Meine Woche 06.01.2023: Japan, Japan, James May, sumimasen

Erstmal noch frohes neues Jahr euch allen! Ich hoffe, es wird besser als 2022 (auch wenn ich das nicht wirklich glaube). Und danke fürs Vorbeischauen auf meinem Blog!

In meinem aktuellen Wochen-Newsletter geht es wieder viel um Japan: Eine ausführliche Besprechung der Dokumentation Salaryman über die teils problematische Angestelltenkultur in Japan. James May stellt in sechs Episoden die schöneren Seiten von Nippon vor. Dazu geht es noch um sinnlose Arbeit (Stichwort Bullshitjobs) und Buchneuerscheinungen 2023 in den Bereichen Science Fiction, Fantasy und Horror.

Filme

The Legend of the Stardust Brothers (1985)

Völlig überdrehte japanische Satire aufs Musikbusiness, die aus jeder Einstellung 80er-Jahre schreit und kreischt, größtenteils aus Meta-Montagen mit furchtbarer Musik besteht (manche Songs sind okay), die zeit- und kulturgeschichtlich aber durchaus von Interesse ist. Hat sicher ihr Publikum, ich gehöre aber nicht unbedingt dazu.

The Middle Man

Nettes Kleinstadtdrama mit komödiantischen Zügen, das einige makabere Wendungen nimmt.

Salaryman

Ganbaru

Der Film beginnt mit Männern, die bewusstlos oder schlafend auf Bürgersteigen liegen oder orientierungslos durch die Gegend torkeln. Männer, die nicht obdachlos sind, sondern Büroangestellte in Anzügen, die nach Feierabend mit den Kollegen saufen waren, was zur japanischen Arbeitskultur dazugehört. Die im Film interviewten Angestellten bezeichnen sich selbst als Arbeitsvieh und Sklaven, die morgens wie Zombies durch überfüllte Straßen und U-Bahnen ins Büro schlurfen und mittags Rahmen am Nudelstand, während es am Abend – oft verpflichtend – mit den Kollegen und dem Chef zum Karaoke geht oder in kleine Bars. Businessmen sind unabkömmlich, Salarymen ersetzbar und entbehrlich.

Der Film ist bezüglich dieser Arbeitsmoral sehr kritisch, lässt aber auch Stimmen zu Wort kommen, die dieses System in führenden Positionen umsetzen, und erklären, was dahintersteckt. Im Japanischen heißt das Wort für Angestellter als Kanji-Zeichen: „Jemand, der Arbeit befolgt“. Die unterschiedlichen Ansichten zu uns im Westen gründen sich darauf, dass in Japan die Gesellschaft bzw. Gemeinschaft vor dem Individuum kommt und den Anstrengungen, das Land nach dem 2. Weltkrieg wieder aufzubauen.

Um die Salarymen strukturiert sich auch das Geschäft mit den Host-Clubs und Hostessen, die von ihnen dafür bezahlt werden, ihnen Gesellschaft beim Trinken zu leisten, aber auch bei Geschäftsmeetings in Clubs.

Beim Zusehen empfinde ich es allerdings etwas unangenehm, wenn Regisseurin und Künstlerin Allegra Pachecco die auf der Straße Schlafenden mit Kreide umzeichnet und Leuten nachts mit der Kamera folgt, die sich kaum noch auf den Beinen halten können. Ich verstehe zwar, dass sie damit auf das Problem aufmerksam machen möchte; Karoshi, Tod durch Überarbeitung ist ein Problem in Japan, eine japanische Regisseurin hätte da so aber sicher nicht gemacht. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob nicht manche Szenen davon gestellt sind.

Es gibt auch Menschen, die versuchen, aus dem System auszubrechen. Manchmal nur im kleinen, wie die Extreme Commuters, die den Weg zur Arbeit möglichst unterhaltsam und abwechslungsreich gestalten, manchmal aber auch im Großen, indem sie ihren Job kündigen und auf Land ziehen, wo andere Arbeitsbedingungen herrschen.

