Meine Woche 05.03.2023: Wildes Tokio, Hongkong-Kino und künstliche Intelligenz

Mein Schwerpunkt liegt heute auf Filmen aus Hongkong von Johnnie To, Tsui Hark und Wong Kar-Wai, sowie einem ganz tollen aus Japan. Es geht darum, wie KI das Kino und unser Leben verändern wird. Und warum ich Bücher mehr als einmal lese. Dazu Dokus, Serien und Hörspiele.

Was für eine Woche. Der Iran vergiftet seine Kinder, die SPD möchte in Berlin unter einem Rechtsaußen der CDU mitregieren und ist jetzt auch bei Taliban-Vergleichen angekommen, wenn es um die Protestaktionen junger Klimaaktivist*innen geht. Die Verbalradikalisierung des politischen und journalistischen Establishment gegen junge Menschen, die sich außerhalb der für sie zugewiesenen Gehege politisch engagieren, nimmt bedenklich und demokratiezersetzende Züge an. Im Iran können wir sehen, wo solche Worte irgendwann hinführen. Ich hoffe, mein Wochenrückblick hilft dabei, von dem ganzen Scheiß ein wenig abzulenken.

Artikel

Read it again! Bücher noch einmal lesen?

Es gibt ja Menschen, die lesen kein Buch zweimal, weil es noch so viele interessante ungelesenen Bücher gibt. Ich gehöre nicht dazu. Nach 15 bis 20 Jahren lese ich Bücher, die mir richtig gut gefallen haben, gerne ein zweites Mal. Einige meiner Lieblingsbücher habe ich auch schon mehrfach gelesen. Denn es ist nicht das gleiche Buch, dass ich beim zweiten Mal lese, da ich nicht derselbe Mensch bin. Ich habe neues Wissen, neue Erfahrungen. Aber manchmal geht es mir auch einfach nur um Nostalgie. Für Teilzeithelden hat Marie Mönkemeyer einige Gründe für einen Reread aufgeführt.

Wo bleibt Ihr Aufruhr? – Sascha Lobo über künstliche Intelligenz

Ich persönlich gehe davon aus, dass meine Tätigkeit als Übersetzer irgendwann in den nächsten zehn Jahren weitgehend durch KI-Programme wie DeepL ersetzt wird. Vielleicht nicht bei anspruchsvoller Literatur, aber im Unterhaltungsbereich garantiert. Viele aus der Branche wiegeln noch ab, weil sie von dem Stand ausgehen, auf dem sich DeepL aktuell befindet, und bedenken nicht, dass die Fortschritte dieser KI-Programme exponentiell stattfinden und die Rechenleistung sich alle sechs Monate verdoppelt. Die professionellen Go-Spieler haben auch lange noch abgewiegelt, bis ihr Weltbild durch AlphaGo plötzlich erschüttert wurde.

Viele gehen auch davon aus, dass die meisten Menschen Kreativität und den menschlichen Faktor bei Texten und Kunstwerken zu sehr schätzen, um sich mit KI-Ergebnissen abspeisen zu lassen. Wenn ich mir aber ansehe, wie erfolgreich schlecht geschriebene und/oder schlecht übersetzte Bücher teilweise sind, ohne, dass der Mehrheit der Leserschaft das überhaupt auffällt, habe ich da wenig Hoffnung. Und viele Verlage kümmert es auch nicht, so lange es sich verkauft.

So viel zum Artikel von Sacha Lobo und meinen persönlichen Bezügen dazu. Ich denke, dazu werde ich irgendwann noch einen eigenen Blogbeitrag schreiben.

Youtube

Wie Künstliche Intelligenzen das Kino völlig verändern

Auch der Film-Youtuber David Hain hat sich diese Woche auf seinem Kanal Behaind mit dem Thema KI beschäftigt, und wie es das Filmemachen revolutioniert. Er stellt den Film Fall vor, bei dem Schimpfwörter nachträglich durch harmlosere Varianten ersetzt wurden. Damit das lippensynchron bleibt, wurde eine Software entwickelt, die die Lippenbewegungen an die neuen Wörter anpasst. Sowas wird in Zukunft auch bei Filmsynchronisationen in andere Sprachen eingesetzt werden. Eine Technologie, mit der man Menschen alle möglichen Aussagen in den Mund legen kann. Denn die Stimme lässt sich inzwischen auch deepfaken.

Aber das ist bei Hain nur die Einleitung, denn er geht auch der Frage nach, was in Zukunft noch auf uns zukommt. Wie er, sehe ich das größte Problem für originelles, kreatives Kino darin, dass der Erfolg eines Films inzwischen ziemlich genau berechnet werden kann, und die Studios nur noch solches immergleiches Zeug produzieren werden. Also noch mehr, als es ohnehin schon der Fall ist.

