wort, es geht auch nicht darum, wie sich die Musiker*innen kennengelernt haben, wie sie zusammengearbeitet haben usw. Es geht nur um MacGowan.

Die Doku gibt es noch bis zum 7. Juni in der Arte-Mediathek.

Serien

Und draußen die Nacht (Esterno notte)

Grandios inszenierte Serie über die Entführung und Ermordung des ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Aldo Moro durch die Terroristen der Brigate Rosse, erzählt aus fünf verschiedenen Perspektiven in sechs Folgen, von der jede für sich ein kleines Kunstwerk ist. Geht es um Politiker – zu denen ich auch den Papst zähle – wie den Innenminister, schlägt die Serie schon leicht parodistische Züge an, wahrt dabei aber immer ein Gefühl der Bedrohlichkeit. Geht es um Moros Frau, bleibt der Tonfall ernst und empathisch. Auch bei der Terroristen wird auf Ironie verzichtet. Aldo Moro ist der einzige Politiker, der nicht mit karikaturistischen Elementen porträtiert wird. Bewundernswert ist auch der Stilwille von Regisseur Marco Bellocchio, der die gesamte Serie konstant in eleganten Bildern und mit sicherer Hand durchzieht, wie es keine deutsche Serie hinbekommen würde. Zu meinem eigenen Erstaunen hat mir die Folge mit dem Papst am besten gefallen.

Dort wo die Fakten bekannt sind, hält sich die Serie an die realen Ereignisse, die Lücken werden mit eigenen Spekulationen und Interpretationen gefüllt. Atmosphärisch ist die Serie unheimlich dicht und vermittelt ein packendes und authentisches Bild vom politischen Klima im Italien des Jahres 1978.

Die Serie ist thematisch schwere Kost, kommt sehr bedeutungsschwanger und mit viel Symbolik daher, ist aber trotzdem sehr leichtfüßig inszeniert.

Und draußen die Nacht ist noch bis Juli 2023 in der Arte-Mediathek verfügbar, OmU leider wieder mal nur fürs französische Publikum, die deutsche Synchro ist aber ausgezeichnet. Normalerweise schaue ich keine Serien, ohne Originaltonspur und Untertiteln, aber die hier konnte ich mir einfach nicht entgehen lassen.

Daisy Jones and the Six

Objektiv betrachtet ist Und draußen die Nacht natürlich die bessere Serie, aber sie hat mich vor allem auf einer intellektuellen Ebene angesprochen, während Daisy Jones mich emotional mitgerissen hat, vor allem in der letzten Folge. Das ist über weite Strecken eine lockere Serie über den Aufstieg und Fall einer fiktiven Rockband aus den 70ern, lose angelehnt an die Geschichte von Fleetwood Mac und Stevie Nicks. Die Vorlage von Taylor Jenkins Reid ist als Interviewbuch angelegt, in der Serienadaption tritt das dezent in den Hintergrund. Die Leute geben immer noch ihre Kommentare ab, aber 90% der Zeit sind wir in der Vergangenheit bei der Band. Die Interviewstruktur ist trotzdem wichtig, vor allem für die letzte Folge, die mich, obwohl ich die Buchvorlage kenne und obwohl sie etwas kitschig ist, trotzdem sehr bewegt hat.

Gibt es bei Prime.

Extrapolations

Von dieser AppleTV+-Serie habe ich bisher nur die erste Folge gesehen und verweise deswegen auf die sehr ausführliche und sehr gut begründete Kritik Pathos Porn About Climate Change von Aaron Bady im Los Angeles Review of Books, der gut erklärt, warum das eine Serie von reichen Amerikanern über reiche Amerikaner ist, die in relativ bequemer Lage über ihr schlechtes Gewissen bezüglich des Klimawandels sinnieren. A show about »rich people’s feelings«.

Filme

Das Bankett des Kaisers (īnyù mǎntáng)

Über einen, vom stets wunderbaren (und viel zu früh verstorbenen) Leslie Cheung gespielten, Bandenboss, der zum Küchenlehrling umsattelt, weil er zu seiner Freundin nach Kanada ziehen will. Dabei verliebt er sich aber in die Tochter des Küchenchefs und muss mit ihr das Restaurant des Vaters bei einem Kochwettbewerb retten, der Das Bankett des Kaisers heißt.

Im Prinzip ein klassischer Hongkong-Martial-Arts-Film von Tsui Hark, in dem zwei verfeindete Kampfkunstschulen gegeneinander antreten. Zunächst muss ein legendärer Meister gefunden werden, der dem Alkohol verfallen ist, dann gibt es eine originelle Trainingsmontage als finale Vorbereitung. Nur wird hier nicht gekämpft, sondern gekocht. Die Schurken heißen die Superprofis und die drei Gerichte beim finalen Kochduell sind herrlich abstrus (zumindest hoffe ich das). Viel Slapstick, reichlich durchgeknallter Humor – ein großer Quatsch, der Spaß macht, von PETA aber sicher keine Gütesiegel erhält. Ich sage nur Bärentatze im Schnee, Elefantenrüssel in Vogelnestern gegart und Affenhirn auf …

Den Film gibt es noch bis zum 15.08 in der Arte-Mediathek.

Like Father, Like Son (Soshite Chichi ni Naru)

Um diesen Film von Hirokazu Koreeda habe ich mich lange gedrückt, da mich Geschichten über Familien, deren Babys im Krankenhaus vertauscht werden, so gar nicht ansprechen. Doch jetzt, wo es den Film bei Mubi gibt, konnte ich doch nicht widerstehen. Natürlich geht es um eine wohlhabendere Familie mit einem ambitionierten Architekten als Vater, der seinen Sohn leistungsbewusst erziehen möchte, und eine Familie, die eher so in den Tag lebt, gerne Spaß zusammen hat, mit einem von Lily Frank, in einer seiner typischen Rollen, gespielten Vater,

Ein sehr bewegender Film über das, was Familie ausmacht.

Lektüre

Bullet Train | Kōtarō Isaka

Auf meiner Seite lesenswelt.de bespreche ich den Roman Bullet Train von Kōtarō Isaka, gehe aber auch kurz auf die Verfilmung ein und erkläre, warum ich sie für wenig gelungen halte.

Hörspiel

Mia Insomnia

Zehnteilige Hörspielserie über eine Podcasterin, die herausfinden möchte, warum außer ihr niemand eine bestimmte Folge ihres Lieblingshörspiels Geisterjagd kennt. Selbst der Hauptsprecher und die Produzentin nicht. Also begibt sie sich auf eine Reise in ihre Kindheit, zu dem Ferienhaus, wo sie die letzten schönen Tage mit ihrem Vater verbracht hat. Und kommt einem unglaublichen Geheimnis auf die Spur.

Als Kassettenkind und Fan der drei Fragezeichen hat mich die Prämisse sofort angesprochen. Hier wird die Liebe zu Hörspielkassetten mit dem aktuellen Trend zu Podcasts verbunden. Wir sind hautnah mit dabei, wenn sich Mia auf ihre Reis ins Ungewisse begibt. Erstaunt hat mich, wie schnell die Geschichte ins Phantastische umschlägt, das kam etwas sehr plötzlich. Da hätte ich mir noch etwas mehr Recherche-Zeit im Voraus gewünscht. Doch die phantastischen Elemente werden mit einigen schönen überraschenden Wendungen sehr gut und stimmungsvoll genutzt. Hat mir richtig Spaß gemacht, auch wenn sich über das Ende streiten lässt.

Gibt es in der ARD-Audiothek.

Abschlussbemerkung

Die Besprechungen hier sind alle relativ kurz und oberflächlich. Das liegt einfach daran, dass ich nicht dafür bezahlt werde, sie zu schreiben. Ich mach das alles in meiner Freizeit, zum Spaß, da kann ich es mir nicht leisten, noch mehr Zeit zu investieren. Und es geht ja vor allem darum, euch Tipps für Filme, Musik, Serie, Dokus, Bücher, Hörspiele, Artikel, Youtubevideos zu geben. Da reicht es, die Sachen kurz anzuteasern und meine kurze Einschätzung abzugeben.

Meine Woche 19.03.2023: After Sonne und Beton, Buch- und Filmbesprechungen

Heute gibt es unter anderem großartige Filme wie After Sun, The Banshees of Inisherin und Leaving on the 15th Spring. Artikel zu Rassismus im Unterricht, Exklusivität bei Gamern und meine Rezi zu Felix Lobrechts Roman Sonne und Beton.

