Meine Woche 02.04.2023: Wir sind Taiwan, Monster Factory und der Wert des Lokaljournalismus.

Eine Serie über die Bedeutung des Lokaljournalismus, eine Doku über die moderne Demokratie Taiwans, Wrestling als Lebensretter und die Romane Streulicht und Neonregen. Dazu einige Artikel, Blog- und Radiobeiträge.

Irgendwie bin ich heute nicht so in Form, weswegen ich mit den Texten, die ich heute erst geschrieben habe, auch nicht wirklich zufrieden bin (einen Teil schreibe ich auch schon unter der Woche). Ich hoffe, ihr findet hier trotzdem die ein oder andere interessante Empfehlung.

Dokus und TV

Wir sind Taiwan

Sehr interessanter Beitrag über Taiwan, vor allem, weil er auch auf die indigene Bevölkerung der Insel, die Kolonialzeit vor Chiang Kai-shek und auch auf die dunklen Kapitel der Diktatur eingeht. Zum Beispiel durch den Film Untold Herstory, über Frauen, die als politische Gefangene in dieser Zeit ein Martyrium durchmachen mussten. Sie zeigt den Konflikt vieler älterer Taiwanesen, die noch eine stärkere Verbindung zur chinesischen Kultur verspüren, und der modernen, progressiven Jugend. Auf dem Demokratie-Index steht Taiwan noch vor Deutschland. Für LGBTQ+-Menschen aus Asien ist die Insel eine Art sicherer Zufluchtsort. All das wird aber auch durch China bedroht.

Gibt es in der Arte-Mediathek

Monster Factory

Das ist eher Docutainment, Monster Factory ist eine Wrestling-Schule bei New Jersey, die schon einige bekannte Wrestler hervorgebracht hat. In sechs Folgen werden der Leiter der Schule und einige seiner Schüler*innen bei den Vorbereitungen zu einem großen Showcase begleitet, von dem sich einige den großen Durchbruch und einen Vertrag bei einer großen Firma wie der WWE erhoffen.

Auch wenn ich als Kind Wrestling geliebt habe – meine Wände zierten Poster von Männern in knallbunten Unterhosen, mit verschwitzen Muskeln, Stars wie Hulk Hogan, Bret Hart oder der Undertaker (okay, der ist nie in Unterhose aufgetreten, eher in Strumpfhose) -, hat mich der Wrestling-Teil hier weniger interessiert. Ist schon faszinierend, zu sehen, wie straff aber auch leidenschaftlich Danny Cage seine Schule führt, aber mich haben vor allem die Lebensgeschichten der einzelnen Personen interessiert. Wo kommen sie her? Was hat sie zum Wrestling gebracht? Interessant ist zum Beispiel Notorious Mimi, die aus wohlhabender Familie stammt, in der alle studiert habe, die aber schon als Teenagerin wusste, dass sie Wrestling professionell betreiben möchte und das auch geschafft hat. Oder Twitch, der das Tourette-Syndrom und noch einige andere psychologische/neurologische Störungen hat, dem Wrestling aber praktisch das Leben gerettet hat und der trotz dieser Handycaps sehr zielstrebig seine Karriere verfolgt.

Das ist so eine Doku, die ein bestimmtes Sport-Team begleitet und ziemlich unkritisch darüber berichtet. Trotzdem werden auch ernste Themen wie Suizid und Krebs angesprochen.

Gibt es bei AppleTV+.

Precht

Es ist mir sehr unangenehm, hier eine Sendung von Richard David Precht zu verlinken, da ich den Typen inzwischen ganz furchtbar finde, aber ich nutze es, um einen Punkt zu unterstreichen, der mir wichtig ist. In der aktuellen Folge hat er den indischen Schriftsteller Pankaj Mishra zu Gast. Ich habe zufällig reingeschaltet und fand wirklich faszinierend, was Pankaj Mishra zu sagen hatte. Im deutschen Fernsehen kommen Stimmen von Menschen aus nicht-westlichen Ländern kaum zu Wort. Wir können schon froh sein, wenn mal ein australischer Historiker eingeladen wird, der etwas Außenperspektive reinbringt, aber auch fließend Deutsch spricht. Intellektuelle oder überhaupt Menschen aus Afrika, Asien, Lateinamerika oder anderen Regionen jenseits Europas und der USA finden praktisch nicht statt. In Magazinen wie dem Spiegel gibt es ab und zu mal Interviews, oder sie bekommen ein paar Minuten in Titel, Thesen, Temperamente, wenn mal ein Buch von ihnen auf Deutsch erscheint. Aber eine wirkliche Außenperspektive auf Europa und Deutschland erhalten wir viel zu selten. Wir müssen mit diesen Perspektiven und Ansichten ja nicht immer übereinstimmen, aber allein sie zu hören, ist schon ein Gewinn. Statt Precht in der Mediathek die Zugriffszahlen zu erhöhen, könnte ihr natürlich auch direkt Pankaj Mishras Bücher lesen. Die meisten davon sind auch auf Deutsch erschienen.

Serie

Alaska Daily

Die erste Staffel habe ich noch nicht komplett durch, möchte die Serie aber trotzdem schon empfehlen. Denn Serien über Print- und Lokaljournalismus gibt es viel zu wenig. Alaska Daily ist jetzt nicht auf HBO-Niveau wie The Newsroom, aber trotzdem eine feine Serie, die gut zeigt, wie Journalismus funktioniert, mit welchen Schwierigkeiten der Printjournalismus heutzutage zu kämpfen hat und wie wichtig er ist, für die örtliche Gemeinschaft, aber auch die Demokratie.

Die Prämisse erinnert an Northern Exposure (Ausgerechnet Alaska), eine New Yorkerin landet unverhofft in Alaska. Da enden aber auch schon die Gemeinsamkeiten. Die Topjournalistin lernt, mit den begrenzten Mitteln einer Provinzzeitung wichtige Themen abzudecken. Dazu gehört z. B. die epidemisch hohe Zahl an Morden an indigenen Frauen, aber auch ganz allgemein die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft. Und das macht die Serie wirklich gut, mit der richtigen Mischung aus Ernsthaftigkeit, aber auch schrulliger Cozyness.

Die Serie basiert auf einer Artikel-Reihe mit dem Titel Lawless: Sexual Violence in Alaska und ist auf Disney+ zu sehen.

Tor Online

Meine SFF News , der Trailer zu Knights of the Zodiac verspricht knallige Action. Außerdem: Dungeons & Dragons als Therapie-Ansatz, Denis Scheck zeigt sich in Druckfrisch begeistert von Rebecca F. Kuangs historischem Fantasyroman Babel und ein unfairer Artikel über Brandon Sanderson.

Der Artikel der Woche stammt von mir: Teil 2 unserer Reihe über phantastische Kleinverlage ist da. Neun weitere werden euch hier vorgestellt, dazu kommt ein erster Einblick in das Programm des neuen Memoranda-Imprints Carcosa von Hannes Riffel (ehemals Golkonda).

Lektüre

Neonregen | Aiki Mira

Das teilgeflutete und verregnete Hamburg bietet die perfekte Kulisse, um die Neonlichter des Cyberpunks stimmungsvoll zu reflektieren. Und neonschlau holt Aiki Mira das Optimum aus diesem Szenario, sowohl sprachlich, inhaltlich, als auch vom Weltenbau her und den vielschichtig herausgearbeiteten Figuren und den vielen kleinen originellen Geschichten, die dem Neurosubstrat des Romans seine Substanz verleihen.