Serie

Skins UK

Erstmals seit ca. 2010 (damals auf Hulu) habe ich mir die ersten beiden Staffeln der britischen Serie Skins wieder angesehen. Insgesamt gibt es sieben, aber mehr habe ich nicht gesehen, da ab der dritten die Hauptfiguren wechseln – was aber durchaus verständlich ist, da ihre Geschichten auserzählt sind.

Ich kenne keine Serie, die das Gefühl der letzten Monate und Wochen vor dem Schulabschluss so gut einfängt, wie Skins. Dabei balanciert sie gekonnt zwischen großen Albernheiten und ernsten emotionalen Momenten. Allein die vorletzte Folge der 2. Staffel (mit Cassie in New York) ist ein kleines Meisterwerk.

Klar, eine Serie wie Euphoria erzählt heute noch mal auf einem ganz anderen Niveau, aber in ihr geht es auch um andere Themen. Bei Skins steht vor allem Freundschaft im Vordergrund, zwischen Sid und Tony, Jal und Michelle, Cassie und Chris. Anwar und Maxxie. Liebschaften natürlich auch sowie Trauer und Verlust. Abwesende Eltern sind ein Thema, Eltern, die sich nicht kümmern, nicht verstehen.

Vermutlich werde ich demnächst aber weiterschauen, denn Effi soll noch mit dabei sein, und die war in den ersten beiden Staffeln die coolste Sau von allen.

Gibt es auf Netflix.

Doku

Wildes Tokio

Eine 45-minütige Doku über die Fauna Tokyos. Wer glaubt, die Riesenmetropole würde nur aus Menschen, Stahl, Beton, Asphalt und bunten Lichtern bestehen, täuscht sich. Auch in Großstädten findet die Natur ihren Weg und Tiere ihre Nischen. Da ich kürzlich erst Pom Poko gesehen habe, hat es mich besonders gefreut, dass als erstes Tier der Marderhund seinen Auftritt hat, mit einer Schienenüberquerung, die auch aus dem Film stammen könnte. Ansonsten gibt es Krähen, die sich Nester aus Kleiderbügeln bauen, hungrige Haie in der Bucht von Tokyo um einen Unterwasserschrein, und Möwen, die auf Hochhausdächern brüten.
Ist in der ARD-Mediathek verfügbar.

Hörspiel

Die drei ??? Manuskript des Satans

Die Buchvorlage kenne ich nicht, aber das Hörspiel hat mir richtig gut gefallen. Einen so soliden klassischen ???-Fall hätte ich nicht mehr erwartet. Nur schade, dass das titelgebende Manuskript keine große Rolle spielt. Ansonsten gibt es unheimliche Vorgänge, einen grummelingen Auftraggeber und klassische Ermittlungsarbeit. Und Jürgen Thormann in der wichtigsten Nebenrolle, die er mit 95 Jahren! immer noch hervorragend meistert.

Filme

Hongkong

In den letzten zwei Jahren habe ich schon angefangen, eine DVD-Blu-ray-Sammlung von Filmen aus Hongkong anzulegen, da viele dieser Filme nicht im Streaming erhältlich sind, und wenn doch, dann nur mit deutscher Tonspur (siehe die Filme von Johnnie To). Von Wong Kar-Wai gibt es inzwischen tatsächlich fast alles in vernünftigen Versionen bei Streaming-Anbietern, aber bei John Woo, Fruit Chan und Ann Hui sieht es schlecht aus, weshalb ich mit dem Sammeln angefangen habe. Angeregt durch meine Sichtung von PTU auf Arte habe ich mir letzte Woche drei Filme von Johnnie To bestellt. Bis auf Mad Detective kannte ich die schon alle, die letzte Sichtung liegt aber schon sehr lange zurück.

DVD-Cover zu je drei Filmen in einer Reihe, von oben rechts: Exiled, Mad Detective, Breaking News, Bullet in the Head, Hard Boiled, A Better Tomorrow, Infernal Affairs, Made in Hong Kong, Tao Jie, Days of Being Wild, Chungking Express und In the Mood for Love.

Mad Detective ist für mich bisher Tos schwächster Film. Die Geschichte über den van Gogh unter Hongkongs Ermittlern ist eigentlich gar nicht so schlecht, auch wenn sie zwischendurch etwas wirr wirkt. Hier gibt es Anleihen an den Film Dämon mit Denzel Washington, kann unser Detective doch sehen, wenn Menschen von Dämonen besessen sind. Als er konsultiert wird, nach einem verschwundenen Polizisten zu suchen, eskaliert die Situation. Das Langweilige an dem Film ist die Art, wie er gefilmt ist. Ganz konventionell, ohne die Eleganz und Finesse, die es bei To sonst zu sehen gibt.