Artikel

Rassismus: Ulmer Lehrerin will wegen Roman nicht mehr unterrichten

Bei SWR Aktuell gibt es einen Beitrag über eine junge Lehrerin, die ihren Beruf nicht mehr ausübt, weil sie keine rassistische Lektüre im Unterricht durchnehmen möchte. Eine Einstellung, die ich nur bewundern kann. Wäre natürlich schön, wenn sich an der Situation etwas ändern würde, die ignorante Reaktion der Bildungsministerin lässt aber wenig Grund zu Hoffnung. Rassismus kann im Unterricht auch durchgenommen werden, ohne die Schüler*in mit vermeintlichen Klassikern zu konfrontieren, die rassistische Begriffe und Darstellungen zuhauf und völlig unreflektiert reproduzieren.

Schwierigkeitsgrade – “Gamer” und Exklusivität

Für 54 Books hat Aurelia Brandenburg einen ganz interessanten Artikel über Schwierigkeitsgrade und Exklusivität von Computer/Videospielen geschrieben, der aber eher einen Abriss über mehrere Jahrzehnte Spielekultur und Industrie darstellt. Ich spiele die Dark-Souls-Spiele übrigens nicht, weil mir inzwischen die Geduld für solch bockschweren Spiele fehlt, obwohl sie von Weltenbau, Atmosphäre und Story her eigentlich genau meine Fantasy sind. Geht mir aber mit allen zeitintensiven Spielen so. Und so geschickt wie früher bin ich als Spieler auch nicht mehr.

How Popular Is Anime In Japan, Really?

Für die Seite Unseen Japan ist Jay Allen der Frage nachgegangen, wie populär Animes in Japan eigentlich wirklich sind. Deutlich weniger, als es westliche Anime-Fans wohl vermuten. Unter 40% aller Japaner*innen schauen Animes. Finde ich superinteressant. Mein Interesse an Japan ist nicht durch Animes allein entstanden. Schon zuvor ging es mit Godzilla-Filmen los und parallel zum Anime, für den ich mich Anfang/Mitte der 90er zu interessieren begann, lernte ich die Filme von Akira Kurusawa und Takeshi Kitano zu schätzen, später dann auch von Sabu. Heute schaue ich zwar noch Animes, aber lang nicht so viel wie Realfilme und Serien aus Japan.

Tor Online

Meine SFF News: Ein ausführlicher Trailer zur 2. Staffel von Yellowjackets ist da. Außerdem: Das Programm der Metropol Con, Oscars für Everything Everywhere All At Once, die Finalist*innen der Nebula Awards und ein interessantes KI-Projekt von Emma Braslavsky.

Artikel der Woche: Im Zuge einer Berliner Ausstellung unter dem Titel „Leseland DDR“ habe ich den SF-Club Andymon nach den zehn besten Science-Fiction-Romanen der DDR gefragt. Hier die Antwort.

Blog

Serien

The Last Of Us

Das Highlight der Serie ist natürlich die grandiose Episode 3. Hätte nicht gedacht, dass mich die Folge einer Endzeit-Pilzzombieapokalypsenserie, die auf einem Videospiel basiert, und in der Nick Offerman einen Hardcore-Prepper spielt, mich zu Tränen rühren könnte. Die restlichen Folgen sind auch gut bis sehr gut, insgesamt ist mir das Endzeit-Szenario der Spielvorlage aber etwas zu dünn. Das hebt sich nicht ausreichend von anderen Genre-Vertretern ab, um mich über die gesamte Staffel zu begeistern. Ich habe die Serie gerne gesehen, aber bis auf Episode 3 hat sie mich jetzt nicht vom Hocker gehauen. Wie ein Freund auf Facebook es in etwa formulierte: Sie macht nichts, was nicht auch andere Endzeitserien machen, aber sie macht es besser.

Filme

Aftersun

»This is our last dance.«

Über die elfjährige Sophie, die mit ihrem ebenfalls noch sehr jungen Vater einen Urlaub in der Türkei verbringt. Über weite Strecken zeigt der Film, wie die beiden sich eine schöne Zeit machen, aber in kleinen Szenen schwingt immer wieder mit, dass bei dem Vater etwas nicht so ganz in Ordnung ist. Die Tanzszene kurz vor Schluss zu Queens »Under Pressure« ist der Hammer. Und alles, was danach kommt, geht vor allem durch sie so unter die Haut

Die große Stärke des Films liegt darin, dass er nichts auserzählt, nichts erklärt, sondern nur andeutet, mit Symbolik, mit dem, was zwischen den Zeilen steht, was nicht gezeigt wird. Und gerade deshalb ist er emotional so wirkungsvoll.

Mark Kermode fasst es gut zusammen, indem er sagt, Aftersun zu sehen, sei wie eine Erinnerung an etwas, das man selbst nicht erlebt habe, sich aber so anfühle. Und das liegt unter anderem daran, wie brillant er geschnitten ist. Ein sehr schöner, aber auch niederschmetternder Film. Das Langfilmdebüt von Charlotte Wells ist direkt ein kleines Meisterwerk geworden. Paul Mescal wurde für einen Osca nominiert, aber mein Highlight ist Fankie Dorie, die seine Tochter ganz wunderbar spielt.

Gibt es auf Mubi.

Leaving on the 15th Spring (Tabidachi no Shima Uta – 15 Go Haru)

Erzählt vom Leben auf einer kleinen Insel östlich von Okinawa und Yunas letztem Jahr dort, bevor sie für die Oberschule aufs Festland ziehen muss. Gelungene Mischung aus Coming-of-Age, leisem Familiendrama und dem Überlebenskampf der kleinen Gemeinschaft in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage. Ein richtig schöner Film, der das Leben auf dem Land in Japan nicht romantisiert, sondern zeigt, welche Nachteile es mit sich bringt.

Leider ist der Film in Deutschland nicht erhätlich (wie alle Filme von Yasuhiro Yoshida). Ich habe ihm auf den letzten Drücker auf der Webseite des Japanese Film Festival gesehen, wo er inzwischen abere nicht mehr verfügbar ist.

Der von Yuna gesundene Abschiedssong. Ganz tolles Lied!

Wonderwall (ワンダーウォール)

Schöner kleiner Indie-Film aus Japan, über ein seit 1913 bestehendes selbstverwaltetes Studentenwohnheim in Kyoto, das Ausgangspunkt vieler Studentenbewegungen war, dessen historisches Gebäude aber nun abgerissen werden soll, wogegen die Student*innen protestieren. Kein klassischer Spielfilm, mehr eine repräsentative Momentaufnahme. Für mich wären solche Wohnverhältnisse ja ein Albtraum, sympathisch finde ich es aber trotzdem. Heißt im Film Konoe Dorm, wenn ich das richtig recherchiert habe, basiert es auf dem real existierenden Yoshida Dormitory. Der Film zeigt auch, wie zurückgenommen Protest in Japan abläuft. Statt das Studentenbüro einfach zu besetzen, sprechen die Student*innen dort höflich vor und ziehen sich zurück, wenn sie wieder abgewiesen und vertröstet werden.

Ebenfalls beim JFF gesehen.

The Banshees of Inisherin

Nachdem ich den Trailer letztes Jahr gesehen habe, war das der Film, auf den ich mich für dieses Jahr am meisten gefreut habe. Vor allem, weil mich Three Billboards so umgehauen hatte. So ganz konnte der Filme meine Erwartungen nicht erfüllen, aber trotzdem ist er sehr gut. Erzählt wird von zwei Freunden auf einer kleinen Insel während des irischen Bürgerkriegs, von denen der eine plötzlich nicht mehr Teil der Freundschaft sein möchte. Vor allem geht es darum, wie kleine Konflikte völlig unnötig eskalieren können, aber auch, wie schwer es ist, jemanden auf einer Insel zu ghosten. Mir hat der Inselkosmos gefallen, und vor allem die Figur der Schwester, der die Kleingeistigkeit und Einsamkeit irgendwann zu viel wird. Sehr gut gespielt, mit den typischen skurrilen Figuren für einen solchen Film.

Gibt es jetzt bei Disney+.

