Meine Woche: Okinonawa, Carcosa und Treckerterroristen

Mein Wochenrückblick mit Filmen wie Das Lehrerzimmer und The Terroriziers, den Serien Odd Taxi und Somebody Feed Phil, Musik von Nick Cave und Hana Vu sowie der Mini Theater Journey in Okinawa und vielem mehr.

Collage aus vier Bildern, drei kleine quadratische oben, ein großes in der unteren Reihe, alles Screenshots auf Filmen und Serien, von links nach rechts: 1. Die schreiende Hauptdarstellerin aus "Das Lehrerzimmer", 2. Szene aus "Somebody Feed Phil" in der Phil rechts im Bild in einen Bürger beißt. 3. Szene aus "The Terrorizers", Protagonistin sieht sich selbst in einer Fotocollage an der Wand, 4. Das tierische Ensemble aus der Anime-Serie "Odd Taxi" vor der nächtlichen Kulisse Tokios.

Diese Woche zeigte sich, dass es bei den anhaltenden Bauernprotesten zahlreiche Unfälle mit Verletzten gab. Doch all jene, die bei der letzten Generation schnell von Klimaterroristen sprachen, sind hier erstaunlich still, kein Wort von der Bauern-RAF oder Treckerterroristen. Dabei haben sich die, anfangs sicher noch halbwegs legitimen, Proste inzwischen zu einem hasserfüllten rechten Mob entwickelt, für den ich kein Verständnis aufbringen kann. Und während der Rechtsstaat mit hartem Knie auf den Hälsen minderjähriger, friedlicher Demonstranten kniet, wird der rechte Mob auf Traktoren vom Rechtsstaat nicht mit Quarz-, sondern mit Samthandschuhen angefasst.

Youtube

Mini Theater Journey: Sakurazaka Theater (Okinawa, JAPAN)

Weiter geht es mit der Vorstellungsreihe kleiner, unabhängiger Kinos in Japan durch das JFF bzw. die Japanese Foundation.

Okinawa ist der Teil Japans, der am ehesten an eine Südseeinsel erinnert, mit Palmen und subtropischem Klima. Das Sakurazaka Theater ist ein kleines Kino, das eine möglichst breite Bevölkerungsschicht ansprechen möchte, und kein elitäres Arthouse-Kino nur für bestimmte Gesellschaftsklassen sein will. Daneben gibt es eine interessante Bandbreite an Shops und Workshops.

Ich muss zugeben, das Kino selbst sticht jetzt nicht besonder heraus, aber Okinawa dürfte die weite Anreise durchaus wert sein. Ein Begriff ist mir die Insel-Kette natürlich schon seit meiner Kindheit, seit ich Karate Kid 2: Entscheidung in Okinawa gesehen habe. Interessant finde ich die Präfektur vor allem, weil sie erst seit 1879 Teil von Japan ist, und bis dahin das Königreich Ryūkyū war. Dementsprechend gelten die Einwohne*innen auch als relativ rebellisch und eigenwillig. Die Ryūkyū haben eine eigene Kultur und eigene Sprachen. Und ich finde es immer interessant, mehr über indigene Bevölkerungen zu erfahren. Sollte es zeitlich und finanziell machbar sein, möchte ich auf jeden Fall für ein paar Tage nach Okinawa.

Das japanische Wort für „Film“ lautet übrigens „eiga“ (えいが), ausgesprochen wird es „eega“. Das Wort für „Kino“ ist „eigakan“ (えいがかん). „Kino“ (きのう) gibt es im Japanischen auch, das heißt aber „gestern“.

Doku

Insider Deutsche Bahn

Drei Insider plaudern aus dem Nähkästchen, was die Tricks der Deutschen Bahn gegenüber den Kund*innen angeht. Durchaus interessant, auch wenn die Inspector-Closeau-Verkleidungen etwas befremdlich wirken. Die Kopfkissen an den Sitzen waren mir schon immer suspekt, wie sich zeigt, zu Recht. Die werden so gut wie nie gewechselt oder gereinigt. Das sind schwabbelige, verhaarte Keimherde.

Tja, das wollte ich eigentlich über die Doku schreiben, doch nach massiver Kritik hat das ZDF sie inzwischen aus der Mediathek genommen. Und zwar zu Recht. Was hier als vermeintliches Insider-Wissen inszeniert wurde, sind teils weithin bekannte Tatsachen. Da wird so getan, als wäre es skandalös, dass die Bahn bei Verspätungen, die von dritten Personen ausgelöst wurden, keine Rückerstattungen bezahlt. Es gibt vieles, was bei der Deutschen Bahn zu Recht kritisiert wird, aber diese Reportage wirkte doch sehr unseriös und reißerisch.

