Mein Oktober in Büchern, Serien und dem ganzen Rest

Der ganze Rest

Verglichen mit den Sommermonaten bin ich im Oktober für meine Verhältnisse erstaunlich viel unterwegs gewesen.

Den Anfang machte das Konzert von Nick Cave and the Bad Seeds in Frankfurt. Fan bin ich seit den 90ern, zwar kannte ich vorher schon The Birthday Party und das Video zu Nick the Stripper sowie einige frühere Stücke von Nick Cave, doch so richtig aufmerksam wurde ich auf den Australier erst durch sein Video zu As I sat sadly by her side. Seitdem habe ich mir jedes neue Album gekauft, und bis auf Dig Lazarus Dig gefallen sie mir auch alle.

Das Konzert war großartig, Cave sichtlich gut aufgelegt, suchte ständig den Kontakt zum Publikum, dass er in der Zugabe zu Stagger Lee sogar auf die Bühne holte (bestimmt 50 Leute). Der Sound war für meinen Geschmack einen Tick zu laut, vor allem das Schlagzeug, Cave aber richtig gut bei Stimme. Ich bin froh, dass ich mich nach 20 Jahren endlich aufraffen konnte, zu einem seiner Konzerte zu fahren. Nur schade, dass er nichts von meine beiden Lieblingsalben No more shall we part und Abattoir Blues gespielt hat. Mein Highlight war The Mercy Seat.

Den folgenden Freitag ging es von Montabaur aus per ICE flott zur Frankfurter Buchmesse, die ich erstmals seit 15 Jahren wieder besuchte. Am Fachbesuchertag war es doch deutlich angenehmer, was das Gedränge anging. Termine hatte ich nur ein paar mit einem Lektor und einigen ÜbersetzerkollegInnen. Zufällig kam ich an Volker Kutschers Buchvorstellung von Moabit vorbei, die ich mir dann als ehemaliger Bewohner des gleichnamigen Berliner Kiezes und Fan der Gereon-Rath-Romane spontan ansah. Bis dato war ich skeptisch, ob ich wirklich 18 Euro für nur 84 Seiten ausgeben möchte, doch das von Kat Menschik aufwendig gestaltete Heftlein im Stil alter Magazine wirkt wirklich schick.

Einen Tag später ging es mit der Fantasyguide.de-Gang bestehend aus Ralf Steinberg und Michael Schmidt (Holger M. Pohl stieß vor Ort dazu) zum BuchmesseConvent nach Dreieich-Sprendlingen, der bei mir seit 2006 jedes Jahr zum Pflichtprogramm gehört. 2006 bin ich – damals noch Student in Siegen – dort erstmals mit meinem Freund Mathias, noch niemanden aus der Phantastikszene kennend und deshalb viele Lesungen besuchend, hingefahren. Und nach vielen Jahren Abwesenheit war auch Mathias dieses Jahr wieder dabei, was mich ganz besonders gefreut hat. Insgesamt war es für mich auch der bisher beste Bucon, einfach, weil ich so viele Freunde und Bekannte wie noch nie getroffen habe, und mit fast allen auch anregende Gespräche führen konnte. Und genau deswegen fahre ich dort auch immer hin, um all jene zu treffen, mit denen ich sonst fast nur Kontakt über das Internet habe.

Den Freitag darauf stellten Claus-Dieter Schnug und Horst Bartels im Keramikmuseum Westerwald das Buch Hilgert – Nachrichten aus einem Westerwalddorf vor, das eine Art Nachfolgeband für die Dorfchronik von vor vier Jahren darstellt. Die Lesung war ziemlich voll, bestimmt 150 Leute, und auch sehr unterhaltsam und abwechslungsreich gestaltet, es wurden kuriose bis amüsante Zeitungsmeldungen vorgelesen, aber auch von eindrucksvolle Lebens- und Familiengeschichten berichtet.

Bücher

Adam Neville – The Ritual

In der ersten Hälfte ein packender Survivalthriller mit übernatürlichem Touch, der in der zweiten Hälfte leider in einer albernen, klischeehaften und total langweiligen Handlung um eine obskure Black-Metalband völlig in sich zusammenbricht. Diese gewagte 180-Grad-Wende hat für mich überhaupt nicht funktioniert.

William Blatty – The Exorcist

Die Buchvorlage zum berühmten Film von William Friedkin, der das Genre des Horrorfilms mit revolutionierte. William Blatty schrieb selbst das Drehbuch zum Film. Was ich besonders interessant finde, da es, obwohl sich der Film fast 1:1 an das Buch hält, einen entscheidenden Unterschied gibt: Im Film ist durch die Spezialeffekte ziemlich schnell klar, dass es sich um ein wirkliches übernatürliches Phänomen handelt, während das Buch da bis zum Schluss ambivalent bleibt und Raum für Zweifel lässt, die Zweifel die auch Pater Karras beschäftigen, zum einen an dem Dämon, aber auch an seinem eigenen Glauben.

