Meine Woche 31.12.2023: Jahresrückblick, Buchhandel und Filmtipps

Ich gebe einen kleinen persönlichen Jahresrückblick, bespreche einige Filme von Wuxia über stilsicheren australischen Horror bis zur Liebeserklärung ans Kino und gehe auf die aktuell schwierige Situation für kleine Buchhandlungen ein.

Collage aus den beiden Fotos von mir und meinem Vater weiter unten im Beitrag. Dazu ein Filmausschnitt aus "Das Schwert der gelben Tigerin" mit der Hauptdarstellerin und ein Ausschnitt aus dem Film "Empire of Light" der das prächtige Foyer des Kinos zeigt.

Artikel

Großhändler Zeitfracht will kleine Läden seltener beliefern

Zeitfracht ist eine der drei Großbuchhändler, von denen unsere Buchhandlungen beliefert werden. Für kleine, unabhängige Buchhandlungen brechen jetzt noch härtere Zeiten an, da sich deren Belieferung für Zeitfracht anscheinend nicht mehr lohnt. Wer keinen großen Konzern hinter sich hat, hat es immer schwieriger auf dem Buchmarkt. Hunderttausende Bücher (vor allem von kleineren Verlagen) wurden bereits bei den Grossisten ausgelistet, was bedeutet, dass sie in den Buchhandlungen las nicht lieferbar gelten. Kapitalismus und freier Markt führen vor allem dazu, dass sich die Marktmacht auf wenige große Konzerne und Unternehmen konzentriert, während die kleineren immer weiter auf der Strecke bleiben.

Ob es wirklich sinnvoll ist, jedes Buch über Nacht am nächsten Tag in die Buchhandlung geliefert zu bekommen, ist eine andere Frage. Wir sollten lernen, uns wieder mehr zu gedulden. Allerdings war das schon ein Wettbewerbsvorteil (oder zumindest ein Grund, noch halbwegs mithalten zu können) gegenüber Amazon, deren Lieferzuverlässigkeit auch für Prime-Kunden in den letzten Jahren stark nachgelassen hat.

Beim Börsenblatt gibt es eine Rechtfertigung von Zeitfracht, und bei Resonanzen ein Interview mit einer Buchhändlerin.

Poor Britannia – Großbritanniens verarmte Gesellschaft

Kein Artikel sondern ein Spiegel-Podcast ist Acht Milliarden. Eine besonders interessante Folge (April 2023) ist Poor Britannia, in der es über die Verelendung und Verarmung der britischen Mittel- und Unterschicht geht. Ich habe schon einige Reportagen und Dokus über die Entwicklung im Königreich gesehen und bin entsetzt über die Situation. Gleichzeitig werden die Reichen und Superreichen immer reicher und die Politik des Landes ist weiterhin ausschließlich auf diese Personen ausgerichtet. Ist mir ein Rätsel, warum es dagegen noch keine größere Protestbewegung gibt und jene, die das Volk ins Elend treiben, weiter gewählt werden.

Filme

Talk To Me

Beeindruckender Debütfilm zweier australischer Youtuber, der sein Ding von Anfang bis Ende stilsicher durchzieht. Aus den begrenzten Mitteln holt der das Optimum heraus und sieht dabei erstaunlich schick aus. Über eine Gruppe Jugendlicher, die als eine Art TikTok-Challenge mittels verwunschener Hand Tote beschwören und sich von ihnen in Besitz nehmen lassen. Was anfangs ein großer Spaß ist, geht natürlich irgendwann in die Hose. Auf den Film bin ich schon länger gespannt, da Daniel Schröckert mit den beiden Machern bekanntfreundet ist und das Projekt regelmäßig in Kinoplus erwähnte. Von der Qualität des Films war am Ende trotzdem noch selbst überrascht. Hat mir besser gefallen als Smile oder Evil Dead.

Summer Ghost (Samā Gōsuto)

Schöner, kurzer Coming-of-Age-Anime über drei jugendliche Außenseiter, die gemeinsam einen Geist suchen und neben Freundschaft auch Motivation finden, weiterzumachen. Sehr einfühlsam und rührend inszeniert.

Funny Pages

Einer dieser Indie-Filme, wie sie vor allem in der zweiten Hälfte der 1990er und in den frühen Zweitausender gedrehte wurden. Ist aber von 2022 und noch eine Ecke schräger. Es geht um einen jungen Mann, der die High-School hinwirft, weil er Comic-Zeichner werden will und sich an Kunstschulen bewirbt. Dafür nimmt einen merkwürdigen Job an und zieht in einen noch merkwürdigere WG. Um diese Wohnverhältnisse zu beschreiben, fehlen mir ein wenig die Worte. Als wäre er ins Arschloch einer Comicfigur von Robert Crumb gezogen, wo schon andere schräge Vögel hausen. Bis auf die Hauptfigur – die vor allem auf Underground-Comics steht – sind alle anderen mega unsympathisch und es ist mir ein Rätsel, warum er die Nähe zu ihnen sucht. Der Film ist von Anfang bis Ende sehr unangenehm, aber trotzdem irgendwie interessant. Wurde von A24 produziert. Er war mir aber völlig unbekannt, bis ich ihn vor wenigen Tagen beim Stöbern auf Paramount+ entdeckt habe.

The Roundup: No Way Out

Dritter Teil der Prügelfilmreihe mit Don Lee, der hier wieder kräftig austeilt. Teil 1 fand ich schwach, Teil 2 sehr unterhaltsam und auch der dritte hat Spaß gemacht, obwohl er wieder eine massive Verherrlichung exzessiver Polizeigewalt ist. Eine wirkliche Story gibt es nicht. Verschiedene Gangster-Fraktionen kloppen sich um gestohlene Drogen, und Don Lee mittendrin, der ständig Verdächtige misshandelt, um an Informationen zu kommen, die ihn zu neuen Schurken führen, die ihm direkt ans Leder wollen und dafür aufs Maul bekommen. Die Kämpfe selbst fand ich aber deutlich langweiliger als in Teil 2, da sie deren Kreativität vermissen lassen. Hier gibt es ständig Rechts-Links-Rechst-Kombinationen von Don Lee, und schon gehen die Gegner zu Boden. Ab und zu packt der die Dampframme aus und sie fliegen gleich meterweit durch die Gegend. Wer den Vorgänger mochte, wird auch hier seinen Spaß haben, kann aber völlig unabhängig von den anderen Teilen geschaut werden.

Empire of Light

Der neue Film von Sam Mendes ist eine Hommage an die vergangene Pracht alter Filmpaläste und Kinos. Allerdings werden hier eine Menge Fässer aufgemacht: Rassismus, psychische Erkrankung, Liebe mit großem Altersunterschied. Und das alles fügt sich nicht so vollständing zu einem stimmigen Ganzen, da die Themen alle nicht ausreichend behandelt werden können. Trotzdem ein toller und schöner Film mit hervorragenden Darsteller*innen (allen voran Olivia Coleman und Micheal Ward). Und das Kino sieht echt klasse aus. Auch wenn der Film die Magie des Kinos nicht so ganz einfangen kann. so halb ist doch auch okay.

Disney+

Das Schwert der gelben Tigerin

Mit den Kung-Fu-Filmen der Shaw Brothers bin ich aufgewachsen, habe viele davon gesehen, teils sogar im Kino, aufgrund der oft austauschbaren Titel kann ich mich aber an viele nicht mehr erinnern. Den hier habe ich aber definitiv noch nicht gesehen.

Die gelbe Tigerin ist im Film übrigens eine goldene Schwalbe und wird von Hongkongfilmlegende Cheng Pei-pei toll gespielt. Der internationale Titel lautet Come Drink With Me, was dem chinesischen Original Dàzuì Xiá näher kommt. Das bedeutet so viel wie »betrunkener ritterlicher Held« und dürfte eine humorvolle Anspielung auf den Begriff Wuxia selbst sein, denn das heißt grob übersetzt »im Wushu bewanderte ritterliche Helden“.

Und so bietet der Film eine Mischung aus teils brutaler Kampfkunst und humorvollen Einlagen, wenn unser zweiter Protagonist, der betrunkene Held ins Spiel kommt. Der Film ist von 1966 und dementsprechend sehen die Kampfszene teils recht putzig aus, sind insgesamt aber toll in beeindruckenden Settings inszeniert. Hat Spaß gemacht.

Ach ja, geht darum, dass die Heldin ihren Bruder aus den Fängen einer mächtigen Gaunerbande befreien will.

Gibt es mit 13 anderen Filmen der Shaw Brothers auf Mubi (bei Prime gibt es noch einige andere).

Youtube

Mark Kermode reviews Scala!!!

Ausnahmsweise mal eine Filmbesprechung, und zwar die von Mark Kermode zur Dokumentation Scala!!! Über den gleichnamigen subversiven Londoner Filmklub, der sich gerne über die Regeln hinweggesetzt hat und eine ziemlich tolle Institution gewesen sein muss.

Trailer

Scala!!!

Und hier der Trailer zu Scala!!! Ich hoffe, dass Mubi oder Arte sich erbarmen, die Doku zu zeigen.

Fun Fact

So blond war ich einmal

Nahaufnahme von mir als Grundschulkind auf dem Steg vor einem Teich hockend. Die Haare hellblond.

Jahresrückblick

Einen ausführlichen Jahresrückblick erspare ich mir und euch. Beruflich war 2023 für mich ein gutes Jahr. Privat eher Bescheiden, da mein Vater im Sommer überraschend verstorben ist. Und global gesehen natürlich völlig beschissen. Darauf muss ich ja hier nicht weiter eingehen. Vor allem angesichts der Gewissheit, dass die Krisen in den nächsten Jahren nur noch zunehmen werden und der Abschluss eines miesen Jahres keine Hoffnung mehr auf ein besseres mit sich bringt.

Links steh ich in gelbem T-Shirt und kurzer Hose, rechts mein Vater mit karriertem Hemd, Dreiviertelhose und Schirmmütze. Zwischen uns ist im Hintergrund eine lange Hängebrücke aus Stahl über einem grünen Tal zu sehen.

Hier stehe ich mit meinem Vater vor der Geierlay, das Foto hat meine Mutter gemacht. Wir sind immer gerne Wandern gewesen.

Ein paar private Highlights gab es aber schon. Erstmals seit Beginn der Pandemie bin ich wieder verreist und überhaupt unter Leute gegangen. Ich war in Berlin und habe erstmals seit 2020 wieder alte Freunde getroffen. Auf der Buchmesse und dem BuCon war ich ebenfalls, wo ich viele Freunde und Bekannte nach langer Zeit wiedertraf und tolle Gespräche führte. Und ich bin erstaunt, dass ich mich bei dem Ganzen immer noch nicht mit Corona angesteckt habe. Auch im Kino war ich erstmals seit Januar 2020 wieder. Ansonsten habe ich meine Leidenschaft fürs Schwimmen wiederentdeckt.

Japanisch lernen geht recht langsam (aber stetig) voran, sodass ich meine Reise nach Japan für 2025 plane. Immerhin, bei jedem neuen Film, jeder neuen Serienfolge auf Japanisch verstehe ich ein, zwei Worte mehr. Doch es ist noch ein langer Weg, der aber trotzdem Spaß macht.

Ausblick

Mein Job bei Tor Online geht so weiter, wie in diesem Jahr. Was Übersetzungen angeht, habe ich noch alle Kapazitäten für 2024 frei. Bloggen werde ich erstmal weiter wie bisher. Im Januar geht es mit dem Japanuary los (genauere Infos hier), da werde ich acht japanische Filme besprechen.

An dieser Stelle möchte ich mich bei euch dafür bedanken, dass ihr hier fleißig mitlest. Und ich wünsche euch einen guten Rutsch ins neue Jahr und eine gesundes, friedliches und erfolgreiches 2024!

Die besten Filme, die ich 2023 erstmals gesehen habe

Auf dieser Liste stehen Filme, die ich dieses Jahr das erste Mal gesehen habe, und die in meiner internen Wertungsliste 9/10 oder gar 10/10 Punkte bekommen haben. Wobei das eine rein subjektive Wertung ist, bei der es nur danach geht, wie sehr mir der Film gefallen hat. Im Kino bin ich dieses Jahr nur einmal in Equalizer 3 gewesen, der war nur okay, aber etwas zu sadistisch (Denzel Washington goes Jason, hat nur die Eishockeymaske gefehlt.) Das war mein erster Kinobesuch seit Januar 2020 (damals 1917). Eigentlich wollten wir Oppenheimer schauen, haben uns aber spontan aus einer Laune heraus umentschieden.

One More Time With Feeling

Huch, zu dem Film habe ich weder auf meinem Blog noch auf Facebook oder Letterboxd was geschrieben. Andrew Dominik begleitet Nick Cave bei den Aufnahmen zu dessen Album Skeleton Tree. Wunderschöne Aufnahmen, poetisch inszeniert, Nick Cave sagt viel kluge und witzige Dinge, Warren Ellis. Ein sehr intimer Film, in dem es auch um den Tod von Caves Sohn Arthur und den Umgang mit der Trauer geht. Ich habe den Film im Februar gesehen, deswegen kann ich jetzt nicht mehr so viel dazu schreiben.

Pom Poko (平成狸合戦ぽんぽこ)

Mitte/Ende der 1990er, bevor bei uns in der Westerwälder Provinz das Internet kam, war Helen McCarthys Animeguide für mich die Bibel für japanische Zeichentrickfilme und primäre Informationsquelle. Zu Pom Poko schreibt sie in der Anime Encyclopedia, im Vergleich zu Mein Nachbar Totoro sei der Film wenig universal und könne auf Außenstehende ethnozentrisch wirken. Was aber wohl als Kompliment gemeint ist, da ihre Besprechung im Anime Guide durchgehend positiv ausfällt. Die Elemente mögen japanischer sein, als bei den vielen europäisch beeinflussten Filmen Miyazakis. Doch die Themen Fortschritt durch Umweltzerstörung und die Entfremdung von den eigenen kulturellen Wurzeln sind doch sehr universelle.

Aber, wer hier ein kitschig-knuffiges Umweltmärchen mit süßen Knuddelbärchen erwartet, kennt Regisseur Isao Takahata schlecht. Der Film beginnt relativ trocken, fast wie eine TV-Reportage, ohne emotionale Bezugspunkte und Identifikationsfiguren unter den Marderhunden, die hier Stück für Stück ihre Heimat verlieren. Doch im weiteren Verlauf, wenn die mystischen Tiere sich zusammentun und um ihre Heimat kämpfen, gewinnt er eine ungeheure Wucht, die in der grandiosen Geisterparade mündet, da aber lange noch nicht endet, sondern erst danach so richtig rührend wird.

Der Film, der auf den Postern so knuffig aussieht, macht allerdings keine Gefangenen, der Protest der Marderhunde ist teils sehr clever, aber teils auch so brutal, dass Menschen sterben, und später sogar einige der Hauptfiguren.

Pom Poko ist eine grandiose Ballade über den Zusammenprall von Tradition und Moderne, Mensch und Natur und den Wert von Gemeinschaft und Heimat (ob selbstgewählt oder hineingeboren). Aufgrund seiner sperrigen Struktur und dem krassen Kontrast zwischen knuffigen Tieren und gewalttätigen Aktionen ist er, neben Meine Nachbarn die Yamadas, wohl der (gerade für ein nicht-japanisches Publikum) unzugänglichste aller Ghibli-Filme. Für mich, mit meinem Interesse an japanischen Mythen und Legenden, aber einer der besten. Ist mir ein Rätsel, warum ich ihn mir nicht schon vorher angesehen habe.

Call Me Chihiro (Chihirosan)

Ein wunderbarer Slice-of-Life-Film über eine ehemalige Sexarbeiterin, die an einem Bento-Stand arbeitet, ihre Mitmenschen mit ihre Gutmütigkeit und Laune ermutigt und ermuntert, und so einen herzlichen Kosmos um sich herum schafft, in dem sich die Leute, die sich vorher nicht kannte, gegenseitig helfen.

Es gibt Kritiker, die schreiben, der Film würde weder showen noch tellen, es würde nichts passieren, aber das sind Leute, die – wie Wolfgang M. Schmitt wohl schreiben würde – nur schauen, aber nicht sehen. Denn es passiert eine Menge. Für uns Zuschauer*innen wirkt es wie Kleinigkeiten, doch für die Figuren sind das teils gravierende Veränderungen. Der Film ist eine Hommage an die Poesie des Alltags und zwischenmenschliche Beziehungen, die ohne große dramatische Momente auskommen. Ein heißer Kandidat für meinen Lieblingsfilm des Jahres.

Leaving on the 15th Spring (Tabidachi no Shima Uta – 15 Go Haru)

Erzählt vom Leben auf einer kleinen Insel östlich von Okinawa und Yunas letztem Jahr dort, bevor sie für die Oberschule aufs Festland ziehen muss. Gelungene Mischung aus Coming-of-Age, leisem Familiendrama und dem Überlebenskampf der kleinen Gemeinschaft in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage. Ein richtig schöner Film, der das Leben auf dem Land in Japan nicht romantisiert, sondern zeigt, welche Nachteile es mit sich bringt.

Der von Yuna gesungene Abschiedssong. Ganz tolles Lied!

Der schlimmste Mensch der Welt (Verdens verste menneske)

Ui, der Film hat mich überrascht. Habe zwar einen guten Film erwartet, aber nicht so eine interessante Mischung. Am Anfang nimmt er noch die üblichen Beziehungsmuster mit provokanten und gekonnten Regieeinfällen auseinander, im letzten Drittel bekommt er richtig Tiefgang und wird bittersüß emotional. Über eine junge Frau, die das Gefühl hat, nichts wirklich zu Ende zu bringen, und ständig zu was Neuem zu wechseln (kommt mir bekannt vor).