Das erstaunliche Leben der Ratten

Spannende Reportage über das Verhalten von Ratten in Metropolen wie New York und Vancouver. Mit einigen erstaunlichen Erkenntnissen. Das sind schon faszinierende Tiere, sehr intelligent und anpassungsfähig. Das „Rattenproblem“ ist übrigens menschengemacht.

ZDF-Mediathek

Artikel

Die Blicke unserer Mütter

Sehr interessanter Beitrag von Sophia Fritz darüber, wie sehr das Patriarchat auch im Blick von Müttern auf ihre Töchter verankert ist. Die permanente Suche nach „Fehlern“ im Äußeren, der ständig auf den Töchtern lastende soziale Druck.

Normalisierung und ihre Folgen

Die taz über die erneute Wahl eines AFD-Bürgermeisters und wie sehr sich das schon normalisiert hat, nachdem es beim letzten Mal noch einen medialen Aufschrei gab. Einher geht damit eine weitere Verrohung der politischen Stimmung und zunehmende Gewalt gegen Demokraten. Der AFD-Politiker hier steht dem Höcke-Flügel nahe und dürfte wohl als Rechtsextremist durchgehen, während sein Vorgänger, der lange unter rechten Anfeindungen litt, sich das Leben genommen hat.

Blogs

Warum Verfilmung einer Serie vorzuziehen wäre. Die große „Neuromancer“-Besprechung.

Da Apple kürzlich angekündigt hat, eine Serie zu William Gibsons Kultroman Neuromancer zu produzieren, hat sich Sören Heim dem Roman auf seinem Blog noch mal ausführlich gewidmet und geht vor allem auf sein sprachliches Niveau ein. Ich persönlich brauche keine Verfilmung (auch wenn mir die Gibson-Serie The Peripheral durchaus gefallen hat), da ich finde, dass in letzter Zeit schon genügend Werke alter weißer (und teils toter) Männer verfilmt wurden. Verfilmt endlich mal die aufregenden Werke jüngerer Autor*innen of Color!

Lektüre

Harmony | Project Itoh

Wo fängt der menschliche Wille an? Wo besteht er nur aus neuronalen Prozessen im Gehirn? Was macht das Bewusstsein aus? Und was wären wir ohne? In seinem Science-Fiction-Roman Harmony geht der japanische Schriftsteller Project Itoh den ganz großen Fragen der Menschheit nach.

Meine komplette Besprechung auf Lesenswelt

Farbige E-Book-Ausgabe des Romans "Harmony".

Tor Online

Sparks: Die Magie der Funken – Ein Gutachter berichtet

Was hat es eigentlich mit Manuskriptgutachten auf sich? Welche Rolle spielen sie bei Verlagsentscheidungen? Anhand unseres aktuellen Romans Sparks – Die Magie der Funken  von J. R. Dawson gewährt euch Gutachter Markus Mäurer einen kleinen Blick hinter die Kulissen.

Ein Buch, das mir sehr am Herzen liegt.

Hardcover-Ausgabe des Buchs "Sparks - Die Magie der Funken" mit dem Titelbild nach vorne in einem Bücherregal stehend.

LitRPG: Alles, was du über das Genre wissen musst

Eine Charakterklasse wählen, bei Level 1 starten, Kräuter sammeln und dann langsam hochleveln: Klingt nach einem Online-Rollenspiel, gibt es aber auch in Buchform. Ein Blick in die Welt der LitRPGs von Alessandra Reß.“

Ein sehr interessanter Artikel über ein Subgenre, über das ich bisher praktisch nichts wusste.

Filme

The Terrorizers (Kongbu Fenzi, 1986)

Relativ früher Film des taiwanesischen Regisseurs Edward Yang über eine unglückliche Ehe und einen jungen Fotografen, der von einer Frau besessen ist, die vor der Polizei flieht. Leicht kryptisch gehalten, was die Handlungsstränge angeht, die sich am Ende zwar zusammenfügen, aber nicht immer Sinn ergeben. Aber der Film setzt auch mehr auf Atmosphäre und Stimmung. Den Ausdruck eines bestimmten Lebensgefühls. Sehenswert, wenn auch kein Meisterwerk.