Der Dokumentation gelingt es gut, Einblicke in die Arbeitskultur Japans zu liefern, zeigt eindrücklich, wie sich das so höfliche und zurückhaltende Tokyo nachts verändert, und lässt Menschen aus allen Bereichen zu Wort kommen. Aktuelle und ehemalige Salarymen, Soziologen, Gewerkschafter, Aktivisten, Vorgesetzte und die Mutter von Matsuri Takahashi. Letztere arbeitete für Japans größte Werbeagentur und nahm sich 2016 das Leben, weil sie den Druck und die Belastung durch die Arbeit, nicht mehr aushielt.

Eine durchaus einfühlsame Doku, die Bewusstsein für die Problematik liefert, aber auch ein paar unangenehme Momente hat.

Serien

Auf Disney+ – das ich noch für einen Monat habe – habe ich mir die erste Folge von The Old Man angesehen. Schlecht ist die nicht, aber Folge 2 habe ich nach zehn Minuten wieder ausgemacht, weil ich momentan einfach keine Lust auf noch eine Geschichte über einen alten CIA-Agenten habe, der von der Vergangenheit eingeholt und gejagt wird. So toll Jeff Bridges den auch spielt.

Nach Sumo Do, Sumo Don’t habe ich auch noch die anderen japanischen Serien auf Disney+ angefangen, von denen mich zwei mit ihren Pilotfolgen aber nicht so recht überzeugen konnten. Die Geschichten sind eigentlich ganz interesant, aber die Inszenierung ist eher so mittelprächtig und trifft in beiden Fällen nicht den intendierten Ton. Bei Was wir vergessen (Subete Wasurete Shimau Kara)geht es um einen Krimiautor, der sich auf die Suche nach seiner vermissten Freundin macht und herausfindet, dass sie gegenüber anderen Menschen eine ganz andere Person war, als bei ihm. So richtige Noir-Atmosphäre kommt aber leider nicht auf. Tomorrow I’ll Be Somone’s Girlfriend (Ashita, Watashi wa Dareka no Kanojo)erzählt von einer Studentin, die sich ihren Lebensunterhalt als Miet-Freundin verdient. Leider ist das recht holprig inszeniert.

Vielversprechender war die erste Folge der neuen Serie Gannibal (Gannibaru), die auf dem gleichnamigen Manga von Masaaki Ninomiya basiert (der erst im März auf Deutsch erscheint). Das Drehbuch stammt von Takamasa Ōe, der auch das Drehbuch von Drive My Car mitgeschrieben hat. Scheint in die Richtung von The Wailing zu gehen. Stadtbulle landet mit Frau und Kind in einem Dorf, in dem Unheimliches vorgeht und die Gebräuche der Einheimischen nicht immer ganz gesetzeskonform sind. Technisch ist das viel besser gefilmt, als die beiden Serien oben (wie man auch am Trailer sieht).

The Makanai: Cooking for the Maiko House

Einer meiner derzeit absoluten Lieblingsregisseure ist der Japaner Hirokazu Kore-eda (Shoplifters), dessen Our Little Sister mich letztes Jahr verzaubert hat. Am 12. Januar startet eine Serie von ihm auf Netflix. In The Makanai: Cooking for the Maiko House (Maiko-san Chi no Makanai-san)geht es um zwei Teenagerinnen/junge Frauen, die in der Zeit zurückreisen? um Meikos zu werden (eine noch exklusivere Variante der Geishas). Im Magazin Time-Out gibt es einen Artikel dazu, der auch ausführlich darauf eingeht, wie Kore-eda junge Filmemacher*innen fördert. Die Serie basiert auf dem Manga Maiko in Kyoto: From the Maiko House von Aiko Koyama.

James May – Our Man in Japan

Um diese Reisedoku habe ich mich lange gedrückt, weil James May einer der drei Moderatoren von The Grand Tour ist, neben Jeremy Clarkson. Zum Glück entpuppt sich May nicht als so ein großes, misogynes, rassistisches Arschloch. In der Serie kommt er sogar als ganz netter Kerl rüber. Clarkson hätte sicher keine Hemmungen gehabt, das Maid-Café zu betreten.

In sechs Folgen reist May vom verschneiten Hokkaido im Norden über Fukushima und Tokyo bis an die sonnigen Strände von Shikoku im Süden. Dabei macht er immer wieder skurrile Sachen mit, wie das Schneeball-Battle oder die Mechwarriors; aber auch traditionelle japanische Sachen wie Aikido, Kalligrafie oder Bogenschießen; oder besucht modernere japanische Events, wie ein Boy-Band-Konzert um 7.00 Uhr morgens, das Schülerinnen vor der Schule besuchen.