Don Winslow – Corruption

Im Prinzip die (großartige) TV-Serie The Shield als Roman in New York statt Los Angeles von Don Winslow geschrieben. Beginnt auf den ersten 200 Seiten sehr langsam und detailverliebt, bekommt in der zweiten Hälfte aber eine gute Dynamik, wenn Winslow in Rückblenden schildert, wie die Hauptfigur immer wieder in kleinen Schritten die Grenzen der Legalität in einem kaputten System überschritt. Kein Pageturner, eher ein Slowburner, dem das gewisse Etwas, das ich leider nicht genau benennen kann, fehlt. Der Originaltitel „The Force“ stellt den Übersetzer übrigens vor erhebliche Probleme. Mit „Force“ ist hier eine schlagkräftige Eliteeinheit innerhalb der Polizei gemeint. Die kann man nicht als „die Macht“ übersetzen, was den Spruch der Einheit „may the Force be with you“ (natürlich ein Star Wars-Zitat) unübersetzbar macht. Da Übersetzer Chris Hirte „The Force“ im Deutschen beibehalten hat, heißt der Spruch jetzt „möge die Force mit dir sein“).

John Langan – The Fisherman

Habe ich ja schon besprochen.

Im Halloweenmonat Oktober lese ich traditionell gerne Horrorliteratur. Neben den oben aufgezählten Büchern stehen nebenher noch Kurzgeschichten von Robert W. Chambers, Thomas Ligotti und Robert Aickmann auf dem Programm.

Serien

Halt and Catch Fire

Diese großartige Serie über einige Computerspezialisten und ihre Beziehungen zueinander ging gerade mit der vierten Staffel und einem emotionalen Finale zu Ende. Über ein Jahrzehnt begleitet die Serie die Leben von Cameron, Donna, Joe, Gordon und John Bossworth, dem netten Onkel von nebenan. Die erste Staffel war gut, erzählte aber noch recht distanziert davon, wie die Gruppe im stockkonservativen Texas versuchte, einen tragbaren Computer zu entwerfen, im Wettrennen mit IBM. Ab der zweiten Staffel rückten Donna und Cameron mehr in den Fokus und die Serie wurde herausragend.

Babylon Berlin

Ich erwähnte weiter oben ja schon, dass ich die Romanvorlagen von Volker Kutscher sehr mag, die Serie kann ich nach vier Folgen aber noch nicht so richtig einschätzen. Ausstattung und Kulissen sind großartig, aber meine Lieblingsfigur Charly Ritter kommt mir in der Serie doch sehr fremd vor. Liv Lisa Fries spielt sie schon großartig, aber dass man sie in so ärmliche Verhältnisse verfrachtete hat, dass sie sogar als Prostituierte arbeiten muss, gefällt mir nicht so wirklich. Das hätte die Charly aus dem Buch nie gemacht. Normalerweise begrüße ich Abweichungen von der Buchvorlage, aber wenn es so gravierende Persönlichkeitsveränderungen sind, regt sich in mir Unbehagen.

Star Trek Discovery

1. Die Klingonen sehen scheiße aus und sprechen auch scheiße. 2. Ist mir das alles viel zu schlampig und plump geschrieben. 3. Erkenne ich da nur sehr wenig Star Trek. Für eine SF-Serie ist das ja ganz okay und sieht auch super aus, aber bei Star Trek erwarte ich mehr und was anderes. Mal abwarten, wie sich die Serie entwickelt, ist mir bisher noch zu sehr Abrams-Reboot und zu faul und nachlässig geschrieben (unbewachte, wichtige Außenposten; ungesicherte Transportshuttleflüge von hochrangigen Offizieren; Technik, die immer genau im richtigen Drehbuchmoment auf wundersame Weise funktioniert usw.) Habe ich schon erwähnt, dass ich Klingonen langweilig finde? Eine Prequelserie interessiert mich eigentlich auch nicht. Hätte viel lieber eine Fortsetzung nach Voyager gesehen. Hier muss man den Kanon so sehr zurechtbiegen und strapazieren, dass es gar nicht in ein einziges Universum passt, ohne in sich zusammenzufallen. Ich kann auch nicht erkennen, dass Stark Trek hier mit im neuen Serienjahrtausend angekommen sein soll, nur weil alles düsterer ist und hochrangige Offiziere schnell sterben. Dafür ist es einfach nicht gut genug geschrieben und noch Welten von der A-Liga der Serienlandschaft entfernt. Auch fehlt mir der Sense of Wonder der alten Serien.