Mubi

American Fiction

In American Fiction stecken zwei gute Filme: ein Familiendrama über Tod und Demenz, und eine (sehr treffende) Satire auf die Buchbranche. Alles dabei richtig toll gespielt, vor allem von Jefrey Wright. Aber beides passt für mich nicht ganz zusammen. Ein unterhaltsamer Film, aber nicht ganz stimmig.

Prime

Das Lehrerzimmer

Von İlker Çatak über eine junge Lehrerin an einer neuen Schule, die eine Schulmitarbeiterin (vermeintlich?) beim Klauen filmt, was einige unschöne Ereignisse zur Folge hat, unter anderem auch, weil der Sohn der Mitarbeiterin in der Klasse der Lehrerin ist. Anfangs dachte ich noch: Och nö, 4:3 muss das sein. Aber das Format fängt das Kammerspielartige des Film, der ausschließlich an der Schule spielt, aus Perspektive der Lehrerin gut ein und sorgt für eine steigende bedrückende Beklemmung ob der Situation. Ein sehr guter Film, nur die Sache mit dem Rubiks-Zauberwürfel war mir zu viel.

Prime

Serien

Odd Taxi

Noch mal danke für den Tipp, Simone! Anime-Serie über einen Taxifahrer, der in die Angelegenheiten seiner Fahrgäste verwickelt wird, darunter eine Idol-Band, ein Comedy-Duo, Yakuza und andere Nachtgestalten. Hat eine ganz tolle Atmosphäre und erzählt originelle Geschichten. Die finale Folge ist grandios. Ach ja, alle Menschen sind Tiere.

Crunchyroll

Somebeody Feed Phil (Season 7)

Es gibt ja Leute, die können Phils kindliche Begeisterung für Essen nicht ertragen, ich finde sie wunderbar. Die Serie verursacht bei mir verlässlich gute Laune, weshalb ich nie mehr als eine Folge pro Tag schaue, da ich ein Maximum an guter Laune herausholen möchte. Die aktuelle Staffel hat gleich acht neue Folgen, in denen es nach Bombay, Kyoto, Washington, Orlando, Dubai, Taipeh, Island und Schottland geht. Vor allem die Dubai-Folge hat mich überrascht. Das ist so ziemlich der letzte Ort, an den ich mal reisen möchte, aber Phil hat ein paar interessante Flecken und Menschen in der Altstadt entdeckt, die die Stadt in einem anderen Licht erscheinen lassen. Und das ihm der superteuere mit Gold überzogenen Burger im Burj Khalifa auf den Boden fällt, ist ein wunderbares Symbol. Ansonsten sind meine Anspielstipps Kyoto, Taipeh und Bombay. Die Produktion scheint vor allem in Sachen Kamera noch mal einen Sprung nach oben gemacht zu haben, die Aufnahmen der Orte sind wunderschön. Ist aber keine Show für Veganer*innen.

Netflix

Neu im Regal

Carcosa-Memoranda

Diese Woche hatte ich ein Paket aus dem Memoranda Verlag im Briefkasten, zu dem auch das Imprint Carcosa gehört.

Fünf Bücher, drei oben, zwei unten, auf einem Tisch ausgelegt: "In fernen Gefilden" von Joanna Russ, "Schwelende Rebellion" von Leigh Brackett, "Das Einstein-Vermächtnis" von Samuel R. Delany, "Oktoberrevolutioin 1967" von Kir Bulytschow und "Die Sterne Leuchten am Erdenhimmel" herausgegeben von Sylvana Freyberg.

Die Sterne leuchten am Erdenhimmel ist eine Anthologie mit südkoreanischen Science-Fiction-Kurzgeschichten. Mein Schwerpunkt liegt zwar auf Japan, aber ich habe auch großes Interesse an Südkorea, zumal beide Länder ja auf eine lange, wenn auch turbulente, gemeinsame Geschichte zurückblicken.

Oktoberrevolution 1967 von Kir Bulytschow wurde mir von Verleger Hardy Kettlitz empfohlen. Und als alter Golkonda-Fan (vom ursprünglichen Verlag, nicht dem rechtsbraunversifften Überbleibsel, das der Europa Verlag daraus gemacht hat, siehe Thor Kunkel) bin ich natürlich sehr an Hannes Riffels neuem Projekt Carcosa interessiert, das vor allem progressive Klassiker wieder oder erstmals nach Deutschland bringt, die in den letzten Jahrzehnten leider etwas in Vergessenheit geraten sind. Von Joana Russ wollte ich schon immer mal was lesen, Gleiches gilt für Leigh Brackett.