Begleitet wird er oft von unterhaltsamen Guides, verhält sich gerne recht albern (manchmal auch etwas respektlos) und bringt viel britischen Humor mit, für den er sich ständig – sumimasen – entschuldigen muss. Da ist natürlich viel dabei, was Japan-Aficionados wie ich kennen, aber auch Sachen, die mir bisher unbekannt waren.

Dokus

New York, New York

Beim ZDF gibt es seit dieser Woche mit New York, New York einen guten Film über die Stadt nach zwei Jahren Pandemie. Ist halt die klassische ÖR-Reportage, in der ein gestandener Auslandsreporter (Johannes Hano) interessante Menschen besucht und interviewt, die stellvertretend für viele jüngere Veränderungen stehen. Darunter ein aus Deutschland stammender Immobilienmakler für Superreiche, der genauso so auftritt, wie es das Klischee verlangt. Aber auch jemand, der sich seit drei Jahren darauf vorbereitet, dass Cannabis endlich in NY legalisiert wird.

Arbeit ohne Sinn

Die Doku auf Arte geht der Frage nach, warum eine Vielzahl moderner Arbeitsstellen das sind, was der hier auch zu Wort kommende (inzwischen leider verstorbene) David Graeber in seinem gleichnamigen Buch als Bullshitjobs bezeichnet. Wie konnte unsere Arbeitswelt so ineffizient werden, was vor allem auf Kosten der Angestellten geht, die diese sinnlosen (oder als sinnlos empfundenen) Tätigkeiten ausführen, und dann im Burnout landen. Von der massiven Kapitalvernichtung, die schlechtes Management verursacht, ganz zu schweigen. Kann Arbeit auch Spaß machen? Auf jeden Fall! Mir macht meine Arbeit Spaß. Noch mehr Spaß würde sie allerdings machen, wenn sie besser bezahlt wäre.

Offices are graveyards of possibilities.

Lektüre

Farbiges E-Book-Cover von "The Jasmine Throne". Vor gelbem Hintergrund sitzt eine junge Frau in indischem Sari auf der Steintreppe eines Tempels.

Endlich beendet: The Jasmine Throne von Tasha Suri. Einer der besten Fantasyromane, die ich in den letzten Jahren gelesen habe. Opulenter Weltenbau, der Magie und Natur auf sehr originelle Weise verbindet; eine mitreißende Geschichte; vielschichtige Figuren und eine an die indische Kultur angelehnte Mythologie. Im Mittelpunkt stehen drei Frauen, die für ihr Recht zu leben, aber auch die Freiheit ihres Landes kämpfen. Hat den World Fantasy Award 2022 verdient erhalten. Auf Deutsch ist das Buch leider noch nicht erschienen. Für eine ausführlichere Besprechung fehlen mir leider Zeit und Muse, verdient hätte es das Buch aber.

Neue Bücher 2023: Science Fiction, Fantasy und Horror

Auf seinem Kanal SFF 180 stellt Thomas Wagner in drei Videos interessante Neuerscheinungen aus den Bereichen Science Fiction, Fantasy und Horror vor. Ich bette hier nur mal das Video zur Fantasy ein, da dort die meisten Titel dabei sind, die mich interessieren. Z. B. The Daughters of Idzihar von Hadeer Elsbai, The Keeper’s Six von Kate Elliot oder Victory City von Salman Rushdie. Bereits lesen konnte ich The Basilisk Throne (04.04.23) von Greg Keyes und The First Bright Thing (22.06.23) von Jenna Dawson, die ich beide nur empfehlen kann (mehr schreibe ich dazu, wenn sie im Original erschienen sind). Wagner versteht es wirklich gut, in kurzen, klaren Sätzen vorzustellen, worum es in den Büchern geht und wie sie im Kontext des Gesamtwerk der jeweiligen Autor*innen einzuordnen sind.

Tor Online

In meinen SFF News ging es diese Woche um die Absetzung der deutschen Netflix-Serie 1899, über die ich hier auf dem Blog bereits gerantet habe. Dazu ein Teaser-Trailer zum südkoreanischen Science-Fiction-Film Jung_E, das Brecht-Haus über progressive Phantastik und das Magazin nd über gute Science-Fiction-Bücher 2022.