Judy Blume Forever

Ganz tolle Doku über und mit der wunderbaren amerikanischen Autorin Judy Blume, die ganze Generationen von Kindern und Jugendlichen geprägt und viel zur Liberalisierung der Gesellschaft beigetragen hat.

An einem schönen Morgen

Über eine junge verwitwete Mutter, die als Übersetzerin und Dolmetscherin arbeitet, sich um ihren kranken Vater kümmert und eine Affäre mit einem alten, aber verheirateten Freund anfängt. Wunderbar unaufgeregt über den Alltag, die Unzulänglichkeiten des französischen Gesundheitssystems und wie es ist, einen Menschen zu verlieren, der zwar noch da ist, aber nicht mehr er selbst.

Wo in Paris die Sonne aufgeht (Les Olympiades)

Vom Leben dreier junger Pariser*innen, deren Wege sich überschneiden, voneinander entfernen und wieder annähern. Erzählt eigentlich nichts Neues, aber die Inszenierung hat was ganz Besonderes. Ist zärtlich und poetisch, gleichzeitig aber auch dynamisch und voller Energie. Mit drei tollen Hauptdarsteller*innen.

This Is England

Packende Mischung aus Coming-of-Age und Milieustudie, die zeigt, wie schnell sich Kinder und Jugendliche radikalisieren lassen. Und wer kennt ihn nicht, den Arschloch-«Kumpel«, der die Stimmung killt, ständig für Ärger sorgt und die Clique sprengt. Erzählt wird von Shaun, der in der Schule gemobbt wird und dessen Vater im Falklandkrieg ums Leben kam. Er gerät an eine Gruppe linker Skinheads, die ihn bei sich aufnehmen, sich aber spaltet, als einer von ihnen rechte Ideen bekommt. (Die darauf folgende Serie ist übrigens noch besser.)

Retour à Séoul

Retour à Séoul/Return to Seoul erzählt von der jungen Französin Freddie, die – auch für sich selbst – überraschend in Seoul landet und nach ihren leiblichen Eltern sucht, die sie zur Adoption freigaben, als sie noch ein Baby war. Eine Sache, die ihr durchaus schwerfällt, die sie aber trotzdem sehr konsequent durchzieht. Die Begegnungen mit ihren Wurzeln führen wohl nicht zu den erhofften Ergebnissen, so wie ich Freddies Reaktionen darauf deute.

Was den Film so interessant macht, sind die Lücken, die er lässt, was alles nicht erzählt bzw direkt ausgesprochen wird. Er ist außergewöhnlich themenzentriert, es geht ausschließlich um Freddie, und wie sie mit der Adoptionsgeschichte umgeht. Alles, was jenseits davon liegt, ihr Leben in Frankreich, ihre Eltern, ihre Ausbildung verbleibt als vage Umrisse im Nebel. Es gibt ein Telefonat mit der Mutter, in dem so viel unausgesprochen bleibt, und doch so viel gesagt wird. Am Ende bleibt ein verletztes Umfeld zurück.

Retour à Séoul ist ein Film, der mich als Zuschauer herausgefordert hat, diese Lücken mit Spekulationen selbst zu füllen oder eben mit der Ungewissheit zu leben, zu akzeptieren, dass Menschen und Geschichten Leerstellen haben, die mich nichts angehen.

Freddie ist kein einfacher Mensch, handelt nicht sympathisch, aber verständlich. Park Ji-min (in ihrer allerersten Rolle!) stellt diese Verletzlichkeit und Verletztheit, die sich in Härte im Umgang mit jenen Menschen zeigt, die sei unterstützen, wirklich hervorragend dar. Erst ist sie sehr charismatisch und einnehmend, dann schroff und stößt jene Leute vor den Kopf, während es sie innerlich zerreißt, weil sie sich vor der zunehmenden Nähe fürchtet. Auch wenn sie ihrer koreanischen Familie begegnet, womit sie selbst jenseits der kulturellen Differenzen überfordert ist.

Freddie ist eine der interessantesten Figuren, die ich seit langem im Film gesehen habe, die immer wieder Veränderungen durchmacht, neue Identitäten ausprobiert, ohne wirklich eine zu finden, die passt.

Die Zeitsprünge in der Handlung sind ebenfalls herausfordernd, erschließen sich nicht direkt, bleiben aber sinnvoll. Der Film trifft Entscheidungen und hat Ansätze, die es in einem Hollywoodfilm so nie geben würde, was ihn auch so faszinierend macht.

Im Prinzip ist der Retour à Séoul wie ein Gegenstück zum leisen und nüchtern erzählten Past Lives (hat die Liste ganz knapp verpasst), auch wenn es dort um ein ganz anderes Thema geht. Der aber trotzdem großartige subtile und poetische Momente hat. Und wunderschön gefilmt ist. Ein toller Film über die Widersprüchlichkeit und Ambivalenz von Menschen, und die Belastung, die die Suche nach Identität mit sich bringen kann.

Retour à Séoul vom kambodschanisch-französischen Regisseur Davy Chou basiert auf dem Leben von Laure Badufle, die er 2011 zu ihrem Treffen mit ihren biologischen Eltern in Südkorea begleitete.

Mark Kermode hatte den Film vor sieben Monaten empfohlen und ich habe mir den Titel gemerkt, bis ich ihn kürzlich im 99-Cent-Angebot von Prime entdeckte. Hier seine Besprechung, da er die Begeisterung für den Film viel besser vermitteln kann als ich.

Bemerkungen

Was auffällt: Kein Film aus Deutschland dabei, keiner aus Hollywood, mit Judy Blume Forever nur eine Produktion aus den USA. Japan ist stark vertreten, weil ich aktuell einen starken Fokus auf japanischen Filmen habe, eigentlich hätte auch noch Like Father, Like Son auf die Liste gemusst. Und M – eine Stadt sucht einen Mörder, den ich dieses Jahr tatsächlich zum ersten Mal gesehen habe. Irgendwie auch bezeichnend, dass der einzige deutsche Film der es auf die Liste hätte schaffen können, von 1931 ist.

Von 165 Filmen, die ich 2023 gesehen habe, stammen nur vier aus Deutschland. Aber Heikos Welt war dann doch nur mittelprächtig und Gugelhupfgeschwader erwähne ich lieber gar nicht. Rheingold war zumindest ganz in Ordnung. Und Sonne und Beton will ich noch sehen. Immerhin habe ich zwei Filme mit Franz Rogowski (Freaks Out u. Passages) und einen mit Sandra Hüller (Brownian Movement) gesehen, sind aber alles keine Deutschen.

Oppenheimer werde ich mir erst an Silvester ansehen, aber der taucht ja auch schon in genügend Jahresbestenlisten auf. Gleiches gilt für Killers of the Flowers Moon, da hat es immerhin die Buchvorlage in meine Top 10 geschafft.

Für mehr Hollywood könnt ihr zum Beispiel bei David Hain vorbeischauen, dessen Filmkritiken ich mir sehr gerne ansehe, auch wenn ich nicht immer einer Meinung mit ihm bin. Er hat z. B. Freaks Out auf der Liste, und der ist auch ziemlich gut, aber ich habe inzwischen Schwierigkeiten mit Filmen, die den 2. Weltkrieg und die Nazis einfach als Kulisse für eine coole Inszenierung benutzen.

Der Junge und der Reiher habe ich auch noch nicht gesehen, und vermeide bisher jegliche Trailer und Kritiken dazu. Wenn er ins Heimkino kommt, möchte ich ihn so sehen wie die japanischen Zuschauer*innen, also ganz ohne Infos darüber.

Besonders erwähnen möchte ich noch Nimona, ein Film, der wirklich frischen Wind ins Animations-Genre gebracht hat. Bezeichnend, dass Disney ihn mitten in der Produktion (zwei Drittel waren schon fertig) gecancelt hat, und toll, dass Netflix ihn übernommen hat.

Meine Woche 15.12.2023: Frieren! Filme und Fantasy 2024

Meine Woche in Filmen, Serien, Musik, Artikeln, Youtube-Videos und privaten Dingen. Die schönste Anime-Serie seit Langem, die interessantesten Fantasybuchneuerscheinungen 2024, ein paar okaye Filme und mein Hörspielfrust.

Kollage aus drei Bildern. Links groß: die DVD-Box von "The Tatami Galaxy", rechts klein oben: ein Sceenshot aus der Serie Frieren, auf dem die Heldengruppe mit dem Rücken zu uns vor einem Sternenhimmel steht. Von links nach rechts: die Elfe Frieren, der Krieger Himmel, der Priester Heiter und der Zerg Eisen.
Auf dem Bild unten sehen die drei Gefährten zu, wie Frieren mit einem Koffer in derHand sich auf einer Brücke auf eine Reise begibt

In dieser wöchentlichen Rubrik werdet ihr wenig zu negativen Themen finden. Ich lese natürlich viele Artikel, Tweets, Posts und Threads zu aktuellen Krisen wie der Situation in Israel/Palästina, in der Ukraine, die Corona-Lage usw. Aber mit den ganzen schlimmen Nachrichten werden wir schon überall bombardiert. Links und Empfehlungen zu solchen Themen gebe ich hier nur stark dosiert, wenn mir was wirklich Gutes mit wichtigen Hintergrundinfos begegnet, was einen Ansatz hat, der noch nicht so verbreitet ist. Ansonsten setze ich hier mehr auf Unterhaltung, mit Tipps, die hoffentlich dazu beitragen können, dass bei einigen von euch die Freizeitgestaltung bereichert wird.

Aber warum überhaupt Wochenrückblicke. Die meisten Menschen sind froh, wenn die Woche rum ist – also zumindest die Arbeitswoche, denn wenn die komplette Woche vorbei ist, ist wieder Montag, und das Hamsterrad geht in die nächste Runde. Ich hatte auch schon Jobs, zu deren integralem Bestandteil die Vorfreude aufs Wochenende gehörte, quasi als Überlebensstrategie. Seit ich Freiberufler bin, hat sich das geändert, in der ersten Jahreshälfte habe ich auch viel am Wochenende gearbeitet, normalerweise versuche ich mich aber an eine Fünftagewoche zu halten, eben, damit ich mich aufs Wochenende freuen kann.

So viel Aufregendes passiert bei mir die Woche über aber nicht, weshalb ich hier vor allem auf meinen Medienkonsum eingehe und hoffe, ein paar interessante Tipps geben zu können.

Doku

Traumziele Südostasiens (1/2): Die Philippinen und Vietnam sowie (2/2): Von Myanmar bis Thailand

Zweiteilige australische Doku, die diese Länder in wunderschönen Bildern einfängt. Es ist eine Mischung aus Landschafts- und Tierdoku sowie Kulturreportage, wobei zwar Menschen gezeigt, aber nicht weiter vorgestellt werden. Ich habe schon viele Dokus über die Region gesehen, trotzdem werden hier Sachen gezeigt, die ich noch nicht kannte. Traumziel trifft es durchaus, wobei es vielleicht einen Tick zu sehr auf Urlaubspostertapete setzt und wir nicht so viel über die lokalen Kulturen lernen.

3sat-Mediathek

Youtube

CHANEL 2022/23 Métiers d’art Collection – A Film by Mati Diop

Das ist eigentlich nur ein Werbevideo für Chanel von Mati Diop mit Mama Sané (beide Atlantique, toller Film übrigens), der Tokyo aber in wirklich schönen Bildern zeigt. Hat eine tolle Atmosphäre (danke für den Tipp, Jochen).

SFF180 ⚔️ Anticipated Fantasy 2024

Und hier noch (siehe letzte Woche) die Neuerscheinungen 2024 Fantasy. The City of Stardust von Georgia Summers hat auf jeden Fall ein Cover, das auffällt, scheint ansonsten typische Urban Fantasy zu sein, habe ich mir aber mal vorgemerkt. Mit The Tainted Cup erscheint ein neues Werk von Robert Jackson Bennett, das ganz interessant klingt.

The Book of Doors von Gareth Brown hatte ich begutachtet und empfohlen, wir haben versucht, es zu kaufen, aber Heyne ist uns ein paar Stunden zuvor gekommen (und das nur, weil bei uns Vertretekonferenz im Haus war). Wird dort als Das Buch der tausend Türen im August erscheinen. Ist kein Buch, das mich privat groß begeistern würde, für das ich aber eine große Zielgruppe sehe, zumal es zwar relativ seicht ist, aber auch sehr flott, unterhaltsam und ohne ein Gramm Fett auf den Punkt geschrieben ist. Bin gespannt, wie es bei Heyne laufen wird.

Das Cover zu James Logans The Silver Blood Promise sieht stark nach Stephan Martinière (stammt aber von Jeff Brown, wie ich inzwischen recherchiert habe) , und genau solch opulenten, epischen Titelillustrationen liebe ich auf Fantasybüchern. Aber leider sind sie sehr selten geworden. Allein deswegen werde ich mir das Buch vermutlich in der gedruckten Fassung kaufen, einfach, um die Covergestaltung zu belohnen.

Und mit One Hundred Shadow von Hwan Jungeun gibt es auch die obligatorische Fantasy aus Südkorea (in englischer Übersetzung). Ist aber wohl Urban Fantasy in unserer Zeit.

Mit I’m Afraid You Got Dragons ist auch ein neues Buch von Peter S. Beagle dabei.

Ansonsten notiert habe ich mir noch:

  • Projeclions von S. E. Porter (soll Richtung Mieviélle und VanderMeer gehen)
  • Gogmagog von Jeff Noon und Steve Beard
  • The Dead Cat Tail Assassins von P. Djéli Clark (dürfte den Preis für den originellsten Titel in der Liste gewinnen)
  • Goddess of the River von Vaishnavi Patel

Meine Lektüre

Seventeen | Hideo Yokoyama

E-Book-Cover des Romans "Seventeen" auf einem farbigen Tablet angezeigt.

Meine kurze Besprechung von Hideo Yokoyamas Roman Seventeen, einer gelungenen Ode an den Wert von gutem investigativem Lokaljournalismus, geschildert an der Berichterstattung über einen großen Flugzeugabsturz in der Provinz.

Artikel

Ich habe diese Woche noch mal meine Wochenrückblicke vom Dezember 2022 gelesen und festgestellt, dass die Bandbreite der dort verlinkten und kommentierten Artikel viel größer war als in den letzten Ausgaben. Das dürfte wohl damit zusammenhängen, dass ich meinen Twitter-Account gelöscht habe und meine Vernetzung auf Bluesky und Mastodon noch nicht so vielfältig ist, dass sie mir so vielseitige Themen in die Timeline spült. Daran muss ich noch arbeiten.

The Best Movies of 2023, According to John Waters

When most people hear my name, they think of the city of Baltimore, where I still live. But few know I have kept a secret apartment in New York City for over three decades. Why? To see fucked-up foreign movies with frontal nudity — that’s why.

Schreibt John Waters als Einleitung zu seinen zehn besten Filmen 2023. Einen besseren Grund für eine Wohnung in New York kann ich mir kaum vorstellen. Ein vielfältiges Kinoprogramm wäre tatsächlich auch einer der Gründe, warum ich gerne wieder nach Berlin ziehen würde (wenn es denn erschwinglich und möglich wäre). Gesehen habe ich von den Filmen bisher nur Master Gardener (siehe weiter unten).

Serien

Wie oben erwähnt, habe ich mir noch mal meine Wochenrückblicke von vor einem Jahr angesehen. Damals hatte ich viel Spaß mit den japanischen Serien First Love und Sumo Do, Sumo Don’t. So eine Serie fehlt mir dieses Jahr. Klar Frieren (siehe unten), aber eine Slice-of-Life-Realserie wäre schön. Kürzlich habe ich mit der Anwaltsserie Ishiko & Haneo angefangen, aber da fehlt das gewisse Etwas. Die Mischung aus Comedy, Drama und ambitionierter Inszenierung passt nicht so ganz zu den cheesigen Anteilen.

Frieren

Eine Elfenmagierin, ein Priester, ein Zwergenkrieger und ein Paladin retten die Welt vor einem Dämonenlord. Und dann geht die Serie los. Sie kehren zurück, werden als Helden gefeiert und gehen ihrer Wege. Elfenmagierin Frieren ist unsterblich und hat ein anderes Zeitgefühl. Als sie nach einer kurzen Reise zurückkehrt, sind ihre Gefährten alte Männer geworden. Und bald stirbt der erste. Um Priester Himmel einen Gefallen zu tun, nimmt sie sich der magischen Ausbildung seines Mündels Fern. Und so reisen die beiden durch die Welt, erfüllen Aufträge, wachsen an ihrer Reise und sammeln eine neue Gruppe um sich.

Frieren ist eine wunderschön animierte und sehr ruhig inszenierte Serie, deren Poesie in der Langsamkeit und dem unterschiedlichen Zeitempfinden liegt. Frieren reflektiert über die Abenteuer mit ihren Gefährten, die wir in kurzen Rückblenden zu sehen bekommen, und versucht daraus zu lernen. Normalerweise liegt der Schwerpunkt solcher Anime-Serien auf Kämpfen, nicht so bei Frieren. Und allein das ist im Fantasygenre schon eine angenehme Abwechslung (und eine Isekai-Serie ist es auch nicht).

Fun Fact, die Figuren wie Himmel, Eisen oder Heiter heißen auch in der japanischen Originalfassung so und die Namen entsprechen teils ihren Eigenschaften. Da könnt ihr euch wohl selbst ausmalen, ob Baron Lügen zu trauen ist.

