Eine Serie über die Bedeutung des Lokaljournalismus, eine Doku über die moderne Demokratie Taiwans, Wrestling als Lebensretter und die Romane Streulicht und Neonregen. Dazu einige Artikel, Blog- und Radiobeiträge.
Irgendwie bin ich heute nicht so in Form, weswegen ich mit den Texten, die ich heute erst geschrieben habe, auch nicht wirklich zufrieden bin (einen Teil schreibe ich auch schon unter der Woche). Ich hoffe, ihr findet hier trotzdem die ein oder andere interessante Empfehlung.
Dokus und TV
Wir sind Taiwan
Sehr interessanter Beitrag über Taiwan, vor allem, weil er auch auf die indigene Bevölkerung der Insel, die Kolonialzeit vor Chiang Kai-shek und auch auf die dunklen Kapitel der Diktatur eingeht. Zum Beispiel durch den Film Untold Herstory, über Frauen, die als politische Gefangene in dieser Zeit ein Martyrium durchmachen mussten. Sie zeigt den Konflikt vieler älterer Taiwanesen, die noch eine stärkere Verbindung zur chinesischen Kultur verspüren, und der modernen, progressiven Jugend. Auf dem Demokratie-Index steht Taiwan noch vor Deutschland. Für LGBTQ+-Menschen aus Asien ist die Insel eine Art sicherer Zufluchtsort. All das wird aber auch durch China bedroht.
Monster Factory
Das ist eher Docutainment, Monster Factory ist eine Wrestling-Schule bei New Jersey, die schon einige bekannte Wrestler hervorgebracht hat. In sechs Folgen werden der Leiter der Schule und einige seiner Schüler*innen bei den Vorbereitungen zu einem großen Showcase begleitet, von dem sich einige den großen Durchbruch und einen Vertrag bei einer großen Firma wie der WWE erhoffen.
Auch wenn ich als Kind Wrestling geliebt habe – meine Wände zierten Poster von Männern in knallbunten Unterhosen, mit verschwitzen Muskeln, Stars wie Hulk Hogan, Bret Hart oder der Undertaker (okay, der ist nie in Unterhose aufgetreten, eher in Strumpfhose) -, hat mich der Wrestling-Teil hier weniger interessiert. Ist schon faszinierend, zu sehen, wie straff aber auch leidenschaftlich Danny Cage seine Schule führt, aber mich haben vor allem die Lebensgeschichten der einzelnen Personen interessiert. Wo kommen sie her? Was hat sie zum Wrestling gebracht? Interessant ist zum Beispiel Notorious Mimi, die aus wohlhabender Familie stammt, in der alle studiert habe, die aber schon als Teenagerin wusste, dass sie Wrestling professionell betreiben möchte und das auch geschafft hat. Oder Twitch, der das Tourette-Syndrom und noch einige andere psychologische/neurologische Störungen hat, dem Wrestling aber praktisch das Leben gerettet hat und der trotz dieser Handycaps sehr zielstrebig seine Karriere verfolgt.
Das ist so eine Doku, die ein bestimmtes Sport-Team begleitet und ziemlich unkritisch darüber berichtet. Trotzdem werden auch ernste Themen wie Suizid und Krebs angesprochen.
Gibt es bei AppleTV+.
Precht
Es ist mir sehr unangenehm, hier eine Sendung von Richard David Precht zu verlinken, da ich den Typen inzwischen ganz furchtbar finde, aber ich nutze es, um einen Punkt zu unterstreichen, der mir wichtig ist. In der aktuellen Folge hat er den indischen Schriftsteller Pankaj Mishra zu Gast. Ich habe zufällig reingeschaltet und fand wirklich faszinierend, was Pankaj Mishra zu sagen hatte. Im deutschen Fernsehen kommen Stimmen von Menschen aus nicht-westlichen Ländern kaum zu Wort. Wir können schon froh sein, wenn mal ein australischer Historiker eingeladen wird, der etwas Außenperspektive reinbringt, aber auch fließend Deutsch spricht. Intellektuelle oder überhaupt Menschen aus Afrika, Asien, Lateinamerika oder anderen Regionen jenseits Europas und der USA finden praktisch nicht statt. In Magazinen wie dem Spiegel gibt es ab und zu mal Interviews, oder sie bekommen ein paar Minuten in Titel, Thesen, Temperamente, wenn mal ein Buch von ihnen auf Deutsch erscheint. Aber eine wirkliche Außenperspektive auf Europa und Deutschland erhalten wir viel zu selten. Wir müssen mit diesen Perspektiven und Ansichten ja nicht immer übereinstimmen, aber allein sie zu hören, ist schon ein Gewinn. Statt Precht in der Mediathek die Zugriffszahlen zu erhöhen, könnte ihr natürlich auch direkt Pankaj Mishras Bücher lesen. Die meisten davon sind auch auf Deutsch erschienen.