Im Artikel der Woche von Natascha Strobl geht es um Akte X, Dystopien und Querschwurbeleien. Der ist richtig gut geworden und hat mir wieder Lust gemacht, meinen Akte X-Rewatch (in Staffel 4) fortzusetzen.

lesenswelt

Auf meiner anderen Webseite lesenswelt.de habe ich eine Besprechung des Mangas Boys Run The Riot von Keito Gaku veröffentlicht. Hier ein kurzer Teaser:

Gefühlvoller und mitreißender Manga über junge Menschen, die noch nach ihrer Identität und Stimme suchen; die sich gegen die gesellschaftlichen Konventionen auflehnen und ihre Kreativität nutzen, um einen Platz im Leben zu finden.

Worüber ich mich freue

Juhu, Januar. Endlich kann ich meinen neuen Kalender aufklappen. Das Foto hier von Jan Becke zeigt verschneite Bauernhäuser in Shirakawa.

Links der Rand eines Bücherregals, in der Mitte eine Karte von Japan und rechts daneben ein Wandkalender mit einem Fotos von verschneiten Bauernhäusern in Japan - alles vor einer gelben Tapete, rechts daneben ein blauer Vorhang.

Meine erste Arbeitswoche im neuen Jahr. Kein Scheiß! Während der beiden Wochen Weihnachtsurlaub habe ich mich natürlich nicht darauf gefreut, montags wieder mit der Arbeit anzufangen. Hätte gerne noch eine Woche mehr sein können. Doch schon nach dem ersten Arbeitsvormittag hatte ich gute Laune, die die ganze Woche lang anhielt, weil eigentlich alles gut lief und Spaß gemacht hat (siehe „Arbeit ohne Sinn“ weiter oben).

Meine Woche 23.12.2022: Shibari, Sumo, Gleichberechtigung und mehr

Diese Woche geht es bei mir um: Shibari, Sumo, den jungen Inspextor Morse, Disco Elysium, die gruselige Entwicklung von Twitter, Femizid an Kanadas indigenen Frauen und mehr.

Mie Neko und Shibari

Auf meiner Suche nach Japan-Dokus bin ich letztens in der Arte-Mediathek auf eine kurze Reportage über Shibari (bzw.Kinbaku), die japanische Fesselkunst, gestoßenen, die ich total interessant, aber auch viel zu kurz fand. Weshalb ich auf Youtube nach Dokus zu dem Thema gesucht habe. Dabei bin ich auf dieses Video vom Format {ungeskriptet} gestoßen, ein zweieinhalbstündiges Gespräch mit der jungen Mie Neko, die erzählt, wie sie als Jugendliche und junge Erwachsene zu ihrer Sexualität gefunden hat, die sich vor allem im Bereich BDSM befindet. Das ist ein wirklich faszinierendes und offenes Gespräch aus ungewöhnlich junger Perspektive zu dem Thema. Für mich war BDSM – wobei ich mich da überhaupt nicht auskenne -, immer etwas, das eher Ü30 oder zumindest Ü25 stattfindet. Hätte nicht gedacht, dass es auch so junge Menschen gibt, die schon so erfahren in der Szene unterwegs sind. Aus pädagogischer Sicht finde ich es aber auch gut, dass sie bei ihrem Stammtisch nur Menschen dabei sind, die jünger als 27 sind. Zum Interview sollte ich noch erwähnen, dass es zwei Aussagen des Moderators zum Thema Glaubwürdigkeit von Missbrauchsanzeigen gibt, die mehr als dubios sind und Betroffene triggern könnten.

Warum ich das Interview im Zusammenhang mit Shibari erwähne, Mie praktiziert diese Fesselkunst und ist so gut darin, dass sie inzwischen auch selbst Kurse dazu gibt und auf Veranstaltungen auftritt. Ich empfehle, einfach mal einen Blick auf ihre Webseite und ihren Instagram-Account zu werfen. Die Bilder zeigen, dass es sich, wie auch die Arte-Reportage erklärt, nicht ausschließlich um eine sexuelle Kunst oder gar Schmuddelsex handelt. Es geht auch viel um Ästhetik und die Frau in der Doku berichtet davon, dass sie dabei ein Gefühl empfinden, als würden sie schweben, trotz der Fesseln also ein Gefühl von Freiheit und von loslassen. Ein Weg, den eigenen Körper besser kennenzulernen.