Ganz anders Breaking News, einer von Tos besten Filmen. Allein, wie die Schießerei am Anfang gefilmt ist, mit der Kamera, die die Straße hinauffährt, sich dreht und wieder hinunterfährt, bis sie sich in den Himmel hebt. Neben der reichhaltigen Action, ist der Film aber auch eine Kritik an den Medien und wie sie die Arbeit von Sicherheitsbehörden beeinflussen. Aus einer Zeit, in der es in Hongkong noch eine freie Presse gab.

Im Stream gesehen habe ich Happy Together, der einzige Film von Wong Kar-Wai, den ich bisher noch nicht kannte, obwohl ich ihn mir vor über 20 Jahren auf VHS aufgenommen habe. Das lag nicht unbedingt daran, dass mich damals Filme über Liebesbeziehungen zwischen Männern nicht interessiert haben, sondern eher, dass es ein Hongkong-Film ist, der in Argentinien spielt. Ich wollte eben Hongkong sehen und seine Atmosphäre. Der Film ist gut und ein Meilenstein des (asiatischen) Gay-Cinemas. Die beiden Hauptfiguren fand ich allerdings sehr unsympathisch und ihre Beziehung toxisch. Aber von Christopher Doyle in wirklich schönen Bildern gefilmt.

Die Sieben Schwerter von Tsui Hark ist ein ganz ordentlicher historischer Wuxia- bzw. Marrtial-Arts-Film, der zwar auf einer literarischen Vorlage basiert, aber doch stark an Die sieben Samurai erinnert, geht es doch um sieben Schwerkämpfer, die ein Dorf vor einer Armee aus Schurken beschützen müssen. Mit 147 Minuten hat er im Mittelteil ein paar Längen, da er aber ursprünglich auf vier Stunden ausgelegt war, geht durch die Kürzungen bei manchen Sachen das Verständnis verloren.

Ist noch bis zum 13.08.2023 in der Arte-Mediathek erhältlich.

Auf meiner Seite lesenswelt.de gibt es noch mehr zu Hongkong.

Mein Film der Woche kommt aber nicht aus Hongkong, sondern aus Japan:

Call Me Chihiro

Ein wunderbarer Slice-of-Life-Film über eine ehemalige Sexarbeiterin, die an einem Bento-Stand arbeitet, ihre Mitmenschen mit ihre Gutmütigkeit und Laune ermutigt und ermuntert, und so einen herzlichen Kosmos um sich herum schafft, in dem sich die Leute, die sich vorher nicht kannte, gegenseitig helfen.

Es gibt Kritiker, die schreiben, der Film würde weder showen noch tellen, es würde nichts passieren, aber das sind Leute, die – wie Wolfgang M. Schmitt wohl schreiben würde – nur schauen, aber nicht sehen. Denn es passiert eine Menge. Für uns Zuschauer*innen wirkt es wie Kleinigkeiten, doch für die Figuren sind das teils gravierende Veränderungen. Der Film ist eine Hommage an die Poesie des Alltags und zwischenmenschliche Beziehungen, die ohne große dramatische Momente auskommen. Ein heißer Kandidat für meinen Lieblingsfilm des Jahres.

Gibt es jetzt neu auf Netflix.

Japan Independent Cinema: 6 kostenlose Filme im Stream

Auf der Seite des JFF (Japanese Film Festival) können noch bis zum 15. März sechs japanische Independent-Filme kostenlos angesehen werden. Noch habe ich keinen davon gesehen, mir aber auf jeden Fall die beiden Dokus vorgenommen, und hoffentlich auch noch den Rest. An dieser Stelle möchte ich ein großes Lob an all die Filmfestivals aussprechen, die Filme, die in Deutschland teilweise wohl nie erscheinen werden, nicht nur vor Ort auf ihrem Festival im Kino zeigen, sondern sie seit der Pandemie auch online zugängliche machen. Das ist eine echte kulturelle Bereicherung.

Meine Woche 12.02.2023: Pom Poko, Podcasts und Petra Schier

Petra Schier erklärt, was für hauptberufliche Autor*innen alles an Arbeit anfällt. Falko Löffler podcastet über Point-and-Click-Adventures, die New York Times poträtiert Mieko Kawakami und ich bespreche den Film Pom Poko.

Die Woche wurde gleich zu Beginn von der Erdbebenkatastrophe der Türkei und Syrien überschattet. Das unfassbare Leid der Menschen dort lässt mich hilflos zurück. Seriöse Spendenaktionen gibt es im Internet wohl genug. Ich kenne mich da aber nicht ausreichend aus, um eine davon guten Gewissens teilen zu können. Bei meinen Zugriffszahlen hier lohnt sich das auch nicht.