Serie
Alaska Daily
Die erste Staffel habe ich noch nicht komplett durch, möchte die Serie aber trotzdem schon empfehlen. Denn Serien über Print- und Lokaljournalismus gibt es viel zu wenig. Alaska Daily ist jetzt nicht auf HBO-Niveau wie The Newsroom, aber trotzdem eine feine Serie, die gut zeigt, wie Journalismus funktioniert, mit welchen Schwierigkeiten der Printjournalismus heutzutage zu kämpfen hat und wie wichtig er ist, für die örtliche Gemeinschaft, aber auch die Demokratie.
Die Prämisse erinnert an Northern Exposure (Ausgerechnet Alaska), eine New Yorkerin landet unverhofft in Alaska. Da enden aber auch schon die Gemeinsamkeiten. Die Topjournalistin lernt, mit den begrenzten Mitteln einer Provinzzeitung wichtige Themen abzudecken. Dazu gehört z. B. die epidemisch hohe Zahl an Morden an indigenen Frauen, aber auch ganz allgemein die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft. Und das macht die Serie wirklich gut, mit der richtigen Mischung aus Ernsthaftigkeit, aber auch schrulliger Cozyness.
Die Serie basiert auf einer Artikel-Reihe mit dem Titel Lawless: Sexual Violence in Alaska und ist auf Disney+ zu sehen.
Tor Online
Meine SFF News , der Trailer zu Knights of the Zodiac verspricht knallige Action. Außerdem: Dungeons & Dragons als Therapie-Ansatz, Denis Scheck zeigt sich in Druckfrisch begeistert von Rebecca F. Kuangs historischem Fantasyroman Babel und ein unfairer Artikel über Brandon Sanderson.
Der Artikel der Woche stammt von mir: Teil 2 unserer Reihe über phantastische Kleinverlage ist da. Neun weitere werden euch hier vorgestellt, dazu kommt ein erster Einblick in das Programm des neuen Memoranda-Imprints Carcosa von Hannes Riffel (ehemals Golkonda).
Lektüre
Neonregen | Aiki Mira
Das teilgeflutete und verregnete Hamburg bietet die perfekte Kulisse, um die Neonlichter des Cyberpunks stimmungsvoll zu reflektieren. Und neonschlau holt Aiki Mira das Optimum aus diesem Szenario, sowohl sprachlich, inhaltlich, als auch vom Weltenbau her und den vielschichtig herausgearbeiteten Figuren und den vielen kleinen originellen Geschichten, die dem Neurosubstrat des Romans seine Substanz verleihen.
Es geht um Gamer*innen, KIs, Konzerne, VR, eine Revolution, Identität, aber vor allem (insert Vin-Diesel-Voice) Familie – und was wir daraus machen.
Streulicht | Deniz Ohde
In meiner Besprechung von Felix Lobrechts Sonne und Beton, schrieb ich, dass solche Bücher die vom Aufwachsen in der Arbeiterklasse, in Armut oder einfach schwierigen Verhältnissen meist von Männern stammen, Autoren wie Christian Baron, Didier Eribon oder Édouard Louis. Zum Ausgleich wollte ich mal einen Roman aus weiblicher Perspektive lesen. Und das hat sich wirklich gelohnt.
Streulicht ist keine Autobiografie, sondern ein fiktionalisierter Roman, der wohl stark autobiografische Züge hat. Wie sehr die Geschichte Deniz Ohdes Leben ähnelt, weiß ich nicht. Ist aber auch nicht wichtig.