The Expanse – 2. Staffel

Mit der ersten Staffel bin ich nicht so richtig warm geworden, doch die zweite hat mich gepackt. Die Drehbücher scheinen deutlich besser und stimmiger geworden zu sein, die Geschichte fügt sie gut zusammen und es entsteht tatsächlich Spannung. Auch die Figuren erscheinen mir inzwischen dreidimensionaler.

The Deuce

Atmosphärisch dichte Milieustudie der Prostituierten- und Pornoszene im New York der 1970er Jahre. Auf dem gewohnten David-Simon-Niveau.

Chesapeake Shores

Gnadenlos kitschige Familienserie, die mir trotzdem, oder gerade deswegen, richtig gut gefällt, auch wenn Staffel 2 deutlich schwächer ist. In der Postkartenidylle einer amerikanischen Ostküstenkleinstadt versuchen die fünf erwachsenen Kinder der O’Brian-Familie, ihr Leben in Ordnung zu bringen.

Hörspiel

Gruselkabinett 1: Carmilla, der Vampir nach Joseph Sheridan Le Fanu

Sehr stimmungsvoll inszenierte klassische Gruselgeschichte mit einem bissigen Vampir, allerdings auch sehr vorhersehbar. Was sicher daran liegt, dass diese Geschichte der Vampirklassiker schlechthin ist, der noch vor Bram Stokers Dracula entstand. Nach damaligen Maßstäben also alles andere als vorhersehbar. Mit erstklassigen SprecherInnen und guter Musik.

Für den Rest des Jahres gehe ich jetzt ein wenig in den Winterschlaf. Sollte mich die Muse küssen und die Texte rauswollen, wird es natürlich Blogeinträge geben, ansonsten dann spätestens den Jahresrückblick zwischen den Feiertagen. Was es nicht geben wird, sind Artikel zu den Frühjahr/Sommerprogrammen der Phantastikverlage. Fischer Tor und Piper haben ihre schon raus. Dafür lese ich momentan einfach zu wenig Phantastik. Aus den letzten Programmen habe ich, bis auf ein paar Fischer-Tor-Titel, kein einziges Werk gelesen.

Ausblick auf die Zukunft

Fest gebucht ist bereits das dritte PAN-Branchentreffen in Köln vom 19. bis zum 21. April 2018.

„The Fisherman“ von John Langan

Ich muss gestehen, dass ich aufgrund des Gemäldes von 1870 auf dem Cover, dachte, es ginge um zwei Fischer in historischem Setting. Stattdessen sind es zwei Hobbyangler, die bei IBM im Büro arbeiten. Beide haben ihre Familie verloren und finden in der Trauer durch das Angeln zueinander (und kommen einem lokalen Mythos auf die Spur). Abe ist der Ich-Erzähler, bei dem ich mich sofort wohl gefühlt habe. Er hat eine tolle Erzählstimme, sehr literarisch aber ohne irgendwelche Sperenzchen.

Schrieb ich schon mal, nachdem ich die ersten fünfzig Seiten gelesen hatte. Zu früh, wie ich dann feststellen musste, denn es gibt eine Geschichte in der Geschichte, die immerhin 150 Seiten umfasst und in der zweiten Hälfte den 19. Jahrhunderts spielt. Und in der kommt zumindest ein Fischer vor, der allerdings nach etwas ganz anderem fischt, als man es erwartet – einem Brocken von gar biblischen Ausmaßen. In einigen Besprechungen wurden Bezüge zu Lovecraft erwähnt, die aber wirklich minimal sind, ein bisschen Charles Dexter Ward, was das historische Setting angeht, aber das war es dann schon. Die übernatürlichen Elemente gehen eher in Richtung Bibel und Mythen aus der vorchristlichen Zeit.

Die Themen Tod und Trauer haben eine lange Tradition in Horror- und Schauergeschichten. Bietet sich ja auch irgendwie an, da Tod genrebedingt eine große Rolle in zahllosen Variationen spielt. Die Trauer ist der Rahmen oder rote Faden, der durch die Geschichte führt, mit übernatürlichen Elementen hält sich Langan über weite Strecken angenehm zurück und deutet den mythologischen Überbau mit Secret History usw. nur dezent an. Fast schon zu dezent, da hätte ich gerne mehr von gelesen. Aber die Geschichte funktioniert auch so und beschränkt sich dadurch auf das Wesentliche.