Serien

Sumo Do, Sumo Don’t (シコふんじゃった!)

Eine japanische Gute-Laune-Serie bei Disney+ über den Sumo-Klub einer Universität, dessen zunächst einziges Mitglied und Kapitänin eine Frau ist. Im Verlauf finden sich weitere Mitglieder ein, Frauen wie Männer, und nehmen an Wettbewerben teil. Das ganze basiert auf dem gleichnamigen Film (dt. Lust auf Sumo) von 1991, modernisiert die Thematik aber angemessen und spricht gesellschaftlich relevanter Themen auf spielerische Weise an. Die meisten der Darsteller*innen aus dem Film sind in Nebenrollen oder Cameos auch wieder dabei, so dass die Serie als Quasi-Fortsetzung gesehen werden kann. Ich liebe Sumo do, Sumo Dont, auch wenn sie einfach gestrickt ist und dem üblichen Muster von Sportdramen/komödien folgt. Vor allem die Figur der Honoka ist faszinierend und wird von Rikka Ihara großartig gespielt. Die Serie gibt es auf Disney+, allerdings nur mit japanischer Tonspur und deutschen Untertiteln.

Die passende Reportage dazu gib es mit Japan: Frauen drängen in den Sumo-Ring natürlich auf Arte. In der Realität gibt es an Schulen und Universitäten tatsächlich vereinzelte Klubs, die inzwischen Frauen aufnehmen. Die Reportage zeigt, dass das in der japanischen Geschichte früher durchaus üblich war, so wie es auch weibliche Samurais gab (siehe Onna-Musha). Doch seit dem letzten Jahrhundert gelten menstruierende Frauen als unrein und dürfen den Ring der Profis nicht betreten. Selbst wenn sie Krankenschwestern sind und im Ring gerade einer einen Herzinfarkt hat.

Die Situation im Sumo steht stellvertretende für die Stellung von Frauen in der japanischen Gesellschaft. Denn Japan gehört zu jenen Ländern auf der Welt, in denen die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern am größten ist. Im Schnitt verdienen sie nur halb so viel wie Männer. Solche Strukturen aufzubrechen ist schwierig, doch wie im Sumo geht es Schritt für Schritt voran, wenn auch viel zu langsam. Dass viele Frauen auch einfach heiraten und dann Hausfrauen werden möchten, ist noch mal eine andere Geschichte, wird in der Reportage aber auch angesprochen.

Endeavour (Der junge Inspector Morse)

Ich liebe ja die britische Krimiserie Inspector Lewis,, die im malerischen Oxford spielt und trotz dreier Morde pro Folge recht gemütlich daherkommt. Sie ist ein Spin-Off von Inspector Morse, Mordkommission Oxford, die auf den Romane von Colin Dexter basiert. Lewis war der Assistent von Morse, bevor er seine eigene Serie bekam. Und als diese endete, entwickelte Russel Lewis mit Endeavaour (das ist der Vornamen von Morse) eine Prequelserie, die in den 1960er und 70ern spielt. Ich war zunächst skeptisch, da ich kein Fan von solchen Prequels bin, wurde aber, nachdem mein Vater die Serie empfohlen hat, doch schwach – und bin begeistert. Die Serie ist noch besser als Lewis, düsterer, komplexer und die Fälle sind noch cleverer. Neben dem Fall der Woche gibt es Verschwörungen im Hintergrund und auf höchster Ebene, und die Figuren geraten regelmäßig in Lebensgefahr. Manche sterben auch. Mit Fred Thursday gibt es auch eine einprägsame und vielschichtige Figur fürs Herz. Und trotz des historischen Settings, gelingt es Russel Lewis, die Serie relativ modern zu gestalten. Sie soll auch voller gelungener Anspielungen auf die Ursprungsserie sein, die ich aber noch nicht gesehen habe.

