Mein Schwerpunkt liegt heute auf Filmen aus Hongkong von Johnnie To, Tsui Hark und Wong Kar-Wai, sowie einem ganz tollen aus Japan. Es geht darum, wie KI das Kino und unser Leben verändern wird. Und warum ich Bücher mehr als einmal lese. Dazu Dokus, Serien und Hörspiele.
Was für eine Woche. Der Iran vergiftet seine Kinder, die SPD möchte in Berlin unter einem Rechtsaußen der CDU mitregieren und ist jetzt auch bei Taliban-Vergleichen angekommen, wenn es um die Protestaktionen junger Klimaaktivist*innen geht. Die Verbalradikalisierung des politischen und journalistischen Establishment gegen junge Menschen, die sich außerhalb der für sie zugewiesenen Gehege politisch engagieren, nimmt bedenklich und demokratiezersetzende Züge an. Im Iran können wir sehen, wo solche Worte irgendwann hinführen. Ich hoffe, mein Wochenrückblick hilft dabei, von dem ganzen Scheiß ein wenig abzulenken.
Artikel
Read it again! Bücher noch einmal lesen?
Es gibt ja Menschen, die lesen kein Buch zweimal, weil es noch so viele interessante ungelesenen Bücher gibt. Ich gehöre nicht dazu. Nach 15 bis 20 Jahren lese ich Bücher, die mir richtig gut gefallen haben, gerne ein zweites Mal. Einige meiner Lieblingsbücher habe ich auch schon mehrfach gelesen. Denn es ist nicht das gleiche Buch, dass ich beim zweiten Mal lese, da ich nicht derselbe Mensch bin. Ich habe neues Wissen, neue Erfahrungen. Aber manchmal geht es mir auch einfach nur um Nostalgie. Für Teilzeithelden hat Marie Mönkemeyer einige Gründe für einen Reread aufgeführt.
Wo bleibt Ihr Aufruhr? – Sascha Lobo über künstliche Intelligenz
Ich persönlich gehe davon aus, dass meine Tätigkeit als Übersetzer irgendwann in den nächsten zehn Jahren weitgehend durch KI-Programme wie DeepL ersetzt wird. Vielleicht nicht bei anspruchsvoller Literatur, aber im Unterhaltungsbereich garantiert. Viele aus der Branche wiegeln noch ab, weil sie von dem Stand ausgehen, auf dem sich DeepL aktuell befindet, und bedenken nicht, dass die Fortschritte dieser KI-Programme exponentiell stattfinden und die Rechenleistung sich alle sechs Monate verdoppelt. Die professionellen Go-Spieler haben auch lange noch abgewiegelt, bis ihr Weltbild durch AlphaGo plötzlich erschüttert wurde.
Viele gehen auch davon aus, dass die meisten Menschen Kreativität und den menschlichen Faktor bei Texten und Kunstwerken zu sehr schätzen, um sich mit KI-Ergebnissen abspeisen zu lassen. Wenn ich mir aber ansehe, wie erfolgreich schlecht geschriebene und/oder schlecht übersetzte Bücher teilweise sind, ohne, dass der Mehrheit der Leserschaft das überhaupt auffällt, habe ich da wenig Hoffnung. Und viele Verlage kümmert es auch nicht, so lange es sich verkauft.
So viel zum Artikel von Sacha Lobo und meinen persönlichen Bezügen dazu. Ich denke, dazu werde ich irgendwann noch einen eigenen Blogbeitrag schreiben.
Youtube
Wie Künstliche Intelligenzen das Kino völlig verändern
Auch der Film-Youtuber David Hain hat sich diese Woche auf seinem Kanal Behaind mit dem Thema KI beschäftigt, und wie es das Filmemachen revolutioniert. Er stellt den Film Fall vor, bei dem Schimpfwörter nachträglich durch harmlosere Varianten ersetzt wurden. Damit das lippensynchron bleibt, wurde eine Software entwickelt, die die Lippenbewegungen an die neuen Wörter anpasst. Sowas wird in Zukunft auch bei Filmsynchronisationen in andere Sprachen eingesetzt werden. Eine Technologie, mit der man Menschen alle möglichen Aussagen in den Mund legen kann. Denn die Stimme lässt sich inzwischen auch deepfaken.