Es geht um Gamer*innen, KIs, Konzerne, VR, eine Revolution, Identität, aber vor allem (insert Vin-Diesel-Voice) Familie – und was wir daraus machen.

Streulicht | Deniz Ohde

In meiner Besprechung von Felix Lobrechts Sonne und Beton, schrieb ich, dass solche Bücher die vom Aufwachsen in der Arbeiterklasse, in Armut oder einfach schwierigen Verhältnissen meist von Männern stammen, Autoren wie Christian Baron, Didier Eribon oder Édouard Louis. Zum Ausgleich wollte ich mal einen Roman aus weiblicher Perspektive lesen. Und das hat sich wirklich gelohnt.

Streulicht ist keine Autobiografie, sondern ein fiktionalisierter Roman, der wohl stark autobiografische Züge hat. Wie sehr die Geschichte Deniz Ohdes Leben ähnelt, weiß ich nicht. Ist aber auch nicht wichtig.

Sprachgewaltig erzählt sie vom Aufwachsen in der Nähe eines Chemieparks. Allein der Einstieg, wie sie die Auswirkungen der Schornsteine auf Umgebung beschreibt, mit dem Schnee der künstlich und klumpig wirkt, ist großartig. Die Ich-Erzählerin wächst mit türkischer Mutter und deutschem Vater auf, obwohl beide berufstätig sind, scheinen sie psychische Probleme zu haben, was sie auch stark auf das Verhalten ihrer Tochter auswirkt, die nur ungern Freund*innen zu sich nach Hause bringt. Befreundet ist sie mit Sophie und Pikka, die sie bis zum Schulabschluss begleiten. Den erhält sie allerdings nur auf Umwegen. Warum sie zwischenzeitlich so schlecht in der Schule ist, kann sie selbst nicht erklären, denn später, als sie das Abitur nachholt, bringt sie super Noten nach Hause.

Diese Ambivalenz, nicht alles bis ins Details zu erklären, hat mir besonders gefallen. Mir ging es in der Schule ähnlich, schlechter Realschulabschluss, in der höheren Handelsschule sogar sitzen geblieben, und erst beim Fachabitur, als ich wirklich wusste, was ich will, kamen dann gute Noten. So richtig erklären kann ich das aber auch nicht.

Die Ich-Erzählerin ist schüchtern und leise, wodurch andere Menschen schneller und einfacher ihre Vorurteile verfestigen können. Und gerade diese Gefühle, diese scheinbar unbegreifliche Passivität bringt Ohde sehr plastisch rüber. Das konnte ich sofort nachvollziehen.

Eine weitere große Stärke sind ihre Schilderungen der schrulligen Familie, des fast blinden Opas, der mit im Haus lebt, die messieartige Sammelwahn des Vaters, aber auch das Unverständnis der privilegierten Freund’innen. Dabei klagt sie die Verhältnisse im Elternhaus nie an, der Vater wirkt, auch wenn er gelegentlich gegen Gegenstände randaliert, liebevoll und bemüht im Rahmen seiner Fähigkeiten. Die Mutter sowieso. Stolpersteine im Leben der Erzählerin sind vor allem jene Menschen, die sie eigentlich fördern sollten. Vor allem Lehrer*innen, die ihr auf unterschiedlichste Weise mit Vorurteilen begegnen.

Irgendwie fällt mir kein gescheiter Text zu dem Buch ein, das einen viel besseren verdient hätte. Mir hat es richtig gut gefallen, ich kann es nur weiterempfehlen

Streulicht ist dieses Jahr ausgewählt für Frankfurt liest ein Buch 2023. Vom 24. April bis 7. Mai 2023 gibt es mehrere Veranstaltungen in Frankfurt (teils mit Deniz Ohde).

Artikel

„Die Rückkehr des Wunderglaubens“

Über magisches Wunschdenken in der Klimakrise und die Forderung nach einem Moratorium in der KI-Forschung schreibt Christian Stöcker in seiner wöchentlichen Spiegel-Online-Kolumne und geht gut auf die differenzierten Argumente der verschiedenen Akteure ein.

„7 Fantasyromane, die mich positiv überrascht haben“

Ich liebe es, von Büchern, über die ich nichts weiß, überrascht zu werden. Lesen war für mich immer auch Abenteuer, doch je mehr ich schon über ein Buch weiß, desto geringer ist der Reiz des Abenteuers. Ein wenig trauere ich den Zeiten vor dem Internet nach, als ich noch nicht superinformiert über alles war und es nicht schnell nachschlagen konnte. Alessandra Reß stellt sieben Fantasyromane vor, die sie teils im Bücherschrank entdeckt hat und von denen sie positiv überrascht wurde.

Peter Schmitt über Raven – „Swordsmistress of Chaos“ von Richard Kirk

Ich zitiere hier mal Peters Einleitung zu seinem Artikel:

Ich bin in der Vergangenheit schon mehrfach darauf zu sprechen gekommen, dass ab Mitte der 70er Jahre neben den geläufigen männlichen Protagonisten vermehrt Heldinnen in der Sword & Sorcery auftauchten. Dabei habe ich diese Entwicklung, die ihren Höhepunkt in der ersten Hälfte der 80er erreichte, insgesamt als progressiv und emanzipatorisch eingeschätzt und mit den politischen und kulturellen Veränderungen der Zeit, vor allem dem Second Wave – Feminismus, in Verbindung gebracht.

Dass es auch anders geht, beweist Raven!

Ich kenne weder Buch noch Autor, dachte ich, aber Peter klärt schnell auf, dass es sich um ein Pseudonym zweier Autoren handelt, von denen ich Angus Wells tatsächlich mit einem Titel im Regal stehen habe. Und Robert Holdstock ist mir auch ein Begriff. Peter gelingt es, auch über ein ganz furchtbares Buch einen unterhaltsamen und informativen Text zu schreiben. Er erzählt im Prinzip das komplette Buch nach, damit wir es nicht lesen müssen, macht das aber wirklich witzig und geistreich.

Kulturrat fordert bessere Bezahlung

In meinem Beitrag: Liebe Buchbranche, wir müssen reden! Wenn Selbstausbeutung existenzbedrohend wird habe ich schon darüber geschrieben, dass für uns Übersetzer*innen die Honorare in den letzten 20 Jahren nicht gestiegen sind. Was Angesichts der Inflation und kalter Progression existenzbedrohend wird. Beim WDR gibt es einen Beitrag dazu, dass der Kulturrat jetzt Basishonorare für Selbstständige in der Kulturbranche fordert. Bessere Honorare erhalten auch unsere Kulturlandschaft und die Unterhaltungsindustrie. Also vieles von dem, womit ihr eure Freizeit gestaltet. Wobei es hier nur um staatlich geförderte Einrichtungen geht.

„Meine 10 Game-Changerinnen (Literatur, Film, Wissenschaft unvm.)“Meine 10 Game-Changerinnen (Literatur, Film, Wissenschaft unvm.)“

Miss Booleana stellt auf ihrem Blog zehn Frauen vor, die sie persönlich maßgeblich beeinflusst haben. Darunter die französische Regisseurin Agnès Varda, deren Filme ich auch sehr schätze. Die Schauspielerin und Filme- und Serienmacherin Brit Marling, deren Serie The OA ich großartig fand. Und die von mir überaus geschätzte Ursula K. Le Guin. Und für mich mit meiner Leidenschaft für Japan besonders interessant, die japanische Mangazeichnerinnen-Gruppe CLAMP, die ich bisher noch nicht kannte.