Die Serie hat mich so begeistert, dass ich nächste Woche (ich habe Urlaub) vielleicht einen längeren Artikel zu ihr schreiben werden, denn für mich ist das eine der besten Fantasyserien aller Zeiten, auch wenn bisher erst 14 Folgen erschienen sind. Die andere Hälfte der 1. Staffel soll wohl irgendwann in den nächsten sechs Monaten erscheinen.

Filme

Sommerblüten (Higanbana, 1958)

Der Film beginnt mit einer Hochzeit aus Liebe, was einer der Redner, unser Protagonist und älterer Geschäftsführer, sehr begrüßt. Auch wenn jüngere Frauen aus dem Familienumfeld seinen Rat suchen, gibt er sich locker und unterstützt sie in ihren unabhängigen Entscheidungen. Aber bei der eigenen Tochter hört der Spaß auf. Da ist er strickt gegen Setsukos Heirat mit Herrn Taneguchi – einfach, weil er ihn nicht kennt und nicht selbst ausgesucht hat. Der Film arbeitet gut heraus, dass es hier nicht um väterliche Liebe oder gesellschaftliche Konventionen geht, sondern um Kontrolle. Der Vater möchte weiterhin Kontrolle über seine Tochter ausüben, und die Kontrolle nur an einen von ihm auserwählten Nachfolger übertragen. Der Film ist am Ende aber deutlich versöhnlicher als andere Filme von Ozu, wie z. B. Später Frühling, und enthält auch einige feine Beobachtungen, was den Umgang von Menschen aus unterschiedlichen sozialen Stellungen miteinander angeht.

Arte-Mediathek

Master Gardener

Der aktuelle Film von Paul Schrader über einen Gärtnermeister mit einer Nazi-History-of-Violence, der der Großnichte seiner Chefin hilft, ihr Leben auf die Reihe zu bekommen und den Drogen abzuschwören. Eigentlich ein schöner Film, der mir aber trotzdem Bauchschmerzen bereitet. Denn die Großnichte, Maya, ist Schwarz und Anfang 20 und ihr Vorgesetzter, der sich eigentlich um ihre Ausbildung kümmern soll, mindestens Mitte bis Ende 40 und hat noch immer riesige Hakenkreuztattoos auf dem Rücken. Das Verhältnis ist also mehr als unangemessen. Klar, er hilft ihr tatsächlich, nutzt ihre Verletzlichkeit aber auch aus. Wirkt ein wenig wie eine Altherrenfantasie, in der es einen ehemaligen Nazi braucht, um die junge Schwarze Frau vor den bösen Drogendealern zu retten. Einige Handlungsverläufe sind auch nicht wirklich stimmig und insgesamt ist der Plot eher schwach geschrieben, wenn auch mit guten Ansätzen. Mit dem ganzen Landschaftsgärtnerkonzept hätte Schrader da etwas Peter-Strickland-Entrücktes draus machen können, beschränkt sich dann aber auf zu simpel und langweilig gestrickte Plotlines.

Leo

Eine Art indisches Remake von A History of Violence, in der natürlich getanzt wird, wenn auch nur einmal, dafür aber lange. Ansonsten ist die Geschichte recht wirr und nicht immer ganz logisch, das Schauspiel eher mittelprächtig, Actionszenen zu CGI lastig, dafür die Kämpfe richtig gut choreografiert. Trotz Überlänge eigentlich nie langweilig und zur Abwechslung mal in einem verschneiten Teil von Indien gedreht. Die Originalfassung ist übrigens Tamil, nicht Hindi oder Teluga, die auch bei Netflix in der Suche angezeigt werden.

Netflix

Hörspiel (Frust)

Ich bin Kassettenkind, mit den ???, Fünf Freunden und TKKG aufgewachsen, höre inzwischen aber auch gerne komplexe, anspruchsvolle Hörspiele für Erwachsene. Neue Hörspiele höre ich am liebsten in der Badewanne. Baden gehe ich nur in der kalten Jahreszeit, in diesem Jahr – aufgrund des warmen Oktobers – also erst von November an (vermutlich bis Ende März), einmal die Woche. Und jedes Jahr habe ich so ein, zwei Hörspielserien, die ich mir dabei besonders gerne anhöre. In den letzten Jahren waren das z. B. Kai Meyers Imperator (eingestellt nach zwei Staffeln), Die sieben Siegel (ebenso) oder Die jutten Sitten (siehe hier).

Dieses Jahr fehlt mir das. Meinem Eindruck nach erscheinen nur noch die xten Varianten von bekannten Marken wie Sherlock Holmes oder Lovecraft und Horror/Gruselhörspiele mit abgeschlossenen Folgen in Anthologieform (siehe Gruselkabinett).

Was mir fehlt, ist ein wirklich ambitionierte, groß angelegte Serie mit zusammenhängender Handlung, die Komplex und vielseitig aufgebaut ist. Wie z. B. Gabriel Burns oder Die schwarze Sonne.

Das Geld wird inzwischen im Streamingbereich verdient (weil niemand mehr CDs oder digitale Downloads kauft), und da verdient es sich am besten, indem große Mengen an Content rausgehauen werden. Bei manchen (teils großen) Labels ist das die Geschäftspolitik. Und bei dieser großen Menge an Content leidet leider die Qualität der einzelnen Folgen, zumindest entspricht sie meist nicht dem, was ich von Hörspielen erwarte.

So ein bisschen in die Breche, was ambitionierte Hörspiele angeht, springen die öffentlich-rechtlichen Rundfunksender. Ich denke da an Hörspiele wie Ursula K. Le Guins Erdsee, Cixin Lius Die drei Sonnen oder im letzten Jahr Mia Insomnia (wovon gerade die zweite Staffel erschienen ist). Und Macher von Die drei Sonnen sitzen gerade an der Umsetzung eines ganz tollen deutschsprachigen Science-Fiction-Romans, auf die ich schon sehr gespannt bin. Da mir das im Vertrauen erzählt wurde, darf ich aber noch nichts über den Titel verraten.

Wie auch immer, ich habe zwar den Eindruck, dass im kommerziellen Bereich mehr Hörspiele denn je erscheinen, auch jenseits der drei Fragezeichen, aber irgendwie nicht mehr in der Qualität wie zu Beginn der 2000er-Jahre, nicht mehr mit den Ambitionen, die Labels wie Decision Products mit Volker Sassenberg oder Lausch mit Günther Merlau an den Tag legten.

Trailer

Civil War

Kaum ist Ron Swanson Präsident, schon bricht Bürgerkrieg aus. Grusliger Trailer zum neuen Film von Alex Garland, produziert von A24, sieht aber ziemlich aufwendig aus. Angesicht der Präsidentschaftswahl 2024 mit einer drohenden Wiederwahl von Donald Trump vielleicht ein bisschen zu hart an der möglichen Realität.

Worüber ich mich freue

  • Ich war diese Woche beim Zahnarzt. Nur die übliche Routinekontrolle plus Zahnreinigung, möchte aber mal erwähnen, was für eine superorganisierte Praxis das ist. Das Wartezimmer fühlt sich wie ein Wohnzimmer an, mit hoher Decke, weitläufig und fließendem Übergang zum Eingangsbereich, statt unbequemer Stühle gibt es Sessel und Sofas – auf denen ich aber nie lange sitze, da ich fast immer pünktlich drankomme und auch im Behandlungszimmer nie lange warten muss. Fachlich scheint da auch alles Top zu sein, die Technik ist auf dem allerneuesten Stand.
  • Dass ich jetzt zwei Wochen Urlaub habe. Neben einigen Serien und Filmen, die ich schauen möchte, und dem Elric-Band, bei dem mir noch die Hälfte fehlt, hoffe ich, auch mal wieder etwas am Computer zocken zu können. Das habe ich schon seit fast einem Jahr nicht mehr.

Worüber ich mich nicht so gefreut habe

Das war schon vorletzte Woche, aber ich hatte vergessen, es zu erwähnen. Ich habe fünf Kästen Brohler-Mineralwasser zu meinem Getränkeladen zurückgebracht, um diese zu reklamieren. Das Wasser hatte einen fiesen Beigeschmack, chemisch, wie Desinfektionsmittel, fast wie beim Zahnarzt. Ungenießbar. Ich habe Stichproben aus allen fünf Kästen genommen, mit dem immer gleichen Ergebnis. Die Flaschen hatten alle die gleiche Abfüllzeit. Der sechste Kasten wurde eine Stunde früher abgefüllt und hat ganz normal geschmeckt. Die Kästen wurden anstandslos zurückgenommen (keine Ahnung, ob sich sonst noch wer beschwert hat), jetzt trinken wir erstmal Gerolsteiner.

Neu im Regal

The Tatami Galaxy

The Tatami Galaxy ist eine Anime-Serie, die in der gleichen (wenn auch leicht parallelen) Welt wie Time Machine Blues und Night is Short, Walk on Girl spielt. Gleiche Figuren, gleiches Setting (Studentenwohnheim, aber leicht variiert. Time Machine Blues habe ich hier besprochen, eine der besten SF- und Animeserien der letzten Jahre. Der Film Night is Short hat eine unglaublich tolle Atmosphäre. Beim Japanisch lernen dürfte mir die Serie nicht wirklich helfen, schon in der ersten Folge spricht Ich-Erzähler Watashi so schnell, als würde ich auf Youtube die linke Maustaste gedrückt halten. Da komme ich sogar kaum mit den Untertiteln mit. Trotzdem tolle Serie.

Foto der DVD-Box von "The Tatami Galaxy" aufrecht stehend auf einem Schreibtisch. Im Hintergrund leicht unscharft die DVD zu "Night is Short, Walk on Girl".

Meine Woche 22.04.2023: Kobalt, Clerks und Chaos City Wrestling

Arte berichtet vom Kobaltabbau im Kongo und einer Berliner Wrestlingliga; die PC Games erzählt, wie Lootboxen enstanden und warum sie gefährlich sind; Einfach Japanisch, warum der Film Suzume für Betroffene der Dreifachkatastrophe schwierig ist. Jeff VanderMeer, warum uns die Climate-Fiction nicht retten wird und Alessandra Reß über eine Science-Fiction-Ausstellung in London. Als Filmtipps gibt es von mir Der schlimmste Mensch der Welt, Exiled und Clerks 3 sowie die Serie Beef. Dazu Musik von Tori Amos.

Was die Woche ganz allgemein angeht, finde ich es erschreckend, wie stark die Kriminalisierung von Klimaprotesten voranschreitet. Die jüngsten Urteile haben gezeigt, dass sie vor allem politischer Natur sind. Gleichzeitig torpediert unsere eigene Regierung weiter fleißig den Klimaschutz und der Justizminister glänzt mit Nazivergleichen (und Verharmlosungen). Meiner Meinung nach müssten die Grünen aus der Koalition austreten, denn die wahren Extremisten sitzen im Verkehrsministerium, im Finanzministerium und im Kanzleramt.

Doku

„Kobalt, die dunkle Seite der Energiewende“

Sehr gute Doku in der Arte-Mediathek darüber, wo das Kobalt herkommt, das in unseren Batterien und Akkus steckt, unter welchen Bedingungen es abgebaut wird und welche Auswirkungen das auf jene Menschen hat, die es abbauen, die in der Nähe der Mienen leben und auf die Umwelt – und das sind keine guten. Während die Profite von wenigen großen Konzernen sowie korrupten Funktionären und Politikern eingestrichen werden. Schön ist, dass auch Alternativen zum Kobalt angesprochen werden. Das ist alles schon lange bekannt, aber aufgrund des rapide steigenden Bedarfs durch E-Autos und Digitalisierung ist es wichtig, dass das Thema präsent bleibt, um Alternativen zu erarbeiten und durchzusetzen, damit sich die Lage der Menschen verbessert.

Chaos City Wrestling

Ebenfalls in der Arte-Mediathek. Das ist im Prinzip eine deutsche Version von Monster Factory (hier meine Besprechung) über die German Wrestling Federation aus Berlin und einige Menschen, die dort trainieren und im Wrestling ihre Erfüllung finden. Sind allerdings nur drei halbstündige Folgen, trotzdem gelingt es ganz gut, ein Porträt der jungen, aufstrebenden Wrestler*innen zu vermitteln. Insgesamt hätte es aber ruhig noch etwas mehr Hintergründe zum aktuellen Stand des Sports in Deutschland und Europa geben könne

Youtube

Einfach japanisch über den Anime „Suzume“ und das große Erdbeben

Hirofumi Yamada, vom sehr empfehlenswerten Kanal Einfach Japanisch, schildert, worum es im gerade in deutschen im Kinos angelaufenen Anime-Film Suzume von Makoto Shinkai (Your Name) geht. Und, wie er den Film als jemand empfunden hat, der bei dem großen Erdbebenvon 2011 (die Dreifachkatastrophe, zu der auch der Tsunami und der Reaktorunfall von Fukushima gehören) genau im Epizentrum dabei war. Zum einen zeigt er, wie viel in dem Film steckt, erwähnt aber auch, warum gerade das phantastische Element durchaus problematisch ist. Finde stark, dass er das Video veröffentlicht hat, obwohl ihm anzumerken ist, wie schwer es ihm fällt, darüber zu reden.

PC Games über Lootboxen und Glückspielmechnismen in Computer- und Videospielen

In einem sehr guten einstündigen Video erklärt die Redaktion der PC Games die Geschichte der Lootboxen in Computerspielen und zeigt, welche teils perfiden Methoden dahinterstecken, die den Publishern Unmengen an Geld in die Kassen spült, (meist) junge Menschen und teils Kinder aber davon abhängig machen und abzocken. In vielen Ländern sind solche Methoden inzwischen als Glücksspiel verboten.

Artikel

„Climate Fiction Won’t Save Us“

Jeff VanderMeer darüber, warum uns die Climate Fiction nicht retten wird. Mit Veniss Underground (gerade in Neuausgabe auf Deutsch erschienen) hat er bereits 2003 über die Klimakrise geschrieben, ist mit Literatur dazu aber auch selbst aufgewachsen, mit Autor*innen wie Ursula K. Le Guin, John Brunner und Frank Herbert. Wobei er eher ein Problem mit dem Begriff selbst zu haben scheint und unserer Erwartungshaltung an Cli-Fi. Ein langer und ausführlicher aber auch sehr interessanter Artikel, in dem VanderMeer auf viele interessante Bücher eingeht. Sehr schön der Satz zu seiner Tochter, die sich nicht um Hoffnung kümmere, sondern um Lösungen.

Ausstellungsbericht: Science Fiction – Voyage to the Edge of Imagination

Alessandra Reß hat in London die Ausstellung Science Fiction: Voyage to the Edge of Imagination besucht und berichtet auf ihrem Blog davon. Sie hatte ein wenig Schwierigkeiten, die Zielgruppe der Ausstellung auszumachen, fand aber gegen Ende doch Gefallen, als es um Klimawandel ging.

„Schreiben kann man lernen“

Und noch kurzfristig eingeschoben, ein Artikel von Sören Heim, der erklärt, warum man Schreiben lernen könne und sich fragt, wo der Dünkel gegen das „Erlernen“ von Kunst herkommt. Meine spontanen Vermutungen sind ja Geniekult und weißes, patriarchales Gatekeeping.

Serie

Beef

Nach dem Trailer hatte ich eher rabiate Road-Rage-Revenge á la Spurwechsel erwartet, in der ein eigentlich belangloser Vorfall völlig unnötig eskaliert, was auch passiert, hinzu kommt aber ein vielschichtiges Porträt verschiedener Asian Americans, das sich aber nicht zu sehr auf die ethische Herkunft konzentriert, sondern vor allem auf die persönliche Entwicklung und die Beziehungsmuster untereinander. Eine richtig gute Serie mit tollen Leistungen von Ali Wong und Steven Yeun.

Mein Blog

Warum manche Bücher verfilmt werden sollten

Kürzlich habe ich darüber geschrieben, dass ich meine Lieblingsbücher nicht verfilmt sehen möchte. Heute mache ich mal was Gegenteiliges und behaupte, manche Bücher müssen einfach verfilmt werden.

Musik

Mein Album der Woche

Den Beitrag zu From the Choirgirl Hotel von Tori Amos habe ich ausgegliedert, weil er zu lang geworden ist. Möchte aber noch ergänzen, dass ich das Album seit vorgestern noch zweimal gehört habe und es mit jedem Mal noch besser wird. Aufgefallen ist mir noch, wie jazz- und blueslastig manche Songs sind.

Film

Der schlimmste Mensch der Welt

Ui, der Film hat mich überrascht. Habe zwar einen guten Film erwartet, aber nicht so eine interessante Mischung. Am Anfang nimmt er noch die üblichen Beziehungsmuster mit provokanten und gekonnten Regieeinfällen auseinander, im letzten Drittel bekommt er richtig Tiefgang und wird bittersüß emotional. Über eine junge Frau, die das Gefühl hat, nichts wirklich zu Ende zu bringen, und ständig zu was Neuem zu wechseln (kommt mir bekannt vor).

Clerks 3

Ich bin Clerks-Fan der ersten Stunde, habe den ersten Teil ca. 1995 OmU auf einem der dritten Kanäle auf VHS aufgenommen und seit dem mehrfach gesehen. Das war damals eine arschcoole Indie-Slacker-Komödie. Teil 2 2006 fand ich nicht so gut, habe ihn aber insgesamt auch nur einmal gesehen, Keine Ahnung, wie er mir heute gefallen würde. Chasing Amy, der lange zu meinen Lieblingsfilmen gehörte, hat mir bei der letzten Sichtung gar nicht mehr so gut gefallen. Und über die Jay-und-Silent-Bob-Filme hülle ich den Mantel des Schweigens.