Lektüre

Auch gelesen habe ich Die drei Fragezeichen und der Puppenmacher von André Marx. Vor allem, weil Kenneth wieder aus Irland zurückkehrt. Wollte wissen, was Marx daraus macht. Über weite Strecken fand ich die Geschichte um die Hochzeit in der Einöde nur mittelmäßig, doch am Ende gibt es einen schönen Twist, der alles, was vorher passiert ist, aufwertet. Der beste Marx-Roman seit langem, aber noch weit von seinen alten Stärken entfernt.

Sonne und Beton | Felix Lobecht

Halb autobiografischer Roman des Comediens Felix Lobrecht über das Aufwachsen in Neukölln. Man merkt dem Buch an, dass Lobrecht weiß, wovon er schreibt. Auch wenn der Begriff inzwischen etwas überstrapaziert wird, wirkt es authentisch. Aber das hier ist keine Milieustudie mit soziologischem Tiefgang und Einblicken wie bei Didier Eribon oder Édouard Louis. Lobrecht schildert ein paar Tage aus dem Leben des sechzehnjährigen Lukas, der mit seinen drei Freunden die Schule schwänzt, Gras kauft, in eine Prügelei verwickelt wird und vor allem rumhängt, kifft und säuft. Die Geschichte kreist um einen Einbruch in die eigene Schule, wo die Kumpels neue Computer abzocken wollen, um sie weiterzuverkaufen.

Sprachlich ist der Stil Standardprosa, die mit ihren wenigen Beschreibungen nicht wirklich auffällt. Die Stärke des Romans sind die Dialoge, in denen die Jungs so sprechen, wie zu Beginn der Nullerjahre in Neukölln eben gesprochen wurde. Gleich als Warnung vorweg, die sind in ihrer Wortwahl nicht zimperlich. Das N-Wort wird aber nicht ausgeschrieben. Lobrecht hält einfach die Kamera drauf, ohne zu reflektieren. Er setzt Gefühle und Eindrücke nicht in Worte um, höchstens in Schimpfworte.

Normalerweise beschwere ich mich immer, dass die meisten Bücher zu lang sind. Das hier habe ich als zu kurz empfunden. Zwar lernen wir auch Lukas’ Bruder und Vater kennen, einige der Eltern seiner Freunde und die schwierigen Umstände, unter denen sie aufwachsen, aber davon hätte ich gerne mehr gehabt. So ist das Buch zwar unterhaltsam, mit spannenden Einblicken in das Leben Neuköllns. und es liest sich flott weg, aber etwas mehr Tiefgang, mehr Hintergründen zu den Lebensumstände hätte ich mir doch gewünscht. Aber man merkt, hier kommt ein Autor aus der Arbeiterklasse, der weiß, wovon er schreibt. Und Bücher solcher Autor*innen gibt es viel zu wenig. Und wenn, ist es meist die männliche Perspektive, die erzählt wird. Deswegen steht bei mir als nächste Lektüre jetzt Streulicht von Deniz Ohde an.

Aktuell läuft die Verfilmung von Sonne und Beton im Kino, die bisherigen Kritiken sind vielversprechend, ich verweise auf die sehr persönliche Rezi von David Hain bei Letterboxd.

Fotos der Woche

Mehrmals am Tag schaut ein Eichhörnchen auf der Fensterbank meines Arbeitszimmers vorbei, um sich Walnüsse abzuholen. Sind keine da, wirft es einen vorwurfsvollen Blick durchs Fenster, das direkt links von meinem Schreibtisch liegt.

Eichörnchen steht aufrecht am Fenster, die linke Vorderpfote auf den Fensterrahmen gelegt und blickt nach oben.
Eichörnchen steht aufrecht am Fenster, die linke Vorderpfote auf den Fensterrahmen gelegt und blickt direkt richtung Kamera.

Warum ich meine Lieblingsbücher nicht verfilmt sehen möchte

Für mich als Jugendlichen und jungen Erwachsenen waren Bücher das Tor zur Welt bzw. viele Tore in viele Welten. Ich bin auf einem kleinen Dorf aufgewachsen, in den Urlaub sind wir nicht oft gefahren. Bücher boten eine Abwechslung zur tristen Eintönigkeit des Provinzalltags. Sie waren eine Einladung ins Abenteuer, boten die Möglichkeit, am Leben anderer teilzuhaben, und erklärten mir die Welt. Die ersten Bücher, die ich las, haben natürlich einen besonderen Eindruck hinterlassen. Aber im Verlauf der Jahrzehnte tauchten immer wieder neue auf, die etwas Besonderes waren, die sich vom bisher Gelesenen abhoben, die neue Wege beschritten und einen besonderen Platz in meinem Herzen einnehmen: meine Lieblingsbücher.

Diese Bücher bieten mehr als nur die Vermittlung von Informationen und das Erzählen von Geschichten. Sie erschaffen im Kopf eine ganz eigene und einzigartige Welt, eine Welt, die für jeden etwas anders sein dürfte. Kopfkino wird so etwas heute genannt, doch es ist viel mehr. Erst die eigene Fantasie, das eigene Vorstellungsvermögen füllen die Lücken zwischen den Zeilen und erwecken ein Buch und dessen Geschichte zum Leben.

Disclaimer

Ich gönne allen Autor*innen den fetten Honorarscheck für die Verfilmungsrechte und die im Zuge einer gelungene Verfilmung hoffentlich steigende Verkäufe und neuen Fans.

Ich gönne auch allen Fans und sonstigen Zuschauer*innen ihren Spaß mit den Verfilmungen.

Meine Vorstellung vom Lesen

Trotzdem mag ich persönlich es nicht, wenn meine Erinnerungen an das Buch, meine Vorstellung beim Lesen davon, wie eine Figur aussieht, von den Bildern der Verfilmung überlagert wird. Bei Frodo sehe ich jetzt immer Elijah Wood vor mir. Und wer denkt bei Einer flog über das Kuckucksnest noch an einen großen, kräftig gebauten Rothaarigen und nicht an Jack Nicholson.

Das heißt nicht, dass Film- und Serienadaptionen von tollen Büchern nicht gut sein können. Es heißt auch nicht, dass sie mir zwangsläufig nicht gefallen werden. Die meisten Verfilmungen schaue ich mir trotzdem an.

Aber manche auch nicht. Eines meiner Lieblingsbücher ist Die Geschichte der Liebe von Nicole Krauss. Davon gibt es eine Verfilmung, die ich bisher nicht gesehen habe und die ich mir auch nicht ansehen werde. Denn ich möchte mein Kopfkino vom ersten Lesen behalten. Ich möchte Leon Gursky weiter so sehen, wie ich ihn mir bisher vorgestellt habe.

Auch Die Frau des Zeitreisenden habe ich mir nie angesehen, wobei ich das Buch in Sachen Grooming einer Minderjährigen inzwischen auch kritisch betrachte.

Terry Pratchett möchte ich nicht weiter verfilmt sehr. Die bisherigen Filme kenne ich, Hogfather finde ich mit seinem Setdesign und den Darsteller*innen sogar ganz nett. Trotzdem reizen mich weitere Verfilmungen überhaupt nicht. Im Vergleich zu dem Feuerwerk an Fantasie und geistreichen Betrachtungen, die Pratchett auf Papier gebannt und in meinem Kopf entfacht hat, kann jede Verfilmung nur eine Enttäuschung sein.

Dan Simmons’ Sommer der Nacht fängt wunderbar eine Coming-of-Age-Atmosphäre in einer amerikanischen Kleinstadt ein, mit zunehmen bedrohlicher Stimmung, die ich mir nur schwer im Bewegtbild vorstellen kann. House of Leaves von Mark Z. Danielewski, mit seinen vier verschachtelten postmodernen Ebenen, bei dem der Schrecken durch die verborgenen Winkel zwischen den Zeilen entsteht, halte ich für unverfilmbar.

Printausgaben der Bücher "Die Geschichte der Liebe", "Der Lehrling des Magiers", "Elric von Melniboné", "Helle Barden" in der oberen Reihe, und "House of Leaves", "Sommer der Nacht", "Fool on the Hill" und "Mond über Manhattan" in der unteren Reihe.
Lieblingsbücher, die ich nicht verfilmt sehen möchte.

Es gibt Filme und Serien, die besser sind als die Buchvorlage, ich denke da an Fight Club oder Dexter. Und es gibt Adaptionen, denen es gelingt, die Magie der Vorlage halbwegs einzufangen, da fällt mir spontan Life of Pie ein. Und es gibt Verfilmungen, die der Geschichte einen neuen Dreh geben, ihr andere Aspekte abgewinnen, wie Stephen Kings The Mist z. B., und das weiß ich zu schätzen, denn eigentlich will ich nicht die gleiche Geschichte eins zu eins nochmal nacherzählt bekommen, solange sie dem Geist der Vorlage treu bleiben.