„„Tetris“ der Film – Zocken und Kalter Krieg“

Den Tetris-Film auf AppleTV+ habe ich noch nicht gesehen. Aber Stefan Mesch, der den Film für Deutschlandfunk Kultur vorstellt, erklärt, wie wenig akkurat er ist und warum er ihn nicht überzeugen konnte.

Film

Heikos Welt

Obwohl selbst kein Kneipengänger, liebe ich Bücher und Filme über Kneipen. Heikos Welt ist ein per Crowdfunding finanzierter Film, der im Umfeld der Nordachse enstanden ist. Heikos Mutter verliert ihr Augenlicht, nur eine teure Operation kann helfen. Doch woher das Geld nehmen, Heiko ist ein äußerst erfolgloser Hehler, der plötzlich ein Talent für Dart entdeckt und an einem Turnier mit Preisgeld teilnehmen möchte.

Die Kneipenszenen und die Gestalten, die dort rumschlurfen, wirken alle superauthentisch, als wären sie direkt von der Theke weg gecastet worden (was sie vermutlich wurden). Leider gibt es da noch einen Mittelteil über einen Einbruch, der qualitativ stark abfällt. Und die Dramaturgie ist auch etwas holprig. In meiner internen Wertung wollte ich dem Film erst nur 6 von 10 Punkten geben, habe mich aus Sympathie zu den wirklich gelungenen Kneipenszenen, die wirklich auf den Punkt inszeniert sind, für sieben entschieden.

Musik

Letzte Woche habe ich schon Meg Meyers’ neues Album TZIA erwähnt, das läuft jetzt seit einer Woche bei mir rauf und runter, und gefällt mir mit jedem Hören noch besser. Deshalb hier zwei weiteres Video dazu.

„Zwischen zwei Sternen“ von Becky Chamber (Übers. Karin Will)

Dystopische Gesellschaften, technologische Totalüberwachung, große Schlachten im All, gigantische Schiffe, die brannten, draußen vor der Schulter des Orion – all das wird man in Zwischen zwei Sternen nicht finden.

Becky Chambers schreibt keine Crash-Boom-Bang-Science-Fiction, sondern optimistische Zukunftsvisionen in multikulturellen Gesellschaften, die sich aus den unterschiedlichsten außerirdischen Rassen zusammensetzen. Sie schreibt nicht über Verschwörungen, Invasionen oder Kriege, sondern über das einfach Zusammenleben unter vielfältigen Bedingungen. Ihre Heldinnen sind keine Geheimagenten, Cyborg-Söldner oder Sternenkaiser, es sind Mechaniker, Künstler und künstliche Intelligenzen, die nicht die Welt erobern, sondern einfach ein normales Leben mit einer festen Aufgabe führen wollen.

Wer Der lange weg zu einem kleinen zornigen Planeten  gelesen hat (hier meine Besprechung), wird Lovy bereits kennengelernt haben, die KI, die das Tunnelbauschiff Wayfarer am Laufen hält und sich rührend um die Besatzung kümmert. Gegen Ende des Romans kommt es allerdings zu einer schwerwiegenden Entscheidung, die einschneidende Folgen für Lovy hat und dazu führt, dass sie sich als resettete Lovelace in einem künstlichen Körper wiederfindet, in der Obhut von Pepper, der Mechanikerin, der die Besatzung der Wayfarer schon mal einen Besuch abgestattet hatte.

Und darum geht es in Zwischen zwei Sternen (A Close and Common Oribit): Peppers Vergangenheit und Lovlace/Sidras Zukunft. Der Roman spielt auf zwei Zeitebenen und zeigt, wie Pepper unter durchaus dystopischen Verhältnissen am Rande der bekannten Gesellschaft der GU aufwächst.

In Sidras Handlungsstrang geht es darum, wie sie als KI ihre Persönlichkeit definiert und sich in einer Gesellschaft zurecht findet, in der künstliche Intelligenzen nur als Gebrauchsgegenstände gelten. Partys werden besucht, Cocktails getrunken, Tattoos gestochen und Freundschaften geschlossen.

Zwischen zwei Sternen ist ein Roman über das Leben in einer zukünftigen Gesellschaft, die aus verschiedenen Rassen besteht, die von verschiedenen Planeten stammen. Einer Gesellschaft, die technologisch weit fortgeschritten ist, der es, trotz aller Konflikte und Kriege gelungen ist, ein gemeinsames Zusammenleben zu ermöglichen. Dabei spricht Chambers natürlich viele Themen an, die für uns heute hochaktuell sind. Es geht um den Umgang mit Flüchtlingen; die Rolle der Geschlechter, die nicht ganz so eindeutig sind, wie manch Konservativer das gerne hätte; die Regulierung invasiver Technologien und künstlicher Intelligenzen; das Recht aus Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung und Freiheit.

In diesem Roman steckt mehr, als es auf den ersten Blick scheint, Chambers hat sich wirklich Gedanken darüber gemacht, wie sich eine Zukunft entwickeln könnte, in der der technologische Fortschritt nicht irgendwann stagniert oder zusammenbricht und in der die Menschheit nicht die Krone der Schöpfung darstellt. Es ist ein optimistischer Blick in die Zukunft, und Optimismus ist etwas, dass man momentan nur sehr selten in der Science Fiction findet.

Doch bei all den gesellschaftlichen Entwürfen, in denen die einzelnen Alienrassen im Prinzip verschiedene Aspekte des Menschseins abbilden, stehen vor allem lebendige, vielschichtige und liebenswürdige Figuren im Vordergrund. Allen voran Pepper, die eine erstaunliche Entwicklung durchmacht, von Chambers clever auf zwei Zeitebenen erzählt und am Ende stimmig zusammenfügt. Ich brauch nicht unbedingt Sympathieträger als Protagonisten, aber hin und wieder macht es doch Spaß, ein Buch zu lesen, mit deren Figuren man gerne Zeit verbringt und die einem das Gefühl vermitteln, jedes Mal wenn man das Buch aufschlägt, nach Hause zu kommen.

Man muss aber auch sagen, dass das jetzt keine wirklich anspruchsvolle Literatur ist und stilistisch bleibt sie auch ziemlich konventionell, was mich aber nicht im geringsten gestört hat, da es zur Geschichte gut passt. Die Übersetzung von Karin Will liest sich ausgezeichnet.

Zwischen zwei Sternen ist alles andere als Teletubbie-Wohlfühl-Science-Fiction. In einem der beiden Handlungsstränge geht es heftig zur Sache, das ist eine knallharte Survivalgeschichte vor einer dystopisch-apokalyptischen Kulisse. Im Gesamtbild ergibt sich aber trotzdem ein optimistischer und hoffnungsvoller Roman, viel geradliniger und weniger episodenlastig als der Vorgänger. Chambers verfolgt von Anfang an einen roten Faden in zwei Strängen, die am Ende elegant wieder zusammenfinden.

Man kann das Buch eigenständig lesen, ich empfehle aber, zuerst Der lange Weg zu einem kleinen, zornigen Planeten zu lesen.