Aber das ist bei Hain nur die Einleitung, denn er geht auch der Frage nach, was in Zukunft noch auf uns zukommt. Wie er, sehe ich das größte Problem für originelles, kreatives Kino darin, dass der Erfolg eines Films inzwischen ziemlich genau berechnet werden kann, und die Studios nur noch solches immergleiches Zeug produzieren werden. Also noch mehr, als es ohnehin schon der Fall ist.
Serie
Skins UK
Erstmals seit ca. 2010 (damals auf Hulu) habe ich mir die ersten beiden Staffeln der britischen Serie Skins wieder angesehen. Insgesamt gibt es sieben, aber mehr habe ich nicht gesehen, da ab der dritten die Hauptfiguren wechseln – was aber durchaus verständlich ist, da ihre Geschichten auserzählt sind.
Ich kenne keine Serie, die das Gefühl der letzten Monate und Wochen vor dem Schulabschluss so gut einfängt, wie Skins. Dabei balanciert sie gekonnt zwischen großen Albernheiten und ernsten emotionalen Momenten. Allein die vorletzte Folge der 2. Staffel (mit Cassie in New York) ist ein kleines Meisterwerk.
Klar, eine Serie wie Euphoria erzählt heute noch mal auf einem ganz anderen Niveau, aber in ihr geht es auch um andere Themen. Bei Skins steht vor allem Freundschaft im Vordergrund, zwischen Sid und Tony, Jal und Michelle, Cassie und Chris. Anwar und Maxxie. Liebschaften natürlich auch sowie Trauer und Verlust. Abwesende Eltern sind ein Thema, Eltern, die sich nicht kümmern, nicht verstehen.
Vermutlich werde ich demnächst aber weiterschauen, denn Effi soll noch mit dabei sein, und die war in den ersten beiden Staffeln die coolste Sau von allen.
Gibt es auf Netflix.
Doku
Wildes Tokio
Eine 45-minütige Doku über die Fauna Tokyos. Wer glaubt, die Riesenmetropole würde nur aus Menschen, Stahl, Beton, Asphalt und bunten Lichtern bestehen, täuscht sich. Auch in Großstädten findet die Natur ihren Weg und Tiere ihre Nischen. Da ich kürzlich erst Pom Poko gesehen habe, hat es mich besonders gefreut, dass als erstes Tier der Marderhund seinen Auftritt hat, mit einer Schienenüberquerung, die auch aus dem Film stammen könnte. Ansonsten gibt es Krähen, die sich Nester aus Kleiderbügeln bauen, hungrige Haie in der Bucht von Tokyo um einen Unterwasserschrein, und Möwen, die auf Hochhausdächern brüten.
Ist in der ARD-Mediathek verfügbar.
Hörspiel
Die drei ??? Manuskript des Satans
Die Buchvorlage kenne ich nicht, aber das Hörspiel hat mir richtig gut gefallen. Einen so soliden klassischen ???-Fall hätte ich nicht mehr erwartet. Nur schade, dass das titelgebende Manuskript keine große Rolle spielt. Ansonsten gibt es unheimliche Vorgänge, einen grummelingen Auftraggeber und klassische Ermittlungsarbeit. Und Jürgen Thormann in der wichtigsten Nebenrolle, die er mit 95 Jahren! immer noch hervorragend meistert.
Filme
Hongkong
In den letzten zwei Jahren habe ich schon angefangen, eine DVD-Blu-ray-Sammlung von Filmen aus Hongkong anzulegen, da viele dieser Filme nicht im Streaming erhältlich sind, und wenn doch, dann nur mit deutscher Tonspur (siehe die Filme von Johnnie To). Von Wong Kar-Wai gibt es inzwischen tatsächlich fast alles in vernünftigen Versionen bei Streaming-Anbietern, aber bei John Woo, Fruit Chan und Ann Hui sieht es schlecht aus, weshalb ich mit dem Sammeln angefangen habe. Angeregt durch meine Sichtung von PTU auf Arte habe ich mir letzte Woche drei Filme von Johnnie To bestellt. Bis auf Mad Detective kannte ich die schon alle, die letzte Sichtung liegt aber schon sehr lange zurück.