Schwache Verfilmungen

Watchmen ist das z. B. nicht gelungen. Zack Snyder hat die Vorlage überhaupt nicht verstanden und völlig falsch interpretiert. Trotzdem ist ein netter Film dabei rausgekommen, den ich im Kino durchaus genossen habe.

Ich gebe aber auch zu, dass manch schwacher Film mich schon dazu animiert hat, die Buchvorlage zu lesen. So geschehen im letzten Jahr mit dem grandios geschriebenen The Tender Bar von J. R. Moehringer, auf das mich erst die mittelmäßige Adaption von George Clooney gebracht hat, die am Kern des Buches – wie ich dann bei der Lektüre feststellen musste – völlig vorbei geht. Denn bei ihm sind die Bar und ihre Gäste nur leblose Kulisse, die aber das Herz des Buches bilden. Und das in Rezensionen erwähnt, hat mich neugierig gemacht.

Franchise

Und es gibt natürlich noch Werke, die sich zu einem Franchise entwickelt haben und jetzt totgemolken werden. Das aktuellste Beispiel dürfte Der Herr der Ringe sein, wo von Warner/New Line neue Filme aus dem dritten Zeitalter angekündigt wurden. Gibt es jetzt eine Aragon-Origin-Geschichte, ein Gimli-und-Legolas-Spin-off? Mir graust bei dem Gedanken. Ich fand schon Rings of Power schwach.

Hier begeben wir uns aber auf ein Terrain, das nicht unbedingt etwas mit Buchvorlagen zu tun hat, denn, wie Daniel Green es in seinem Video dazu formuliert, ist es eher die Star-Warsierung von Mittelerde. Alles muss auserzählt und erklärt werden, wie haben sich Chewbacca und Han Solo getroffen, wie hat er den Millennium Falcon gewonnen und den Kessel Run geschafft. Was bisher ein Mysterium war und eine Legende, wird mittelprächtig erzählt und raubt dem Mysterium seinen Reiz. Die Lücken, die ungefüllt viel wirksamer wären, werden gefüllt und die Legende wird entzaubert.

Aber, liebes Hollywood, wenn ich schon Fantasy- und Science-Fiction-Bücher verfilmen wollt, dann nehmt mal die von jungen Autor*innen of Color, und nicht ständig die gleichen alten Schinken von alten weißen Männern, die meist schon längst tot sind. Robert Jordan, Isaac Assimov, Tolkien usw. Wo bleiben die angekündigten Adaptionen von N. K. Jemisin oder Nnedi Okorafor?

Schlussbetrachtung

Wie oben erwähnt, will ich niemandem den Spaß verderben. Ich engagiere nicht Team Jorge, um bestimmte Adaptionen zu sabotieren und schick auch nicht den IMF los, um sämtliche Kopien des Drehbuchs zu vernichten. Ich habe nur den Eindruck, dass die Mehrheit der Leserschaft sich schon gerne Verfilmungen ihrer Lieblingsbücher wünscht, und frage mich dabei immer: Warum eigentlich? Macht es das Buch besser? Kann die Geschichte so noch einmal erlebt werden, aber anders als bei einer Zweitlektüre? Soll die ganze Welt wissen, was für ein tolles Buch das ist, auch jene, die nicht lesen? Oder ist es einfach die Neugier, wie das Buch dann auf der Leinwand aussieht? Wie ist es bei euch? Schreibt’s mir in die Kommentare.

Meine Woche 12.03.2023: Elric, toxische rechte Männlichkeit und vom harten Leben in Japan

Heute gibt es Artikel zu Maskulinität und Faschismus, der peinlichen BBC und KI beim Übersetzen. Dokus erzählen vom Leben nach dem Tsunami in Japan und einer Brennpunktschule in Belgien; Serien von Luden auf St. Pauli und Filme von Schuld und Sühne in China. Dazu eine Besprechung von Michael Moorcocks The Citadel of Forgotten Myths.

Artikel

Muskelmänner, Hoden-Bestrahlung und Faschismus – Von “300” bis zu Tucker Carlson

Die von mir sehr geschätzte Annika Brockschmidt (unbedingt ihr Buch Amerikas Gotteskrieger lesen) hat für 54Books einen Artikel über ein toxisches (eher peinliches, aber gefährliches) Bild von Männlichkeit geschrieben. Ausgangspunkt dafür ist die Dokumentation The End of Men von Fox-News-Oberhetzer Tucker Carlson. Brockschmidt zeigt auf, wie diese vermeintliche Maskulinität vom Faschismus genutzt wird, um Männer in einem immerwährenden Kriegszustand zu halten. Waffengewalt, weißer Nationalismus und christlicher Faschismus, das fließt alles mit ein und hat gerade in den USA aktuell wieder beängstigende Ausmaße angenommen.

BBC zensiert ihre eigenen Programme und Moderatoren

Die BBC knickt immer stärker vor der rechten Politik der Torie-Regierung ein, die den Sender am liebsten komplett abschaffen würde. Diese Woche wurde Gary Lineker suspendiert, der Moderator der beliebtesten Sportsendung im UK hatte die Asylpolitik der Regierung als unmenschlich und grausam kritisiert.

Auch der 96-jährige David Attenborough wurde Opfer dieser BBC-Politik. E hat eine neue Naturdokuserie über wilde Inseln am Start. Doch von den sechs Folgen werden nur fünf ausgetrahlt, weil die BBC angeblich Angst vor einem „rechten Backlash“ habe, wenn sie die Episode über die Folgen der Klimakrise und der Zerstörung der Umwelt ausstrahlt. Der Guardian berichtet.

So weit sind wir jetzt schon, dass wissenschaftliche Fakten zurückgehalten werden, weil man keinen Ärger mit dem Klimakrisen leugnenden rechten Teil der Gesellschaft und Politik haben will. In der Online-Mediathek der BBC wird die Folge zwar verfügbar sein, doch das Bild, das sie aktuell abgibt, ist verheerend.

Heide Franck über Kollektive Intelligenz – Übersetzungsmaschinen und Literatur

Meine ehemalige Chefin von Tor Online und Übersetzerkollegin Heide Franck arbeitet momentan mit zwei Kollegen an einem Projekt darüber, wie wir als Übersetzer*innen, aber auch die Verlage mit den Fortschritten in der künstlichen Intelligenz und bei Übersetzungsprogrammen umgehen können. Dazu hat sie dem Deutschlandfunk Kultur ein sehr interessantes Interview gegeben.

Blog

In meinem Blogbeitrag der Woche erzähle ich davon, wie und warum zwei Filme mein Leben verändert haben.

Tor Online

In meinen SFF News geht es um: Die Phantastik-Bestenliste März, einen Trailer zur Silo-Verfilmung, das 1. Fantasy Lese-Festival Köln, den Genderswapped-Podcast zu KI-Kunst und Daniel Greene zu neuen Herr-der-Ringe-Filmen.

Wenn Kathedralen atmen: Magische Gebäude in der Fantasy

Der Artikel der Woche stammt von Alessandra Reß: Ob Bibliothek oder Kathedrale, Internat oder Herrenhaus: Magische Gebäude haben in der Fantasy eine große Tradition und können den Figuren an jeder Ecke über den Weg laufen. Ein guter Grund, sich das Wesen solcher Bauwerke einmal genauer anzuschauen.

Lektüre

The Citadel of Forgotten Myths | Michael Moorcock

Elric und Moonglum reisen über den Rand der Welt hinaus in »the world below«, wo Elric mehr über die Herkunft seines Volkes erfahren möchte und eine Blume finden will, die ihm dauerhaft helfen soll, bei Kräften zu bleiben, ohne dass er mit Sturmbringer töten muss. Das Buch besteht aus zwei schon bekannten Kurzgeschichten, die zusammen 100 Seiten einnehmen und einer 200 Seiten langen Novelle und spielt zwischen den Romanen The Bane of the Black Sword and Stormbringer.