The Bear

Ultrahektische Serie über einen renommierten Sternekoch, der das heruntergekommene Diner seines verstorbenen Bruders übernimmt und versucht, auf Vordermann zu bringen. In der Küche geht es so stressig zu, dass ich nur eine der dreißigminütigen Folgen pro Tag schauen konnte, da ich allein vom Zusehen schon gestresst wurde. Dafür ist der Mikrokosmos der Küche aber auch wunderbar und vielschichtig beschrieben. Die Figuren haben alle ihren ganz eigenen Charakter und ihre Geschichte. Eine zweite Staffel wurde wohl schon bestätigt. The Bear gehört zu den besten neuen Serien 2022. Ist von Hulu, läuft bei uns auf Disney+

Musik

Little Simz hat letzte Woche überraschend ein neues Album gedroppt. Das Video No Thank You ist eine Art Kurzfilm-Medley mit fünf Tracks vom Album und kunstvollen Bildern.

Filme

Hab nichts wirklich Empfehlenswertes in der letzten Woche gesehen. See How They Run auf Disney+ ist eine ganz nette Hommage an Agatha Christie und das Bühnenstück Mouse Trap, aber weit weniger witzig und clever, als er gerne wäre. Hat mich eher enttäuscht.

What Drives Us ist eine unterhaltsame und durchaus interessante Doku von Dave Grohl über das Thema Van-Tourneen. Also über Bands, die im Van (Lieferwagen) auf Tour gehen. Zwar kommen auch die relativen neuen und jungen Bands Radkey und Starcrawler zu Wort, vor allem aber alte Hasen wie Ringo Starr, Brian Johnson The Edge, Steven Tyler, Flea, Lars Ulrich, Ben Harper und Jennifer Finch (L7) zu Wort, die lustige Anekdoten aus ihren Anfangsjahren erzählen. Wirklich interessant ist, was Ian MacKaye von Fugazi über den Aufbau einer Art Van-Tour-Netzwerk durch zwei Punkbands (unter anderem D.O.A.) erzählt. Die Geschichte von ihm kannte ich allerdings schon aus einer Punk-Doku.

Der Spion (The Courier) ist eine ganz gutes aber auch sehr altmodisch inszeniertes Spionagedrama mit Benedict Cumberbatch als britischer Handlungsreisender, der unverhofft im Vorfeld der Kuba-Krise als Spion in Moskau eingesetzt wird und natürlich in Schwierigkeiten gerät.

Artikel

Seth Abrahamson über die gruselige Entwicklung von Twitter.

Auf der Plattform Post.News gibt es einen aufschlussreichen Artikel von Seth Abrahamson, der erklärt, wie Elon Musk bzw. Twitter durch neue Funktionen immer stärker rechte Trolle und Extremisten unterstützt und fördert. Seiner Aufforderung, Twitter umgehend zu verlassen, komme ich allerdings nicht nach. Momentan habe ich immer noch einen Gewinn durch Menschen, denen ich dort folge, die z. B. über die Lage im Iran berichten, den Klimawandel, das Wetter allgemein, und die kleine persönliche (Phantastik-)Bubble, die mir verblieben ist.

The daughter fighting for Canada’s murdered Indigenous women: ‘they need to come home’

Die USA sind ja bekannt dafür, ein brutales Land mit einer extrem hohen Mordrate zu sein, während Kanada meist als Land gilt, das kein großes Problem mit Gewalt und Waffen hat. Doch eine Personengruppe ist bis heute besonders stark von Gewalt betroffen: indigene Frauen. In den letzten Jahrzehnten sind über 4.000 indigene Frauen ermordet worden oder werden noch vermisst. Ich habe inzwischen zahlreiche Dokumentation darüber gesehen, die zeigen, dass sich die Polizei nicht groß darum kümmert und das die Lippenbekenntnisse der ach so progressiven Regierung unter Justin Trudeau nichts wert sind. Und die Gründe dafür vor allem rassistischer Natur sind.

Für den Guardian erzählt Leyland Cecco die Geschichte von Cambria Harris, deren eigene Mutter ermordet wurde, und die sich jetzt für Aufklärung und die Rechte indigener Frauen einsetzt.