The Fisherman hat in diesem Jahr den Bram Stoker Award und den British Fantasy Award gewonnen, und zwar zurecht, hebt sich diese gefühlvoll und zugleich schaurig erzählte Geschichte doch angenehm von den üblichen Lovecraft-Epigonen ab. Allerdings bleibt zu befürchten, dass sie keinen deutschsprachigen Verlag finden wird. Sie hätte gut in die einstmals Phantastischen Bibliotheken von Suhrkamp oder Dumont gepasst, bei Fischer könnte man es gut neben Albert Sánchez Piñol bringen.

„Klauen“ uns Netflix und Co. die Zeit zum Lesen?

„Uns allen brechen die Leser weg. Noch 2012 hat sich jeder Mensch hierzulande statistisch gesehen mindestens einmal pro Jahr ein Buch gekauft. Diese Reichweite hat sich praktisch halbiert“, sagt Piper-Verlagschefin Felicitas von Lovenberg gegenüber dem Buchreport.

Auch die Buchhandlung Otherland aus Berlin schreibt, dass sich Netflix, Amazon und Co. bemerkbar machen würden. Gemeint ist damit, dass Menschen, die bisher viel Zeit mit Lesen verbracht haben, immer mehr auf Serien aus Streamingangeboten umsteigen, bzw. größere Teile ihrer Freizeit dafür reservieren (sich also Marktanteile verschieben).

Serien hat es schon immer gegeben, auch Phantastikserien. Akte X war in den 90ern ebenso ein Straßenfeger wie Star Trek – Next Generation oder Babylon 5. Geändert hat sich die Fülle des Angebots und seine Verfügbarkeit. Was bei mir die Frage aufwirft, ob die steigende Zahl an Phantastikserien und vor allem auch an Serienadaptionen von Büchern nicht dafür sorgt, dass insgesamt weniger Phantastikbücher gelesen werden?

Phantastik ist jetzt Mainstream

Es gab schon immer erfolgreiche Phantastikfilme und Serien, doch dank der modernen Tricktechnik, die seit Ende des letzten Jahrtausends, seit der Matrix– und Herr der Ringe-Trilogie enorme Fortschritte gemacht hat und günstiger geworden ist, gibt es eine Flut an Phantastikserien und Filmen (mit und ohne Superhelden). Wer mal sehen möchte, was aktuell an phantastischen Serien läuft, sollte sich diese beiden Listen von Armin Rößler zu Superheldenserien und allgemeinen Phantastikserien ansehen. 90! aktuell laufende oder demnächst anlaufende Phantastikserien sind dort aufgezählt.

Allein an Serien! Dazu kommen noch die ganzen Filme von Marvel, DC, Star Wars, aus dem Harry Potter-Universum usw., dazu eine kleine Flut an Science-Fiction-Filmen (Alien:Covenant, Life, Arrival, Blade Runner 2049, Passengers – um mal ein paar aus diesem Jahr zu nennen), zahlreiche Jugendystopien und ihre Fortsetzungen. Man kann wahrlich sagen, dass die Phantastik im Mainstream angekommen ist und diesen aktuell sogar dominiert.

Doch führt der Erfolg dieser Filme und Serien auch dazu, dass Bücher aus diesen Genres (die ja oft die Vorlagen liefern) davon profitieren? So wie es einst der Fantasy im Fahrwasser der Herr der Ringe-Trilogie erging (Stichwort Völkerfantasy)?

Zum Erfolg von Game of Thrones und ob das Fantasygenre im Buchbereich davon profitieren würde, sagte Carsten Polzin von Pipers mal der Zeitschrift phantastisch! (habe jetzt nicht im Kopf, welche Ausgabe es war), dass davon vor allem einer profitieren würde, und zwar George R. R. Martin selbst. Einen Boom oder überhaupt ein gesteigertes Interesse für ähnliche Fantasybücher von anderen Autoren ist nicht zu erkennen. Dasselbe gilt für die Science Fiction. Nur weil das Genre an der Kinokasse brummt, heißt es nicht, dass auch die SF-Buchverkäufe steigen.

Aktuell wird über jeden neuen Trailer von Star Wars oder aus dem MCU und über jede neue Folge von Star Trek Discovery mehr diskutiert, als über die aktuell angesagtesten und aufregendsten Buchneuerscheinungen in den Genres Fantasy und Science Fiction. Selbst in Genreforen, in denen vor 10 Jahren hauptsächlich noch über Bücher diskutiert wurde.

Veränderte Sehgewohnheiten

Dank Tablets haben Netflix und Co. inzwischen auch das Bett (trotz Fernsehers im Schlafzimmer) und den Zug erobert, jene Domänen, die früher dem Buch vorbehalten waren. Denn früher gab es nicht diese Fülle an Phantastikserien, die jederzeit verfügbar waren. Star Trek Next Generation lief in der Woche um 15.00 Uhr im ZDF, Babylon 5 sonntags um 17.00 Uhr und Akte X anfangs am Freitagabend.