Mad Detective ist für mich bisher Tos schwächster Film. Die Geschichte über den van Gogh unter Hongkongs Ermittlern ist eigentlich gar nicht so schlecht, auch wenn sie zwischendurch etwas wirr wirkt. Hier gibt es Anleihen an den Film Dämon mit Denzel Washington, kann unser Detective doch sehen, wenn Menschen von Dämonen besessen sind. Als er konsultiert wird, nach einem verschwundenen Polizisten zu suchen, eskaliert die Situation. Das Langweilige an dem Film ist die Art, wie er gefilmt ist. Ganz konventionell, ohne die Eleganz und Finesse, die es bei To sonst zu sehen gibt.
Ganz anders Breaking News, einer von Tos besten Filmen. Allein, wie die Schießerei am Anfang gefilmt ist, mit der Kamera, die die Straße hinauffährt, sich dreht und wieder hinunterfährt, bis sie sich in den Himmel hebt. Neben der reichhaltigen Action, ist der Film aber auch eine Kritik an den Medien und wie sie die Arbeit von Sicherheitsbehörden beeinflussen. Aus einer Zeit, in der es in Hongkong noch eine freie Presse gab.
Im Stream gesehen habe ich Happy Together, der einzige Film von Wong Kar-Wai, den ich bisher noch nicht kannte, obwohl ich ihn mir vor über 20 Jahren auf VHS aufgenommen habe. Das lag nicht unbedingt daran, dass mich damals Filme über Liebesbeziehungen zwischen Männern nicht interessiert haben, sondern eher, dass es ein Hongkong-Film ist, der in Argentinien spielt. Ich wollte eben Hongkong sehen und seine Atmosphäre. Der Film ist gut und ein Meilenstein des (asiatischen) Gay-Cinemas. Die beiden Hauptfiguren fand ich allerdings sehr unsympathisch und ihre Beziehung toxisch. Aber von Christopher Doyle in wirklich schönen Bildern gefilmt.
Die Sieben Schwerter von Tsui Hark ist ein ganz ordentlicher historischer Wuxia- bzw. Marrtial-Arts-Film, der zwar auf einer literarischen Vorlage basiert, aber doch stark an Die sieben Samurai erinnert, geht es doch um sieben Schwerkämpfer, die ein Dorf vor einer Armee aus Schurken beschützen müssen. Mit 147 Minuten hat er im Mittelteil ein paar Längen, da er aber ursprünglich auf vier Stunden ausgelegt war, geht durch die Kürzungen bei manchen Sachen das Verständnis verloren.
Ist noch bis zum 13.08.2023 in der Arte-Mediathek erhältlich.
Auf meiner Seite lesenswelt.de gibt es noch mehr zu Hongkong.
Mein Film der Woche kommt aber nicht aus Hongkong, sondern aus Japan:
Call Me Chihiro
Ein wunderbarer Slice-of-Life-Film über eine ehemalige Sexarbeiterin, die an einem Bento-Stand arbeitet, ihre Mitmenschen mit ihre Gutmütigkeit und Laune ermutigt und ermuntert, und so einen herzlichen Kosmos um sich herum schafft, in dem sich die Leute, die sich vorher nicht kannte, gegenseitig helfen.
Es gibt Kritiker, die schreiben, der Film würde weder showen noch tellen, es würde nichts passieren, aber das sind Leute, die – wie Wolfgang M. Schmitt wohl schreiben würde – nur schauen, aber nicht sehen. Denn es passiert eine Menge. Für uns Zuschauer*innen wirkt es wie Kleinigkeiten, doch für die Figuren sind das teils gravierende Veränderungen. Der Film ist eine Hommage an die Poesie des Alltags und zwischenmenschliche Beziehungen, die ohne große dramatische Momente auskommen. Ein heißer Kandidat für meinen Lieblingsfilm des Jahres.
Gibt es jetzt neu auf Netflix.
Japan Independent Cinema: 6 kostenlose Filme im Stream
Auf der Seite des JFF (Japanese Film Festival) können noch bis zum 15. März sechs japanische Independent-Filme kostenlos angesehen werden. Noch habe ich keinen davon gesehen, mir aber auf jeden Fall die beiden Dokus vorgenommen, und hoffentlich auch noch den Rest. An dieser Stelle möchte ich ein großes Lob an all die Filmfestivals aussprechen, die Filme, die in Deutschland teilweise wohl nie erscheinen werden, nicht nur vor Ort auf ihrem Festival im Kino zeigen, sondern sie seit der Pandemie auch online zugängliche machen. Das ist eine echte kulturelle Bereicherung.