Neu im Regal

Ich bin nicht der größte Manga-Leser, mag vor allem Jiro Taniguchi, aber bei Mangas, die gesellschaftlich relevante Themen behandeln, kann ich nicht widerstehen. Und Boys Run The Riot wurde von Christian Endres im Tagesspiegel in der Liste der besten Comics des Jahres empfohlen. Übrigens gerade passend zur Veröffentlichung des Blogposts geliefert, vom rührigen Buchhändler der Kannenbäcker Bücherkiste in Ransbach-Baumbach, da am Mittwoch vom Großhändler ein falsche Buch zur Abholung in der Buchhandlung geliefert wurde.

Lektüre

Hier habe ich leider immer noch nichts Neues geschafft. Letzte Woche schrieb ich, dass ich mir für den Weihnachtsurlaub vorgenommen habe, endlich mal Against the Day von Thomas Pynchon zu lesen. Nach einer Woche bin ich jetzt auf Seite 40 von 1.078. Dass die Schrift superklein ist und die Seiten mit fast 40 Zeilen eng bedruckt, ist sicher nicht hilfreich (überlege, es mir noch als E-Book zu holen). Aber vielleicht liegt es auch einfach daran, dass in den letzten zwei Monaten das Lese von Bücher für mich vor allem eine berufliche Tätigkeit für mich war, und Erholung und Urlaub für mich jetzt auch bedeuten, nicht so viel zu lesen.

Games

Vorgestern habe ich Disco Elysium angefangen zu spielen. An den Einstieg musste ich mich als Nicht-Rollenspieler (hab nur mal eine Runde Shadowrun im Studentenwohnheim gespielt) gewöhnen, bis ich gemerkt habe, dass das wohl der Spielleiter ist, der da erzählt. Die Würfel waren natürlich ein deutlicher Hinweis. Wurde schon mal ein Computerspiel so konsequent in Form eines klassischen Pen-&-Paper-RPG umgesetzt? Das Setting ist allerdings faszinierend. Hatte aber noch nicht viel Zeit, zum Zocken. Bisher ist es mir nur gelungen, mich vollständig einzukleiden und beide Schuhe zu finden. Bin mir noch nicht sicher, ob Textlastigkeit und Struktur was für mich sind.

Frohe Weihnachten!

Eigentlich hatte ich hier noch geschreiben, dass ich mich auf Weihnachten freue, doch durch einen gestrigen völlig überraschenden Todesfall im nachbarschaftlichen Freundeskreis ist die Vorfreude mehr als getrübt. Trotzdem wünsche ich euch allen frohe Weihnachten sowie schöne, erholsame und vor allem gesunde Feiertage!

„Der spazierende Mann“ von Jiro Taniguchi

Ein Mann spaziert, die Hände in den Taschen, ein Schritt vor den anderen, gemächlich, gemütlich, bei Sonne und Wind, Regen und Schnee. Bunte Blätter wirbeln um seine Füße, weiße Flocken legen sich auf seine Schultern, Kinder rennen spielend durch die Straßen, über die Felder, lassen Papierflieger kreisen, lachen.

Mal mit Hund, mal mit Frau, meist allein, den Kopf in den Wolken, tagträumend ohne Grenzen. Mit nackten Füßen auf den Baum kletternd, ausgebreitet im Gras liegend, die Wonnen der eigenen Kindheit vor Augen, vollkommen entschleunigt, abseits des Bürostresses, von gesellschaftlichen Verpflichtungen und all der anderen Hektik.

Neue Städte, egal ob im Urlaub oder neu hingezogen, erkunde ich am liebsten zu Fuß, und gehe auch sonst gerne wandern. Während Autos hupend an einem vorbeisausen, Fußgänger nur noch auf ihr Smartphone starren und die Stadt in ihren Abläufen so konstruiert ist, dass sie am Besten funktionieren würde, wenn es gar keine Menschen gäbe, ist das Flanieren der beste Weg hinter die Fassaden zu schauen, einen Blick für die einfachen Dinge des Alltages zu bekommen.

Jiro Taniguchis Der spazierende Mann ist im Original aus dem Jahr 1992, da gab es noch keine Smartphones und die Digitalisierung stand in ihren Kinderschuhen, aber die 80er-Jahre waren gerade erst vorbei. Jenes Jahrzehnt, in dem die japanische Wirtschaft unheimlich an Fahrt gewann und Nippon zu einer der führenden Technologienationen aufstieg. Man dachte, die Zukunft würde japanisch werden, so wie in William Gibsons Neuromancer.