Die ersten beiden Kurzgeschichten sind für Elric-Fans ganz nett. Klassische Sword-and-Sorcery-Storys nach dem üblichen Moorcock-Muster, wo am Ende immer eine höhere Macht eingreift. Die 200-seitige Novelle fängt auch relativ vielversprechend an, durch die letzten 100 Seiten musste ich mich allerdings quälen. Die sind unheimlich langatmig. Die sich ewig wiederholenden Dialoge und Reflexionen ziehen sich zu lange hin, ständig wird wieder alles erklärt. Ich konnte der Geschichte auch nicht immer ganz folgen. Was Morcoock früher in zwei Absätzen erklärt hat, in Sachen Mulitiversums-Kuddelmuddel, erstreckt sich hier ohne Mehrwert über mehrere Seiten. Spannung kommt keine auf, Sense of Wonder nur in sehr kleinen Dosen. Sprache und Stil sind teils auch ziemlich antiquiert, was ich manchmal zu schätzen weiß, mich hier aber im Lesefluss gestört hat. Gefallen hat mir, dass Moonglum mehr Raum und Persönlichkeit erhalten hat, als ich es aus den ursprünglichen Romanen in Erinnerung habe. Und die Idee mit den Bienen ist ganz nett.

Nach Raymond Feists Midkemia-Saga war der schwarze Elric-Band von Heyne mit den sechs ursprünglichen Romanen das erste Fantasybuch, das ich als Jugendlicher gelesen und geliebt habe. Kein anderes Buch habe ich so oft wiedergelesen. Doch schon die beiden Elric-Romane aus den 1980/90ern The Fortress of the Pearl und The Revenge of the Rose konnten mich nicht so wirklich überzeugen..

Für mich persönlich ziehe ich aus der Lektüre, dass Fazit, dass Elric für mich mit den sechs Kern-Romanen auserzählt ist, vor allem mit dem wunderbaren und endgültigen Ende. Die lese ich aus Gründen der Nostalgie immer wieder gerne, bin auch sehr auf die Neuübersetzung von Hannes Riffel gespannt (im Herbst erscheint bei Fischer Tor eine prächtige Elric-Gesamtausgabe), aber alles, was darüber hinausgeht, und noch irgendwie nachträglich in die Chronologie gequetscht wird, hat für mich wenig Reiz. Als Kurzgeschichte eher noch als in der längeren Form. Wäre vor 20 Jahren vermutlich noch anders gewesen, als ich noch gerne mehr vom Gleichen und längere Serien gelesen habe.

Serien

Luden

Sechsteilige deutsche Serie über den schönen Klaus (Barkowsky) und seine Nutella-Bande, die in den 1980ern auf St. Pauli den Kiez aufgemischt haben. Eine Serie über Männern die Frauen ausbeuten, schlagen, entstellen, traumatisieren und in den Tod treiben, und sich dabei gegenseitig auf die Fresse hauen, sich abstechen und schließlich erschießen. Schlecht ist die Serie nicht, aber mir ist sie stellenweise zu fröhlich inszeniert. Die Macher*innen wollten damit wohl einen Kontrast zu den Schockmomenten schaffen, mir werden dadurch aber kriminelle Gewalttäter wie Barkowsky zu romantisierend und charmant dargestellt, auch wenn am Ende ganz klar ist, was für ein Arschloch der Mann ist. Von der Ausstattung und der Aufmachung her seht gut gemacht, die Darsteller‘innen sind auch super.

Wer sich die Serie schon anschaut, sollte sich auch die Doku-Serie Die Paten von St. Pauli ansehen, wo besser rüberkommt, was für Schmierlappen das alles sind. Und wie gewalttätig es wirklich abgelaufen ist.

Daisy Jones and the Six

Noch eine historische Serie von Amazon, dieses Mal um die titelgebende fiktive Band, basierend auf dem Roman von Taylor Jenkins Reid. Wenn ich mit der Serie durch bin, werde ich mehr dazu schreiben, die ersten fünf Folgen haben mir sehr gut gefallen, aber erst mal veweise ich auf die sehr treffende Einschätzung von Stefan Mesch beim Deutschlandfunk Kultur, der die Serie auch im Verhältnis zur Buchvorlage setzt. Die hatte mir ebenfalls gut gefallen, war aber vielleicht etwas zu beschönigend.

Dokus

Double Layered Town (二重のまち/交代地のうたを編む)

Erzählt von vier jungen Leuten, die eine vom Tsunami zerstörte Stadt besuchen, die mit 40 Zentimeter Erde aufgeschüttet und neu erbaut wurde. Dort lauschen sie den Menschen, die von der Katastrophe betroffen wurden und Angehörige verloren haben. Ziel ist, deren Geschichten weiterzuerzählen.

Es geht nicht nur darum, wie die Katastrophe das Land und die Städte verändert hat, sondern auch die Menschen. Wie die junge Mutter, die vor dem Tsunami gerne Romane gelesen hat und nie ohne Make-up aus dem Haus ging. Dies danach aber nicht mehr konnte. Ein solches Ereignis verrückt die Prioritäten, auch jenseits des Traumas.

Dryads in a Snow Valley (風の波紋)

Begleitet das Leben der Menschen in einem kleinen japanischen Bergdorf, in dem im Winter teils über drei Meter Schnee fallen können. Ein hartes Leben in einer kleinen Gemeinschaft, die aber zusammenhält und sich gegenseitig hilft. Die Kamera hält einfach drauf und lässt die Menschen erzählen.

Beide Filme sind noch bis Mittwoch kostenlos bei JFF+ Independent Cinema zu sehen.

Die Schule der letzten Chance

Eigentlich wollte ich mir auf Arte Beste Bedingungen – Eine Jugend im Pariser Nobelviertel ansehen, merkte aber schnell, dass ich die Doku von 2017 schon kannte. Ist aber sehenswert, begleitet sie doch 15 Jahre lang jene Jugendlichen, die aufgrund ihrer Herkunft auf Elitehochschulen wie die ENA oder École polytechnique gehen und später die Politik- und Verwaltungselite Frankreichs bilden.

Ganz anders jene Jugendlichen aus Die Schule der letzten Chance, die aus zerrütteten Familienverhältnissen kommen und als „Problemschüler*innen“ gelten. Drei Jahre lang begleitet die Doku sie an ihrer Schule in Lüttich (Belgien) und zeigt, das hinter jeder*jedem problematischen Schüler*in eine Geschichte steckt, die sie teils schwer traumatisiert hat, aber zumindest dafür sorgt, dass ihnen Struktur und Halt in der Familie fehlt. Was wiederum seine Ursachen in unsere Gesellschaft hat, die dabei versagt, Bedingungen zu schaffen, die solche Verhältnisse verhindern.

Filme

Tenebre

Auf Netflix gibt es jetzt diesen Giallo von Dario Argento, der zu Recht zu seinen besten Filmen gezählt wird. Menschen aus dem Umfeld eines Schriftsteller werden so ermordet, wie er es in seinen Büchern beschreibt. Dazu originelle Kamerafahrten und die dynamische Musik von Goblin. Doch auch wenn der Film selbst kritisch erwähnt, wie tumb es ist, dass Frauen immer nur die Opfer sind, geht es am Ende doch nur darum, junge, oft leichtbekleidete Frauen zu töten.

Are You Lonesome Tonight (Re dai wang shi)

Ein junger Chinese, der nachts einen Mann überfahren und Fahrerflucht begangen hat, sucht die Nähe zur Frau seines Opfers, verhält sich dabei aber auch ziemlich übergriffig. Clever verschachtelt erzähltes und in außergewöhnlich schönen Bildern gefilmtes Drama über Schuld und Sühne, das sich in der zweiten Hälfte mehr Richtung Thriller entwickelt, weil eine Tasche voller Geld eine Rolle spielt. Braucht sich hinter Filmen wie, Asche ist reines Weiß und Feuerwerk am helllichten Tage nicht zu verstecken.

Für genauere Infos empfehle ich die Besprechung von Joachim Kurz bei Kino-Zeit.

Zwei Filme, die mein Leben verändert haben

Zwei Filmszenen aus "Smoke" und "Good Will Hunting": Links ein Tabakladen in New York von außen. Eine Person sitzt schlafend auf einem Klappstuhl in der Sonne, davor fegen zwei junge Männer den Gehweg..
Rechts: Zwei Männer sitzen auf einer Bank in einem Park vor einem See. Wir sehen sie  von hinten.
© Miramax

Kürzlich hat auf Facebook so eine Liste die Runde gemacht mit Best Movie, Worst Movie, Guilty Pleasure, einigen anderen Kategorien und Movie that changed my Life. Und da kam ich ins Grübeln, ob es Filme gibt, die mein Leben wirklich verändert haben?