Heute sind die 90 Serien fast alle rund um die Uhr verfügbar. Und zwar deutlich günstiger, als wenn man alle auf DVD kaufen würde. Bei einem Netflixabo ist man ab 7.99 Euro dabei, bei Amazon Prime sogar für noch weniger im Monat. Hat man noch Sky dazu, hat man auch noch die Serien von HBO und Showtime dabei. Oft werden Staffeln am Stück veröffentlicht, was zum Bingewatching über das Wochenende einlädt.

Es erscheinen also immer mehr aufwendig produzierte und gut geschriebene Serien (auch wenn da natürlich viel Schrott oder Mittelmaß dabei ist), deren Ansehen viel Zeit erfordert. Zeit, die von der Lesezeit abgeht. Auf Twitter lese ich immer häufiger Kommentare wie: „Mit Erkältung im Bett, zum Glück gibt es Netflix“. „Ein Sonntagnachmittag mit Netflix, was gibt es Schöneres“. „Netflix hat mich in der Wartezeit auf dem Berliner Bürgeramt vor dem Wahnsinn bewahrt.“

Persönliche Erfahrungen

Ich lese nicht weniger. Allein in diesem Jahr habe ich schon 53 Bücher gelesen, obwohl ich Netflix, Amazon Prime und Sky abonniert habe. Aber während ich Serien wie Game of Thrones, The Expanse oder American Gods schaue, sinkt beim Lesen der Anteil an phantastischen Büchern. Was zum einen mit einem veränderten Themeninteresse bei mir liegen könnte, zum anderen aber auch, an einer gewissen Sättigung. Bei den drei obengenannten Serien frage ich mich zum Beispiel, ob ich die Buchvorlagen überhaupt lesen soll, wo ich doch schon die Serien gesehen habe.

Trend zu Buchadaption

Meinem Empfinden nach dominieren aktuell Phantastikfilme den Film- und Serienmarkt. Und die meisten dieser Filme scheinen auf Büchern, Comics oder Kurzgeschichten zu basieren:

Marvel, DC und fast alle Superheldenstoffe
Arrival
Annihilation
Game of Thrones
The Expanse
Altered Carbon
The Witcher
Shannara Chronicles
Nine Princes of Amber
Luna
Ready Player One

Um mal ein paar aktuelle und kommende Titel zu nennen.

Als kürzlich der Trailer zu Annihilation veröffentlicht wurde, verfolgte Jeff VanderMeer, der Autor der Vorlage, wie sein Buch bei Amazon kurzfristig bis auf den vierten Verkaufsplatz stieg. Jedes Buch, das verfilmt wird, wird von den Verlagen neu aufgelegt, weil es kurzfristig zu einem gesteigerten Interesse an der Vorlage sorgt.

Doch ich frage mich, ob wir inzwischen nicht den Punkt erreicht haben, an dem diese Flut an Phantastikserien den Buchvorlagen und allen anderen Büchern eher schadet?

Kein Problem der Phantastik allein

Amazon Prime und Netflix sind natürlich keine reinen Phantastikportale, auch Serien wie House of Cards, Orange is the New Black, Mozart in the Jungle, Designated Survivor usw. werden geschaut. Und die Buchverkäufe brechen ja insgesamt in allen Bereichen ein. Wenn auch verstärkt wohl auf dem Taschenbuchmarkt im Unterhaltungssegment.

Hinzu kommt, dass immer mehr Buchneuerscheinungen. Um die 90.000 sollen es pro Jahr ungefähr sein, plus die ganze Flut an Selfpublishern. Immer mehr Bücher für immer weniger Leser. Da wird es für die einzelnen Titel natürlich immer schwerer, schwarze Zahlen einzufahren (wobei das für Serien ebenfalls gilt, ich persönlich glaube ja, dass da bald eine Serienblase platzt und die Zahl der Neuproduktionen drastisch zurückgehen wird).

Meine These – die ich natürlich nicht beweisen kann – lautet also, dass die veränderten Sehgewohnheiten durch Streamingportale wie Netflix und Amazon Prime (wo es neben Serien ja auch Filme gibt) mit dafür sorgen, dass die Menschen weniger Lesen und die Zahlen der Buchkäufe zurückgehen, dass sich dies aber besonders auf die Phantastik auswirkt, weil gerade dieses Genre im Bereich der Serien und des Films einen nie dagewesenen Boom erlebt.