Nach dem Trailer hatte ich von Clerks 3 das Schlimmste erwartet, vor allem, was die selbstironischen Meta-Referenz angeht. Und irgendwie ist es auch Midlife-Crisis der Film geworden, aber die Referenzen verteilen sich zum Glück in erträglichen Dosen über die gesamte Länge. Der Film ist so lange gut, bis das erste Mal gesprochen wird. Der Humor ist mir teils zu infantil, weil er sich seit 1994 nicht weiterentwickelt hat (und das NFTs als Thema durch sind, merkt man, wenn Kevin Smith Gags darüber macht). Den Film zu sehen, ist wie unter einer Gruppe von Kumpels mittleren Alters zu sitzen, die davon erzählen, wie toll es früher einmal war und über die immergleichen Insiderwitze lachen. Wie erträglich das ist, hängt davon ab, ob man damals selbst dabei war. Aber selbst dann, konnte ich nur gelegentlich mal schmunzeln. Nicht so schlimm wie befürchtet, aber die Luft ist raus. Die Cinema-Paradiso-Hommage am Ende hat mir aber gut gefallen.

Exiled

Klassischer Jonnie-To-Shooter über fünf Freunde, die zusammen in einer Gang in Hongkong ausgewachsen sind, jetzt vier von ihnen aber den fünften im Auftrag des Bosses umbringen sollen, stattdessen aber seiner Frau und Tochter helfen wollen, was furchtbar in die Hose geht. Wohl der wooigste Film von To, mit vielen eleganten Einstellungen und Shoot-Outs, die aber bis auf die Getränkedosen-Szenen erstaunlich realistisch daherkommen, mit all dem organisierten Chaos. Kritisieren könnte ich, dass es eigentlich nur eine Aneinanderreihung von Schießereien in der schicken postkolonialistischen Kulisse von Macau ist, und die Hintergrundgeschichte der Fünf sich auf ein mehrfach eingeblendetes Foto beschränkt. Mach ich aber nicht. Im Prinzip ein moderner Western.

Fotos der Woche

Dieser Bussard ist regelmäßiger Gast auf dem Sportplatz direkt nebenan. Wenn ich an meinem Schreibtisch sitze, kann ich seinen Schrei oft am Himmel hören. Manchmal legt er sich mit den Krähen an.

Raubvogel in Nahaufnahme. Steht auf dem Gras einers Sportplatzes. Den Kopf erhoben nach rechts schauend (von uns aus).

Ein Sonnenuntergang diese Woche. Das Bild ist nicht bearbeitet, die Farben waren wirklich so toll und intensiv.

Die Sonne, kurz vor dem Untergang, versteckt sich hinter einen schmalen und löchrigen schwarzen Wolkenband, der Himmel ring herum ist in einem goldenen Gelb erleuchtet.

Und an alle, die zur Leipziger Buchmesse fahre: Viel Spaß und Erfolg, und bleibt gesund!

Meine Woche 16.04.2023: Täterorganisation katholische Kirche, Hellraiser, Babel u. Babylon

In meinem aktuellen Wochenrückblick stelle ich eine Doku vor, die zeigt, wie kriminell die katholische Kirche ist; schwärme von der Anime-Serie Time Machine Blues, entdecke meine Liebe zur Musik von Tori Amos wieder; zeige mich wenig begeistert vom neuen Hellraiser und erzähle, was ich beruflich diese Woche gemacht habe. Und vieles mehr.

Doku

Schweigen und Vertuschen: Die Todsünden der katholischen Kirche

Eine Dokumentation in der Arte-Mediathek, die Klartext redet. Die zeigt, was die katholische Kirche wirklich ist: Eine kriminelle Vereinigung, die Kindesmissbrauch und Vergewaltigung organisiert, ermöglicht, vertuscht, abwiegelt und die Täter schützt, wenn es doch rauskommt. Während die Opfer wie der letzte Dreck behandelt werden. In Millionen von Fällen, allein 330.000 in Frankreich seit 1950. Die Äußerungen der Kirchenoffiziellen, die in der Doku zu Wort kommen, allen voran Kardinal Marx, zeigen, dass es keine Einsicht gibt, keinen Willen, etwas am System zu ändern. Wer nach all den Enthüllungen und den stets skandalösen Reaktionen der Kirche darauf immer noch Mitglieder bei dieser Organisation ist, unterstützt dieses System ganz bewusst.

Die Täter werden geschützt, die Opfer alleine gelassen. Zukünftige Taten nicht verhindert. Der katholischen Kirche geht es nicht um Nächstenliebe oder Wohltätigkeit, sie besteht allein für den Klerus und dessen Privilegien und Macht. Unterstützt wird sie dabei weiterhin von Politik und Justiz, die tatenlos zusehen und eher noch Beihilfe leisten.

Artikel

The High Cost of Silence: Why Japan Shuts Up Victims of Sexual Abuse

Yuko Tamura darüber, wie in Japan Opfer von sexuellem Missbrauch und sexueller Belästigung zum Schweigen gebracht werden. Sie bezieht sich dabei auf eine Dokumentation der BBC über den Fall Johnny Kitagawa. Bloß keine Missstände und Probleme ansprechen. Lieber schweigen. Leider eine in Japan (und nicht nur dort) noch weitverbreitete Einstellung, die verhindert, dass sich in Zukunft etwas daran ändert. Der Artikel zeigt auch, welche Mechanismen im japanischen Journalismus leider immer noch greifen.

Fans vs. KI

Bei Kotaku gibt es einen interessanten Artikel von Sisi Jiang (Fans Are Already Revolting Against AI That Make Their Games Feel Cheap And Soulless) über chinesische Computerspieler, die sich über Games beschweren, die mit KI-Artwork gestaltet wurden, das in ihren Augen seelenlos und billig aussieht. Chinesische Spielefirmen sind wohl schon fleißig dabei, menschliche Künstler durch KI-Programme wie Midjourny und Dall_E zu ersetzen (70% Auftragsrückgang). Bekomme ich mit, dass so etwas bei einem Spiel, Buchcover usw. genutzt wird, werde ich mir das Produkt nicht kaufen. Ich freue mich sehr über die Fortschritte die in Sachen KI in Bereichen wie der Medizin und anderen Forschungsgebieten erreicht werden können, aber wenn es darum geht, menschliche Kreativität zu ersetzen, bin ich ganz auf Boycott eingestellt.

Als Übersetzer bin ich davon auch direkt betroffen. Eine befreundete Übersetzerin tweetete diese Woche, dass eine ihrer Stammauftraggeberinnen zu einer billigeren Übersetzerin für die Buch-Serie gewechselt ist, die 3 Euro! pro Normseite nimmt. Das Durchschnittshonorar liegt laut Verband der Übersetzer bei 18 Euro, bei uns im Genre wohl eher bei 13 bis 15 Euro. Und das ist schon viel zu niedrig. Bei 3 Euro wird das garantiert nur eine Deep-L-Übersetzung, über die die „Übersetzerin“ noch mal kurz drüber schaut. 3 Euro sind nämlich eher ein Lektorats-Honorar (aber auch da schon arg niedrig). Ist mir ein Rätsel, warum Menschen sich selbst so ausbeuten und warum Autor*innen (oder Verlage) sich mit so einer billigen Arbeit zufriedengeben, die garantiert nicht der Vorlage gerecht wird.

Youtube

SFF180 Into the Hailey Piperverse: 3 Transcendent Tales

Thomas Wagner von SFF 180 stellt drei Werke der amerikanischen Autorin Haily Piper vor. Wagner ist aktuell so ziemlich mein liebster Rezensent, was Phantastikbücher angeht, er bringt die Essenz des jeweiligen Werkes genau auf den Punkt und erklärt nachvollziehbar, warum ihm etwas gefallen hat oder nicht. Von Piper hat er auch schon das superinteressante Queen of Teeth besprochen. Ich habe von ihr bisher nur The Worm and His Kings bin aber sehr am Rest interssiert, da wir es hier laut Wagner mit einer wirklich außergewöhnlichen Autorin zu tun haben. Ich werde von meiner weiteren Lektüre berichten.

Senpais neue Wohnung in Tokio

Und hier noch was Unterhaltsames. Senpai gibt uns eine Room-Tour durch seine neue Wohnung in Tokio. Die Wohnung ist jetzt nichts Besonderes, hat aber ein paar sehr japanische Eigenheiten, die für alle interessant sein könnten, die noch keine japanische Großstadtwohnung gesehen haben.

Aber wie geil ist denn bitte das Video gemacht. Senpai wird wirklich immer besser und unterhaltsamer.

Serie

Time Machine Blues

Time Machine Blues ist die beste Anime-Serie, die ich seit Langem gesehen habe. Es geht um eine Gruppe Student*innen, die beim Versuch, die Fernbedienung der Klimaanlage zu retten (es ist furchtbar heiß), in einen amüsanten und cleveren Zeitreisekuddelmuddel geraten. Erinnert an den großartigen Film Beyond the Infinite Two Minutes. Spielt in einem Studentenwohnheim in Kyoto, das mich sehr an das reale aus Wonderwall erinnert. Die Figuren sind schön schräg. Die Handlung herrlich albern. Aber die große Stärke der Serie ist der Zeichenstil, der wirklich originell daherkommt, nicht so ein steriler, glatter Hochglanzkarm, wie in vielen aktuellen Anime-Serien. Der hier hat wirklich Charakter. Die Serie stammt aus der Tatami-Galaxy zu dem auch der Film Night Is Short, Walk On Girl gehört, den ich nächste Woche bespreche. Das Ganze basiert auf den Romanen von Tomihiko Morimi (Penguin Highway).

Gibt es bei Disney+.

Filme

Hellraiser (2022)

Gestern auf Paramount+ gesehen. Besser als alles, was nach Teil 2 kam, aber weniger gut, als ich mir erhofft hatte. Bin also eher enttäuscht, gerade, weil ich David Bruckners letzten Film The House at Night so gut, gruselig und vor allem atmosphärisch dicht fand, mit einigen sehr innovativen Einstellungen, die ich so vorher noch nicht gesehen habe. Hellraiser hat gute Ansätze, vor allem das Redesign der Zenobiten ist gelungen, aber insgesamt wirkt er auf mich zu glatt und sauber. So richtig Spannung kommt auch nicht auf. Die Geschichte ist ziemlich vorhersehbar, hält keinerlei Überraschungen parat. Teilweise sehen die Zenobiten auch zu sehr nach Kostüm und Plastik aus, nicht nach Fleisch. Aber Jamie Clayton macht einen guten Job als Pinhead. Auf die Story muss ich gar nicht groß eingehen, junge Leute fummeln am Würfel rum, Ketten mit spitzen Haken fliegen durch die Luft, Fleisch wird zerrissen. Eine sehr beliebige Story, schon x-Mal gesehen (13 Geister lässt grüßen), ohne die Abgründigkeit und die persönlichen Verwicklungen und Konflikte, die denn ersten Teil so besonders gemacht haben. Dort wirkte das Auftauchen der Zenobiten auch viel beeindruckender inszeniert, obwohl Low-Budget und kein CGI.

Der Film ist okay, mehr aber auch nicht.

Babylon

Ich weiß gar nicht, was alle haben, ich fand ihn großartig. Vor allem die erste Stunde ist ein grandios inszenierter mitreißender Rausch. Der Rest fällt im Vergleich etwas ab, was mich aber nicht gestört hat, da es sich ebne um die Ernüchterung nach dem Rausch handelt, die einige der Protagonist*innen wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholt und Raum für ernstere Themen bietet. Klar, ist etwas lang geraten, teils überzogen und plakativ, für mich hat das aber gut zur Thematik gepasst. Bin sonst nicht so der Fan von Hollywood-Filmen über Hollywood, aber die überbordende Opulenz dieses Streifens hat genau meinen Geschmack getroffen. Und der Gag mit Samara Weaving ist klasse. Als ich den Trailer zu Ready or Not gesehen habe, dachte ich auch erst. Häh, ist das Margot Robbie?. Nur die Tobby-McGuire-Passage wirkt auf mich etwas zu schräg, die hätte es so nicht gebraucht. Für weitere Infos verweise ich auf die sehr gelungenen Letterboxd-Kritik von Daniel Schröckert.

Lektüre

Babel | Rebecca F. Kuang

Auf lesenswelt.de habe ich diese Woche Rebecca F. Kuangs Babel: Or the Necessity of Violence besprochen, nicht nur der beste Fantasyroman, den ich seit Jahren gelesen habe, sondern auch einer der wichtigsten. Und eine Liebeserklärung an die Sprache und das Übersetzen.

Die Besprechung ist richtig gut angekommen. So viele Zugriffe hatte ich schon lange nicht mehr. Und bestimmt ein halbes Dutzend Leute hat mir schon geschrieben, dass sie das Buch jetzt aufgrund meiner Rezension kaufen oder endlich anfangen zu lesen, wenn sie es schon hatten. Genau dafür schreibe ich meine Rezis. Und so leicht ist mir schon lange keine mehr gefallen. Die hat sich praktisch von selbst geschrieben. Während der Lektüre kamen mir schon ständig ganze Absätze, die ich dann schnell aufgeschrieben habe, so dass das Meiste schon vor Ende des Buch fertig war. Vier Wordseiten sind es geworden, es hätten auch acht sein, können, bei all den Themen des Buchs, aber eine Rezension sollte auch nicht zu lang werden, sonst verlieren die Leser*innen die Lust, bevor ich zum Fazit komme.

Elric | Michael Moorcock

So wird übrigens die kommende Gesamtausgabe zu Michael Moorcocks Elric aussehen. Was mich besonders freut, da das Coverbild mein Vorschlag war. Allerdings aus traurigem Anlass, denn aufmerksam wurde ich darauf durch den Tod des Künstlers Chris Achilleos. Der Band erscheint am 25.10. und wird 68 Euro kosten. Ich freue mich schon darauf, die Neuübersetzung von Hannes Riffel zu lesen, bisher kenne ich nur die alte von Thomas Schlück, die etwas in die Jahre gekommen ist.

Nachdem ich das Cover am Freitag auf der S.Fischer-Seite entdeckt und auf meinen Social-Media-Kanälen geteilt habe, gab es richtig viel positive Rückmeldungen (zumindest für meine bescheidene Reichweite), von Leuten, die an der Ausgabe interessiert sind und denen das Cover gut gefällt. Hätte ich nicht mit gerechnet. Um die 100 Likes, 30 Retweets und zahlreiche Kommentare. Bei der Resonanz, die meine Posts/Tweets usw. sonst erhalten, ist das für mich ein gutes Zeichen, was das Interesse für diese ja nicht gerade günstige Ausgabe angeht.

Warum mir Michael Moorcock Elric so viel bedeutet, werde ich erzählen, wenn die neue Ausgabe raus ist.

Musik

Tori Amos

Es kommt nicht häufig vor, dass ich mich in Musik neu verliebe, die ich bereits seit fast 30 Jahren höre. Bei Tori Amos ging es mir diese Woche aber so. Zwei ihrer Titel begegneten mir in den Serien Yellowjackets und Beef, was mich dazu brachte, mir Reaction-Videos zu ihrer Musik auf Youtube anzusehen. Das brachte mich wiederum zu der Erkenntnis, dass ich mir ihr Debüt-Album Little Earthquakes nie richtig angehört habe, weshalb ich Winter gar nicht so richtig auf dem Schirm hatte.

In meinen Jungendjahren in den 90ern habe ich zu 90% Musik von Männern gehört (Nine Inch Nails, Rage Against the Machine, Radiohead, Nick Cave, Tool usw.), die 10% waren Björk, Jewel (Pieces of You) und Tori Amos. In den letzten Jahren hat sich das geändert, da höre ich vermehrt Musik von Frauen (ZAZ, Taylor Swift, Billie Eilish, Little Simz, Halsey, Arlo Parks, Meg Meyers uvm.). So ist es vielleicht auch nicht verwunderlich, dass ich Tori Amos für mich wiederentdeckt habe.

Ihre Musik höre ich seit Mitte der 90er, seit mir ein Freund das Album Under the Pink ausgeliehen hat, das ich mir von CD auf MC überspielte und erste Jahre später digital selber gekauft habe. Boys for Pele habe ich mir direkt bei Erscheinen gekauft, dem tollen Cover konnte ich einfach nicht widerstehen. Ebenso bei Scarlett’s Walk. 2003 hatte ich eine Karte für Toris Konzert in Frankfurt, bin aber nicht hingefahren, weil auf der gesamten Strecke von Siegen bis Frankfurt Blitzeis herrschte. Danach habe ich ihre Musik etwas aus den Ohren verloren, nur einzelne Musikvideos gesehen, mir aber keine neuen Alben gekauft. Hab mir jetzt vorgenommen, mir alle 16 in chronologischer Reihenfolge anzuhören.

Meine Lieblingsband der 90er war übrigens Nine Inch Nails und ich fand so ziemlich alles, was Trent Reznor gemacht hat, großartig. Trotzdem habe ich fast 20 Jahre gebraucht, um mitzubekommen, dass die Backing Vocals auf Past the Mission auf Under the Pink von ihm stammen. Und erst kürzlich las ich, dass er während der Aufnahmen zu seinem Meisterwerk The Downward Spiral täglich Little Earthquakes gehört haben soll (nach eigener Aussage).