P. S. Falls sich jemand darüber wundert, dass ich hier so viele Fischer-Tor-Titel bespreche, das liegt daran, dass ich die unaufgefordert vom Verlag zugeschickt bekomme (macht sonst kein anderer Verlag). Ich selbst fordere keine Rezensionsexemplare an, weil ich mich dann verpflichtet fühlen würde, sie auf jeden Fall zu besprechen, auch wenn sich herausstellt, dass sie mir nicht gefallen. Und Bücher, die mir nicht gefallen, breche ich in der Regel ab (wozu soll ich mich da durchquälen?). Von Fischer Tor habe ich noch kein Buch abgebrochen, dafür trifft das Programm zu sehr meinen Geschmack, aber alle zugeschickten Bücher habe ich auch nicht besprochen. Gefälligkeitsrezensionen, nur weil ich regelmäßig für Fischer Tor arbeite, gibt es von mir nicht. Wenn ich etwas durchwachsen finde, wie Matts Strandbergs Die Überfahrt oder John Scalzis Kollaps, nehme ich da kein Blatt vor den Mund.

„The Dispossessed“ – Ein feministischer Blick auf die Utopie von Ursula K. Le Guin

Ende Januar erscheint bei Fischer/Tor Ursula K. Le Guins 1974 im Original veröffentlichter Roman The Dispossessed in der Neuübersetzung von Karen Nölle als Freie Geister. Bisher war das Buch unter den Titeln Planet der Habenichtse und Die Enteigneten bekannt. Anlässlich dieser Neuveröffentlichung habe ich einen alten Text von mir hervorgekramt, der sich mit dem Frauenbild des Romans beschäftigt. Allerdings bezieht sich der Essay auf die englische Originalfassung.

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Einleitung

„The Dispossessed“ ist einer der erfolgreichsten und bekanntesten Romane von Ursula K. Le Guin, erschien 1974, und gewann einige Preise, auch außerhalb des Science-Fiction-Genre (National Book Award). Er ist aber auch einer ihrer umstrittensten Romane und musste einige Kritik einstecken, die zum Teil aus dem feministischen Lager kam und auf Le Guins Frauenbild in dem Roman abzielte. Auch wurde ihr Homophobie vorgeworfen.

Ich werde zunächst das Frauenbild auf Annares beschreiben, dann das Frauenbild auf Urras und schließlich fasse ich die beiden unterschiedlichen Darstellungen zu einer Gesamtbetrachtung über das Frauenbild im Roman zusammen. Danach gehe ich auf die Hauptkritikpunkte ein. Und zum Abschluss werde ich zeigen, dass diese Kritiken ungerechtfertigt sind.

Le Guin schrieb „The Dispossessed“ in einem Genre, das strikten Konventionen unterlag (und dies teilweise bis heute noch tut), die vor allem auf die Zielgruppe der männlichen, heterosexuellen Leser zugeschnitten waren. „The Dispossessed“ ist kein Roman, der in einem feministischen Genre bzw. Kontext veröffentlicht wurde. Er ist ein Science Fiction Roman. Ich werde deutlich machen, dass Le Guin auf subtile Weise diese Genrekonventionen überschreitet, ohne dabei den typischen SF-Leser zu verschrecken. Gerade die Radikalität der Frauenbewegung in den 1960er und 70er Jahren hat viele Männer verschreckt. Ich möchte die Frauenbewegung an dieser Stelle nicht kritisieren, viele Männer hatten es sicher verdient, verschreckt zu werden, aber Le Guin geht einen anderen Weg. Ob bewusst oder unbewusst sei dahingestellt. Aber sie schafft es, im Rahmen eines SF-Romans über einen genialen Wissenschaftler, der in zwei sehr unterschiedlichen utopischen Gesellschaften agiert, die oben genannten männlichen Leser dazu zu bringen über die bisherigen sexuellen Konventionen und den Status der Frau nachzudenken. Meine These lautet also, dass Le Guin entgegen der feministischen Kritik, einen Roman geschrieben hat, der die Grenzen der bis dato vorherrschenden Genrekonventionen auf subtile Weise überschreitet.

1 – Die Frau in der Gesellschaft von Annares

Auf dem anarchistisch sozialistischen Planeten Annares, gibt es offiziell keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen. Bei der Geburt erhält jeder Bürger einen Namen, der von einem Computer per Zufallsgenerator bestimmt wird. Jeder Name ist einzigartig und nicht geschlechtsspezifisch. Während des Heranwachsens sammeln die jungen Menschen sexuelle Erfahrungen mit beiden Geschlechtern. Erst später, wenn es darum geht, Kinder zu zeugen, tun sie sich mit einem Partner des anderen Geschlechts zusammen. In manchen Fällen bleiben sie als Paar zusammen, was von der Gesellschaft aber misstrauisch betrachtet wird. Im Beruf herrscht völlige Gleichstellung. Frauen finden sich ebenso in höheren Positionen und an Universitäten wieder wie Männer. Es ist auch üblich, dass eine Frau wegen einer beruflichen Anforderung ihren Partner und das Kind verlässt. Wie z. B. Sheveks Mutter es getan hat.

Trotz dieser offiziellen Version lassen sich die biologischen Unterschiede aber nicht unterdrücken. Da nur Frauen Kinder austragen können, sind Männer und Frauen zwangsläufig unterschiedlich. Dies drückt sich auch in den Ansichten einiger Bürger von Annares aus. So bezeichnet Vokep in einem Gespräch mit Shevek Frauen als „propertarians“ – eine Beschimpfung, die ausdrückt, dass Frauen Männer besitzen wollen. (Auf dieses Gespräch werde ich unter Punkt 4 näher eingehen).

Wie in so vielen ideologischen Systemen zeigt sich auch auf Annares ein Unterschied zwischen der Theorie (Männer und Frauen sind gleich) und der Praxis. Diese Unterschiede sorgen unter anderem dafür, dass Shevek an der Wirksamkeit des Systems zu zweifeln beginnt. Einer der Schlüsselmomente ist dabei die Begegnung mit seiner Mutter, die versucht zu erklären, warum sie ihn verlassen hat. Eine weitere Bruchstelle mit dem System entsteht, als man versucht Shevek von seiner Frau und seinem Kind zu trennen. Das sind die Momente, in dem der schöne Schein der Ideologie verblasst und die, teils grausame Realität durchbricht, die offenbart, dass auch in einem System in dem alle gleich sind, es noch Menschen gibt, die etwas gleicher sind und mehr Macht in den Händen halten.
In Punkt 4 werde ich darauf eingehen, was es bedeutet, dass die anarchistische Philosophie von Annares von einer Frau (Odo) begründet wurde.

2 – Die Frauen auf Urras

Urras ist das System, gegen das sich die Odonisten mit ihrer Revolution gewendet haben, als sie sich auf dem Mond Annares niederließen. Seitdem haben sie den Kontakt zu Urras fast vollständig abgebrochen. Urras ist das böse System, dass als abschreckendes Beispiel herangezogen wird.