Sprachgewaltig erzählt sie vom Aufwachsen in der Nähe eines Chemieparks. Allein der Einstieg, wie sie die Auswirkungen der Schornsteine auf Umgebung beschreibt, mit dem Schnee der künstlich und klumpig wirkt, ist großartig. Die Ich-Erzählerin wächst mit türkischer Mutter und deutschem Vater auf, obwohl beide berufstätig sind, scheinen sie psychische Probleme zu haben, was sie auch stark auf das Verhalten ihrer Tochter auswirkt, die nur ungern Freund*innen zu sich nach Hause bringt. Befreundet ist sie mit Sophie und Pikka, die sie bis zum Schulabschluss begleiten. Den erhält sie allerdings nur auf Umwegen. Warum sie zwischenzeitlich so schlecht in der Schule ist, kann sie selbst nicht erklären, denn später, als sie das Abitur nachholt, bringt sie super Noten nach Hause.
Diese Ambivalenz, nicht alles bis ins Details zu erklären, hat mir besonders gefallen. Mir ging es in der Schule ähnlich, schlechter Realschulabschluss, in der höheren Handelsschule sogar sitzen geblieben, und erst beim Fachabitur, als ich wirklich wusste, was ich will, kamen dann gute Noten. So richtig erklären kann ich das aber auch nicht.
Die Ich-Erzählerin ist schüchtern und leise, wodurch andere Menschen schneller und einfacher ihre Vorurteile verfestigen können. Und gerade diese Gefühle, diese scheinbar unbegreifliche Passivität bringt Ohde sehr plastisch rüber. Das konnte ich sofort nachvollziehen.
Eine weitere große Stärke sind ihre Schilderungen der schrulligen Familie, des fast blinden Opas, der mit im Haus lebt, die messieartige Sammelwahn des Vaters, aber auch das Unverständnis der privilegierten Freund’innen. Dabei klagt sie die Verhältnisse im Elternhaus nie an, der Vater wirkt, auch wenn er gelegentlich gegen Gegenstände randaliert, liebevoll und bemüht im Rahmen seiner Fähigkeiten. Die Mutter sowieso. Stolpersteine im Leben der Erzählerin sind vor allem jene Menschen, die sie eigentlich fördern sollten. Vor allem Lehrer*innen, die ihr auf unterschiedlichste Weise mit Vorurteilen begegnen.
Irgendwie fällt mir kein gescheiter Text zu dem Buch ein, das einen viel besseren verdient hätte. Mir hat es richtig gut gefallen, ich kann es nur weiterempfehlen
Streulicht ist dieses Jahr ausgewählt für Frankfurt liest ein Buch 2023. Vom 24. April bis 7. Mai 2023 gibt es mehrere Veranstaltungen in Frankfurt (teils mit Deniz Ohde).
Artikel
„Die Rückkehr des Wunderglaubens“
Über magisches Wunschdenken in der Klimakrise und die Forderung nach einem Moratorium in der KI-Forschung schreibt Christian Stöcker in seiner wöchentlichen Spiegel-Online-Kolumne und geht gut auf die differenzierten Argumente der verschiedenen Akteure ein.
„7 Fantasyromane, die mich positiv überrascht haben“
Ich liebe es, von Büchern, über die ich nichts weiß, überrascht zu werden. Lesen war für mich immer auch Abenteuer, doch je mehr ich schon über ein Buch weiß, desto geringer ist der Reiz des Abenteuers. Ein wenig trauere ich den Zeiten vor dem Internet nach, als ich noch nicht superinformiert über alles war und es nicht schnell nachschlagen konnte. Alessandra Reß stellt sieben Fantasyromane vor, die sie teils im Bücherschrank entdeckt hat und von denen sie positiv überrascht wurde.
Peter Schmitt über Raven – „Swordsmistress of Chaos“ von Richard Kirk
Ich zitiere hier mal Peters Einleitung zu seinem Artikel:
Ich bin in der Vergangenheit schon mehrfach darauf zu sprechen gekommen, dass ab Mitte der 70er Jahre neben den geläufigen männlichen Protagonisten vermehrt Heldinnen in der Sword & Sorcery auftauchten. Dabei habe ich diese Entwicklung, die ihren Höhepunkt in der ersten Hälfte der 80er erreichte, insgesamt als progressiv und emanzipatorisch eingeschätzt und mit den politischen und kulturellen Veränderungen der Zeit, vor allem dem Second Wave – Feminismus, in Verbindung gebracht.