Artikel

Mieko Kawakami im Porträt

Eine meiner literarischen Neuentdeckungen der letzten Jahre ist die japanische Autorin Mieko Kawakami, deren Bücher Breasts and Eggs und Heaven ich auf meiner Seite lesenswelt.de besprochen habe. Jonathan Hunt hat ihr im New York Times Magazine ein ausführliches Porträt gewidmet, das auch ihre Bücher vorstellt und erklärt, warum sie so ein gutes Auge für die Armut und die Misstände in der japanischen Gesellschaft hat.

Hauptberufliche Autorin – Eine Berufsbeschreibung

Hartnäckig hält sich die Vorstellung, dass Bücher schreiben doch gar kein richtiger Beruf sei. Dass das doch jeder könne. Nur ein Hobby. „So schön hätte ich es auch gern.“ Autorin Petra Schier begegnet das immer wieder, weshalb sie auf ihrem Blog jetzt eine detaillierte Aufstellung davon angelegt hat, was für haupt- und nebenberufliche Autor*innen alles an Arbeit anfällt. Und das ist wirklich nicht wenig – bis es dann überhaupt ans Schreiben geht.

Für mich als Übersetzer fällt da einiges weg, wie z. B. Buchmarketing und Lesungen, aber vieles gilt auch für mich als Freiberufler. Der Rechercheanteil ist beim Übersetzen z. B. nicht zu unterschätzen.

Podcasts

Benutze Ohr mit Lautsprecher

Falko Löffler, den einige von euch vielleicht schon durch seinen Buchpodcast Kapitel 1 kennen, und der zuletzt unter anderem an Point-and-Fick-Adventures wie Leisure Suite Larry gearbeitet hat, hat jetzt mit Benutze Ohr mit Lautsprecher einen neuen Podcast, in dem sich alle Mausräder um Point-and-Click-Adventures drehen. Und, erfrischenderweise nicht um so alte Kamellen, wie ich sie in Anfällen akuter Nostalgie immer wieder spiele, sondern Games aus diesem Jahrtausend. In der ersten Folge unterhält er sich mit Matt Grandis über The Excavation of Hob’s Barrow.

Youtube

Eine kleine Geschichte der Drei ??? – Hörspiele (Video-Essay)

Einen schönen Videoessay über die drei Fragezeichen gibt es auf dem Kanal von Neon Tukan. Der deckt so ziemlich alles ab, was man über die Kulthörspiele wissen muss, von den Anfängen der amerikanischen Buchvorlagen über die Crimebuster-Phase bis hin zu den deutschsprachigen Autor*innen und dem aktuellen Stand der Folgen und Hörspiele. Ich persönlich höre immer noch jedes neue Hörspiel, inzwischen aber nur noch im Stream, da ich sie besten Falls noch okay finde, meistens eher dürftig. Bei den Büchern leses ich immer die von André Marx, auch wenn er zuletzt schwächelt, ansonsten nur nach persönlicher Empfehlung.

Tor Online

In meinen SFF News auf Tor Online ging es um die Phantastik-Bestenliste Februar. Außerdem: Theresa Hannig bei NDR Kultur über Utopien, Salman Rushdie meldet sich im New Yorker zu Wort, ein Prachtband zu Frank Frazetta, eine Gesprächsrunde mit Mira Valentin und ein Trailer zu The Portable Door.

Raumschiffcrews im Wandel der Zeit

Der Artikel der Woche ist ein Gastbeitrag aus dem Science Fiction Jahr 2022: Wie haben sich Raumschiffcrews verändert? Star Wars und Star Trek sind wohl die bekanntesten Beispiele für einen Trend zur Diversität und Queerness. Autorin Lena Richter betrachtet die Entwicklung in der Science Fiction.

Doku

Hail Satan

Sehr gut aufgebaute Dokumentation über eine Gruppe von Humanist*innen, die sich für die Rechte von Minderheiten, religiöse Freiheit, Säkularität und die Einhaltung der amerikanischen Verfassung einsetzt, und mit dem Mitteln der Ironie und des Gesetzes gegen den Aufstieg des christlichen Faschismus kämpfen, der droht das Land in eine Theokratie zu verwandeln.

Film

Pom Poko (平成狸合戦ぽんぽこ)

Mitte/Ende der 1990er, bevor bei uns in der Westerwälder Provinz das Internet kam, war Helen McCarhtys Animeguide für mich die Bibel für japanische Zeichentrickfilme und primäre Informationsquelle. Zu Pom Poko schreibt sie in der Anime Encyclopedia, im Vergleich zu Mein Nachbar Totoro sei der Film wenig universal und könne auf Außenstehende ethnozentrisch wirken. Was aber wohl als Kompliment gemeint ist, da ihre Besprechung im Anime Guide durchgehend positiv ausfällt. Die Elemente mögen japanischer sein, als bei den vielen europäisch beeinflussten Filmen Miyazakis. Doch die Themen Fortschritt durch Umweltzerstörung und die Entfremdung von den eigenen kulturellen Wurzeln sind doch sehr universelle.