Taniguchi lässt seinen Protagonisten aus diesem Hamsterrad hinaustreten. Mit seiner Frau zieht er in eine kleine Stadt, in ein putziges Häuschen mit papierbezogenen Wänden und einem knuffigen Hund vom Vormieter. Und dann geht er einfach los, ohne viel Worte, mal hierhin, mal dorthin, bei Wind und Wetter. Jeder Spaziergang nur ein paar Seiten, doch immer mit einer eigenen Geschichte, die man teilweise zwischen den Panels findet.

Und genauso entspannt habe ich das Buch gelesen, jeden Tag einen Spaziergang, ein Kapitel, lässig liegend, während das Panorama der Zeichnungen auf mich einwirkte. Eine wunderbare Ode an da Spaziergehen, das sich Vertrautmachen mit der Umgebung, das Genießen der Landschaft und der kleinen Dinge des Alltags.

Hier geht es zu meiner Besprechung von Jiro Taniguchis Vertraute Fremde.

„Vertraute Fremde“ von Jiro Taniguchi

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Noch einmal Kind sein, oder zumindest die Jugendzeit erneut durchleben, mit dem Wissen des erwachsenen Ichs. Wer hat nicht schon mal darüber nachgedacht, wie das wäre, was man anders machen würde, wie das Leben wohl verlaufen wäre, wenn man sich in bestimmten Situationen anders verhalten hätte?

Jiro Taniguchi hat aus diesem Gedankenspiel einen Manga gemacht, in dem der 48-Jährige Familienvater Hiroshi Nakahara diese Chance erhält, um zu ergründen, warum sein Vater in jenem Sommer, als Hiroshi 14 Jahre alt war, die Familie wortlos verließ. Nachdem er in den falschen Zug steigt und sich plötzlich in der Stadt wiederfindet, in der er aufgewachsen ist, verliert er vor dem Grab seiner Mutter das Bewusstsein und wacht als 14-jähriger Hiroshi wieder auf. Schnell wird ihm klar, dass sich ihm die Gelegenheit bietet, dem (jetzt anstehenden) Verschwinden seines Vaters auf den Grund zu gehen.

Doch neben diesem ernsten Hintergrund genießt er es auch wieder, in einem jungen Körper zu stecken, mutiert zur Sportskanone und zum Englischprofi, während er sich in seine hübsche Mitschülerin Tomoko verliebt, was den Erwachsenen im Jungenkörper gehörig in eine Zwickmühle bringt, und er sich fragt, ob er durch die Änderungen, die er gerade an seiner Vergangenheit durchführt, auch seine Zukunft verändert?

Vetraute Fremde ist (in der Übersetzung von Claudia Peter) ein stilles Buch, das sich Zeit nimmt, den Leser mit der Fremde vertraut zu machen. Man sitzt mit Hiroshi auf einer Bank im Park und lauscht, wie der Wind die Blätter zum Rascheln bringt, man begleitet ihn an den Strand, wo Tomoko das Rauschen der tosenden Wellen genießt. Man leidet mit ihm, während er am idyllischen Familienleben teilnimmt, wissend, dass es bald ein jähes Ende finden wird.

Taniguchi hat einen guten Blick für die kleinen Dinge des Alltags, für die Beziehungen der Menschen untereinander, ein Gefühl für ihre Ängste und Nöte, ihre Sorgen und Träume. Es ist ein melancholischer und wehmütiger Blick zurück auf die Jugend, der einem aber auch eine neue Perspektive auf die alltägliche Routine bieten kann, in der wir uns von Zeit zu Zeit wiederfinden und vergessen, die kleinen Freuden des Lebens zu genießen und wertzuschätzen. Statt sich zu fragen, was wäre, wenn ich mich damals anders entschieden hätte? Sollte man lieber anerkennen, was man hat und welche Möglichkeiten noch vor einem liegen.

Noch nie ist ein Autor gestorben, während ich gerade eines seiner Bücher las. Jiro Taniguchi verstarb am 11. Februar 2017, als ich mich gerade auf den letzten 100 Seiten von Vertraute Fremde befand, einem Buch, in dem er auch sehr einfühlsam die Themen Trauer und Verlust behandelt.

Lars von Törne hat für den Tagesspiegel einen sehr schönen Nachruf auf den Ausnahmekünstler verfasst.