Urras ist eine kapitalistisch dekadente Gesellschaft, die sich in Reich und Arm unterteilt. Die Armen wohnen unter erbärmlichen Verhältnissen, die Reichen schwelgen in Luxus. Das hier beschriebene Frauenbild bezieht sich auf die reiche Klasse von Urras. Als Shevek nach Urras kommt, lernt er viele Offizielle kennen, ebenso wie Vertreter der Universitäten und Geschäftsleute. Dabei handelt es sich ausschließlich um Männer. Denn auf Urras herrscht eine strikte Geschlechtertrennung. Die Frauen werden von Bildung, Politik, Arbeit und Macht ferngehalten. Sie sind Sexualobjekte, die einzig für die Männer da sind. Wobei Shevek in einem Gespräch mit einer Frau erfährt, dass die Frauen durchaus eine andere Sicht auf den Sachverhalt und die Machtverhältnisse haben. Ein besonders auffälliges Anzeichen für die Unterdrückung der Frau ist, dass sie ihr Kopfhaar abrasiert haben, was als Zeichen der Unterwürfigkeit gesehen werden kann. In vielen Kulturen gelten die langen Haare einer Frau als ihr Stolz. Rasiert man es ab, gilt dies als Zeichen der Schande. So wurden z. B. nach dem 2. Weltkrieg Frauen in von Deutschland besetzten Ländern die Haare abrasiert, wenn sie sich mit deutschen Soldaten eingelassen hatten (wobei dies nur eine von vielen Methoden der sozialen Ächtung war).

Zu den rasierten Haaren kommt auch noch, dass sie im Haus mit nackten Brüsten herumlaufen. Was mancher als Liberalisierung der Kleidungszwänge sehen könnte, ist in diesem Roman aber eine weitere Herausstellung der Frau als Sexualobjekt.

3 – Die Frauen in „The Dispossessed“

Der Protagonist des Romans ist ein Mann (auf die Kritik an diesem Punkt werde ich in Punkt 4 eingehen.). Die meisten der Schlüsselfiguren, die eine tragende Rolle in der Geschichte von Shevek spielen sind ebenfalls Männer. Frauen stehen, wie auch in der Gesellschaft der 60er und 70er Jahre, in der zweiten Reihe. Sie sind Nebenfiguren, die nur begrenzten Einfluss auf das Handeln von Shevek haben.

Die wichtigsten Frauen für Shevek sind seine Frau Takver, seine Lehrerin an der Akademie, später auch noch seine Mutter. Auf Urras lernt er eine Frau kennen, die ihm einen anderen Blick auf die dortige Gesellschaft ermöglicht. Die vermutlich wichtigste Frau taucht im Roman aber gar nicht selbst auf. Es ist Odo, die auf Urras lebte und dort gegen das kapitalistische System protestierte und die „odonian theory“ begründete. Ich werde in diesem Essay nicht näher auf die einzelnen Persönlichkeiten dieser Frauen eingehen, sondern mich auf eine Gesamtsicht beschränken.

Le Guin stellt zwei sehr unterschiedliche Gesellschaftssysteme vor, die vor dem Hintergrund des Kalten Krieges, durchaus als Allegorie auf die Sowjetunion und die USA gesehen werden können. Auf der einen Seite der kapitalistische Westen mit seinen dekadenten Auswüchsen, auf der anderen Seite der sozialistische Osten, der nach außen die Gleichstellung aller Bürger betont.

Um die Unterschiede der beiden Systeme besonders herauszustellen, geht Le Guin in einigen „Auswüchsen“ ein wenig ins Extreme. So z. B. der Versuch der absoluten Gleichstellung der Frauen auf Annares, die ja dort eigentlich nur Bürger sein sollen und nicht Frauen. Auf der anderen Seite die absolute Darstellung der Frau als Sexualobjekt, das zu Hause zu bleiben hat, während die Männer die Welt regieren. In einer solch extremen Geschlechtertrennung ist es übrigens um so revolutionärer, dass der (die) Führer(in) einer Gegenbewegung eine Frau ist. (vgl. Clarke, 201)

4 – Die feministische Kritik an „The Dispossessed“

Nach der Veröffentlichung von „The Dispossessed“ sah sich Le Guin mit ähnlicher Kritik konfrontiert wie an ihrem Roman „Left Hand of Darkness“. In diesem Buch beschreibt sie eine androgyne Gesellschaft, deren Mitglieder beide Geschlechter besitzen. Trotzdem wurde sie für ihre Verwendung der maskulinen Pronomen „he“ und „him“ kritisiert. Außerdem würde ihre Beschreibung, beim Leser den Eindruck hinterlassen, dass es sich um eine maskuline Gesellschaft handele.

Auch für „The Disspossesed“ erhielt Le Guin eine solche Kritik. Sie beschreibt Annares als androgyne Gesellschaft, in der es keine sozialen Unterschiede zwischen Mann und Frau gibt. Man „teilt sein Lager“ genauso mit gleichgeschlechtlichen Partnern wie auch mit Menschen des anderen Geschlechts. Ein Familienleben gibt es im eigentlichen Sinne nicht. Zuerst kommt die Arbeit. Das führt zum Beispiel dazu, dass Shevek ohne seine Mutter aufwächst, da diese es für wichtiger hielt, einer bestimmten Arbeit nachzugehen, für die sie Shevek und seinen Vater verlassen hat. Tom Moylan kritisiert „while the novel expresses a libertarian and feminist value system, the gaps and contradictions in [Le Guin’s] text betray a privileging of male and heterosexual superiority and of the nuclear, monogamous family“. (Moylan, 102).

Auch in semantischer Hinsicht gibt es Kritik an dem Text, da die Sprache Le Guins es nicht schaffe, den Eindruck einer Gesellschaft zu vermitteln, in der alle gleich sind (vgl. Clarke, 63). Als Beispiel sei die Verwendung von männlichen Pronomen wie „he“ oder „his“ zu nennen. Außerdem benutzt Le Guin in ihrem Text geschlechtsspezifische Wörter wie z. B. „brother“, um geschlechtsunspezifische Begriffe von Annares zu beschreiben. Sie unterwirft sich also den geschlechtsspezifischen Konventionen englischer Grammatik, und versäumt es dadurch, dem Leser das Gesellschaftssystem von Annares auch mit sprachlichen Mitteln näher zu bringen. Obwohl es sich um eine „ungeschlechtliche“ Gesellschaft handelt, benutzt Le Guin eine männliche Sprache und männliche Protagonisten.
Ein weiterer Kritikpunkt ist das Gespräch zwischen Shevek und Vokep auf Seite 52, dass ein negatives Frauenbild hinterlässt.

„Women think they own you. No woman can really be an Odonian… What a man wants is freedom. That a woman wants is property. She’ll only let you go if she can trade you for something else. All women are propertarians. (Le Guin Dispossessed, 52)

Shevek wiederum offenbart in seiner Reaktion auf Vokeps Aussage, dass er Vorurteile gegenüber Männern besitzt: „I think men mostly have to learn to be anarchists. Women don’t have to learn“ (Le Guin Dispossessed, 52). Shevek ist also der Meinung, dass Männer und Frauen unterschiedlich sind, was an dieser Stelle des Romans seine Entfremdung von der eigenen Kultur verdeutlicht.

Auch wenn Le Guin eine möglichst androgyne Gesellschaft schildert, zeigt sie auch deren Grenzen auf, wenn es an die biologischen Unterschiede, im Speziellen das „Kinderkriegen“ geht.

Kritisiert wurde, dass Shevek ein klassischer männlicher Held sei, der seine Familie verlässt, um nach Größerem zu streben, während die Frauen, die wie Sheveks Mutter z. B., ähnliches Handeln, dabei moralisch weitaus schlechter wegkommen (vgl. Clarke, S. 65). Clarke kommt zu dem Schluss, dass alle Frauen in der Geschichte in ihren Stereotypen gefangen zu sein scheinen (vgl. Clarke, S. 65).