Aber, wer hier einen kitschig-knuffiges Umweltmärchen mit süßen Knuddelbärchen erwartet, kennt Isao Takahata schlecht. Der Film beginnt relativ trocken, fast wie eine TV-Reportage, ohne emotionale Bezugspunkte und Identifikationsfiguren unter den Marderhunden, die hier Stück für Stück ihre Heimat verlieren. Doch im weiteren Verlauf, wenn die mystischen Tiere sich zusammentun und um ihre Heimat kämpfen, gewinnt er eine ungeheure Wucht, die in der grandiosen Geisterparade mündet, da aber lange noch nicht endet, sondern erst danach so richtig rührend wird.

Der Film, der auf den Postern so knuffig aussieht, macht allerdings keine Gefangenen, der Protest der Marderhunde ist teils sehr clever, aber teils auch so brutal, dass Menschen sterben, und später sogar einige der Hauptfiguren.

Pom Poko ist eine grandiose Ballade über den Zusammenprall von Tradition und Moderne, Mensch und Natur und den Wert von Gemeinschaft und Heimat (ob selbstgewählt oder hineingeboren). Aufgrund seiner sperrigen Struktur und dem krassen Kontrast zwischen knuffigen Tieren und gewalttätigen Aktionen ist er, neben Meine Nachbarn die Yamadas wohl der (gerade für ein nicht-japanisches Publikum) unzugänglichste aller Ghibli-Filme. Für mich, mit meinem Interesse an japanischen Mythen und Legenden, aber einer der besten. Ist mir ein Rätsel, warum ich ihn mir nicht schon vorher angesehen habe.

Fotos der Woche

Die ersten Zugvögel kehren Richtung Norden zurück.

Ausblick

In der nächsten Woche werde ich sowohl die erste Staffel der Serie The Hardy Boys besprechen, als auch den ersten Roman The Tower Treasure von 1927. Auf lesenswelt wird die Tage meine Rezension von Emily Itamis Fault Lines online gehen. Und in Sachen Filmen wird es schmuddelig. 😉

Meine Woche: 25.11.2022

Enola Holmes, Sexual Drive, 1899, Modern Love: Tokio, TOKYO GROOVE JYOSHI, Tsugumi Die drei Fragezeichen und meine neue Wanddekoration. Meine Woche in Film, Serie, Hörspiel, Musik und Persönlichem im Überblick.

Filme

Enola Holmes 2, der zweite Teil der Filmreihe über die kleine Schwester von Sherlock Holmes. Mir hatte der erste Film schon besser gefallen als den meisten. Und der zweite ist noch mal eine Ecke besser geraten. Stringenter erzählt, mit einer spannenderen Geschichte und genau der richtigen Menge an Brüchen mit der vierten Wand. In einigen Kritiken heißt es, der Krimiplot sei zu seicht geraten, aber wir sollten nicht vergessen, dass es sich hier um die Verfilmung einer Jugendbuchreihe handelt. Mein einziger Kritikpunkt wäre, dass Sherlock Holmes hier zu viel Screentime bekommen hat und Enola zu sehr unter die Arme greift.

Belfast, schöner kleiner Familienfilm über eine Kindheit in Belfast. Spielt auf sehr engen Raum und in begrenztem Zeitrahmen. Vermutlich der Schlüsselmoment im Leben von Regisseur und Autor Kenneth Branagh.

Sexual Drive (性的衝動;), schräge japanische Episodenkomödie über die Kombiantion von sexuellem und kulinarischem Verlangen. Hat ein wenig was von der Anime-Serie »Food Wars«. Gbt es auf Mubi.

Serien

Ich bin jetzt durch mit der ersten Staffel von 1899, und sie hat mir überhaupt nicht gefallen. Die befürchtete Auflösung in den letzten beiden Folgen macht alles, was vorher passiert ist, komplett sinnlos. Und das bestand zu 80% sowieso nur daraus, dass die Leute planlos durchs Schiff gestolpert sind, und zu 20% aus irgendwelchem Rumdrücken vor irgendwelchen Kabeln. Die Mysterien und Anachronismen wurden viel zu beliebig und plump eingestreut, für mich hatte die Serie zu keinem Zeitpunkt etwas Rätselhaftes oder Mitreißendes. Der philosophische Überbau wird mit dem Holzhammer präsentiert. Ständig wiederholen sich Szenen, die Staffel hätte um mindesten 40% gekürzt werden können, ohne dass was fehlen würde. Ich hatte mich sehr auf die Serie gefreut, fand die ersten drei Folgen noch halbwegs okay, wurde danach aber nur noch enttäuscht und gelangweilt.