Es gibt natürlich nicht die eine Antwort auf die Frage, warum weniger gelesen wird. Da spielen auch gesamtgesellschaftliche Entwicklungen und der technologische Fortschritt eine Rolle. Vielleicht wird ja auch gar nicht weniger gelesen? Sinkende Verkaufszahlen bei neuen Büchern bedeuten nicht zwangsläufig weniger Leser. Was man sich früher noch mühsam in einigen wenigen Antiquariaten gebraucht erstöbern musste, findet man heute mit einem Klick bei Rebuy oder Medimops. Über Facebook gibt es zahlreiche Büchertauschgruppen. Und immer mehr LeserInnen betreiben mehr oder weniger gelungene Blogs, um Rezensionsexemplare abzustauben. Dazu noch Dumpingpreise bei Selfpublishern aber auch bei Verlagen in Bezug auf E-Book-Aktionen und zahlreiche Gewinnspiele usw.

In den letzten Jahren hat sich über das Internet eine Kostenloskultur bzw. eine Billigpreiskultur in Bezug auf Bücher (aber auch andere Medien) entwickelt, die unter anderem auch zu Flatrateangeboten führen, die Autorinnen, Verlagen und Buchhändler aber wenig, bis nichts einbringen.

Kleine Randbeobachtung

Eine Gruppe, die als Leser wegfällt, scheinen ausgerechnet die Autoren selbst zu sein. Je länger ich in der Buchbranche und Szene tätig bin, desto mehr Autoren lerne ich kennen. Und eine erschreckend große Zahl von ihnen gibt zu, selbst kaum noch Zeit, Energie oder Lust zum Lesen zu haben (gerne aber Serien gucken und ins Kino gehen). Was ich sehr schade finde, dass ausgerechnet jene, die ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht haben, ihr in der Freizeit nicht mehr nachgehen. Stephen King gibt an, im Jahr um die 80 Bücher zu lesen, aber er kann sich sich vermutlich auch Assistenten leisten, die sämtliche administrativen und häuslichen Tätigkeiten für ihn übernehmen, während der klassische Midlistautor, der mindestens zwei Bücher pro Jahr schreiben (oder übersetzen) muss, um über die Runden zu kommen, alles alleine meistert.

Wie seht ihr das? Lest ihr weniger, weil ihr inzwischen mehr Serien schaut?

Kurzkritiken September 2017

Im September habe ich ganze acht Bücher geschafft. Bereits besprochen sind davon:

Lian Hearne – Die Legend von Shikanoko (Herrscher der acht Insel)
Stephen Elliott – My Girlfriend comes to the City and beats me up
André Marx – Die ???: Geheimnis des Bauchredners
John Scalzi – Kollaps

Mein Reread von Philip K. Dicks Blade Runner wird demnächst irgendwann auf Tor Online erscheinen.

Ethan Cross – Spektrum (übersetzt von Reiner Schumacher)

Teils rasanter Popcorn-Actionthriller mit jeder Menge schönen Übermenschen-Genies-Actionhelden, die gegen ganz ganz böse Bösewichte kämpfen müssen. So plump, wie ich das hier beschreibe, so plump ist der Thriller auch, dem nach der Hälfte die Puste ausgeht und der die eigentlich interessante Prämisse in den Sand setzt. Aber mir hat er irgendwie trotzdem Spaß gemacht. Keine Ahnung warum.

Volker Kutscher – Lunapark

Im inzwischen sechsten Fall für Gereon Rath sind die Nazis endgültig an der Macht, die Schlägertrupps der SA gelten jetzt als unangreifbare Polizeieinheit, Charly Ritter versteht die Welt und Hitlerjunge Fritze nicht mehr und Gereon muss auf einem schmalen Grat balancieren, um nicht ins Visier der Nazis zu geraten, die er aber eigentlich gar nicht so schlimm findet. Der eigentliche Fall ist nicht wirklich der Rede wert und knüpft direkt an Märzgefallene an, aber die Stimmung, die Kutscher da beschreibt macht die fehlende Spannung wett. Ab 13. Oktober kommt übrigens die Serie zu den Büchern unter dem Titel Babylon Berlin auf Sky.

Sophie Mass, Audrey Diwan, Caroline de Maigret und Anne Berest- How to be a Parisian
(übersetzt von Carolin Müller)

Weiß gar nicht, was ich mir von diesem „Ratgeber“ erwartet habe, der sich eher als ironisch-spitzer Blick auf die Klischees, die man von der idealen Französin hat, entpuppt. Ist aber irgendwie ganz unterhaltsam geraten, wenn auch mit wenig Substanz. Gekauft habe ich ihn mir vor allem, weil Anne Berest daran mitgeschrieben hat, von der das großartige Buch Sagan, Paris 1954 stammt.