Ein weiterer Vorwurf an Le Guin lautet Homophobie, der unter nderem von Samuel L. Delany aufgegriffen wurde. Für Delany ist die Figur des Bedap, der einzige offen homosexuelle Charakter, ein Zeichen dafür, dass Homosexualität unnatürlich sei (Clarke, 66).

5 – Die Gegenargumente zur Kritik

Zum Vorwurf der Homophobie sei zu sagen, auch wenn Figuren wie Shevek in der Gesamtsicht heterosexuell wirken (verheiratet, Kind), hat er auch sexuelle Erfahrungen mit dem gleichen Geschlecht. Le Guin beschreibt eine Gesellschaft, in der in homosexuellen Beziehungen nichts Verwerfliches gesehen wird. Für die Zeit der Veröffentlichung und das Genre Science Ficition ist ihr Umgang mit Sexualität erstaunlich liberal. Gerade in der SF ist nicht nur Homosexualität, sondern auch Sexualität allgemein, ein Thema, auf das in der Regel nicht genauer eingegangen wurde. Romane wie „Der ewige Krieg“(1975, Sex unter Soldaten) von Joe Haldeman oder „Die Liebenden“ (1954, erstmals Sex mit Außerirdischen) von Philip Jose Farmer riefen unter den SF-Fans große Proteste hervor.

Dass Le Guin bei der üblichen Schreibweise mit männlichen Pronomen und Bezeichnungen blieb, ist wohl vor allem ihrer Vorliebe für korrekte Grammatik geschuldet. Wie merkwürdig und abstrakt sich bemüht geschlechtsneutrale Bezeichnungen auswirken, kann man heute in politisch korrekten Anschreiben und Veröffentlichungen lesen, die noch weit über ein einfaches he/she hinausgehen. In einem Roman, der von seinen Lesern flüssig gelesen werden möchte, würde sich dies äußerst abstrakt anhören und den Lesefluss stören. Wobei sich Le Guin in ihrem 1976 erschienen Essay „Is Gender Necessary? Redux“ entschuldigt, die Androgynität nur aus männlicher Sicht erkundet zu haben, aber nicht aus der Sicht einer Frau (Le Guin Gender, 16).

Wo beginnt Feminismus in der Science Fiction? „In most science fiction until quite recently, women either didn’t exist, or if they existed, they were these little stereotyped figures that squeaked …“ (Interview, Broughton 315-316, 1990).
In diesem Kontext kann man sagen, dass Science Fiction feministisch wird, wenn eine Frau eine tragende Rolle in der Geschichte spielt, und nicht nur als klischeehafte Nebenfigur benutzt wird. In ihren ersten Werken benutzt Le Guin selbst vor allem Männer als Hauptfiguren. Sie sagt, sie habe damals nicht gewusst, wie man aus der Perspektive einer Frau schreibe. An diesem Punkt liegt durchaus ein Ansatzpunkt für eine feministische Kritik. Denn Le Guin passt sich den Marktgegebenheiten für SF-Literatur an und benutzt männliche Protagonisten (was auch damit zusammenhängt, dass SF vor allem von Männern geschrieben und gelesen wurde. Seit den 70er Jahren hat sich dieses Bild ein wenig verändert, wobei die Männer das Genre immer noch dominieren. Trotzdem gibt es in „The Disspossesed“ einen differenzierten Blick auf die Rolle der Frau in den beiden unterschiedlichen Gesellschaftssystemen der beiden Planeten.

Clarke wirft die Frage auf: How much do conventions unconsciously constrain the writing? How much was Le Guin steered by science fiction conventions that, for example, tacitly allow only for a male protagonist? (Clarke, 68).
Eine Frage, die sich im Nachhinein vermutlich nicht einmal von Le Guin selbst beantworten lässt. Die Konventionen des Genres waren damals aber sehr stark und haben auch die Verlage in ihrer Veröffentlichungspolitik beeinflusst.
Bittner schreibt: … both that Le Guin quite deliberately chose a male protagonist and that “the dialectic of the romance (and science fiction estrangement) almost [makes the male protagonist] imperative. (Clarke, 68).

Feministinnen mag Le Guin Vorgehensweise zu konservativ und nicht radikal genug sein. Aber sie sind auch nicht „the indendet audience“ eines SF-Romanes. Le Guin wollte mit ihrem Roman vor allem heterosexuelle Männer, die auch heute noch die Mehrheit der SF-Leser ausmachen, ansprechen. Um diese Leser, die ebenso wie das Genre noch sehr in traditionellen Mustern dachten, zu erreichen, musste sie subtil vorgehen, um sie nicht zu verschrecken. Mit der Wahl eines männlichen Protagonisten, der auch noch ein herausragender Wissenschaftler ist, hat sie ihnen eine Identifikationsfigur gegeben, mit der sie langsam die Grenzen der üblichen sexuellen Konventionen überschreiten können.

Kritiker wie Craig und Diana Barrows meinen dazu: They argue that Le Guin uses a naive and rather sexist male protagonist in ”Hand“ because her intended audience is not feminists or women, but “typically biased heterosexual males.” (Clarke, 69).

Während Joana Russ die SF in einer Zwangjacke sieht: It’s the whole difficulty of science fiction, of genuine speculation: how to get away from traditional assumptions which are nothing more than traditional straightjackets. (Russ, 91).

Ich kann mich der feministischen Kritik nicht anschließen. Rückblickend auf diese Zeit in der Geschichte der Science Fiction sehe ich „The Dispossessed“ zusammen mit „Left Hand of Darkness“ als einen, für das SF-Genre, bahnbrechenden Roman, der nicht mit dem Holzhammer daher kommt, sondern die Grenzen des Genres subtiler überschreitet, ohne dabei den Leser zu erschrecken. Der Roman hat keine befriedigende Utopie für die Rolle der Frau zu bieten, wirft aber einen kritischen Blick auf die traditionellen Rollen in den beiden, zu dieser Zeit, vorherrschenden Gesellschaftssystemen. Das diese beiden Rollenstereotypen auf die Spitze getrieben werden ist eine typische Eigenschaft von Science-Fiction-Literatur, die bestehende „Missstände“ aufgreift und sie durch überspitzte Darstellung als warnendes Beispiel darstellt.

Verwendete Literatur:

Broughton, Irv: The Writer’s Mind: Interviews with American Authors. Fayettville: Univertity of Arkansas Press, 1990
Clarke, Amy M.: Ursula K. Le Guin’s Journey To Post-Feminism. 1. Auflage.Jefferson: McFarland Company, 2010
Klarer, Mario: Gender and the “Simultaneity”: Ursula K. Le Guin’s “The Dispossessed”. Spring. Mosaic, 1992
Le Guin, Ursula K.: The Dispossessed. New York: HarperCollins, 2001
Moylan, Tom: Demand the Impossible: Science Fiction and the Utopian Imagination. New York: Methuen, 1986
Russ, Joanna:The Image of Women in Science Fiction. In: Images of Women in Fiction: Feminist Perspectives. Hg.v. Susan Koppelman Cornillon. Ort: Bowling Green, OH. Bowling Green University Popular Press, 1972

„Der lange Weg zu einem kleinen zornigen Planeten“ von Becky Chambers

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Im Zuge der Verleihung der Nebula Awards, die in diesem Jahr fast ausschließlich Frauen verliehen wurden, diskutierte man im englischsprachigen Fandom darüber, dass es doch aktuell plötzlich so viele Frauen gebe, die tolle Science Fiction schreiben würden. Was sicherlich auch der Fall ist, nur mit dem plötzlich stimmt das nicht so ganz. Es gab schon immer Autorinnen, die tolle SF geschrieben haben (Leigh Brackett, Ursula K. Le Guin, Octavia Butler, C. J. Cherry, Joanna Russ, Nancy Kress, James Triptree jr. …).