Es gibt Leute, die sind keine Film-Menschen, die schauen Filme nur, um unterhalten zu werden, als reinen Konsum, ohne sich weiter Gedanken zu machen, von wem der Film ist, worum es wirklich geht, was den Film so besonders macht.

Und es gibt jene, die sich von der Magie des Kinos verzaubern lassen. Ein Zauber, der am stärksten in der Kindheit wirkt, wenn wir am empfänglichsten sind für Eindrücke von außen, die uns für den Rest unseres Lebens prägen können. Die uns jedes Mal wieder einen Schauer über den Rücken jagen, wenn wir sie sehen, oder auch nur die Filmmusik hören. Dieser Sense of Wonder, der uns die Welt als ein großes Abenteuer voller Mysterien und Geheimnisse verspricht. Filme, die wie auf Knopfdruck eine Nostalgie in uns auslösen, die uns zurück zur Geborgenheit und Unbeschwertheit der Kindheit bringt. Bei mir waren das Filme wie Indiana Jones, Star Wars, Die Goonies oder Das Geheimnis des verborgenen Tempels. Aber haben Sie wirklich mein Leben verändert? Eher nicht.

Das sind nicht die Filme, die ich hier meine, die mein Leben wirklich konkret und nachweisbar verändert haben. Die mich dazu brachten, das Steuer herumzureißen, den Zug zu verlassen. Die ich an einer Weggabelung stehend sah, wo sie mir den Schubs in die richtige Richtung gaben.

Zwei Filme sind es, von denen ich das behaupten kann: Smoke und Good Will Haunting.

Smoke

Es gibt Filme, die beeindrucken mit spektakulärer Action, überraschenden Wendungen, einem cleveren Drehbuch, großer Dramatik oder gewaltiger Vorstellungskraft. Smoke hat nichts davon. Smoke ist eine dieser kleinen Filmperlen, die aus dem Alltag einfacher Menschen erzählen, die jeden Tag zur Arbeit gehen, vielleicht kurz vorher, immer zur gleichen Zeit, ihren Laden von der anderen Straßenseite aus fotografieren und es genießen, am Leben anderer teilhaben zu können, am Leben jener, die vorbeikommen, um sich ein Packen Zigaretten zu kaufen, und zum Plaudern ein wenig verweilen.

Smoke erzählt episodenhaft die Geschichte einiger Figuren aus dem Kosmos eines kleinen Tabakladens. Skurrile und herzliche kleine Lebensgeschichten, von Menschen, die am Leben gescheitert sind, oder es einfach so nehmen, wie es kommt. Und genau deswegen hat mich der Film so extrem begeistert. Bis dahin sah ich gerne Filme wie oben beschrieben, denen ein Zauber innewohnt, die uns die Welt als ein Abenteuer voller verborgenen Schätze, Geheimagenten und verführerischer Frauen zeigen. Die uns eine Fantasie vorgaukeln.

Doch der Zauber von Smoke wirkt auf andere Weise. Er zeigt uns die Abenteuer des Alltags; die Magie, die in allen von uns steckt, die wir gegenseitig in uns entdecken können, wenn wir nur richtig hinschauen. Wenn wir den anderen zuhören und an ihrem Leben teilhaben.

Zu dem Zeitpunkt, als ich ihn sah, war ich ungefähr 17 Jahre alt und hatte bis dato ausschließlich Fantasy- und Stephen-King-Bücher gelesen. Aber nichts, was in unserer Welt ohne phantastische Elemente verankert war, denn damals war ich der Meinung, dass unsere Welt schon langweilig genug sei, da müsse ich nicht noch langweilige Bücher darüber lesen.

In Sachen Filmen sah die Sache aber anders aus, nach einer frühjugendlichen Phase mit Horror- und Actionfilmen (dem üblichen Videotheken-Kram von damals mit Jean-Claude Van Damme, Chuck Norris und Michael Dudikoff) entdeckte ich das Independent-Kino im Nachtprogramm der Dritten für mich. Filme von Woody Allen, kleine Indie-Streifen mit Steve Buscemi wie Tree’s Lounge, In the Soup, Living in Oblivion, Abschiedsblicke, andere New-York-Filme wie Auf der Suche nach Jimmy Hoyt oder eben Smoke.

In der Programmzeitschrift Hörzu hatte ich gelesen, dass das Drehbuch zu Smoke, von Paul Auster stammt. Und dass er hauptberuflich Romane schreibt. Das war für mich ein Heureka-Moment. Denn da kam mir der Gedanke, dass wenn mir ein Drehbuch von Paul Auster so gut gefällt, mir auch ein Roman von ihm gefallen könnte. Auch wenn er keine Fantasy schreibt und ganz in unserer Welt verankert ist.

Zum Glück ging ich zu dem Zeitpunkt in Koblenz zur Schule, wo es mit Bouvier eine gut sortierte Buchhandlung gab. Direkt am nächsten Tag schwänzte ich den Unterricht, stöberte dort in der Belletristikabteilung nach Paul Auster und entschied mich schließlich für Mond über Manhattan. Ein Buch, das mich ebenso begeistern konnte, wie der Film Smoke und der Beginn einer langen Leidenschaft für belletristische Literatur jenseits der Phantastik war. Vor ein paar Jahren habe ich es hier auf dem Blog für einen Reread besprochen.

Und Smoke? Der ist für mich eigentlich ganz gut gealtert und ich schaue ihn mir alle paar Jahre wieder gerne an.

Ob ich meine Liebe zur Literatur auch ohne den Film entdeckt hätte, wer weiß? Möglich ist es schon, denn Lesen war ja schon meine Lieblingsbeschäftigung und nur Fantasy, Science Fiction und Horror zu lesen, wäre irgendwann langweilig geworden. Aber das werde ich nur erfahren, wenn ich in eine Parallelwelt reise, in der ich den Film nie gesehen habe. Der Literatur bin ich bis heute treu geblieben und arbeite jetzt seit zehn Jahren in der Buchbranche, für einen großen Verlag, aber auch als freiberuflicher Übersetzer.

Good Will Hunting

Ist das nicht ein furchtbarer Trailer, der dem Ton des Films überhaupt nicht gerecht wird?

Zwei Jahre später machte ich meinen Zivildienst in einem Krankenhaus. Zuvor hatte ich die Realschule mit einem mittelprächtigen Abschluss beendet und keinen Bock auf eine Lehre. Also entschied ich mich, wie einige andere aus meiner Umgebung, dafür, eine zweijährige höhere Handelsschule zu besuchen – für die ich dann drei Jahre brauchte -, einfach um etwas Zeit zu schinden. Die Ehrenrunde musste ich drehen, weil ich mich mit meinen Mitschülern zu gut verstand, und ich mit ihnen zu oft schwänzte, um in der Kneipe nebenan Billard zu spielen oder alleine in die Buchhandlung zu gehen. Da habe ich das Stundenleben schon ein wenig vorweggenommen.

Doch wie sollte es nach dem Zivildienst weitergehen? Auf eine Lehre hatte ich immer noch keine Lust. Ich komme aus einer Familie, in der niemand im engeren Kreis studiert oder Abitur gemacht hat, weshalb der Gedanke an ein Studium (auch aufgrund meiner schlechten Noten) gar nicht aufkam. Der Mindset bei uns in der Familie und auf dem Dorf war: Schule, Lehre, 50 Jahre im mittelständischen Unternehmen schuften, Familie gründen, Haus bauen und dann ab in Rente. Alles Sachen, die legitim sind, die ich niemandem madig machen möchte, auf die ich aber keinen Bock hatte und auch heute nicht habe. Ist einfach nicht mein Ding.

Eines abends während meines Zivildienstes 1999/2000 schaute ich mir den Film Good Will Hunting an, und da traf mich die Erkenntnis, dass ich auch so ein unentdecktes Genie wie der von Matt Damon gespielte Will Hunting sein musste. Wer kennt sie nicht, die Geschichte vom hochbegabten Kind, das nur schlechte Noten bekommt, weil es unterfordert ist und sich langweilt.