Wie auch immer, momentan läuft die Musik von Tori Amos bei mir wieder rauf und runter. Und ich schaue mir auf Youtube auch Interviews mit ihr an, da sie dort stets sehr witzig und geistreich antwortet und von sich erzählt. Diese Woche hat sie in Deutschland Konzerte gegeben, mir ist nach der Pandemie aber aktuell noch nicht nach so großen Menschenmassen.

Ach ja, was mir an Toris Musik so gefällt: Mit 13 flog sie wegen „Musical Subordination“ von der Peabody Academy (und weil sie lieber Scooby Doo geschaut hat, als die Notenblätter längst verstorbener Komponisten zu lesen und die Stücke zu spielen, die alle anderen auch gespielt haben). Und genau diese Musical Subordination ist es, die ihre Musik so besonders macht. Sie wandelt nicht auf ausgetretenen Pfaden, sondern beschreitet neue, ungewöhnliche Wege. Allein die Art, wie sie singt, die Symbiose mit dem Piano, mit Musik, die ständig im Wandel ist und überrascht. Sie schreibt keine radiotauglichen Popsongs, kein Rocketman, sondern nutzt die Musik als künstlerische Ausdrucksform, mit poetischen Texten, die teils sehr persönlich und unbequem sind (diese Live-Version von Me and a Gun geht wirklich unter die Haut). Und sie ist eine tolle Erzählerin (Storyteller).

Mein liebstes Stück von ihr ist diese Live-Version von Winter (Montreux 1991), die ich für einen der besten und schönsten Live-Auftritte halte, die ich je auf Video gesehen habe.

Berufliches

One down, two to go: Übersetzung abgeben

Ein Übersetzungsmanuskript. Oben drauf liegt ein Blatt, auf dem ich über zwei Monate ein Strickliste geführt habe, auf für jeden Tag die Zahl der übersetzten Seiten notiert ist.

Gestern habe ich meine erste von drei Übersetzungen abgegeben. Ich glaube, so konstant habe ich noch kein Buch übersetzt, vom Abgabetermin aus rechne ich mir aus, wie viele Seiten ich pro Tag übersetzen muss und schaue, ob das auch gut machbar ist (habe ja auch noch meinen Job bei Tor Online). Dabei versuche ich mich an übliche Bürozeiten von 9.00 bis 17.00 Uhr zu halten, und übersetze an fünf Werktagen. Hier habe ich samstags alles, was ich in der Woche übersetzt habe, noch einmal Korrektur gelesen. Die letzten zwei Wochen vor Abgabe lese ich dann alles noch einmal in ausgedruckter Form gründlich durch. Da gibt es noch kleine Verbesserungen: Tippfehler, Satzstellung, noch ungelenke Formulierungen, Wortwiederholungen usw. Wobei ich das Meiste schon im ersten Korrekturgang verbessert habe.

Da ich vom Verlag noch keine offizielle Ankündigung gesehen habe, weiß ich nicht, ob ich schon etwas über das Buch schreiben darf. Ist eine Science-Fiction-Trilogie mit interessanter Handlung, in der ein Wissenschaftler, ein Roboter und ein Papagei die Welt retten müssen. Morgen geht es direkt mit Teil 2 weiter.

Meine Woche 02.04.2023: Wir sind Taiwan, Monster Factory und der Wert des Lokaljournalismus.

Eine Serie über die Bedeutung des Lokaljournalismus, eine Doku über die moderne Demokratie Taiwans, Wrestling als Lebensretter und die Romane Streulicht und Neonregen. Dazu einige Artikel, Blog- und Radiobeiträge.

Irgendwie bin ich heute nicht so in Form, weswegen ich mit den Texten, die ich heute erst geschrieben habe, auch nicht wirklich zufrieden bin (einen Teil schreibe ich auch schon unter der Woche). Ich hoffe, ihr findet hier trotzdem die ein oder andere interessante Empfehlung.

Dokus und TV

Wir sind Taiwan

Sehr interessanter Beitrag über Taiwan, vor allem, weil er auch auf die indigene Bevölkerung der Insel, die Kolonialzeit vor Chiang Kai-shek und auch auf die dunklen Kapitel der Diktatur eingeht. Zum Beispiel durch den Film Untold Herstory, über Frauen, die als politische Gefangene in dieser Zeit ein Martyrium durchmachen mussten. Sie zeigt den Konflikt vieler älterer Taiwanesen, die noch eine stärkere Verbindung zur chinesischen Kultur verspüren, und der modernen, progressiven Jugend. Auf dem Demokratie-Index steht Taiwan noch vor Deutschland. Für LGBTQ+-Menschen aus Asien ist die Insel eine Art sicherer Zufluchtsort. All das wird aber auch durch China bedroht.

Gibt es in der Arte-Mediathek

Monster Factory

Das ist eher Docutainment, Monster Factory ist eine Wrestling-Schule bei New Jersey, die schon einige bekannte Wrestler hervorgebracht hat. In sechs Folgen werden der Leiter der Schule und einige seiner Schüler*innen bei den Vorbereitungen zu einem großen Showcase begleitet, von dem sich einige den großen Durchbruch und einen Vertrag bei einer großen Firma wie der WWE erhoffen.

Auch wenn ich als Kind Wrestling geliebt habe – meine Wände zierten Poster von Männern in knallbunten Unterhosen, mit verschwitzen Muskeln, Stars wie Hulk Hogan, Bret Hart oder der Undertaker (okay, der ist nie in Unterhose aufgetreten, eher in Strumpfhose) -, hat mich der Wrestling-Teil hier weniger interessiert. Ist schon faszinierend, zu sehen, wie straff aber auch leidenschaftlich Danny Cage seine Schule führt, aber mich haben vor allem die Lebensgeschichten der einzelnen Personen interessiert. Wo kommen sie her? Was hat sie zum Wrestling gebracht? Interessant ist zum Beispiel Notorious Mimi, die aus wohlhabender Familie stammt, in der alle studiert habe, die aber schon als Teenagerin wusste, dass sie Wrestling professionell betreiben möchte und das auch geschafft hat. Oder Twitch, der das Tourette-Syndrom und noch einige andere psychologische/neurologische Störungen hat, dem Wrestling aber praktisch das Leben gerettet hat und der trotz dieser Handycaps sehr zielstrebig seine Karriere verfolgt.

Das ist so eine Doku, die ein bestimmtes Sport-Team begleitet und ziemlich unkritisch darüber berichtet. Trotzdem werden auch ernste Themen wie Suizid und Krebs angesprochen.

Gibt es bei AppleTV+.

Precht

Es ist mir sehr unangenehm, hier eine Sendung von Richard David Precht zu verlinken, da ich den Typen inzwischen ganz furchtbar finde, aber ich nutze es, um einen Punkt zu unterstreichen, der mir wichtig ist. In der aktuellen Folge hat er den indischen Schriftsteller Pankaj Mishra zu Gast. Ich habe zufällig reingeschaltet und fand wirklich faszinierend, was Pankaj Mishra zu sagen hatte. Im deutschen Fernsehen kommen Stimmen von Menschen aus nicht-westlichen Ländern kaum zu Wort. Wir können schon froh sein, wenn mal ein australischer Historiker eingeladen wird, der etwas Außenperspektive reinbringt, aber auch fließend Deutsch spricht. Intellektuelle oder überhaupt Menschen aus Afrika, Asien, Lateinamerika oder anderen Regionen jenseits Europas und der USA finden praktisch nicht statt. In Magazinen wie dem Spiegel gibt es ab und zu mal Interviews, oder sie bekommen ein paar Minuten in Titel, Thesen, Temperamente, wenn mal ein Buch von ihnen auf Deutsch erscheint. Aber eine wirkliche Außenperspektive auf Europa und Deutschland erhalten wir viel zu selten. Wir müssen mit diesen Perspektiven und Ansichten ja nicht immer übereinstimmen, aber allein sie zu hören, ist schon ein Gewinn. Statt Precht in der Mediathek die Zugriffszahlen zu erhöhen, könnte ihr natürlich auch direkt Pankaj Mishras Bücher lesen. Die meisten davon sind auch auf Deutsch erschienen.

Serie

Alaska Daily

Die erste Staffel habe ich noch nicht komplett durch, möchte die Serie aber trotzdem schon empfehlen. Denn Serien über Print- und Lokaljournalismus gibt es viel zu wenig. Alaska Daily ist jetzt nicht auf HBO-Niveau wie The Newsroom, aber trotzdem eine feine Serie, die gut zeigt, wie Journalismus funktioniert, mit welchen Schwierigkeiten der Printjournalismus heutzutage zu kämpfen hat und wie wichtig er ist, für die örtliche Gemeinschaft, aber auch die Demokratie.

Die Prämisse erinnert an Northern Exposure (Ausgerechnet Alaska), eine New Yorkerin landet unverhofft in Alaska. Da enden aber auch schon die Gemeinsamkeiten. Die Topjournalistin lernt, mit den begrenzten Mitteln einer Provinzzeitung wichtige Themen abzudecken. Dazu gehört z. B. die epidemisch hohe Zahl an Morden an indigenen Frauen, aber auch ganz allgemein die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft. Und das macht die Serie wirklich gut, mit der richtigen Mischung aus Ernsthaftigkeit, aber auch schrulliger Cozyness.

Die Serie basiert auf einer Artikel-Reihe mit dem Titel Lawless: Sexual Violence in Alaska und ist auf Disney+ zu sehen.

Tor Online

Meine SFF News , der Trailer zu Knights of the Zodiac verspricht knallige Action. Außerdem: Dungeons & Dragons als Therapie-Ansatz, Denis Scheck zeigt sich in Druckfrisch begeistert von Rebecca F. Kuangs historischem Fantasyroman Babel und ein unfairer Artikel über Brandon Sanderson.

Der Artikel der Woche stammt von mir: Teil 2 unserer Reihe über phantastische Kleinverlage ist da. Neun weitere werden euch hier vorgestellt, dazu kommt ein erster Einblick in das Programm des neuen Memoranda-Imprints Carcosa von Hannes Riffel (ehemals Golkonda).

Lektüre

Neonregen | Aiki Mira

Das teilgeflutete und verregnete Hamburg bietet die perfekte Kulisse, um die Neonlichter des Cyberpunks stimmungsvoll zu reflektieren. Und neonschlau holt Aiki Mira das Optimum aus diesem Szenario, sowohl sprachlich, inhaltlich, als auch vom Weltenbau her und den vielschichtig herausgearbeiteten Figuren und den vielen kleinen originellen Geschichten, die dem Neurosubstrat des Romans seine Substanz verleihen.

Es geht um Gamer*innen, KIs, Konzerne, VR, eine Revolution, Identität, aber vor allem (insert Vin-Diesel-Voice) Familie – und was wir daraus machen.

Streulicht | Deniz Ohde

In meiner Besprechung von Felix Lobrechts Sonne und Beton, schrieb ich, dass solche Bücher die vom Aufwachsen in der Arbeiterklasse, in Armut oder einfach schwierigen Verhältnissen meist von Männern stammen, Autoren wie Christian Baron, Didier Eribon oder Édouard Louis. Zum Ausgleich wollte ich mal einen Roman aus weiblicher Perspektive lesen. Und das hat sich wirklich gelohnt.

Streulicht ist keine Autobiografie, sondern ein fiktionalisierter Roman, der wohl stark autobiografische Züge hat. Wie sehr die Geschichte Deniz Ohdes Leben ähnelt, weiß ich nicht. Ist aber auch nicht wichtig.

Sprachgewaltig erzählt sie vom Aufwachsen in der Nähe eines Chemieparks. Allein der Einstieg, wie sie die Auswirkungen der Schornsteine auf Umgebung beschreibt, mit dem Schnee der künstlich und klumpig wirkt, ist großartig. Die Ich-Erzählerin wächst mit türkischer Mutter und deutschem Vater auf, obwohl beide berufstätig sind, scheinen sie psychische Probleme zu haben, was sie auch stark auf das Verhalten ihrer Tochter auswirkt, die nur ungern Freund*innen zu sich nach Hause bringt. Befreundet ist sie mit Sophie und Pikka, die sie bis zum Schulabschluss begleiten. Den erhält sie allerdings nur auf Umwegen. Warum sie zwischenzeitlich so schlecht in der Schule ist, kann sie selbst nicht erklären, denn später, als sie das Abitur nachholt, bringt sie super Noten nach Hause.

Diese Ambivalenz, nicht alles bis ins Details zu erklären, hat mir besonders gefallen. Mir ging es in der Schule ähnlich, schlechter Realschulabschluss, in der höheren Handelsschule sogar sitzen geblieben, und erst beim Fachabitur, als ich wirklich wusste, was ich will, kamen dann gute Noten. So richtig erklären kann ich das aber auch nicht.

Die Ich-Erzählerin ist schüchtern und leise, wodurch andere Menschen schneller und einfacher ihre Vorurteile verfestigen können. Und gerade diese Gefühle, diese scheinbar unbegreifliche Passivität bringt Ohde sehr plastisch rüber. Das konnte ich sofort nachvollziehen.

Eine weitere große Stärke sind ihre Schilderungen der schrulligen Familie, des fast blinden Opas, der mit im Haus lebt, die messieartige Sammelwahn des Vaters, aber auch das Unverständnis der privilegierten Freund’innen. Dabei klagt sie die Verhältnisse im Elternhaus nie an, der Vater wirkt, auch wenn er gelegentlich gegen Gegenstände randaliert, liebevoll und bemüht im Rahmen seiner Fähigkeiten. Die Mutter sowieso. Stolpersteine im Leben der Erzählerin sind vor allem jene Menschen, die sie eigentlich fördern sollten. Vor allem Lehrer*innen, die ihr auf unterschiedlichste Weise mit Vorurteilen begegnen.

Irgendwie fällt mir kein gescheiter Text zu dem Buch ein, das einen viel besseren verdient hätte. Mir hat es richtig gut gefallen, ich kann es nur weiterempfehlen

Streulicht ist dieses Jahr ausgewählt für Frankfurt liest ein Buch 2023. Vom 24. April bis 7. Mai 2023 gibt es mehrere Veranstaltungen in Frankfurt (teils mit Deniz Ohde).

Artikel

„Die Rückkehr des Wunderglaubens“

Über magisches Wunschdenken in der Klimakrise und die Forderung nach einem Moratorium in der KI-Forschung schreibt Christian Stöcker in seiner wöchentlichen Spiegel-Online-Kolumne und geht gut auf die differenzierten Argumente der verschiedenen Akteure ein.

„7 Fantasyromane, die mich positiv überrascht haben“

Ich liebe es, von Büchern, über die ich nichts weiß, überrascht zu werden. Lesen war für mich immer auch Abenteuer, doch je mehr ich schon über ein Buch weiß, desto geringer ist der Reiz des Abenteuers. Ein wenig trauere ich den Zeiten vor dem Internet nach, als ich noch nicht superinformiert über alles war und es nicht schnell nachschlagen konnte. Alessandra Reß stellt sieben Fantasyromane vor, die sie teils im Bücherschrank entdeckt hat und von denen sie positiv überrascht wurde.

Peter Schmitt über Raven – „Swordsmistress of Chaos“ von Richard Kirk

Ich zitiere hier mal Peters Einleitung zu seinem Artikel:

Ich bin in der Vergangenheit schon mehrfach darauf zu sprechen gekommen, dass ab Mitte der 70er Jahre neben den geläufigen männlichen Protagonisten vermehrt Heldinnen in der Sword & Sorcery auftauchten. Dabei habe ich diese Entwicklung, die ihren Höhepunkt in der ersten Hälfte der 80er erreichte, insgesamt als progressiv und emanzipatorisch eingeschätzt und mit den politischen und kulturellen Veränderungen der Zeit, vor allem dem Second Wave – Feminismus, in Verbindung gebracht.

Dass es auch anders geht, beweist Raven!

Ich kenne weder Buch noch Autor, dachte ich, aber Peter klärt schnell auf, dass es sich um ein Pseudonym zweier Autoren handelt, von denen ich Angus Wells tatsächlich mit einem Titel im Regal stehen habe. Und Robert Holdstock ist mir auch ein Begriff. Peter gelingt es, auch über ein ganz furchtbares Buch einen unterhaltsamen und informativen Text zu schreiben. Er erzählt im Prinzip das komplette Buch nach, damit wir es nicht lesen müssen, macht das aber wirklich witzig und geistreich.

Kulturrat fordert bessere Bezahlung

In meinem Beitrag: Liebe Buchbranche, wir müssen reden! Wenn Selbstausbeutung existenzbedrohend wird habe ich schon darüber geschrieben, dass für uns Übersetzer*innen die Honorare in den letzten 20 Jahren nicht gestiegen sind. Was Angesichts der Inflation und kalter Progression existenzbedrohend wird. Beim WDR gibt es einen Beitrag dazu, dass der Kulturrat jetzt Basishonorare für Selbstständige in der Kulturbranche fordert. Bessere Honorare erhalten auch unsere Kulturlandschaft und die Unterhaltungsindustrie. Also vieles von dem, womit ihr eure Freizeit gestaltet. Wobei es hier nur um staatlich geförderte Einrichtungen geht.

„Meine 10 Game-Changerinnen (Literatur, Film, Wissenschaft unvm.)“Meine 10 Game-Changerinnen (Literatur, Film, Wissenschaft unvm.)“

Miss Booleana stellt auf ihrem Blog zehn Frauen vor, die sie persönlich maßgeblich beeinflusst haben. Darunter die französische Regisseurin Agnès Varda, deren Filme ich auch sehr schätze. Die Schauspielerin und Filme- und Serienmacherin Brit Marling, deren Serie The OA ich großartig fand. Und die von mir überaus geschätzte Ursula K. Le Guin. Und für mich mit meiner Leidenschaft für Japan besonders interessant, die japanische Mangazeichnerinnen-Gruppe CLAMP, die ich bisher noch nicht kannte.

