Der ganze Rest
Verglichen mit den Sommermonaten bin ich im Oktober für meine Verhältnisse erstaunlich viel unterwegs gewesen.
Den Anfang machte das Konzert von Nick Cave and the Bad Seeds in Frankfurt. Fan bin ich seit den 90ern, zwar kannte ich vorher schon The Birthday Party und das Video zu Nick the Stripper sowie einige frühere Stücke von Nick Cave, doch so richtig aufmerksam wurde ich auf den Australier erst durch sein Video zu As I sat sadly by her side. Seitdem habe ich mir jedes neue Album gekauft, und bis auf Dig Lazarus Dig gefallen sie mir auch alle.
Das Konzert war großartig, Cave sichtlich gut aufgelegt, suchte ständig den Kontakt zum Publikum, dass er in der Zugabe zu Stagger Lee sogar auf die Bühne holte (bestimmt 50 Leute). Der Sound war für meinen Geschmack einen Tick zu laut, vor allem das Schlagzeug, Cave aber richtig gut bei Stimme. Ich bin froh, dass ich mich nach 20 Jahren endlich aufraffen konnte, zu einem seiner Konzerte zu fahren. Nur schade, dass er nichts von meine beiden Lieblingsalben No more shall we part und Abattoir Blues gespielt hat. Mein Highlight war The Mercy Seat.
Den folgenden Freitag ging es von Montabaur aus per ICE flott zur Frankfurter Buchmesse, die ich erstmals seit 15 Jahren wieder besuchte. Am Fachbesuchertag war es doch deutlich angenehmer, was das Gedränge anging. Termine hatte ich nur ein paar mit einem Lektor und einigen ÜbersetzerkollegInnen. Zufällig kam ich an Volker Kutschers Buchvorstellung von Moabit vorbei, die ich mir dann als ehemaliger Bewohner des gleichnamigen Berliner Kiezes und Fan der Gereon-Rath-Romane spontan ansah. Bis dato war ich skeptisch, ob ich wirklich 18 Euro für nur 84 Seiten ausgeben möchte, doch das von Kat Menschik aufwendig gestaltete Heftlein im Stil alter Magazine wirkt wirklich schick.
Einen Tag später ging es mit der Fantasyguide.de-Gang bestehend aus Ralf Steinberg und Michael Schmidt (Holger M. Pohl stieß vor Ort dazu) zum BuchmesseConvent nach Dreieich-Sprendlingen, der bei mir seit 2006 jedes Jahr zum Pflichtprogramm gehört. 2006 bin ich – damals noch Student in Siegen – dort erstmals mit meinem Freund Mathias, noch niemanden aus der Phantastikszene kennend und deshalb viele Lesungen besuchend, hingefahren. Und nach vielen Jahren Abwesenheit war auch Mathias dieses Jahr wieder dabei, was mich ganz besonders gefreut hat. Insgesamt war es für mich auch der bisher beste Bucon, einfach, weil ich so viele Freunde und Bekannte wie noch nie getroffen habe, und mit fast allen auch anregende Gespräche führen konnte. Und genau deswegen fahre ich dort auch immer hin, um all jene zu treffen, mit denen ich sonst fast nur Kontakt über das Internet habe.
Den Freitag darauf stellten Claus-Dieter Schnug und Horst Bartels im Keramikmuseum Westerwald das Buch Hilgert – Nachrichten aus einem Westerwalddorf vor, das eine Art Nachfolgeband für die Dorfchronik von vor vier Jahren darstellt. Die Lesung war ziemlich voll, bestimmt 150 Leute, und auch sehr unterhaltsam und abwechslungsreich gestaltet, es wurden kuriose bis amüsante Zeitungsmeldungen vorgelesen, aber auch von eindrucksvolle Lebens- und Familiengeschichten berichtet.