Im Oktober werde ich in Vorbereitung von Halloween ausschließlich Horrorbücher lesen (die kommen sonst das ganze Jahr über zu kurz). Das erste, The Ritual (Im tiefen Wald) von Adam Neville war schon mal ein Reinfall. Das zweite, The Exorcist von William Blatty ist großartig. Nächste Woche stehen dann John Langans The Fisherman auf dem Programm sowie einige Kurzgeschichten von Thomas Ligotti und der Rearead von It. Besprechungen folgen.

Wo man mich trifft: Nick Cave, Buchmesse und Bucon

Als passionierter, reisefauler Stubenhocker komme ich eher selten unter Leute und auf interessante Veranstaltungen. Zuletzt bin ich im Mai nach Paris verreist, den Sommer danach habe ich komplett zu Hause im Westerwald verbracht. Aber jetzt im Oktober kommt noch mal etwas Bewegung in die Sache, bevor ich mich dann in den Winterschlaf begeben werde.

Am Samstag den 4. Oktober trifft man mich in der Frankfurter Jahrhunderthalle auf dem Konzert von Nick Cave and the Bad Seeds. Cave wollte ich schon seit 20 Jahren mal live sehen, aber … reisefaul, Stubenhocker usw. Es war das Album No more Shall we Part, das mich zum Fan gemacht, und das Video zu As I Sat Sadly by Her Side.

Am Freitag den 13. Oktober geht es dann auf die Frankfurter Buchmesse, die ich zuletzt 2004 besucht habe. Die Leipziger Buchmesse ist bei mir ja seit einigen Jahren ein fester Termin, aber Frankfurt hatte mich trotz der räumlichen Nähe nie so richtig gereizt.

Wo man mich nicht trifft: Auf dem Galaktischen Forum. Das ist mir mit den Terminen drumherum fahrtechnisch einfach zu ungünstig, ein Hotelzimmer war mir zu teuer.

Und am Samstag den 14. Oktober geht es schon wieder Richtung Frankfurt auf den Buchmessecon (Bucon), der einzige Phantastik-Con, der bei mir seit 2006 jedes Jahr fest zum Programm gehört. Zum einen liegt er in der Nähe, zum anderen treffe ich nirgendwo sonst so viele Bekannte und Freunde, die ich sonst teilweise das ganze Jahr nicht sehe oder nur über das Internet. Dementsprechend besuche ich auch so gut wie keine Programmpunkte, sondern quatsche praktisch rund um die Uhr. Und wer mich und meine schweigsame Art kennt, weiß, dass das was heißen soll.

Der Bucon ist ein Phantastik-Con mit zahlreichen – inzwischen sogar fast zahllosen – Programmpunkten, die hauptsächlich aus Lesungen von Fantasyautoren bestehen, aber nicht nur. Daneben gibt es auch viele Aussteller, hauptsächlich Kleinverlage, die ihre Bücher präsentieren. Der Bucon hat sich in den letzen Jahren zu DEM Treffpunkt der deutschen Phantastikszene entwickelt, auch wenn dort in diesem Jahr der Deutsche Phantastik Preis erstmals nicht mehr verliehen wird (der Preis ist auf die Phantastika umgezogen). Ich bin gespannt, ob das eine Auswirkung auf die Zahl der Besucher und das Publikum haben wird.

Der letzte Termin wird dann am 20. Oktober sein: Im Keramikmuseum von Höhr-Grenzhausen werden Claus-Dieter Schnug und Horst Bartels ihr Buch Hilgert – Nachrichten aus einem Westerwalddorf vorstellen. Hilgert ist mein Heimatdorf, da bin ich aufgewachsen und wohne inzwischen – nach sechs Jahren in Siegen und vier in Berlin – wieder komplett dort. Schnug und Bartels haben bereits die großartig Dorfchronik Ein Westerwalddorf im Wandel der Zeit verfasst, die ich hier auf dem Blog besprochen habe. Weshalb ich schon sehr gespannt auf das neue Werk bin.

Das dürfte es für dieses Jahr dann an Terminen gewesen sein.

„Kollaps“ (Das Imperium der Ströme) von John Scalzi

»John Scalzi ist der unterhaltsamste und zugänglichste Science-Fiction-Autor unserer Zeit«, wird Joe Hill auf der Rückseite zitiert. Ob er wirklich der unterhaltsamste ist, kann ich nicht beurteilen, vage es aber zu bezweifeln – wobei ich auch nicht von solchen absolutistischen Aussagen halte -, aber eine der zugänglichsten ist er allemal. Seine Bücher sind entgegen dem Branchentrend kurz und bündig, übersichtlich konstruiert, oft in einem Band abgeschlossen und flott zu lesen.