„„Tetris“ der Film – Zocken und Kalter Krieg“

Den Tetris-Film auf AppleTV+ habe ich noch nicht gesehen. Aber Stefan Mesch, der den Film für Deutschlandfunk Kultur vorstellt, erklärt, wie wenig akkurat er ist und warum er ihn nicht überzeugen konnte.

Film

Heikos Welt

Obwohl selbst kein Kneipengänger, liebe ich Bücher und Filme über Kneipen. Heikos Welt ist ein per Crowdfunding finanzierter Film, der im Umfeld der Nordachse enstanden ist. Heikos Mutter verliert ihr Augenlicht, nur eine teure Operation kann helfen. Doch woher das Geld nehmen, Heiko ist ein äußerst erfolgloser Hehler, der plötzlich ein Talent für Dart entdeckt und an einem Turnier mit Preisgeld teilnehmen möchte.

Die Kneipenszenen und die Gestalten, die dort rumschlurfen, wirken alle superauthentisch, als wären sie direkt von der Theke weg gecastet worden (was sie vermutlich wurden). Leider gibt es da noch einen Mittelteil über einen Einbruch, der qualitativ stark abfällt. Und die Dramaturgie ist auch etwas holprig. In meiner internen Wertung wollte ich dem Film erst nur 6 von 10 Punkten geben, habe mich aus Sympathie zu den wirklich gelungenen Kneipenszenen, die wirklich auf den Punkt inszeniert sind, für sieben entschieden.

Musik

Letzte Woche habe ich schon Meg Meyers’ neues Album TZIA erwähnt, das läuft jetzt seit einer Woche bei mir rauf und runter, und gefällt mir mit jedem Hören noch besser. Deshalb hier zwei weiteres Video dazu.

Meine Woche 26.03.2023: Pornhub, Pogues und Aldo Moro

Musik gibt es von Meg Meyers mit ihrem neuen Album TZIA und dem Wasia Project. Dokus zu Pornhub und Shane MacGowan von den Pogues. Eine grandiose Serie zur Entführung von Aldo Moro, eine mitreißende zum Buch Daisy Jones and the Six. Das Hörspiel Mia Insomnia. Und als Filmtipp Das Bankett des Kaisers von Tsui Hark.

Musik

Meg Meyers – TZIA

Die Musik von Meg Meyers mag ich schon seit Desire und Monster. Erinnert mich an die junge Fiona Apple und PJ Harvey, hat aber trotzdem ihren eigenen Stil abseits des Mainstreams. Weshalb sie wohl auch nie den großen Durchbruch hatte. Dafür ist ihre Musik zu abgründig, ihr Auftreten zu eigenwillig. Genau so, wie ich es mag.

Letzten Freitag ist ihr neues Album TZIA erschienen. Das kommt musikalisch ziemlich heavy daher, mit relativ viel Elektronik, aber auch schweren Gitarren. Nach erstem Hören gefällt es mir richtig gut.

Wasia Project

Netter Song mit schönem Video. Hat mir der Youtube-Algorithmus diese Woche in die Timeline gespült.

Dokus

Money Shot: The Pornhub Story

Über die Geschichte des Streamingportals Pornhub. Die Doku lässt viele Seiten zu Wort kommen, Gegner von Pornografie und solchen Internetseiten, ebenso wie Sexperfome*rinnen, Darsteller’innen, Journalist’innen und ehemalige Mitarbeiter’innen. Dramaturgisch ist sie ganz geschickt aufgebaut. So hören wir eine ganze Weile vernünftig klingende Argumentationen von Aktivist*innen, die gegen Menschenhandel, Ausbeutung und Kinderpornografie mobil machen, bei denen sich dann aber herausstellt, dass die evangelikale Rechte dahinter steckt, die diese Themen nur als Trittbrett und PR für ihren Kreuzzug gegen die körperliche Autonomie von Frauen sowie LGBTQ+ und trans Menschen missbraucht.

Keine Frage, Pornhub hatte über viele Jahre ein großes Problem mit Kinderpornografie, Vergewaltigungsvideos, Revenge-Porn und Raubkopien. Hat dass alles zugelassen, weil es mehr Traffic und damit Profit brachte, und erst nachgegeben und alles, was nicht verifiziert ist, von der Plattform geschmissen, als der Druck zu groß wurden. Sie sind aber auch eine Plattform, die Sexarbeiter’innen und Perfomer’innen ein regelmäßiges Einkommen und Sicherheit am Arbeitsplatz ermöglicht.

Nichtsdestotrotz steckt hinter Pornhub der überaus zwielichtige und fragwürdige Konzern Mindgeek, dem fast alle Porno-Tube-Plattformen gehören, auf denen der oben beanstandete Contend weiter verfügbar ist.

Wer Pornografie mit gutem Gewissen konsumieren möchte, sollte lieber zu seriösen Plattformen mit ethisch einwandfreiem Geschäftsmodell gehen, wie z.B. die Produktionen von Erika Lust. Onlyfans scheint mir auch ein ganz guter Weg zu sein, von dem vor allem die Performer’innen selbst profitieren. Wir als Konsument’innen sollten darauf achten, keine Produktionen zu unterstützen, die junge Frauen ausbeuten und zu Sachen zwingen oder drängen, die sie nicht machen möchten.

Der Umgang mit Pornografie (und Sexualität) ist auch ein Gradmesser für die Demokratie. Je repressiver und restriktiver Staat und Gesetze gegenüber der Pornografie werden, und damit vor allem gegenüber den Frauen, die in der Industrie arbeiten, desto schlechter ist es meist um die Demokratie und die Freiheit der Gesellschaft bestellt. Pornografie kann Ausbeutung von Frauen und Ausdruck von Misogynie sein, der Kampf gegen Pornografie ist aber meist auch ein Kampf gegen den weiblichen Körper, sexuelle Selbstbestimmung, andere Lebenweisen und die trans und LGBTQ+-Community.

Die Doku gibt es bei Netflix.

Crock of Gold: A Few Rounds with Shane MacGowan

Eine faszinierende Doku über einen Musiker, der mir mit seiner Band The Pogues zwar namentlich ein Begriff war, und von denen ich sicher schon mal Songs gehört habe, die trotzdem weitgehend an meinem Radar vorbeigegangen sind. Die Doku geht erstaunlich lange auf seine Kindheit ein und erzählt nicht nur seine Biografie, sondern teils auch eine musikalische Geschichte Irlands.

MacGowan selbst ist inzwischen körperlich ein Wrack. In einem Interview-Strang sitzt er mit Gerry Adams zusammen, der zehn Jahre älter ist, aber zehn Jahre jünger wirkt. Selbst MacGowans Vater wirkt mit über 80 noch fitter. Durch seine Nähe zur IRA ist MacGowan durchaus eine kontroverse Figure, seine Musik und die Texte sind aber unbestritten großartig. Mit ihrer wilden Mischung aus Irish Punk Folk haben die Pogues etwas ganz Eigenes erschaffen.

Die Doku konzentriert sich aber voll auf Shane MacGowan, aus der Band kommt niemand zu Wort, es geht auch nicht darum, wie sich die Musiker*innen kennengelernt haben, wie sie zusammengearbeitet haben usw. Es geht nur um MacGowan.

Die Doku gibt es noch bis zum 7. Juni in der Arte-Mediathek.

Serien

Und draußen die Nacht (Esterno notte)

Grandios inszenierte Serie über die Entführung und Ermordung des ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Aldo Moro durch die Terroristen der Brigate Rosse, erzählt aus fünf verschiedenen Perspektiven in sechs Folgen, von der jede für sich ein kleines Kunstwerk ist. Geht es um Politiker – zu denen ich auch den Papst zähle – wie den Innenminister, schlägt die Serie schon leicht parodistische Züge an, wahrt dabei aber immer ein Gefühl der Bedrohlichkeit. Geht es um Moros Frau, bleibt der Tonfall ernst und empathisch. Auch bei der Terroristen wird auf Ironie verzichtet. Aldo Moro ist der einzige Politiker, der nicht mit karikaturistischen Elementen porträtiert wird. Bewundernswert ist auch der Stilwille von Regisseur Marco Bellocchio, der die gesamte Serie konstant in eleganten Bildern und mit sicherer Hand durchzieht, wie es keine deutsche Serie hinbekommen würde. Zu meinem eigenen Erstaunen hat mir die Folge mit dem Papst am besten gefallen.

Dort wo die Fakten bekannt sind, hält sich die Serie an die realen Ereignisse, die Lücken werden mit eigenen Spekulationen und Interpretationen gefüllt. Atmosphärisch ist die Serie unheimlich dicht und vermittelt ein packendes und authentisches Bild vom politischen Klima im Italien des Jahres 1978.

Die Serie ist thematisch schwere Kost, kommt sehr bedeutungsschwanger und mit viel Symbolik daher, ist aber trotzdem sehr leichtfüßig inszeniert.

Und draußen die Nacht ist noch bis Juli 2023 in der Arte-Mediathek verfügbar, OmU leider wieder mal nur fürs französische Publikum, die deutsche Synchro ist aber ausgezeichnet. Normalerweise schaue ich keine Serien, ohne Originaltonspur und Untertiteln, aber die hier konnte ich mir einfach nicht entgehen lassen.

Daisy Jones and the Six

Objektiv betrachtet ist Und draußen die Nacht natürlich die bessere Serie, aber sie hat mich vor allem auf einer intellektuellen Ebene angesprochen, während Daisy Jones mich emotional mitgerissen hat, vor allem in der letzten Folge. Das ist über weite Strecken eine lockere Serie über den Aufstieg und Fall einer fiktiven Rockband aus den 70ern, lose angelehnt an die Geschichte von Fleetwood Mac und Stevie Nicks. Die Vorlage von Taylor Jenkins Reid ist als Interviewbuch angelegt, in der Serienadaption tritt das dezent in den Hintergrund. Die Leute geben immer noch ihre Kommentare ab, aber 90% der Zeit sind wir in der Vergangenheit bei der Band. Die Interviewstruktur ist trotzdem wichtig, vor allem für die letzte Folge, die mich, obwohl ich die Buchvorlage kenne und obwohl sie etwas kitschig ist, trotzdem sehr bewegt hat.

Gibt es bei Prime.

Extrapolations

Von dieser AppleTV+-Serie habe ich bisher nur die erste Folge gesehen und verweise deswegen auf die sehr ausführliche und sehr gut begründete Kritik Pathos Porn About Climate Change von Aaron Bady im Los Angeles Review of Books, der gut erklärt, warum das eine Serie von reichen Amerikanern über reiche Amerikaner ist, die in relativ bequemer Lage über ihr schlechtes Gewissen bezüglich des Klimawandels sinnieren. A show about »rich people’s feelings«.

Filme

Das Bankett des Kaisers (īnyù mǎntáng)

Über einen, vom stets wunderbaren (und viel zu früh verstorbenen) Leslie Cheung gespielten, Bandenboss, der zum Küchenlehrling umsattelt, weil er zu seiner Freundin nach Kanada ziehen will. Dabei verliebt er sich aber in die Tochter des Küchenchefs und muss mit ihr das Restaurant des Vaters bei einem Kochwettbewerb retten, der Das Bankett des Kaisers heißt.

Im Prinzip ein klassischer Hongkong-Martial-Arts-Film von Tsui Hark, in dem zwei verfeindete Kampfkunstschulen gegeneinander antreten. Zunächst muss ein legendärer Meister gefunden werden, der dem Alkohol verfallen ist, dann gibt es eine originelle Trainingsmontage als finale Vorbereitung. Nur wird hier nicht gekämpft, sondern gekocht. Die Schurken heißen die Superprofis und die drei Gerichte beim finalen Kochduell sind herrlich abstrus (zumindest hoffe ich das). Viel Slapstick, reichlich durchgeknallter Humor – ein großer Quatsch, der Spaß macht, von PETA aber sicher keine Gütesiegel erhält. Ich sage nur Bärentatze im Schnee, Elefantenrüssel in Vogelnestern gegart und Affenhirn auf …

Den Film gibt es noch bis zum 15.08 in der Arte-Mediathek.

Like Father, Like Son (Soshite Chichi ni Naru)

Um diesen Film von Hirokazu Koreeda habe ich mich lange gedrückt, da mich Geschichten über Familien, deren Babys im Krankenhaus vertauscht werden, so gar nicht ansprechen. Doch jetzt, wo es den Film bei Mubi gibt, konnte ich doch nicht widerstehen. Natürlich geht es um eine wohlhabendere Familie mit einem ambitionierten Architekten als Vater, der seinen Sohn leistungsbewusst erziehen möchte, und eine Familie, die eher so in den Tag lebt, gerne Spaß zusammen hat, mit einem von Lily Frank, in einer seiner typischen Rollen, gespielten Vater,

Ein sehr bewegender Film über das, was Familie ausmacht.

Lektüre

Bullet Train | Kōtarō Isaka

Auf meiner Seite lesenswelt.de bespreche ich den Roman Bullet Train von Kōtarō Isaka, gehe aber auch kurz auf die Verfilmung ein und erkläre, warum ich sie für wenig gelungen halte.

Hörspiel

Mia Insomnia

Zehnteilige Hörspielserie über eine Podcasterin, die herausfinden möchte, warum außer ihr niemand eine bestimmte Folge ihres Lieblingshörspiels Geisterjagd kennt. Selbst der Hauptsprecher und die Produzentin nicht. Also begibt sie sich auf eine Reise in ihre Kindheit, zu dem Ferienhaus, wo sie die letzten schönen Tage mit ihrem Vater verbracht hat. Und kommt einem unglaublichen Geheimnis auf die Spur.

Als Kassettenkind und Fan der drei Fragezeichen hat mich die Prämisse sofort angesprochen. Hier wird die Liebe zu Hörspielkassetten mit dem aktuellen Trend zu Podcasts verbunden. Wir sind hautnah mit dabei, wenn sich Mia auf ihre Reis ins Ungewisse begibt. Erstaunt hat mich, wie schnell die Geschichte ins Phantastische umschlägt, das kam etwas sehr plötzlich. Da hätte ich mir noch etwas mehr Recherche-Zeit im Voraus gewünscht. Doch die phantastischen Elemente werden mit einigen schönen überraschenden Wendungen sehr gut und stimmungsvoll genutzt. Hat mir richtig Spaß gemacht, auch wenn sich über das Ende streiten lässt.

Gibt es in der ARD-Audiothek.

Abschlussbemerkung

Die Besprechungen hier sind alle relativ kurz und oberflächlich. Das liegt einfach daran, dass ich nicht dafür bezahlt werde, sie zu schreiben. Ich mach das alles in meiner Freizeit, zum Spaß, da kann ich es mir nicht leisten, noch mehr Zeit zu investieren. Und es geht ja vor allem darum, euch Tipps für Filme, Musik, Serie, Dokus, Bücher, Hörspiele, Artikel, Youtubevideos zu geben. Da reicht es, die Sachen kurz anzuteasern und meine kurze Einschätzung abzugeben.

Meine Woche 19.03.2023: After Sonne und Beton, Buch- und Filmbesprechungen

Heute gibt es unter anderem großartige Filme wie After Sun, The Banshees of Inisherin und Leaving on the 15th Spring. Artikel zu Rassismus im Unterricht, Exklusivität bei Gamern und meine Rezi zu Felix Lobrechts Roman Sonne und Beton.

Artikel

Rassismus: Ulmer Lehrerin will wegen Roman nicht mehr unterrichten

Bei SWR Aktuell gibt es einen Beitrag über eine junge Lehrerin, die ihren Beruf nicht mehr ausübt, weil sie keine rassistische Lektüre im Unterricht durchnehmen möchte. Eine Einstellung, die ich nur bewundern kann. Wäre natürlich schön, wenn sich an der Situation etwas ändern würde, die ignorante Reaktion der Bildungsministerin lässt aber wenig Grund zu Hoffnung. Rassismus kann im Unterricht auch durchgenommen werden, ohne die Schüler*in mit vermeintlichen Klassikern zu konfrontieren, die rassistische Begriffe und Darstellungen zuhauf und völlig unreflektiert reproduzieren.

Schwierigkeitsgrade – “Gamer” und Exklusivität

Für 54 Books hat Aurelia Brandenburg einen ganz interessanten Artikel über Schwierigkeitsgrade und Exklusivität von Computer/Videospielen geschrieben, der aber eher einen Abriss über mehrere Jahrzehnte Spielekultur und Industrie darstellt. Ich spiele die Dark-Souls-Spiele übrigens nicht, weil mir inzwischen die Geduld für solch bockschweren Spiele fehlt, obwohl sie von Weltenbau, Atmosphäre und Story her eigentlich genau meine Fantasy sind. Geht mir aber mit allen zeitintensiven Spielen so. Und so geschickt wie früher bin ich als Spieler auch nicht mehr.

How Popular Is Anime In Japan, Really?

Für die Seite Unseen Japan ist Jay Allen der Frage nachgegangen, wie populär Animes in Japan eigentlich wirklich sind. Deutlich weniger, als es westliche Anime-Fans wohl vermuten. Unter 40% aller Japaner*innen schauen Animes. Finde ich superinteressant. Mein Interesse an Japan ist nicht durch Animes allein entstanden. Schon zuvor ging es mit Godzilla-Filmen los und parallel zum Anime, für den ich mich Anfang/Mitte der 90er zu interessieren begann, lernte ich die Filme von Akira Kurusawa und Takeshi Kitano zu schätzen, später dann auch von Sabu. Heute schaue ich zwar noch Animes, aber lang nicht so viel wie Realfilme und Serien aus Japan.