Bücher
Adam Neville – The Ritual
In der ersten Hälfte ein packender Survivalthriller mit übernatürlichem Touch, der in der zweiten Hälfte leider in einer albernen, klischeehaften und total langweiligen Handlung um eine obskure Black-Metalband völlig in sich zusammenbricht. Diese gewagte 180-Grad-Wende hat für mich überhaupt nicht funktioniert.
William Blatty – The Exorcist
Die Buchvorlage zum berühmten Film von William Friedkin, der das Genre des Horrorfilms mit revolutionierte. William Blatty schrieb selbst das Drehbuch zum Film. Was ich besonders interessant finde, da es, obwohl sich der Film fast 1:1 an das Buch hält, einen entscheidenden Unterschied gibt: Im Film ist durch die Spezialeffekte ziemlich schnell klar, dass es sich um ein wirkliches übernatürliches Phänomen handelt, während das Buch da bis zum Schluss ambivalent bleibt und Raum für Zweifel lässt, die Zweifel die auch Pater Karras beschäftigen, zum einen an dem Dämon, aber auch an seinem eigenen Glauben.
Don Winslow – Corruption
Im Prinzip die (großartige) TV-Serie The Shield als Roman in New York statt Los Angeles von Don Winslow geschrieben. Beginnt auf den ersten 200 Seiten sehr langsam und detailverliebt, bekommt in der zweiten Hälfte aber eine gute Dynamik, wenn Winslow in Rückblenden schildert, wie die Hauptfigur immer wieder in kleinen Schritten die Grenzen der Legalität in einem kaputten System überschritt. Kein Pageturner, eher ein Slowburner, dem das gewisse Etwas, das ich leider nicht genau benennen kann, fehlt. Der Originaltitel „The Force“ stellt den Übersetzer übrigens vor erhebliche Probleme. Mit „Force“ ist hier eine schlagkräftige Eliteeinheit innerhalb der Polizei gemeint. Die kann man nicht als „die Macht“ übersetzen, was den Spruch der Einheit „may the Force be with you“ (natürlich ein Star Wars-Zitat) unübersetzbar macht. Da Übersetzer Chris Hirte „The Force“ im Deutschen beibehalten hat, heißt der Spruch jetzt „möge die Force mit dir sein“).
John Langan – The Fisherman
Im Halloweenmonat Oktober lese ich traditionell gerne Horrorliteratur. Neben den oben aufgezählten Büchern stehen nebenher noch Kurzgeschichten von Robert W. Chambers, Thomas Ligotti und Robert Aickmann auf dem Programm.
Serien
Halt and Catch Fire
Diese großartige Serie über einige Computerspezialisten und ihre Beziehungen zueinander ging gerade mit der vierten Staffel und einem emotionalen Finale zu Ende. Über ein Jahrzehnt begleitet die Serie die Leben von Cameron, Donna, Joe, Gordon und John Bossworth, dem netten Onkel von nebenan. Die erste Staffel war gut, erzählte aber noch recht distanziert davon, wie die Gruppe im stockkonservativen Texas versuchte, einen tragbaren Computer zu entwerfen, im Wettrennen mit IBM. Ab der zweiten Staffel rückten Donna und Cameron mehr in den Fokus und die Serie wurde herausragend.
Babylon Berlin
Ich erwähnte weiter oben ja schon, dass ich die Romanvorlagen von Volker Kutscher sehr mag, die Serie kann ich nach vier Folgen aber noch nicht so richtig einschätzen. Ausstattung und Kulissen sind großartig, aber meine Lieblingsfigur Charly Ritter kommt mir in der Serie doch sehr fremd vor. Liv Lisa Fries spielt sie schon großartig, aber dass man sie in so ärmliche Verhältnisse verfrachtete hat, dass sie sogar als Prostituierte arbeiten muss, gefällt mir nicht so wirklich. Das hätte die Charly aus dem Buch nie gemacht. Normalerweise begrüße ich Abweichungen von der Buchvorlage, aber wenn es so gravierende Persönlichkeitsveränderungen sind, regt sich in mir Unbehagen.