Die Meisten von ihnen sind auch von den 70ern bis in die 90er hinein auf Deutsch erschienen. Nur ist das teilweise in Vergessenheit geraten. In den letzten zehn Jahren hatte ich auch den Eindruck, dass sich deutsche Verlage mit Science Fiction von Frauen eher schwertun (mal abgesehen davon, dass SF generell lange als Kassengift galt). Im Zuge der aktuellen SF-Offensive (Trend zur Science Fiction?) schaffen es anscheinend wieder mehr SF-Autorinnen auf den deutschen Buchmarkt (wenn auch noch nicht alle, von denen ich es mir wünschen würde), aber in den aktuellen Herbstprogrammen der Phantastikverlage finden sich so einige Perlen.

Dazu gehört auch The Long Way to a Small Angry Planet von Becky Chambers, das unter dem Titel Der lange Weg zu einem kleinen zornigen Planeten gerade bei Fischer/Tor in der gelungenen Übersetzung von Karin Will erschienen ist.

So viel Spaß hat mir schon lange kein SF-Buch mehr gemacht (von mir selbst zuletzt übersetzte Titel mal ausgenommen). Hier gibt es keine großen Zivilisationskriege, keine hochgerüsteten Söldnertruppen, keinen dystopischen Blick in eine nahe Zukunft, keine Wissenschaftler auf einer Hard-SF-Mission, keine Killer, keine Intrigen usw. – nein, hier geht es um die multiethnische Besatzung eines Raumschiffs, das Tunnel baut. Tunnel durch das Universum, Wurmlöchern nicht ganz unähnlich.

Die Wayfarer ist ein solches Tunnelbauschiff mit einer kauzigen und liebenswürdigen Besatzung, was die junge Marsianerin Rosmary, die gerade auf dem Schiff angeheuert hat, aber erst noch rausfinden muss. Da wäre Captain Ashby, der gerne mal ein Auge zudrückt, wenn seine Besatzungsmitglieder die Regeln mal wieder recht kreativ interpretieren. Oder seine Pilotin Sissix, vom echsenartigen Volk der Andrassik, das interessante familiäre Verhältnisse pflegt und seine Zuneigung gerne durch zärtliche Berührungen ausdrückt. Herz und Seele des Raumschiffs ist der sechsbeinige Dr. Koch (im Original Dr. Chef), der Arzt und Koch zugleich ist, und für jede Gemütslage das richtige Gewürz parat hält. Für die ausgelassene Stimmung sorgen die menschlichen Mechaniker Jenks – der eine innige Beziehung zur Schiffs-KI führt – und die junge und freche Kizzy – ein weiblicher McGyver im Weltraum. Dafür, dass die Crew auch immer den richtigen Weg findet, sorgen die Navigatoren Ohan, die aus einem Volk stammen, das auch die Welt hinter dem sichtbaren Weltraum sehen kann (wie es dazu kam, ist auch eine interessante und herzzerreißende Geschichte) und irgendwie mehr als nur eine Person sind. Und selbst das Quotenarschloch an Bord hat seine Daseinsberichtigung: Artis Corbin war zweierlei: ein begabter Algaeist und ein komplettes Arschloch (S. 11).

Ich habe mich an Bord der Wayfarer unter dieser sympathischen Besatzung sofort wohl gefühlt. Jeder trägt sein Päckchen mit sich rum, hat seine Eigenheiten, ist aber auch ein herzliches Mitglied der Familie. Im Prinzip begleiten wir die Crew dabei, wie sie von ihrem letzten Einsatzort zu einem neuen fliegt, der allerdings im Zentrum der Galaxis bei einem Volk liegt, das bisher vor allem durch sein kriegerisches und isolatorisches Verhalten aufgefallen ist. Unterwegs gibt es aber so einige Abenteuer zu erleben. Die Grundstimmung der Geschichte ist eine Wohlfühlatmosphäre, aber genau an den richtigen Stellen, fügt die Autorinnen dann kleine Abenteuer ein, während denen man mehr über die einzelnen Besatzungsmitglieder erfährt, und durch die das Band zwischen ihnen immer stärker geschmiedet wird.

Daneben gibt es aber auch einen faszinierenden Weltenbau und interessante Konzepte, was das Sozialleben und das Verhalten der einzelnen Völker angeht. Becky Chambers setzt weniger auf Action, Spannung und große Effekte, sondern mehr auf den guten alten Sense of Wonder, liebenswürdige Figuren, exotische Welten und Wesen, die kleinen Probleme des Alltags im Weltraum und vor allem auf viel Herz. Das ist intelligente, unterhaltsame Wohlfühl-SF, die zu keinem Zeitpunkt langweilig wirkt, aber auch nie kitschig oder naiv. Mit dieser Besatzung würde ich jederzeit gerne durchs All düsen.

Update 12.20 Uhr:

Unterschreibe das! Einzige Einschränkung: Es geht für praktisch alle Figuren auch ans Eingemachte. Wie es sich gehört, auch bei Optimisten.

Diese Ergänzung äußerte Frank Böhmert auf Twitter.

„Sternenschiff“ von Rachel Bach

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Ein Liebesroman mit Action im Weltraum. So beschreibt die Autorin ihr Buch scherzhaft im Interview am Ende des Buches. Das trifft es ziemlich genau, und es macht erstaunlich viel Spaß. Die Einflüsse der Geschichte um die Söldnerin Devi aus dem Königreich Paradox, die auf dem berühmt-berüchtigten Schiff Glücklicher Naar anheuert, dessen Sicherheitsmitarbeiter eine geringe Lebensdauer haben soll, denen aber tolle Berufsaussichten winken, wenn sie überleben, sind recht deutlich zu erkennen. Zum Glück verwendet die Autorin dabei nicht so holprige Schachtelsätze, wie den vorangegangenen, sondern bedient sich einer einfachen, flotten Sprache, um diese an Warhammer 40K aber auch Military-SF á la Kris Longknife angelehnte Geschichte zu erzählen, in der es um einen zwielichtigen Kapitän mit einer sympathischen Besatzung geht, die aber voller Geheimnisse steckt.

Es wird gar nicht so viel gekämpft, wie man vielleicht vermutet, aber wenn, dann geht es richtig zur Sache und erinnert mit Devis mechanisch-elektronischer Kampfrüstung und ihrem glühenden Thermitschwert stark an japanische Videospiele wie Final Fantasy. Devi ist eine tolle Frauenfigur, gar nicht so die klischeehafte Söldnerin, sondern eher eine abgeklärte Kampfsau mit liebenswürdigen Zügen, einem Hang zur Romantik und einem Hitzkopf, der sie ständig in Schwierigkeiten bringt. Zum Beispiel, wenn sie sich in den mysteriösen Schiffskoch Rupert verliebt, der ihr gerade durch seine zurückhaltende und schüchterne Art den Kopf verdreht.