Tor Online

Meine SFF News: Ein ausführlicher Trailer zur 2. Staffel von Yellowjackets ist da. Außerdem: Das Programm der Metropol Con, Oscars für Everything Everywhere All At Once, die Finalist*innen der Nebula Awards und ein interessantes KI-Projekt von Emma Braslavsky.

Artikel der Woche: Im Zuge einer Berliner Ausstellung unter dem Titel „Leseland DDR“ habe ich den SF-Club Andymon nach den zehn besten Science-Fiction-Romanen der DDR gefragt. Hier die Antwort.

Blog

Serien

The Last Of Us

Das Highlight der Serie ist natürlich die grandiose Episode 3. Hätte nicht gedacht, dass mich die Folge einer Endzeit-Pilzzombieapokalypsenserie, die auf einem Videospiel basiert, und in der Nick Offerman einen Hardcore-Prepper spielt, mich zu Tränen rühren könnte. Die restlichen Folgen sind auch gut bis sehr gut, insgesamt ist mir das Endzeit-Szenario der Spielvorlage aber etwas zu dünn. Das hebt sich nicht ausreichend von anderen Genre-Vertretern ab, um mich über die gesamte Staffel zu begeistern. Ich habe die Serie gerne gesehen, aber bis auf Episode 3 hat sie mich jetzt nicht vom Hocker gehauen. Wie ein Freund auf Facebook es in etwa formulierte: Sie macht nichts, was nicht auch andere Endzeitserien machen, aber sie macht es besser.

Filme

Aftersun

»This is our last dance.«

Über die elfjährige Sophie, die mit ihrem ebenfalls noch sehr jungen Vater einen Urlaub in der Türkei verbringt. Über weite Strecken zeigt der Film, wie die beiden sich eine schöne Zeit machen, aber in kleinen Szenen schwingt immer wieder mit, dass bei dem Vater etwas nicht so ganz in Ordnung ist. Die Tanzszene kurz vor Schluss zu Queens »Under Pressure« ist der Hammer. Und alles, was danach kommt, geht vor allem durch sie so unter die Haut

Die große Stärke des Films liegt darin, dass er nichts auserzählt, nichts erklärt, sondern nur andeutet, mit Symbolik, mit dem, was zwischen den Zeilen steht, was nicht gezeigt wird. Und gerade deshalb ist er emotional so wirkungsvoll.

Mark Kermode fasst es gut zusammen, indem er sagt, Aftersun zu sehen, sei wie eine Erinnerung an etwas, das man selbst nicht erlebt habe, sich aber so anfühle. Und das liegt unter anderem daran, wie brillant er geschnitten ist. Ein sehr schöner, aber auch niederschmetternder Film. Das Langfilmdebüt von Charlotte Wells ist direkt ein kleines Meisterwerk geworden. Paul Mescal wurde für einen Osca nominiert, aber mein Highlight ist Fankie Dorie, die seine Tochter ganz wunderbar spielt.

Gibt es auf Mubi.

Leaving on the 15th Spring (Tabidachi no Shima Uta – 15 Go Haru)

Erzählt vom Leben auf einer kleinen Insel östlich von Okinawa und Yunas letztem Jahr dort, bevor sie für die Oberschule aufs Festland ziehen muss. Gelungene Mischung aus Coming-of-Age, leisem Familiendrama und dem Überlebenskampf der kleinen Gemeinschaft in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage. Ein richtig schöner Film, der das Leben auf dem Land in Japan nicht romantisiert, sondern zeigt, welche Nachteile es mit sich bringt.

Leider ist der Film in Deutschland nicht erhätlich (wie alle Filme von Yasuhiro Yoshida). Ich habe ihm auf den letzten Drücker auf der Webseite des Japanese Film Festival gesehen, wo er inzwischen abere nicht mehr verfügbar ist.

Der von Yuna gesundene Abschiedssong. Ganz tolles Lied!

Wonderwall (ワンダーウォール)

Schöner kleiner Indie-Film aus Japan, über ein seit 1913 bestehendes selbstverwaltetes Studentenwohnheim in Kyoto, das Ausgangspunkt vieler Studentenbewegungen war, dessen historisches Gebäude aber nun abgerissen werden soll, wogegen die Student*innen protestieren. Kein klassischer Spielfilm, mehr eine repräsentative Momentaufnahme. Für mich wären solche Wohnverhältnisse ja ein Albtraum, sympathisch finde ich es aber trotzdem. Heißt im Film Konoe Dorm, wenn ich das richtig recherchiert habe, basiert es auf dem real existierenden Yoshida Dormitory. Der Film zeigt auch, wie zurückgenommen Protest in Japan abläuft. Statt das Studentenbüro einfach zu besetzen, sprechen die Student*innen dort höflich vor und ziehen sich zurück, wenn sie wieder abgewiesen und vertröstet werden.

Ebenfalls beim JFF gesehen.

The Banshees of Inisherin

Nachdem ich den Trailer letztes Jahr gesehen habe, war das der Film, auf den ich mich für dieses Jahr am meisten gefreut habe. Vor allem, weil mich Three Billboards so umgehauen hatte. So ganz konnte der Filme meine Erwartungen nicht erfüllen, aber trotzdem ist er sehr gut. Erzählt wird von zwei Freunden auf einer kleinen Insel während des irischen Bürgerkriegs, von denen der eine plötzlich nicht mehr Teil der Freundschaft sein möchte. Vor allem geht es darum, wie kleine Konflikte völlig unnötig eskalieren können, aber auch, wie schwer es ist, jemanden auf einer Insel zu ghosten. Mir hat der Inselkosmos gefallen, und vor allem die Figur der Schwester, der die Kleingeistigkeit und Einsamkeit irgendwann zu viel wird. Sehr gut gespielt, mit den typischen skurrilen Figuren für einen solchen Film.

Gibt es jetzt bei Disney+.

Lektüre

Auch gelesen habe ich Die drei Fragezeichen und der Puppenmacher von André Marx. Vor allem, weil Kenneth wieder aus Irland zurückkehrt. Wollte wissen, was Marx daraus macht. Über weite Strecken fand ich die Geschichte um die Hochzeit in der Einöde nur mittelmäßig, doch am Ende gibt es einen schönen Twist, der alles, was vorher passiert ist, aufwertet. Der beste Marx-Roman seit langem, aber noch weit von seinen alten Stärken entfernt.

Sonne und Beton | Felix Lobecht

Halb autobiografischer Roman des Comediens Felix Lobrecht über das Aufwachsen in Neukölln. Man merkt dem Buch an, dass Lobrecht weiß, wovon er schreibt. Auch wenn der Begriff inzwischen etwas überstrapaziert wird, wirkt es authentisch. Aber das hier ist keine Milieustudie mit soziologischem Tiefgang und Einblicken wie bei Didier Eribon oder Édouard Louis. Lobrecht schildert ein paar Tage aus dem Leben des sechzehnjährigen Lukas, der mit seinen drei Freunden die Schule schwänzt, Gras kauft, in eine Prügelei verwickelt wird und vor allem rumhängt, kifft und säuft. Die Geschichte kreist um einen Einbruch in die eigene Schule, wo die Kumpels neue Computer abzocken wollen, um sie weiterzuverkaufen.

Sprachlich ist der Stil Standardprosa, die mit ihren wenigen Beschreibungen nicht wirklich auffällt. Die Stärke des Romans sind die Dialoge, in denen die Jungs so sprechen, wie zu Beginn der Nullerjahre in Neukölln eben gesprochen wurde. Gleich als Warnung vorweg, die sind in ihrer Wortwahl nicht zimperlich. Das N-Wort wird aber nicht ausgeschrieben. Lobrecht hält einfach die Kamera drauf, ohne zu reflektieren. Er setzt Gefühle und Eindrücke nicht in Worte um, höchstens in Schimpfworte.

Normalerweise beschwere ich mich immer, dass die meisten Bücher zu lang sind. Das hier habe ich als zu kurz empfunden. Zwar lernen wir auch Lukas’ Bruder und Vater kennen, einige der Eltern seiner Freunde und die schwierigen Umstände, unter denen sie aufwachsen, aber davon hätte ich gerne mehr gehabt. So ist das Buch zwar unterhaltsam, mit spannenden Einblicken in das Leben Neuköllns. und es liest sich flott weg, aber etwas mehr Tiefgang, mehr Hintergründen zu den Lebensumstände hätte ich mir doch gewünscht. Aber man merkt, hier kommt ein Autor aus der Arbeiterklasse, der weiß, wovon er schreibt. Und Bücher solcher Autor*innen gibt es viel zu wenig. Und wenn, ist es meist die männliche Perspektive, die erzählt wird. Deswegen steht bei mir als nächste Lektüre jetzt Streulicht von Deniz Ohde an.

Aktuell läuft die Verfilmung von Sonne und Beton im Kino, die bisherigen Kritiken sind vielversprechend, ich verweise auf die sehr persönliche Rezi von David Hain bei Letterboxd.

Fotos der Woche

Mehrmals am Tag schaut ein Eichhörnchen auf der Fensterbank meines Arbeitszimmers vorbei, um sich Walnüsse abzuholen. Sind keine da, wirft es einen vorwurfsvollen Blick durchs Fenster, das direkt links von meinem Schreibtisch liegt.

Eichörnchen steht aufrecht am Fenster, die linke Vorderpfote auf den Fensterrahmen gelegt und blickt nach oben.
Eichörnchen steht aufrecht am Fenster, die linke Vorderpfote auf den Fensterrahmen gelegt und blickt direkt richtung Kamera.

Meine Woche 12.03.2023: Elric, toxische rechte Männlichkeit und vom harten Leben in Japan

Heute gibt es Artikel zu Maskulinität und Faschismus, der peinlichen BBC und KI beim Übersetzen. Dokus erzählen vom Leben nach dem Tsunami in Japan und einer Brennpunktschule in Belgien; Serien von Luden auf St. Pauli und Filme von Schuld und Sühne in China. Dazu eine Besprechung von Michael Moorcocks The Citadel of Forgotten Myths.

Artikel

Muskelmänner, Hoden-Bestrahlung und Faschismus – Von “300” bis zu Tucker Carlson

Die von mir sehr geschätzte Annika Brockschmidt (unbedingt ihr Buch Amerikas Gotteskrieger lesen) hat für 54Books einen Artikel über ein toxisches (eher peinliches, aber gefährliches) Bild von Männlichkeit geschrieben. Ausgangspunkt dafür ist die Dokumentation The End of Men von Fox-News-Oberhetzer Tucker Carlson. Brockschmidt zeigt auf, wie diese vermeintliche Maskulinität vom Faschismus genutzt wird, um Männer in einem immerwährenden Kriegszustand zu halten. Waffengewalt, weißer Nationalismus und christlicher Faschismus, das fließt alles mit ein und hat gerade in den USA aktuell wieder beängstigende Ausmaße angenommen.

BBC zensiert ihre eigenen Programme und Moderatoren

Die BBC knickt immer stärker vor der rechten Politik der Torie-Regierung ein, die den Sender am liebsten komplett abschaffen würde. Diese Woche wurde Gary Lineker suspendiert, der Moderator der beliebtesten Sportsendung im UK hatte die Asylpolitik der Regierung als unmenschlich und grausam kritisiert.

Auch der 96-jährige David Attenborough wurde Opfer dieser BBC-Politik. E hat eine neue Naturdokuserie über wilde Inseln am Start. Doch von den sechs Folgen werden nur fünf ausgetrahlt, weil die BBC angeblich Angst vor einem „rechten Backlash“ habe, wenn sie die Episode über die Folgen der Klimakrise und der Zerstörung der Umwelt ausstrahlt. Der Guardian berichtet.

So weit sind wir jetzt schon, dass wissenschaftliche Fakten zurückgehalten werden, weil man keinen Ärger mit dem Klimakrisen leugnenden rechten Teil der Gesellschaft und Politik haben will. In der Online-Mediathek der BBC wird die Folge zwar verfügbar sein, doch das Bild, das sie aktuell abgibt, ist verheerend.

Heide Franck über Kollektive Intelligenz – Übersetzungsmaschinen und Literatur

Meine ehemalige Chefin von Tor Online und Übersetzerkollegin Heide Franck arbeitet momentan mit zwei Kollegen an einem Projekt darüber, wie wir als Übersetzer*innen, aber auch die Verlage mit den Fortschritten in der künstlichen Intelligenz und bei Übersetzungsprogrammen umgehen können. Dazu hat sie dem Deutschlandfunk Kultur ein sehr interessantes Interview gegeben.

Blog

In meinem Blogbeitrag der Woche erzähle ich davon, wie und warum zwei Filme mein Leben verändert haben.

Tor Online

In meinen SFF News geht es um: Die Phantastik-Bestenliste März, einen Trailer zur Silo-Verfilmung, das 1. Fantasy Lese-Festival Köln, den Genderswapped-Podcast zu KI-Kunst und Daniel Greene zu neuen Herr-der-Ringe-Filmen.

Wenn Kathedralen atmen: Magische Gebäude in der Fantasy

Der Artikel der Woche stammt von Alessandra Reß: Ob Bibliothek oder Kathedrale, Internat oder Herrenhaus: Magische Gebäude haben in der Fantasy eine große Tradition und können den Figuren an jeder Ecke über den Weg laufen. Ein guter Grund, sich das Wesen solcher Bauwerke einmal genauer anzuschauen.

Lektüre

The Citadel of Forgotten Myths | Michael Moorcock

Elric und Moonglum reisen über den Rand der Welt hinaus in »the world below«, wo Elric mehr über die Herkunft seines Volkes erfahren möchte und eine Blume finden will, die ihm dauerhaft helfen soll, bei Kräften zu bleiben, ohne dass er mit Sturmbringer töten muss. Das Buch besteht aus zwei schon bekannten Kurzgeschichten, die zusammen 100 Seiten einnehmen und einer 200 Seiten langen Novelle und spielt zwischen den Romanen The Bane of the Black Sword and Stormbringer.

Die ersten beiden Kurzgeschichten sind für Elric-Fans ganz nett. Klassische Sword-and-Sorcery-Storys nach dem üblichen Moorcock-Muster, wo am Ende immer eine höhere Macht eingreift. Die 200-seitige Novelle fängt auch relativ vielversprechend an, durch die letzten 100 Seiten musste ich mich allerdings quälen. Die sind unheimlich langatmig. Die sich ewig wiederholenden Dialoge und Reflexionen ziehen sich zu lange hin, ständig wird wieder alles erklärt. Ich konnte der Geschichte auch nicht immer ganz folgen. Was Morcoock früher in zwei Absätzen erklärt hat, in Sachen Mulitiversums-Kuddelmuddel, erstreckt sich hier ohne Mehrwert über mehrere Seiten. Spannung kommt keine auf, Sense of Wonder nur in sehr kleinen Dosen. Sprache und Stil sind teils auch ziemlich antiquiert, was ich manchmal zu schätzen weiß, mich hier aber im Lesefluss gestört hat. Gefallen hat mir, dass Moonglum mehr Raum und Persönlichkeit erhalten hat, als ich es aus den ursprünglichen Romanen in Erinnerung habe. Und die Idee mit den Bienen ist ganz nett.

Nach Raymond Feists Midkemia-Saga war der schwarze Elric-Band von Heyne mit den sechs ursprünglichen Romanen das erste Fantasybuch, das ich als Jugendlicher gelesen und geliebt habe. Kein anderes Buch habe ich so oft wiedergelesen. Doch schon die beiden Elric-Romane aus den 1980/90ern The Fortress of the Pearl und The Revenge of the Rose konnten mich nicht so wirklich überzeugen..

Für mich persönlich ziehe ich aus der Lektüre, dass Fazit, dass Elric für mich mit den sechs Kern-Romanen auserzählt ist, vor allem mit dem wunderbaren und endgültigen Ende. Die lese ich aus Gründen der Nostalgie immer wieder gerne, bin auch sehr auf die Neuübersetzung von Hannes Riffel gespannt (im Herbst erscheint bei Fischer Tor eine prächtige Elric-Gesamtausgabe), aber alles, was darüber hinausgeht, und noch irgendwie nachträglich in die Chronologie gequetscht wird, hat für mich wenig Reiz. Als Kurzgeschichte eher noch als in der längeren Form. Wäre vor 20 Jahren vermutlich noch anders gewesen, als ich noch gerne mehr vom Gleichen und längere Serien gelesen habe.

Serien

Luden

Sechsteilige deutsche Serie über den schönen Klaus (Barkowsky) und seine Nutella-Bande, die in den 1980ern auf St. Pauli den Kiez aufgemischt haben. Eine Serie über Männern die Frauen ausbeuten, schlagen, entstellen, traumatisieren und in den Tod treiben, und sich dabei gegenseitig auf die Fresse hauen, sich abstechen und schließlich erschießen. Schlecht ist die Serie nicht, aber mir ist sie stellenweise zu fröhlich inszeniert. Die Macher*innen wollten damit wohl einen Kontrast zu den Schockmomenten schaffen, mir werden dadurch aber kriminelle Gewalttäter wie Barkowsky zu romantisierend und charmant dargestellt, auch wenn am Ende ganz klar ist, was für ein Arschloch der Mann ist. Von der Ausstattung und der Aufmachung her seht gut gemacht, die Darsteller‘innen sind auch super.