Ach ja, es geht um einen Passagierdampfer auf dem Weg nach Amerika, der unterwegs auf sein verschollenes Schwesterschiff stößt, was eine Kette von mysteriösen Ereignissen in Gang setzt. Die Schauspier*innen sind übrigens alle großartig, was ihre Leistungen angeht. Toll, dass es sprachlich so international ist, auch wenn sich dann alle doch irgendwie versehen, obwohl sie die Sprachen der anderen nicht kennen. Aber leider funktioniert die Handlung für mich nicht.

Mehr Spaß habe ich mit der Prime-Serie Modern Love: Tokio. Die erzählt, wie schon die beiden gelungenen Staffeln des amerikanischen Originals kleine Geschichten aus dem Beziehungsleben einfacher Menschen. Zwei Folgen fehlen mir noch, unter anderem die Anime-Episode. Meine bisherigen Highlights sind Folge 2 mit den Brücken von Tokio (Was ich daraus lernte, mit verheirateten Männern zu schlafen) und 13 Tage lang glaubte ich ihm, die komisch beginnt und endet, dazwischen aber wunderbar berührt.

Als Nächstes auf dem Programm steht dann die japanische Netflix-Serie Fist Love, die gestern gestartet ist. Der Trailer verspricht eine episch-tragische Liebesgeschichte, die sich über mehrere Jahrzehnte erstreckt.

Musik

Durch den Youtube-Algorithmus entdeckt habe ich die komplett weibliche japanische Groove-Band TOKYO GROOVE JYOSHI, die Jazz- und Groove-Klassiker ebenso gekonnt und lässig spielt, wie eigenen Kompositionen.

Yippee-Ki-YAY Music Festival 2021ノーカット完全版/TOKYO GROOVE JYOSHI

Lektüre

Auf dem Kindle lese ich immer noch das schon letzte Woche vorgestellte The Jasmine Throne von Tasha Suri. In gedruckter Form fehlen mir noch 20 Seiten von Banana Yoshimotos Tsugumi. Dazu wird es nächste Woche auf lesenswelt.de eine kleine Besprechung geben, zusammen mit vier weitere Büchern japanischer Autorinnen. Hier schon ein kleiner Vorgeschmack:

Das Buch habe ich vor ca. 20 Jahren schon einmal gelesen, konnte mich aber kaum noch an den Inhalt erinnern, nur noch, dass es mir gefallen hat. Und das hat es auch bei der Zweitlektüre. Yoshimoto versteht es meisterhaft, kleine Szenen und Stimmungen einzufangen, dazu der mehr als interessante Charakter der titelgebenden Tsugumi. Die ist gar nicht die Erzählerin des Romans. Das übernimmt ihre beste Freundin Maria, die im Alter von 19 Jahren aus dem kleinen Küstenstädchen nach Tokio zieht, aber für einen letzten Sommer noch einmal zu Tsugumi und ihrer Familie zurückkehrt. Was Anlass für viele Erinnerungen an die gemeinsame Kindheit ist. Die hat Tsugumi in einem stets kränklichen, geschwächten Körper aber mit eisernem Willen und scharfer Zunge verbracht und nicht wenige Menschen mit ihrer unverblümten bis boshaften Art vor den Kopf gestoßen.

Hörspiele

Im Herbst und Winter höre ich normalerweise vermehrt neue Hörspiele, da ich in der Zeit regelmäßig in die Badewanne steige und sie mir dort in Ruhe anhöre. Doch dieses Jahr gehe ich aus Spargründen nur sehr selten Baden. Deswegen habe ich bisher nur die neue Folge der drei Fragezeichen Die Teufelsklippe geschafft. Nicht zu verwechseln mit dem Teufelsfelsen, der Teufelsschlucht oder dem Teufelsberg. Fand ich so mittelprächtig. Kenne die Buchvorlage von Ben Nevis nicht. Der Einstieg war holprig, die Ermittlungsteil in der Mitte ganz okay, am Ende holperte es wieder und wurde viel zu quasselig und zufällig. Die Aufteilung zwischen Peter-Zeit und Justus/Bob-Zeit hat auch nicht so richtig gepasst. Kein Totalausfall, aber auch nichts, was ich unbedingt noch mal hören muss.

Die ???-Hörspiele höre ich auch nur noch aus Nostalgie-Gründen, da die Qualität doch stark nachgelassen hat. Aber immerhin war die Folge ganz solide, ohne irgendwelche Peinlichkeiten und Absurditäten.

Ansonsten höre ich eher Hörspiele, die sich an ein erwachsenes Publikum richten. Da kann ich z. B. Die juten Sitten empfehlen, in dem eine zum Tode verurteilte Hollywoodschauspielerin in den 1950er einem Reporter von ihrer Kindheit in einem Berliner Bordell erzählt. Tolle Geschichte, mit viel Lokalkolorit und einer differenzierten Darstellung der Prostitution dieser Zeit, in der es vor allem um die Frauen und ihre Schicksale geht. Gibt es bei Audible.