Kollaps bildet da keine Ausnahme, auch wenn es sich um den Auftaktband einer längeren Serie handelt, mit der Scalzi das Feld der klassischen Space Opera betritt, etwas weg von der Military-SF und der Genrehommagen. Vieles in dem Buch hat man als belesener SF-Fan schon anderswo gelesen, sein Alleinstellungsmerkmal (soweit ich das beurteilen kann) ist die Idee, dass das kosmische Reich, das über mehrere Sternensysteme verteilt ist, in einer Abhängigkeit voneinander steht: die sogenannten Interdependenzen. Was das genauer bedeutet, will ich hier jetzt nicht spoilern.

Beherrscht wird das Reich von einem/r Imperatox und adligen Gildenhäusern, ähnlich wie in Der Wüstenplanet. Überlichtgeschwindigkeit gibt es nicht, aber die einzelnen Reiche des Imperiums sind über Ströme miteinander verbunden. Im Prinzip sind diese Ströme so etwas wie ein Hyperraum, nur das sie eher wie Kanäle oder Straßen angelegt sind, was bedeutet, dass ein Strom immer nur zwei bestimmte Orte miteinander verbindet.

Als der alte Imperatox stirbt und seine Tochter die Thronfolge antritt, beginnt ein Intrigenspiel, in das auch ein junger Wissenschaftler aus einer abgelegenen aber unruhigen Randwelt und eine ständig fluchende und knallharte Vertreterin einer Handelsfamilie verwickelt werden. Was folgt, sind Attentate, Rebellionen, Entführungen, Weltraumpiraten und ein wenig Sex zwischendurch.

Den Humor hat Scalzi im Vergleich zu bisherigen Werken ein wenig zurückgeschraubt, er ist aber durchaus noch in Form von trockenen Dialogen und flotten Sprüchen vorhanden. Von den drei Protagonisten ist die alles beschimpfend und fickende Kiva die unterhaltsamste. Imperatox Cardenia und der Physiker Marce sind mir ein wenig zu passiv geraten, besitzen aber durchaus Potential für weitere Bände.

Die Welt selbst, die Scalzi hier mit den Strömen und den daraus entstehenden durchaus interessanten Abhängigkeiten erschaffen hat, ist mir insgesamt aber zu langweilig geraten. Man erfährt nur wenig über sie abseits der Machtspielchen der Adligen und Händler, so wie man generell wenig über die einfachen Bürger des Reiches erfährt.

Mit Kollaps erscheint Scalzi übrigens auf Deutsch erstmals nicht bei Heyne, sondern bei Fischer Tor, dem deutschen Imprint seines Heimatverlags Tor. Ansonsten hat sich da aber nichts geändert, er wird wie immer ausgezeichnet von Bernhard Kempen übersetzt und hat auch sein obligatorisches Raumschiff auf dem Cover. Und anders als bei manch anderem Buch von ihm, passt es hier auch inhaltlich. Dazu gibt es, auch passend, noch Abbildungen von Gravitationslinien bzw. Senken, die man vielleicht noch aus dem Physikbuch kennt und die hier für die Ströme stehen.

Ich hatte das Buch schnell durch, habe mich weder gelangweilt noch geärgert, aber ob ich noch mehr Bücher aus der Serie lesen werde, halte ich für eher fraglich. Dafür war es mir dann doch zu simpel konstruiert und nicht opulent genug geschrieben. So eine gewisse Würze, die mir zum Beispiel Die letzte Kolonie bot, fehlt mir hier persönlich noch. Einerseits mag ich es ja, wenn SF-Romane kurz gehalten sind, aber gerade Space Operas gefallen mir weitschweifig und opulent besser, so wie bei Frank Herbert, Peter F. Hamilton oder Iain Banks. Von Letzterem scheint sich auch Scalzi die Marotte mit den Raumschiffnamen abgeguckt zu haben, vermutlich als Hommage, bekommt sie aber nicht mal halb so witzig und hintergründig hin.

Mit Kollaps erfindet John Scalzi die Space Opera nicht neu, aber das erwartet auch niemand von ihm. Wo Scalzi draufsteht, ist auch Scalzi drin. Wer seine bisherigen Werke schätz, wird auch mit Kollaps seinen Spaß haben. Wer noch nicht viel Science Fiction gelesen hat, wird mit Kollaps einen guten und leichten Einstieg finden. Wer im Genre schon ziemlich belesen ist, könnte sich unterfordert fühlen, aber neben komplexeren und visionäreren Werken leichte Popcornunterhaltung für zwischendurch erhalten.