Dass es auch anders geht, beweist Raven!
Ich kenne weder Buch noch Autor, dachte ich, aber Peter klärt schnell auf, dass es sich um ein Pseudonym zweier Autoren handelt, von denen ich Angus Wells tatsächlich mit einem Titel im Regal stehen habe. Und Robert Holdstock ist mir auch ein Begriff. Peter gelingt es, auch über ein ganz furchtbares Buch einen unterhaltsamen und informativen Text zu schreiben. Er erzählt im Prinzip das komplette Buch nach, damit wir es nicht lesen müssen, macht das aber wirklich witzig und geistreich.
Kulturrat fordert bessere Bezahlung
In meinem Beitrag: Liebe Buchbranche, wir müssen reden! Wenn Selbstausbeutung existenzbedrohend wird habe ich schon darüber geschrieben, dass für uns Übersetzer*innen die Honorare in den letzten 20 Jahren nicht gestiegen sind. Was Angesichts der Inflation und kalter Progression existenzbedrohend wird. Beim WDR gibt es einen Beitrag dazu, dass der Kulturrat jetzt Basishonorare für Selbstständige in der Kulturbranche fordert. Bessere Honorare erhalten auch unsere Kulturlandschaft und die Unterhaltungsindustrie. Also vieles von dem, womit ihr eure Freizeit gestaltet. Wobei es hier nur um staatlich geförderte Einrichtungen geht.
„Meine 10 Game-Changerinnen (Literatur, Film, Wissenschaft unvm.)“Meine 10 Game-Changerinnen (Literatur, Film, Wissenschaft unvm.)“
Miss Booleana stellt auf ihrem Blog zehn Frauen vor, die sie persönlich maßgeblich beeinflusst haben. Darunter die französische Regisseurin Agnès Varda, deren Filme ich auch sehr schätze. Die Schauspielerin und Filme- und Serienmacherin Brit Marling, deren Serie The OA ich großartig fand. Und die von mir überaus geschätzte Ursula K. Le Guin. Und für mich mit meiner Leidenschaft für Japan besonders interessant, die japanische Mangazeichnerinnen-Gruppe CLAMP, die ich bisher noch nicht kannte.
„„Tetris“ der Film – Zocken und Kalter Krieg“
Den Tetris-Film auf AppleTV+ habe ich noch nicht gesehen. Aber Stefan Mesch, der den Film für Deutschlandfunk Kultur vorstellt, erklärt, wie wenig akkurat er ist und warum er ihn nicht überzeugen konnte.
Film
Heikos Welt
Obwohl selbst kein Kneipengänger, liebe ich Bücher und Filme über Kneipen. Heikos Welt ist ein per Crowdfunding finanzierter Film, der im Umfeld der Nordachse enstanden ist. Heikos Mutter verliert ihr Augenlicht, nur eine teure Operation kann helfen. Doch woher das Geld nehmen, Heiko ist ein äußerst erfolgloser Hehler, der plötzlich ein Talent für Dart entdeckt und an einem Turnier mit Preisgeld teilnehmen möchte.
Die Kneipenszenen und die Gestalten, die dort rumschlurfen, wirken alle superauthentisch, als wären sie direkt von der Theke weg gecastet worden (was sie vermutlich wurden). Leider gibt es da noch einen Mittelteil über einen Einbruch, der qualitativ stark abfällt. Und die Dramaturgie ist auch etwas holprig. In meiner internen Wertung wollte ich dem Film erst nur 6 von 10 Punkten geben, habe mich aus Sympathie zu den wirklich gelungenen Kneipenszenen, die wirklich auf den Punkt inszeniert sind, für sieben entschieden.
Musik
Letzte Woche habe ich schon Meg Meyers’ neues Album TZIA erwähnt, das läuft jetzt seit einer Woche bei mir rauf und runter, und gefällt mir mit jedem Hören noch besser. Deshalb hier zwei weiteres Video dazu.