Nein, Spaß beiseite, so viel Selbstüberschätzung besaß ich dann doch nicht. Aber ich dachte: Uni, warum nicht. Meine Lieblingsbeschäftigung damals (wie heute) war das Bücherlesen. Und was wird an der Universität ganz viel gemacht? Richtig, Bücher gelesen. Damals hatten wir schon einen Internetanschluss und ich informierte mich darüber, wie man es mit einem Realschulabschluss bis an die Uni schaffen kann.

Das Zauberwort hieß Fachabitur. Das richtige Abitur in drei Jahren nachzuholen, kam für mich nicht infrage. Erst mal ging es zur Berufsberatung des Arbeitsamtes, wo mich der Sachbearbeiter auslachte. Mit solchen Noten – 6 in Mathe! – Fachabitur, nie im Leben. Ich ließ mich nicht beirren. Normalerweise braucht man, um fürs einjährige Fachabi zugelassen zu werden, eine abgeschlossene Berufsausbildung. Oder einen Abschluss von einer höheren Handelsschule – die dann doch noch für etwas gut war.

Das Fachabi habe ich auf einer Berufsschule in Koblenz gemacht. War ein tolles Jahr, ich habe nicht eine einzige Stunde geschwänzt und meine Hausaufgaben tatsächlich immer zu Hause gemacht, und nicht erst kurz vor Unterrichtsbeginn bei anderen abgeschrieben. Und siehe da, ich brachte plötzlich gute Noten nach Hause. Sogar Einsen in Mathe, obwohl das Niveau noch höher als auf der Handelsschule war (aber nicht hoch genug, fürs Physikstudium).

Der Grund dafür ist einfach. Das war die erste Schule, auf die ich nicht gegangen bin, weil ich musste, und auch nicht, weil ich keinen Bock auf was anderes hatte, sondern, weil ich ein ganz bestimmtes Ziel hatte. Ich hatte eine Motivation, ich wollte studieren. Das habe ich dann auch – lange und oft. Sechs Jahre Sozialpädagogik in Siegen (ein Semester davon Physik, bevor ich den Studiengang gewechselt habe) und vier Jahre Nord- und Lateinamerikastudien an der Freien Universität in Berlin. Hat beides richtig Spaß gemacht.

Good Will Hunting schaue ich immer noch gerne, auch wenn manche Sachen nicht so gut gealtert sind. Ein Studium braucht es nicht unbedingt, um mehr über die Welt zu erfahren. Das kann auch in Büchern erlesen werden – so wie es Will im Film macht -, und indem man die Welt bereist und den Absprung aus der alten Heimat schafft, so wie Will am Ende.

Fazit

In beiden Filmen sind die Frauenrollen deutlich ausbaubar. Und in beiden Filmen gibt es Figuren, die vor allem durch den Tod ihrer jeweiligen Frau definiert werden, was ich heute als problematisches Handlungsmuster sehe, vor allem in der Häufigkeit, mit der es in Filmen vorkommt und wenn es zum Ausgleich keine weiteren mehrdimensionalen Frauenrollen in dem jeweiligen Film gibt.

Zu den Top Ten meiner Lieblingsfilme, würde ich weder Smoke noch Good Will Hunting zählen, da gibt es Filme, die ich viel mehr mag. Aber ich kann wohl behaupten, dass es keinen Film gibt, der einen solchen Einfluss auf mich hatte, wie diese beiden. Ohne Smoke kein breitgefächertes Interesse an Literatur. Und ohne die Literatur kein Interesse an einem Studium, das für mich aber erst durch Good Will Hunting in den Bereich des Möglichen rückte.

Und wie sieht es bei euch aus? Welche Filme haben euer Leben verändert? Und warum?

Meine Woche 05.03.2023: Wildes Tokio, Hongkong-Kino und künstliche Intelligenz

Mein Schwerpunkt liegt heute auf Filmen aus Hongkong von Johnnie To, Tsui Hark und Wong Kar-Wai, sowie einem ganz tollen aus Japan. Es geht darum, wie KI das Kino und unser Leben verändern wird. Und warum ich Bücher mehr als einmal lese. Dazu Dokus, Serien und Hörspiele.

Was für eine Woche. Der Iran vergiftet seine Kinder, die SPD möchte in Berlin unter einem Rechtsaußen der CDU mitregieren und ist jetzt auch bei Taliban-Vergleichen angekommen, wenn es um die Protestaktionen junger Klimaaktivist*innen geht. Die Verbalradikalisierung des politischen und journalistischen Establishment gegen junge Menschen, die sich außerhalb der für sie zugewiesenen Gehege politisch engagieren, nimmt bedenklich und demokratiezersetzende Züge an. Im Iran können wir sehen, wo solche Worte irgendwann hinführen. Ich hoffe, mein Wochenrückblick hilft dabei, von dem ganzen Scheiß ein wenig abzulenken.

Artikel

Read it again! Bücher noch einmal lesen?

Es gibt ja Menschen, die lesen kein Buch zweimal, weil es noch so viele interessante ungelesenen Bücher gibt. Ich gehöre nicht dazu. Nach 15 bis 20 Jahren lese ich Bücher, die mir richtig gut gefallen haben, gerne ein zweites Mal. Einige meiner Lieblingsbücher habe ich auch schon mehrfach gelesen. Denn es ist nicht das gleiche Buch, dass ich beim zweiten Mal lese, da ich nicht derselbe Mensch bin. Ich habe neues Wissen, neue Erfahrungen. Aber manchmal geht es mir auch einfach nur um Nostalgie. Für Teilzeithelden hat Marie Mönkemeyer einige Gründe für einen Reread aufgeführt.

Wo bleibt Ihr Aufruhr? – Sascha Lobo über künstliche Intelligenz

Ich persönlich gehe davon aus, dass meine Tätigkeit als Übersetzer irgendwann in den nächsten zehn Jahren weitgehend durch KI-Programme wie DeepL ersetzt wird. Vielleicht nicht bei anspruchsvoller Literatur, aber im Unterhaltungsbereich garantiert. Viele aus der Branche wiegeln noch ab, weil sie von dem Stand ausgehen, auf dem sich DeepL aktuell befindet, und bedenken nicht, dass die Fortschritte dieser KI-Programme exponentiell stattfinden und die Rechenleistung sich alle sechs Monate verdoppelt. Die professionellen Go-Spieler haben auch lange noch abgewiegelt, bis ihr Weltbild durch AlphaGo plötzlich erschüttert wurde.

Viele gehen auch davon aus, dass die meisten Menschen Kreativität und den menschlichen Faktor bei Texten und Kunstwerken zu sehr schätzen, um sich mit KI-Ergebnissen abspeisen zu lassen. Wenn ich mir aber ansehe, wie erfolgreich schlecht geschriebene und/oder schlecht übersetzte Bücher teilweise sind, ohne, dass der Mehrheit der Leserschaft das überhaupt auffällt, habe ich da wenig Hoffnung. Und viele Verlage kümmert es auch nicht, so lange es sich verkauft.

So viel zum Artikel von Sacha Lobo und meinen persönlichen Bezügen dazu. Ich denke, dazu werde ich irgendwann noch einen eigenen Blogbeitrag schreiben.

Youtube

Wie Künstliche Intelligenzen das Kino völlig verändern

Auch der Film-Youtuber David Hain hat sich diese Woche auf seinem Kanal Behaind mit dem Thema KI beschäftigt, und wie es das Filmemachen revolutioniert. Er stellt den Film Fall vor, bei dem Schimpfwörter nachträglich durch harmlosere Varianten ersetzt wurden. Damit das lippensynchron bleibt, wurde eine Software entwickelt, die die Lippenbewegungen an die neuen Wörter anpasst. Sowas wird in Zukunft auch bei Filmsynchronisationen in andere Sprachen eingesetzt werden. Eine Technologie, mit der man Menschen alle möglichen Aussagen in den Mund legen kann. Denn die Stimme lässt sich inzwischen auch deepfaken.

Aber das ist bei Hain nur die Einleitung, denn er geht auch der Frage nach, was in Zukunft noch auf uns zukommt. Wie er, sehe ich das größte Problem für originelles, kreatives Kino darin, dass der Erfolg eines Films inzwischen ziemlich genau berechnet werden kann, und die Studios nur noch solches immergleiches Zeug produzieren werden. Also noch mehr, als es ohnehin schon der Fall ist.