Mehr zu Carcosa gibt es auf dem Blog von Hannes Riffel.

Musik

Nick Cave | Wild God

Neuer Song von Nick Cave. Gefällt mir. Erinnert ein wenig an das Doppelalbum Abattoir Blues/The Lyre of Orpheus, das ich sehr mag. Bin schon sehr auf das gleichnamige Album gespannt, das am 30. August erscheint.

Hana Vu | Care

Junge Singer-Songwriterin aus Los Angeles, die ich bisher nicht kannte. Toller Song. Eine ihrer EPs heißt Nicole Kidman / Anne Hathaway.

Bei den New York Yankees im Stadion

Vor genau einem Jahr war ich bei den New York Yankees im Stadion. Hier ein kurzer Bericht.

Ich kann nicht behaupten, ein großer Fan von kommerzialisiertem Sport zu sein. Weder schaue ich mir die Bundesliga, noch die Champions League an, und Korruptinos Fußball WM der Männer ist mir auch wurscht. Noch kommerzieller als in den USA geht es wohl kaum, wo Mannschaften aus rein finanziellen Gründen von einer Stadt in die andere umziehen, wie zum Beispiel die Brooklyn Dodgers, die 1958 nach L. A. zogen und der Stadt das Herz herausrissen (»Our Bums«).

Wenn man aber die USA und deren Kultur verstehen will, kommt man an Baseball nicht vorbei. Kein anderer Sport hat das Land so geprägt und steht stellvertretend für den »American Exceptionalism«. Eine komplexe und komplizierte Sportart, die man wohl nur ganz verstehen kann, wenn man mit ihr aufgewachsen ist. Hier empfehle ich die herausragende Doku »Baseball« von Ken Burns.

Das bekannteste und erfolgreichste Team des Sports sind die New York Yankees, das Team, das mit Babe Ruth und Heinrich Ludwig »Lou« Gehrig zur Legende wurde und weitere Ausnahmespieler, wie Joe Dimaggio und Mickey Mantle hervorbrachte. Der letzte Titel und die letzte Finalteilnahme liegen allerdings schon zehn Jahre zurück. „Doch nach einem holprigen Start sieht es diese Saison gar nicht so schlecht aus“, schrieb ich letztes Jahr, als ich diesen Beitrag begann. Insgesamt lief es dann doch wieder sehr bescheiden für die Yankees.

Die U-Bahn hält direkt vor dem Stadion in der Bronx an Gate 6, wo sich die Fans ganz entspannt den Eingangskontrollen nähern. Hinter dem Einlass gab es ein Yankees-Shirt als Geschenk, dann musste ich noch einmal ums halbe Stadion rum, um meinen Platz zu finden. Der lag in der zweiten Etage mit guter Sicht auf das Spielgeschehen. Immer wieder kamen Leute mit schlechteren Tickets, die versuchten, hier bessere Plätze zu finden, bis dann die eigentlichen Kartenbesitzer kamen, um ihre Sitze einzunehmen. Zu Spielbeginn war es noch relativ leer im Stadion, die Plätze füllten sich erst nach und nach, da viele vermutlich direkt von der Arbeit kamen. Nicht wenige gingen auch schon wieder vor Spielbeginn. Bei vier bis fünf Spielen pro Woche ist das wohl nicht ungewöhnlich.

Anders als in deutschen Fußballstadien gibt es hier keine Ultras, die für Stimmung sorgen. Das läuft alles über die Stadiontechnik, mit eingespielter Musik und Fans, die dann tanzend auf der großen Leinwand eingeblendet werden. Die Jungs, die den Platz zwischendurch abzogen, tanzten dann zu YMCA. Und der übliche Patriotismus mit Heldenverehrung und Nationalhymne durfte natürlich nicht fehlen. Trotzdem herrschte eine angenehme, entspannte Stimmung im Stadion. Erst in den letzten beiden Innings, bei der drohenden Niederlage, nahmen aggressivere Töne, vermutlich durch den stetigen Bierkonsum gefördert, deutlich zu. Da merkte man, dass es unter der familienfreundlichen Fassade durchaus brodelte.

Nach dem Spiel ging es dann in einer überfüllten U-Bahn, dank Bauarbeiten, im Schneckentempo zurück nach Manhattan – aber ganz entspannt und gelassen, ohne grölende, besoffene Fans.