Berufliches

Das englischsprachige Manuskript, von dem ich letzte Woche berichtete, dass ich es geprüft und dem Verlag empfohlen habe, ist nach einer Auktion mit anderen Verlagen tatsächlich bei uns gelandet. Worum es sich dabei handelt, darf ich aber noch nicht berichtet. Das werde ich beizeiten nachholen. Jetzt bin ich sehr gespannt, wie es auf dem deutschen Markt ankommen wird. Wird sicher noch ein bis zwei Jahre dauern, bis es dann erscheint. So lange sind bei größeren Publikumsverlagen meist die Vorlaufzeiten.

Nachrichtenlage

Da unsere hiesigen Medien in Sachen Iran eher versagen, Folge ich einigen ausgewählten Twitter-Accounts von deutsch-iranischen Journalistinnen, die mir als vertrauenswürdige Quelle erscheinen:

https://twitter.com/GildaSahebi
https://twitter.com/GolinehAtai

Artikel

Im Magazin Colossal gibt es einen guten Artikel über die wirklich schöne Kunst von Keita Morimoto, der vor allem Alltagssituationen sehr atmosphärisch malt. Ich liebe so was. Muss gleich mal schauen, ob es die irgendwo als Poster oder Drucke zu kaufen gibt. Über meinem Bett wäre noch ein Platz frei, wo momentan da Six Feet Under-Poster hängt.

Tor Online

In meinen aktuellen SFF-News geht es um einen Trailer zur deutschen Lovecraft-Adaption The Dreamlands, einen Videoessay von David Hain dazu, warum Kinoblockbuster immer schlechter aussehen, Charlie Jane Anders stellt die 9 besten Phantastikbücher des Jahres in der Washington Post vor und eine traurige Meldung zu Greg Bear.

Heute erschienen ist ein Artikel zur Romantasy: Judith Madera wirft einen Blick auf die aktuellen Trends in der Romantasy, erklärt, was es mit dem Genre auf sich hat, bietet aber auch einen Exkurs in die Science-Fiction-Romance, spricht problematische Inhalte an und prognostiziert, wie es mit diesen Subgenres weitergehen könnte.

Worüber ich mich freue

Über die neue Dekoration der Wand über meinem Bett. Fast zehn Jahre lang hingen dort kleine Poster zu den Serien Breaking Bad und Shameless. Ich weiß, das neue Motiv ist etwas kitschig und klischeehaft, aber mir gefällt’s, die Farben passen gut zur Tapete und das Format perfekt an die Stelle. Und da ich ja aktuell Japanisch lerne, beschäftig ich mich jetzt auch noch mehr als sonst mit dem Land und der Kultur, so dass ich meine Räumlichkeiten entsprechend gestalten möchte.

Unsere Eichhörnchen. Die holen sich täglich mehrmals an ausgewählten Stellen ums Haus Walnüsse ab. Diese Woche sind mir mit der Spiegelreflex- und der Wildkamera zwei schöne Aufnahmen gelungen.

The Three Investigators – The Secret of Terror Castle u. The Mystery of the Stuttering Parrot

Meine ersten beiden Begegnungen mit den drei Fragezeichen waren die Hörspiele Der Superpapagei und Das Gespensterschloss, die hier in Deutschland gar nicht in ihrer ursprünglichen Reihenfolge veröffentlicht wurden. Die Hörspiele von Europa basierten wiederum auf den Buchübersetzungen des Kosmos-Verlags. Bücher hatte ich als Kind nur drei, damals las ich lieber Jugendbuchreihen wie Die Pizzabande, TKKG oder Burg Schreckenstein.

So richtig habe ich die Bücher erst als Erwachsener für mich entdeckt, eine Weile alle Neuerscheinungen gekauft, bis der ganze Sonnleitner-Schmu (Zwillinge der Finsternis!) Überhand nahm. Die Hörspiele sammelte ich bis zur 136, inzwischen kaufe ich mir neue Folgen nur noch, wenn mich spontan die Lust auf einen neuen Fall überkommt. Auf mich wirkt die Hörspielproduktion inzwischen recht lustlos, Massenabfertigung im Uralt-Analogstudio von Heikedine Körting, die nicht mal die Titel der aktuellen Folgen kennt, die sie produziert. Die Buchvorlagen von den deutschen AutorInnen wirken nach fast 200 Folgen auch nicht mehr so frisch, im Prinzip wiederholt sich alles, nur schlechter, mit dem beliebten Titelbullshitbingo aus dem Drei-Fragezeichensetzbaukasten: Geheimnis, Monster, des, Schreckens usw. Einzig die Bücher von André Marx kaufe ich blind, auch wenn die Fälle manchmal zu wünschen übrig lassen, trifft er doch immer den richtigen Ton, hat einen angenehm eleganten Schreibstil und lässt die drei Detektive nicht wie Karikaturen ihrer selbst agieren.