Star Trek Discovery
1. Die Klingonen sehen scheiße aus und sprechen auch scheiße. 2. Ist mir das alles viel zu schlampig und plump geschrieben. 3. Erkenne ich da nur sehr wenig Star Trek. Für eine SF-Serie ist das ja ganz okay und sieht auch super aus, aber bei Star Trek erwarte ich mehr und was anderes. Mal abwarten, wie sich die Serie entwickelt, ist mir bisher noch zu sehr Abrams-Reboot und zu faul und nachlässig geschrieben (unbewachte, wichtige Außenposten; ungesicherte Transportshuttleflüge von hochrangigen Offizieren; Technik, die immer genau im richtigen Drehbuchmoment auf wundersame Weise funktioniert usw.) Habe ich schon erwähnt, dass ich Klingonen langweilig finde? Eine Prequelserie interessiert mich eigentlich auch nicht. Hätte viel lieber eine Fortsetzung nach Voyager gesehen. Hier muss man den Kanon so sehr zurechtbiegen und strapazieren, dass es gar nicht in ein einziges Universum passt, ohne in sich zusammenzufallen. Ich kann auch nicht erkennen, dass Stark Trek hier mit im neuen Serienjahrtausend angekommen sein soll, nur weil alles düsterer ist und hochrangige Offiziere schnell sterben. Dafür ist es einfach nicht gut genug geschrieben und noch Welten von der A-Liga der Serienlandschaft entfernt. Auch fehlt mir der Sense of Wonder der alten Serien.
The Expanse – 2. Staffel
Mit der ersten Staffel bin ich nicht so richtig warm geworden, doch die zweite hat mich gepackt. Die Drehbücher scheinen deutlich besser und stimmiger geworden zu sein, die Geschichte fügt sie gut zusammen und es entsteht tatsächlich Spannung. Auch die Figuren erscheinen mir inzwischen dreidimensionaler.
The Deuce
Atmosphärisch dichte Milieustudie der Prostituierten- und Pornoszene im New York der 1970er Jahre. Auf dem gewohnten David-Simon-Niveau.
Chesapeake Shores
Gnadenlos kitschige Familienserie, die mir trotzdem, oder gerade deswegen, richtig gut gefällt, auch wenn Staffel 2 deutlich schwächer ist. In der Postkartenidylle einer amerikanischen Ostküstenkleinstadt versuchen die fünf erwachsenen Kinder der O’Brian-Familie, ihr Leben in Ordnung zu bringen.
Hörspiel
Gruselkabinett 1: Carmilla, der Vampir nach Joseph Sheridan Le Fanu
Sehr stimmungsvoll inszenierte klassische Gruselgeschichte mit einem bissigen Vampir, allerdings auch sehr vorhersehbar. Was sicher daran liegt, dass diese Geschichte der Vampirklassiker schlechthin ist, der noch vor Bram Stokers Dracula entstand. Nach damaligen Maßstäben also alles andere als vorhersehbar. Mit erstklassigen SprecherInnen und guter Musik.
Für den Rest des Jahres gehe ich jetzt ein wenig in den Winterschlaf. Sollte mich die Muse küssen und die Texte rauswollen, wird es natürlich Blogeinträge geben, ansonsten dann spätestens den Jahresrückblick zwischen den Feiertagen. Was es nicht geben wird, sind Artikel zu den Frühjahr/Sommerprogrammen der Phantastikverlage. Fischer Tor und Piper haben ihre schon raus. Dafür lese ich momentan einfach zu wenig Phantastik. Aus den letzten Programmen habe ich, bis auf ein paar Fischer-Tor-Titel, kein einziges Werk gelesen.
Ausblick auf die Zukunft
Fest gebucht ist bereits das dritte PAN-Branchentreffen in Köln vom 19. bis zum 21. April 2018.