Wer sich die Serie schon anschaut, sollte sich auch die Doku-Serie Die Paten von St. Pauli ansehen, wo besser rüberkommt, was für Schmierlappen das alles sind. Und wie gewalttätig es wirklich abgelaufen ist.

Daisy Jones and the Six

Noch eine historische Serie von Amazon, dieses Mal um die titelgebende fiktive Band, basierend auf dem Roman von Taylor Jenkins Reid. Wenn ich mit der Serie durch bin, werde ich mehr dazu schreiben, die ersten fünf Folgen haben mir sehr gut gefallen, aber erst mal veweise ich auf die sehr treffende Einschätzung von Stefan Mesch beim Deutschlandfunk Kultur, der die Serie auch im Verhältnis zur Buchvorlage setzt. Die hatte mir ebenfalls gut gefallen, war aber vielleicht etwas zu beschönigend.

Dokus

Double Layered Town (二重のまち/交代地のうたを編む)

Erzählt von vier jungen Leuten, die eine vom Tsunami zerstörte Stadt besuchen, die mit 40 Zentimeter Erde aufgeschüttet und neu erbaut wurde. Dort lauschen sie den Menschen, die von der Katastrophe betroffen wurden und Angehörige verloren haben. Ziel ist, deren Geschichten weiterzuerzählen.

Es geht nicht nur darum, wie die Katastrophe das Land und die Städte verändert hat, sondern auch die Menschen. Wie die junge Mutter, die vor dem Tsunami gerne Romane gelesen hat und nie ohne Make-up aus dem Haus ging. Dies danach aber nicht mehr konnte. Ein solches Ereignis verrückt die Prioritäten, auch jenseits des Traumas.

Dryads in a Snow Valley (風の波紋)

Begleitet das Leben der Menschen in einem kleinen japanischen Bergdorf, in dem im Winter teils über drei Meter Schnee fallen können. Ein hartes Leben in einer kleinen Gemeinschaft, die aber zusammenhält und sich gegenseitig hilft. Die Kamera hält einfach drauf und lässt die Menschen erzählen.

Beide Filme sind noch bis Mittwoch kostenlos bei JFF+ Independent Cinema zu sehen.

Die Schule der letzten Chance

Eigentlich wollte ich mir auf Arte Beste Bedingungen – Eine Jugend im Pariser Nobelviertel ansehen, merkte aber schnell, dass ich die Doku von 2017 schon kannte. Ist aber sehenswert, begleitet sie doch 15 Jahre lang jene Jugendlichen, die aufgrund ihrer Herkunft auf Elitehochschulen wie die ENA oder École polytechnique gehen und später die Politik- und Verwaltungselite Frankreichs bilden.

Ganz anders jene Jugendlichen aus Die Schule der letzten Chance, die aus zerrütteten Familienverhältnissen kommen und als „Problemschüler*innen“ gelten. Drei Jahre lang begleitet die Doku sie an ihrer Schule in Lüttich (Belgien) und zeigt, das hinter jeder*jedem problematischen Schüler*in eine Geschichte steckt, die sie teils schwer traumatisiert hat, aber zumindest dafür sorgt, dass ihnen Struktur und Halt in der Familie fehlt. Was wiederum seine Ursachen in unsere Gesellschaft hat, die dabei versagt, Bedingungen zu schaffen, die solche Verhältnisse verhindern.

Filme

Tenebre

Auf Netflix gibt es jetzt diesen Giallo von Dario Argento, der zu Recht zu seinen besten Filmen gezählt wird. Menschen aus dem Umfeld eines Schriftsteller werden so ermordet, wie er es in seinen Büchern beschreibt. Dazu originelle Kamerafahrten und die dynamische Musik von Goblin. Doch auch wenn der Film selbst kritisch erwähnt, wie tumb es ist, dass Frauen immer nur die Opfer sind, geht es am Ende doch nur darum, junge, oft leichtbekleidete Frauen zu töten.

Are You Lonesome Tonight (Re dai wang shi)

Ein junger Chinese, der nachts einen Mann überfahren und Fahrerflucht begangen hat, sucht die Nähe zur Frau seines Opfers, verhält sich dabei aber auch ziemlich übergriffig. Clever verschachtelt erzähltes und in außergewöhnlich schönen Bildern gefilmtes Drama über Schuld und Sühne, das sich in der zweiten Hälfte mehr Richtung Thriller entwickelt, weil eine Tasche voller Geld eine Rolle spielt. Braucht sich hinter Filmen wie, Asche ist reines Weiß und Feuerwerk am helllichten Tage nicht zu verstecken.

Für genauere Infos empfehle ich die Besprechung von Joachim Kurz bei Kino-Zeit.

Meine Woche 05.03.2023: Wildes Tokio, Hongkong-Kino und künstliche Intelligenz

Mein Schwerpunkt liegt heute auf Filmen aus Hongkong von Johnnie To, Tsui Hark und Wong Kar-Wai, sowie einem ganz tollen aus Japan. Es geht darum, wie KI das Kino und unser Leben verändern wird. Und warum ich Bücher mehr als einmal lese. Dazu Dokus, Serien und Hörspiele.

Was für eine Woche. Der Iran vergiftet seine Kinder, die SPD möchte in Berlin unter einem Rechtsaußen der CDU mitregieren und ist jetzt auch bei Taliban-Vergleichen angekommen, wenn es um die Protestaktionen junger Klimaaktivist*innen geht. Die Verbalradikalisierung des politischen und journalistischen Establishment gegen junge Menschen, die sich außerhalb der für sie zugewiesenen Gehege politisch engagieren, nimmt bedenklich und demokratiezersetzende Züge an. Im Iran können wir sehen, wo solche Worte irgendwann hinführen. Ich hoffe, mein Wochenrückblick hilft dabei, von dem ganzen Scheiß ein wenig abzulenken.

Artikel

Read it again! Bücher noch einmal lesen?

Es gibt ja Menschen, die lesen kein Buch zweimal, weil es noch so viele interessante ungelesenen Bücher gibt. Ich gehöre nicht dazu. Nach 15 bis 20 Jahren lese ich Bücher, die mir richtig gut gefallen haben, gerne ein zweites Mal. Einige meiner Lieblingsbücher habe ich auch schon mehrfach gelesen. Denn es ist nicht das gleiche Buch, dass ich beim zweiten Mal lese, da ich nicht derselbe Mensch bin. Ich habe neues Wissen, neue Erfahrungen. Aber manchmal geht es mir auch einfach nur um Nostalgie. Für Teilzeithelden hat Marie Mönkemeyer einige Gründe für einen Reread aufgeführt.

Wo bleibt Ihr Aufruhr? – Sascha Lobo über künstliche Intelligenz

Ich persönlich gehe davon aus, dass meine Tätigkeit als Übersetzer irgendwann in den nächsten zehn Jahren weitgehend durch KI-Programme wie DeepL ersetzt wird. Vielleicht nicht bei anspruchsvoller Literatur, aber im Unterhaltungsbereich garantiert. Viele aus der Branche wiegeln noch ab, weil sie von dem Stand ausgehen, auf dem sich DeepL aktuell befindet, und bedenken nicht, dass die Fortschritte dieser KI-Programme exponentiell stattfinden und die Rechenleistung sich alle sechs Monate verdoppelt. Die professionellen Go-Spieler haben auch lange noch abgewiegelt, bis ihr Weltbild durch AlphaGo plötzlich erschüttert wurde.

Viele gehen auch davon aus, dass die meisten Menschen Kreativität und den menschlichen Faktor bei Texten und Kunstwerken zu sehr schätzen, um sich mit KI-Ergebnissen abspeisen zu lassen. Wenn ich mir aber ansehe, wie erfolgreich schlecht geschriebene und/oder schlecht übersetzte Bücher teilweise sind, ohne, dass der Mehrheit der Leserschaft das überhaupt auffällt, habe ich da wenig Hoffnung. Und viele Verlage kümmert es auch nicht, so lange es sich verkauft.

So viel zum Artikel von Sacha Lobo und meinen persönlichen Bezügen dazu. Ich denke, dazu werde ich irgendwann noch einen eigenen Blogbeitrag schreiben.

Youtube

Wie Künstliche Intelligenzen das Kino völlig verändern

Auch der Film-Youtuber David Hain hat sich diese Woche auf seinem Kanal Behaind mit dem Thema KI beschäftigt, und wie es das Filmemachen revolutioniert. Er stellt den Film Fall vor, bei dem Schimpfwörter nachträglich durch harmlosere Varianten ersetzt wurden. Damit das lippensynchron bleibt, wurde eine Software entwickelt, die die Lippenbewegungen an die neuen Wörter anpasst. Sowas wird in Zukunft auch bei Filmsynchronisationen in andere Sprachen eingesetzt werden. Eine Technologie, mit der man Menschen alle möglichen Aussagen in den Mund legen kann. Denn die Stimme lässt sich inzwischen auch deepfaken.

Aber das ist bei Hain nur die Einleitung, denn er geht auch der Frage nach, was in Zukunft noch auf uns zukommt. Wie er, sehe ich das größte Problem für originelles, kreatives Kino darin, dass der Erfolg eines Films inzwischen ziemlich genau berechnet werden kann, und die Studios nur noch solches immergleiches Zeug produzieren werden. Also noch mehr, als es ohnehin schon der Fall ist.

Serie

Skins UK

Erstmals seit ca. 2010 (damals auf Hulu) habe ich mir die ersten beiden Staffeln der britischen Serie Skins wieder angesehen. Insgesamt gibt es sieben, aber mehr habe ich nicht gesehen, da ab der dritten die Hauptfiguren wechseln – was aber durchaus verständlich ist, da ihre Geschichten auserzählt sind.

Ich kenne keine Serie, die das Gefühl der letzten Monate und Wochen vor dem Schulabschluss so gut einfängt, wie Skins. Dabei balanciert sie gekonnt zwischen großen Albernheiten und ernsten emotionalen Momenten. Allein die vorletzte Folge der 2. Staffel (mit Cassie in New York) ist ein kleines Meisterwerk.

Klar, eine Serie wie Euphoria erzählt heute noch mal auf einem ganz anderen Niveau, aber in ihr geht es auch um andere Themen. Bei Skins steht vor allem Freundschaft im Vordergrund, zwischen Sid und Tony, Jal und Michelle, Cassie und Chris. Anwar und Maxxie. Liebschaften natürlich auch sowie Trauer und Verlust. Abwesende Eltern sind ein Thema, Eltern, die sich nicht kümmern, nicht verstehen.

Vermutlich werde ich demnächst aber weiterschauen, denn Effi soll noch mit dabei sein, und die war in den ersten beiden Staffeln die coolste Sau von allen.

Gibt es auf Netflix.

Doku

Wildes Tokio

Eine 45-minütige Doku über die Fauna Tokyos. Wer glaubt, die Riesenmetropole würde nur aus Menschen, Stahl, Beton, Asphalt und bunten Lichtern bestehen, täuscht sich. Auch in Großstädten findet die Natur ihren Weg und Tiere ihre Nischen. Da ich kürzlich erst Pom Poko gesehen habe, hat es mich besonders gefreut, dass als erstes Tier der Marderhund seinen Auftritt hat, mit einer Schienenüberquerung, die auch aus dem Film stammen könnte. Ansonsten gibt es Krähen, die sich Nester aus Kleiderbügeln bauen, hungrige Haie in der Bucht von Tokyo um einen Unterwasserschrein, und Möwen, die auf Hochhausdächern brüten.
Ist in der ARD-Mediathek verfügbar.

Hörspiel

Die drei ??? Manuskript des Satans

Die Buchvorlage kenne ich nicht, aber das Hörspiel hat mir richtig gut gefallen. Einen so soliden klassischen ???-Fall hätte ich nicht mehr erwartet. Nur schade, dass das titelgebende Manuskript keine große Rolle spielt. Ansonsten gibt es unheimliche Vorgänge, einen grummelingen Auftraggeber und klassische Ermittlungsarbeit. Und Jürgen Thormann in der wichtigsten Nebenrolle, die er mit 95 Jahren! immer noch hervorragend meistert.

Filme

Hongkong

In den letzten zwei Jahren habe ich schon angefangen, eine DVD-Blu-ray-Sammlung von Filmen aus Hongkong anzulegen, da viele dieser Filme nicht im Streaming erhältlich sind, und wenn doch, dann nur mit deutscher Tonspur (siehe die Filme von Johnnie To). Von Wong Kar-Wai gibt es inzwischen tatsächlich fast alles in vernünftigen Versionen bei Streaming-Anbietern, aber bei John Woo, Fruit Chan und Ann Hui sieht es schlecht aus, weshalb ich mit dem Sammeln angefangen habe. Angeregt durch meine Sichtung von PTU auf Arte habe ich mir letzte Woche drei Filme von Johnnie To bestellt. Bis auf Mad Detective kannte ich die schon alle, die letzte Sichtung liegt aber schon sehr lange zurück.

DVD-Cover zu je drei Filmen in einer Reihe, von oben rechts: Exiled, Mad Detective, Breaking News, Bullet in the Head, Hard Boiled, A Better Tomorrow, Infernal Affairs, Made in Hong Kong, Tao Jie, Days of Being Wild, Chungking Express und In the Mood for Love.

Mad Detective ist für mich bisher Tos schwächster Film. Die Geschichte über den van Gogh unter Hongkongs Ermittlern ist eigentlich gar nicht so schlecht, auch wenn sie zwischendurch etwas wirr wirkt. Hier gibt es Anleihen an den Film Dämon mit Denzel Washington, kann unser Detective doch sehen, wenn Menschen von Dämonen besessen sind. Als er konsultiert wird, nach einem verschwundenen Polizisten zu suchen, eskaliert die Situation. Das Langweilige an dem Film ist die Art, wie er gefilmt ist. Ganz konventionell, ohne die Eleganz und Finesse, die es bei To sonst zu sehen gibt.

Ganz anders Breaking News, einer von Tos besten Filmen. Allein, wie die Schießerei am Anfang gefilmt ist, mit der Kamera, die die Straße hinauffährt, sich dreht und wieder hinunterfährt, bis sie sich in den Himmel hebt. Neben der reichhaltigen Action, ist der Film aber auch eine Kritik an den Medien und wie sie die Arbeit von Sicherheitsbehörden beeinflussen. Aus einer Zeit, in der es in Hongkong noch eine freie Presse gab.

Im Stream gesehen habe ich Happy Together, der einzige Film von Wong Kar-Wai, den ich bisher noch nicht kannte, obwohl ich ihn mir vor über 20 Jahren auf VHS aufgenommen habe. Das lag nicht unbedingt daran, dass mich damals Filme über Liebesbeziehungen zwischen Männern nicht interessiert haben, sondern eher, dass es ein Hongkong-Film ist, der in Argentinien spielt. Ich wollte eben Hongkong sehen und seine Atmosphäre. Der Film ist gut und ein Meilenstein des (asiatischen) Gay-Cinemas. Die beiden Hauptfiguren fand ich allerdings sehr unsympathisch und ihre Beziehung toxisch. Aber von Christopher Doyle in wirklich schönen Bildern gefilmt.

Die Sieben Schwerter von Tsui Hark ist ein ganz ordentlicher historischer Wuxia- bzw. Marrtial-Arts-Film, der zwar auf einer literarischen Vorlage basiert, aber doch stark an Die sieben Samurai erinnert, geht es doch um sieben Schwerkämpfer, die ein Dorf vor einer Armee aus Schurken beschützen müssen. Mit 147 Minuten hat er im Mittelteil ein paar Längen, da er aber ursprünglich auf vier Stunden ausgelegt war, geht durch die Kürzungen bei manchen Sachen das Verständnis verloren.

Ist noch bis zum 13.08.2023 in der Arte-Mediathek erhältlich.

Auf meiner Seite lesenswelt.de gibt es noch mehr zu Hongkong.

Mein Film der Woche kommt aber nicht aus Hongkong, sondern aus Japan:

Call Me Chihiro

Ein wunderbarer Slice-of-Life-Film über eine ehemalige Sexarbeiterin, die an einem Bento-Stand arbeitet, ihre Mitmenschen mit ihre Gutmütigkeit und Laune ermutigt und ermuntert, und so einen herzlichen Kosmos um sich herum schafft, in dem sich die Leute, die sich vorher nicht kannte, gegenseitig helfen.

Es gibt Kritiker, die schreiben, der Film würde weder showen noch tellen, es würde nichts passieren, aber das sind Leute, die – wie Wolfgang M. Schmitt wohl schreiben würde – nur schauen, aber nicht sehen. Denn es passiert eine Menge. Für uns Zuschauer*innen wirkt es wie Kleinigkeiten, doch für die Figuren sind das teils gravierende Veränderungen. Der Film ist eine Hommage an die Poesie des Alltags und zwischenmenschliche Beziehungen, die ohne große dramatische Momente auskommen. Ein heißer Kandidat für meinen Lieblingsfilm des Jahres.

Gibt es jetzt neu auf Netflix.

Japan Independent Cinema: 6 kostenlose Filme im Stream

Auf der Seite des JFF (Japanese Film Festival) können noch bis zum 15. März sechs japanische Independent-Filme kostenlos angesehen werden. Noch habe ich keinen davon gesehen, mir aber auf jeden Fall die beiden Dokus vorgenommen, und hoffentlich auch noch den Rest. An dieser Stelle möchte ich ein großes Lob an all die Filmfestivals aussprechen, die Filme, die in Deutschland teilweise wohl nie erscheinen werden, nicht nur vor Ort auf ihrem Festival im Kino zeigen, sondern sie seit der Pandemie auch online zugängliche machen. Das ist eine echte kulturelle Bereicherung.