Die meiste Zeit spielt die Handlung auf dem kleinen Schiff, ab und zu geht es mal auf einen gefährlichen Planeten oder ein noch gefährlicheres gegnerisches Schiff, während sich die Besatzung auf für Devi unbekannter Mission befindet. Apropos Besatzung, die besteht nicht nur aus Menschen, sondern auch aus einem vogelartigen Navigator und einem echsenartigen Schiffsarzt, der einer Rasse angehört, die am liebsten Menschen schlachtet und verspeist (aber eigentlich ein netter Kerl ist).

Viel Tiefgang oder außergewöhnlichen Weltenbau bietet die Geschichte nicht, aber das muss sie auch nicht. Als locker flockige Popcornunterhaltung macht sie auf ihre oberflächliche aber durchaus sympathische Art viel Spaß. Das ist genau die richtige Abwechslung, wenn man zwischen sperrigen Autoren wie Neal Stephenson und Kim Stanley Robinson mal etwas Leichtes benötigt. Aber anders als viele andere einfach gehaltene Space-Action-Romane, gibt es in Bachs Sternenschiff dreidimensionale Figuren mit Herz und einem gut ausgearbeiteten Hintergrund, der über die üblichen Abziehbilder hinausgeht. Trotz des relativ hohen Anteils an Action und Söldnergerede dreht sich die Geschichte vor allem um ihre Handlungsfiguren, allen voran die Ich-Erzählerin Devi.

Ach ja, es handelt sich nicht um eine abgeschlossene Geschichte. Ein paar Geheimnisse werden gelüftet, aber vieles bleibt offen, und wird wohl erst in den beiden Fortsetzungen erklärt, die bisher aber nur auf Englisch erschienen sind. Vom langweiligen deutschen Titelbild und dem nichtssagenden und einfallslosen Titel Sternenschiff sollte man sich nicht abschrecken lassen. Im Original hat sich die Autorin mit Fortune’s Pawn, Honor’s Knight und Heaven’s Queen wohl von David Eddings inspirieren lassen, der in den fünf Titeln seiner Belgariad-Saga auch jeweils eine Schachfigur untergebracht hat. Die Übersetzung von Irene Holicki ließt sich ganz ordentlich, schwächt aber mit ihrer manchmal etwas biederen Wortwahl die rotzfrechen Formulierungen der Ich-Erzählerin im Original ein wenig ab.

Zu Beispiel wurde aus: Cotter leaned forward. »Where do you get off being such a bossy bitch?«

I looked him dead in the eyes. »I was born a bossy bitch, so you can either roll with it or get rolled over.«

»Cotter beugte sich vor. »Wo hast du eigentlich gelernt, so stur und zickig zu sein?

Ich schaute ihm fest in die Augen. »Ich wurde stur und zickig geboren, also spiel mit, oder du wirst überrollt.«

Autorin Rachel Bach lebt übrigens in der Stadt Athens im US-Bundestaat Georgia, nicht in Athen, wie es im Buch in der Autorinnenbeschreibung steht. 😉

Moxyland von Lauren Beukes

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In den 80ern hatte der Himmel die Farbe eines Fernsehers, der auf einen toten Kanal geschaltet war, während die Menschen eilig im Regen durch die von Neonlicht beleuchteten Häuserschluchten huschten und die ersten Cyberpunks sich durch grün schimmernde Einsen und Nullen hackten. Seit dem Erfolg von William Gibsons Neuromancer wurde der Cyberpunk ein wenig von der Realität eingeholt und teilweise sogar übertroffen. Doch die damaligen Voraussagen über die Macht der Konzerne, ausgeübt über Technologien, die unseren Alltag scheinbar erleichtern, hat nichts an Aktualität verloren.

Mit dem Smartphone sind das Netz und die virtuelle Realität praktisch bei jedem angekommen. Während die EZB mit der Abschaffung des 500-Euro-Scheins den nächsten Schritt zur Abschaffung des Bargelds und damit zur Abhängigkeit aller Bürger vom Internet und der Technik gemacht hat, wirkt Lauren Beukes Debütroman aus dem Jahr 2008, indem alles von der Bezahlung bis zur Identifikation über das Smartphone läuft, bedrückend prophetisch.

Vier Menschen begleiten wir als Ich-ErzählerInnen durch ein dystopisches Südafrika, in dem die schlimmste Strafmaßnahme die Zwangsabschaltung des Handys ist, da sie einen vom gesellschaftlichen Leben im Prinzip vollständig ausschließt. Doch nicht alle wollen sich das gefallen lassen, die junge Programmiererin Lerato, die als Waisenkind innerhalb eines Konzerns aufgewachsen ist, versucht, das System von innen heraus zu torpedieren, während der idealistische Sozialarbeiter Tenko einen radikaleren Weg auf der Straße einschlägt. Die junge Fotografin Kendra – die tatsächlich noch mit analogem Film arbeitet – lässt sich ein wenig durchs Leben treiben, ausgehalten von einem Sugar Daddy und ausgenutzt von einem Konzern, der sie als Werbefläche für eine „lebendige“ Tätowierung verwendet, die auf Nanobasis funktioniert. Der Vierte im Bunde ist der Draufgänger Toby, der alles als Witz zu sehen scheint, seinen Alltag rund um die Uhr mit einem Monitormantel filmt, auf dem die Bilder kunstvoll arrangiert dargestellt werden, und der vor nichts Respekt hat.

Die Wege dieser vier jungen Menschen kreuzen sich immer wieder in einer Welt, die immer unmenschlicher zu werden scheint, und in der Hunde dank Nanomanipulationen mit polizeilicher Autorität ausgestattet sind. Das Buch steckt voller toller und faszinierender Ideen, entwirft eine plastische und erschreckende dystopische Zukunft, aber die Figuren bleiben mir ein wenig zu distanziert und größtenteils unsympathisch. Doch das war ja auch bei Gibsons Neuromancer nicht anders. Die Geschichte braucht ein wenig, bis sie in die Gänge kommt, aber wenn sich die Puzzleteile ineinanderfügen, wird es richtig spannend und gruselig.

Man merkt Moxyland an, dass es sich um Beukes Debütroman handelt, von der großartigen Schreibe mit den tollen Charakterzeichnungen, die man zum Beispiel in Shinning Girls findet, ist sie hier noch ein Stück entfernt. Trotzdem lohnt sich die Lektüre dieses ausgezeichneten Cyberpunkromans in bester Tradition von William Gibson.

Mit der Übersetzung bin ich allerdings nicht so ganz glücklich; schlecht ist sie nicht, hätte aber hier und da noch mal ein ordentliches Lektorat benötigt. So heißt es auf Seite 293 zum Beispiel: Fußball und Graffiti sind nicht gerade typisch für Terrorismus 101.

Im Original steht: Soccer balls and graffiti aren‹t exactly terrorism 101.

Was ich doch anders übersetzt hätte, da Terrorismus 101 auf Deutsch überhaupt keinen Sinn ergibt: Fußbälle und Graffiti gehören nicht unbedingt zum Einmaleins des Terrorismus. Oder: Fußbälle und Graffiti gehören nicht unbedingt zur Grundausstattung von Terroristen.

Solche Mängel treten allerdings nur vereinzelt auf und trüben den Lesespaß nur wenig.

Man beachte übrigens das tolle Cover von Joey Hi-Fi im Detail (habe es extra in hoher Auflösung hochgeladen).

Und wer sich mehr für Südafrika interessiert, den möchte ich auf meine Besprechung von Niq Mhlongos Dog Eat Dog hinweisen.