Die Yankees haben übrigens 3:4 gegen die Washington Nationals verloren. Hier zeigte sich, dass nicht das Team mit den meisten Homeruns gewinnt. Hat man noch keine Spieler auf den Bases, bringt ein Homerun nur jeweils einen Punkt, wie für die Yankees. Die Nationals haben mit einem Homerun gleich drei Punkte geschafft, weil sie schon Spieler auf den Bases platzieren konnten. Hier zahlt sich geschicktes Taktieren aus. Es war bis zum Schluss ein spannendes und ereignisreiches Spiel.

Das American Museum of Natural History (New York 2 von X)

Der erste Tag nach meiner Ankunft in New York führt mich an einen Ort unsagbarer Schrecken; ein Ort, in dessen düsteren Kellergängen und Gewölben ein unglaubliches Gemetzel stattfand; wo jene, die um ihr Überleben kämpften, im Blut der bereits gefallenen ausrutschten. Zumindest in der Fiktion, im Roman Relic von Douglas Preston und Lincoln Child, der einerseits eine Hommage an das American Natural Museum of History darstellt, wo Preston fünfzehn Jahre lang arbeitete, andererseits ein ultraspannender und blutiger Monsterthriller ist, der mir als Leser Furcht einflößte, gleichzeitig aber den Wunsch weckte, unbedingt dieses riesige Museum, das 1869 eröffnet wurde, zu besuchen.

An diesem Mittwochmorgen birgt das Museum keine Schrecken, nur fröhliches Kindergeschrei zahlreicher Schülergruppen in den Hallen voller konservierter Kindheitsträume. Wer aus meiner Generation ist nicht aufgewachsen mit dem Was ist Was-Dinosaurier-Buch, den Dinos („Nicht die Mama! Nicht die Mama!“), Jurassic Park und dem Sense of Wonder, dem faszinierten Staunen für die Wunder der Welt. Hier liegen sie in dieser riesigen Schatzkammer, all das Wunderbare, das unsere Welt und unser Universum hervorgebracht hat. Riesige Dinosaurierskelette, nicht minder gewaltige Meteoriten aus den Tiefen des Alls, lebensechte Panoramen mit ausgestopften Tieren von sämtlichen Kontinenten und das Erbe unzähliger Völker und Kulturen, die diesen Planeten zu einem vielfältigen und reichhaltigen Ort machen, den es mit Abenteuergeist zu erforschen gilt.

Die Tierpanoramen sollten aber auch als Mahnmal dienen, denn die Tiere haben ihre Körper nicht nach ihrem natürlichen Tod der Wissenschaft zur Verfügung gestellt. Sie wurden erbarmungslos gejagt von Mitarbeitern des Museums, in einer Zeit, als die Großwildjagd nicht nur bei rechten Spinnern als Heldentat galt. Nur Jumbo, der riesige Elefant, kam bei einem Unfall mit einem Zug ums Leben, nachdem er von P.T. Barnums Zirkus ausgebüxt war.

In Dinosaurs in the Attic erzählt Douglas Preston die abenteuerliche und faszinierende Geschichte des Museums, die turbulente Entstehungszeit und welch kuriose Mitarbeiter und Bewohner das ehrwürdige Haus einst beherbergte. Zum Beispiel den Schimpansen Judy, der wie ein menschliches Kind aufgezogen wurde und neugierig durch die Museumsflure streifte. Die Insektenforscherin, die ihre entlaufenen Skorpione mit der bloßen Hand und dem Hinweise einfängt, sie könnten einen nicht stechen, wenn man sie am Schwanz packt. Von den Expeditionen nach Asien, wo Banditen am Straßenrand lauerten; in die Arktis, in einem unglaublichen Unterfangen, den riesigen und tonnenschweren Meteoriten zu bergen.

An diesem heißen Sommertag ist es ausgerechnet in der Südamerikabteilung eiskalt. Während man Dschungeldörfer und die Bauten einstiger Hochkulturen betrachtet, sorgt die Klimaanlage für eine frostige Atmosphäre, in der es jeden Besucher, der durch die Glastür tritt, augenblicklich schüttelt.

Am Besten gefällt mir die Margarete Mead Hall for the Pacific People, wo angenehme Temperaturen herrschen. Ich hatte schon immer ein Faible für die polynesischen Inselvölker und ihre Kulturen. Aber auch die Dinosaurier haben es mir angetan und all die schummrigen Gänge mit Überbleibseln der vielfältigen Kulturen des Orients.