Aufgrund der obigen Gründe ist meine Leidenschaft für die drei Juniordetektive aus Rocky Beach merklich abgekühlt. Doch dieser Beitrag von Pedschi, über die Unterschiede zwischen Original und deutscher Übersetzung hat mir richtig Lust darauf gemacht, mal die Originalvorlagen von Robert Arthur zu lesen.

The Three Investigators: The Secret of Terror Castle

Im Original heißen Justus, Peter und Bob gar nicht Justus Jonas, Peter Shaw und Bob Andrews, ihre Namen lauten Jupiter Jones, Pete Crenshaw und Robert (Bob) Andrews und in diesem ersten Buch aus dem Jahr 1964 lernen wir sie gerade kennen, als sie die ersten Exemplare ihrer berühmten Visitenkarte gedruckt haben, anlässlich der Gründung ihres Detektivbüros. Gleichzeitig hat Justus bei einem Gewinnspiel die 24/7-Nutzung eines Rolls-Royce für dreißig Tage gewonnen, gefahren von einem Chauffeur namens Morton – halt, so heißt der ja gar nicht im Original – von einem Chauffeur namens Worthington (das Ti-aitsch schien der Redaktion von Kosmos wohl zu kompliziert).

Man erhält auch eine ausführliche Beschreibung des Schrottplatzes, wo sich die geheime Zentrale befindet und wo das Haus von Onkel Titus und Tante Mathilda steht. Die beiden kräftigen Gehilfen sind übrigens nicht Patrick und Kenneth aus Irland, sondern Hans und Konrad aus Bayern.

Den ersten Fallen ergaunern sich die drei Detektive im Prinzip auf Eigeninitiative, indem sie ich ins Büro von Alfred Hitchcock reinflunkern und ihm ihre Dienste als Locationsscouts für ein Spukschloss aufschwatzen. Die Erkundung des unheimlichen Gemäuers läuft dann ziemlich genau so ab, wie in der deutschen Fassung und dem Hörspiel (das die Gruselatmosphäre perfekt einfängt), insgesamt ist die Geschichte um den verstorbenen und spukenden Stummfilmstar Steven Terril ohne die Kürzungen viel stimmiger und logischer erzählt.

Mir hat es richtig Spaß gemacht, dieses mir so bekannte Abenteuer, aus der Feder von Robert Arthur noch einmal neu zu entdecken. Das ist perfekte Unterhaltung mit teils grandios schlagfertigen Dialogen. Ein zeitloser Klassiker, dem man sein Alter überhaupt nicht anmerkt.

The Mystery of the Stuttering Parrot

Dieses Abenteuer wurde bereits im letzten Buch im Gespräch mit Alfred Hitchcock angekündigt. Mr. Fentriss vermisst seinen Papagei und die drei Jungs aus Rocky Beach sollen ihn finden. Besagter Papagei ist übrigens der stotternde Papagei aus dem englischen Titel und heißt Bill Shakespeare, nicht Lucullus wie in der deutschen Fassung. In der Übersetzung hat man die Rätselsprüche der Papageien ein wenig abgeändert, und zwar sehr gelungen. Der Superpapagei aus dem deutschen Titel ist Black Beard, der Mynah, der fortan die Zentrale der drei Detektive beschallen soll.

Bei Lektüre des Originals fallen einige Abweichungen zum Hörspiel auf, das deutlich gekürzt wurde. So begegnen Jupiter und Pete dem Kunstdieb Hugenay bereits zu Beginn der Geschichte (ich glaube, das wurde in der Live-Aufführung, die es auf DVD gibt, nachgereicht). Während im Hörspiel einige Logiklöcher und Lücken klaffen, wird im Originalroman eine von Anfang bis Ende stimmige Geschichte erzählt. Man erfährt, was John Silver mit Mr. Claudius zu tun hatte und wie er an das Bild gekommen ist. Claudius geht auch deutlich rabiater zu Werke.

Die berühmte Telefonlawine heißt hier übrigens ghost-to-ghost hookup, nach dem Begriff coast-to-coast hookup der amerikanischen Radio- und TV-Sender. Da finde ich den deutschen Begriff sogar etwas besser.

Insgesamt bietet auch dieser Originalroman eine sinnvolle Ergänzung zum Hörspiel und der Romanübersetzung, für all jene Fans, die sich für die Ursprünge interessieren.

In gedruckter Form sind die Originalbücher nur antiquarisch erhältlich, aber der deutsche Verlag Kosmos hat die englischen Originaltexte in E-Book-Form veröffentlicht.