Serie

Skins UK

Erstmals seit ca. 2010 (damals auf Hulu) habe ich mir die ersten beiden Staffeln der britischen Serie Skins wieder angesehen. Insgesamt gibt es sieben, aber mehr habe ich nicht gesehen, da ab der dritten die Hauptfiguren wechseln – was aber durchaus verständlich ist, da ihre Geschichten auserzählt sind.

Ich kenne keine Serie, die das Gefühl der letzten Monate und Wochen vor dem Schulabschluss so gut einfängt, wie Skins. Dabei balanciert sie gekonnt zwischen großen Albernheiten und ernsten emotionalen Momenten. Allein die vorletzte Folge der 2. Staffel (mit Cassie in New York) ist ein kleines Meisterwerk.

Klar, eine Serie wie Euphoria erzählt heute noch mal auf einem ganz anderen Niveau, aber in ihr geht es auch um andere Themen. Bei Skins steht vor allem Freundschaft im Vordergrund, zwischen Sid und Tony, Jal und Michelle, Cassie und Chris. Anwar und Maxxie. Liebschaften natürlich auch sowie Trauer und Verlust. Abwesende Eltern sind ein Thema, Eltern, die sich nicht kümmern, nicht verstehen.

Vermutlich werde ich demnächst aber weiterschauen, denn Effi soll noch mit dabei sein, und die war in den ersten beiden Staffeln die coolste Sau von allen.

Gibt es auf Netflix.

Doku

Wildes Tokio

Eine 45-minütige Doku über die Fauna Tokyos. Wer glaubt, die Riesenmetropole würde nur aus Menschen, Stahl, Beton, Asphalt und bunten Lichtern bestehen, täuscht sich. Auch in Großstädten findet die Natur ihren Weg und Tiere ihre Nischen. Da ich kürzlich erst Pom Poko gesehen habe, hat es mich besonders gefreut, dass als erstes Tier der Marderhund seinen Auftritt hat, mit einer Schienenüberquerung, die auch aus dem Film stammen könnte. Ansonsten gibt es Krähen, die sich Nester aus Kleiderbügeln bauen, hungrige Haie in der Bucht von Tokyo um einen Unterwasserschrein, und Möwen, die auf Hochhausdächern brüten.
Ist in der ARD-Mediathek verfügbar.

Hörspiel

Die drei ??? Manuskript des Satans

Die Buchvorlage kenne ich nicht, aber das Hörspiel hat mir richtig gut gefallen. Einen so soliden klassischen ???-Fall hätte ich nicht mehr erwartet. Nur schade, dass das titelgebende Manuskript keine große Rolle spielt. Ansonsten gibt es unheimliche Vorgänge, einen grummelingen Auftraggeber und klassische Ermittlungsarbeit. Und Jürgen Thormann in der wichtigsten Nebenrolle, die er mit 95 Jahren! immer noch hervorragend meistert.

Filme

Hongkong

In den letzten zwei Jahren habe ich schon angefangen, eine DVD-Blu-ray-Sammlung von Filmen aus Hongkong anzulegen, da viele dieser Filme nicht im Streaming erhältlich sind, und wenn doch, dann nur mit deutscher Tonspur (siehe die Filme von Johnnie To). Von Wong Kar-Wai gibt es inzwischen tatsächlich fast alles in vernünftigen Versionen bei Streaming-Anbietern, aber bei John Woo, Fruit Chan und Ann Hui sieht es schlecht aus, weshalb ich mit dem Sammeln angefangen habe. Angeregt durch meine Sichtung von PTU auf Arte habe ich mir letzte Woche drei Filme von Johnnie To bestellt. Bis auf Mad Detective kannte ich die schon alle, die letzte Sichtung liegt aber schon sehr lange zurück.

DVD-Cover zu je drei Filmen in einer Reihe, von oben rechts: Exiled, Mad Detective, Breaking News, Bullet in the Head, Hard Boiled, A Better Tomorrow, Infernal Affairs, Made in Hong Kong, Tao Jie, Days of Being Wild, Chungking Express und In the Mood for Love.

Mad Detective ist für mich bisher Tos schwächster Film. Die Geschichte über den van Gogh unter Hongkongs Ermittlern ist eigentlich gar nicht so schlecht, auch wenn sie zwischendurch etwas wirr wirkt. Hier gibt es Anleihen an den Film Dämon mit Denzel Washington, kann unser Detective doch sehen, wenn Menschen von Dämonen besessen sind. Als er konsultiert wird, nach einem verschwundenen Polizisten zu suchen, eskaliert die Situation. Das Langweilige an dem Film ist die Art, wie er gefilmt ist. Ganz konventionell, ohne die Eleganz und Finesse, die es bei To sonst zu sehen gibt.

Ganz anders Breaking News, einer von Tos besten Filmen. Allein, wie die Schießerei am Anfang gefilmt ist, mit der Kamera, die die Straße hinauffährt, sich dreht und wieder hinunterfährt, bis sie sich in den Himmel hebt. Neben der reichhaltigen Action, ist der Film aber auch eine Kritik an den Medien und wie sie die Arbeit von Sicherheitsbehörden beeinflussen. Aus einer Zeit, in der es in Hongkong noch eine freie Presse gab.

Im Stream gesehen habe ich Happy Together, der einzige Film von Wong Kar-Wai, den ich bisher noch nicht kannte, obwohl ich ihn mir vor über 20 Jahren auf VHS aufgenommen habe. Das lag nicht unbedingt daran, dass mich damals Filme über Liebesbeziehungen zwischen Männern nicht interessiert haben, sondern eher, dass es ein Hongkong-Film ist, der in Argentinien spielt. Ich wollte eben Hongkong sehen und seine Atmosphäre. Der Film ist gut und ein Meilenstein des (asiatischen) Gay-Cinemas. Die beiden Hauptfiguren fand ich allerdings sehr unsympathisch und ihre Beziehung toxisch. Aber von Christopher Doyle in wirklich schönen Bildern gefilmt.

Die Sieben Schwerter von Tsui Hark ist ein ganz ordentlicher historischer Wuxia- bzw. Marrtial-Arts-Film, der zwar auf einer literarischen Vorlage basiert, aber doch stark an Die sieben Samurai erinnert, geht es doch um sieben Schwerkämpfer, die ein Dorf vor einer Armee aus Schurken beschützen müssen. Mit 147 Minuten hat er im Mittelteil ein paar Längen, da er aber ursprünglich auf vier Stunden ausgelegt war, geht durch die Kürzungen bei manchen Sachen das Verständnis verloren.

Ist noch bis zum 13.08.2023 in der Arte-Mediathek erhältlich.

Auf meiner Seite lesenswelt.de gibt es noch mehr zu Hongkong.

Mein Film der Woche kommt aber nicht aus Hongkong, sondern aus Japan:

Call Me Chihiro

Ein wunderbarer Slice-of-Life-Film über eine ehemalige Sexarbeiterin, die an einem Bento-Stand arbeitet, ihre Mitmenschen mit ihre Gutmütigkeit und Laune ermutigt und ermuntert, und so einen herzlichen Kosmos um sich herum schafft, in dem sich die Leute, die sich vorher nicht kannte, gegenseitig helfen.

Es gibt Kritiker, die schreiben, der Film würde weder showen noch tellen, es würde nichts passieren, aber das sind Leute, die – wie Wolfgang M. Schmitt wohl schreiben würde – nur schauen, aber nicht sehen. Denn es passiert eine Menge. Für uns Zuschauer*innen wirkt es wie Kleinigkeiten, doch für die Figuren sind das teils gravierende Veränderungen. Der Film ist eine Hommage an die Poesie des Alltags und zwischenmenschliche Beziehungen, die ohne große dramatische Momente auskommen. Ein heißer Kandidat für meinen Lieblingsfilm des Jahres.

Gibt es jetzt neu auf Netflix.

Japan Independent Cinema: 6 kostenlose Filme im Stream

Auf der Seite des JFF (Japanese Film Festival) können noch bis zum 15. März sechs japanische Independent-Filme kostenlos angesehen werden. Noch habe ich keinen davon gesehen, mir aber auf jeden Fall die beiden Dokus vorgenommen, und hoffentlich auch noch den Rest. An dieser Stelle möchte ich ein großes Lob an all die Filmfestivals aussprechen, die Filme, die in Deutschland teilweise wohl nie erscheinen werden, nicht nur vor Ort auf ihrem Festival im Kino zeigen, sondern sie seit der Pandemie auch online zugängliche machen. Das ist eine echte kulturelle Bereicherung.