Das Gedränge wechselt ständig von angenehm leer zu dicht gedrängt und hektisch, wenn wieder eine Schülerhorde an mir vorbeistürmt. Da heißt es dann, schnell vorbeizuhuschen. Fünf Stunden verbringe ich in den Eingeweiden des Museums, kann mich gar nicht sattsehen an all den Wundern unserer Welt; einer Natur, wie wir sie schon längst zerstört haben; und all den untergegangenen Zivilisationen.

Zur Stärkung geht es in die Cafeteria, wo ein reichhaltiges Selbstbedingungsbüffet darauf wartet, gejagt und gesammelt zu werden. Keine Sterneküche, aber besser als all die Verpflegungsstationen in den Museen, die ich in den kommenden Tagen noch besuchen werde, wenn auch in Schulkantinenatmosphäre.

Das Beste habe ich mir für den Schluss aufgehoben. In Dinosaurs In The Attic erzählt Preston auch die Geschichte von Murf the Surf, einem charmanten aber auch eiskalten Verbrecher, der mit Kollegen 1964 den Stern von Indien und weitere kostbare Edelsteine aus dem Museum stahl. Eine kuriose und faszinierende Geschichte, durch die ich mich besonders auf die Halle mit der Bezeichnung Gems und Minerals freute, nur um mit enttäuschter Miene vor der Mitteilung zu stehen: Wegen Renovierung geschlossen.

Trotzdem trete ich nach fünf Stunden hochzufrieden in die schwülheiße Nachmittagsluft hinaus, der nasse Asphalt zeugt noch vom Regen, der hier irgendwann in jüngster Zeit niedergegangen sein muss. Ich gehe noch ein wenig in den Central Park hinein, schauen, wo sich das Metropolitan Museum befindet, doch auf halber Strecke komme ich zum Schluss, dass die Zeit bis zum Baseballspiel der Yankees etwas knapp werden könnte, denn aufgrund des kürzlichen Niederschlags fahre ich lieber ins Hotel zurück, um mir eine Regenjacke zu holen. Aber dazu mehr im nächsten Blogbeitrag.

Das Museum liegt ungefähr auf halber Höhe westlich des Central Parks, der Eintritt kostet 23 Dollar. Ich bin mit dem New York Pass für eine Woche (270 Dollar), der die meisten Attraktionen New Yorks beinhaltet, schneller reingekommen. Wie bei allen beliebten Museen lohnt sich, direkt morgens um 10.00 Uhr da zu sein, um durch zunächst noch relativ leere Flure und Hallen streifen zu können.

Der erste Tag auf der Lower East Side (New York 1 von X)

Die Lower East Side

New York riecht ganz eigen. Nach acht Stunden in einer fliegenden Sardinnenbüchse, sowie einer Stunde in einer heißen und verschwitzten Schlange an der Grenzkontrolle (eine gute Überbrückung der Wartezeit aufs Gepäck, nur leider ohne Toilette) und einer Taxifahrt mit einem redseligen und sympathischen Ägypter, steige ich aus auf den heißen Asphalt der Lower East Side und bemerke als Erstes diesen eigentümlichen Geruch, der mir in dieser Mischung noch nie begegnet ist (einzig São Paulo roch relativ ähnlich).

Sind dies die olfaktorischen Impressionen einer Stadt, die niemals schläft, oder einer Stadt, die niemals duscht? Nicht so unangenehm, wie die gelegentlichen unverkennbaren Ausdünstungen der Kanalisation, die hier und da einem gammligen Gespenst gleich durch die Luft wabern. Aber auch nicht so angenehm, wie Asphalt nach einem Sommerregen, oder die Gewürzabteilung eines Wochenmarkts in Chinatown.

The Big Apple, Melting Pot oder Salad Bowl, ehemals New Amsterdam und Manna-hata (wie es bei den Algonkin hieß), das Tor zur Welt, wo einst alle Einwanderer über Ellis Island eingeschleust wurden. „Concrete jungles where dreams are made of“. Aufgewachsen mit Serien wie Hill Street Blues und NYPD, mit Filmen wie Manhattan, Frühstück bei Tiffany’s, Mean Streats und In den Straßen von Brooklyn, träume ich schon von klein auf, einmal die große liberale Metropole zu besuchen, in der Hip-Hop und Punk erfunden wurden und Steve Buscemi in so manchem Schlamassel landete. Dreißig Jahre und einen Abschluss in Nordamerikastudien sollte es dauern, bis ich endlich das Land meiner Träume betrat.

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