Liebe Buchbranche, wir müssen reden! Wenn Selbstausbeutung existenzbedrohend wird

Als Disclaimer vorweg: Ich arbeite freiberuflich als fester freier Mitarbeiter bei Fischer Tor bzw. S. Fischer mit einem Werksvertrag (und zwar gerne, habe ein tolles Team im Verlag), und daneben auch als Gutachter und Übersetzer für andere Verlage. Dieser Artikel bezieht sich nicht allein auf meine Situation, sondern die meiner Kolleginnen, die Buchbranche insgesamt und vor allem auf große Publikums- und Konzernverlage. Wobei ich mich hier jetzt konkret auf die Übersetzerbranche beziehe, da ich dort hauptberuflich tätig bin und mich hier am besten auskenne (bei freien Lektor*innen, Korrektor*innen, Sensitivity Readern, Grafiker*innen usw. dürfte die Situation ähnlich sein).

Die Honorare in der Buchbranche für Übersetzer*innen, aber auch Lektor*innen, Korrektor*innen und andere freiberuflich tätige Menschen, haben sich im Prinzip seit Beginn der 2000er Jahre nicht verändert. Sprich: Sie sind seit 20 Jahren um kaum gestiegen. Der Verband der Übersetzer hat ermittelt, dass das Normseitenhonorar seit 2001 16% seiner Kaufkraft eingebüßt hat (Stand 2019/20!). Das ist schon in normalen Zeiten ein Problem, aber angesichts der aktuellen Inflation, der allgemeinen Preissteigerungen und vor allem der explodierenden Energiekosten nimmt, was zuvor nur an Selbstausbeutung (aus Liebe zum Beruf) grenzte, existenzbedrohende Züge an.

Dazu sollte ich noch erwähnen, dass ich vor allem im Bereich der Phantastik (Science-Fiction, Fantasy und Horror) unterwegs bin, also in der Genreliteratur. Wie die Honorarsituation in der sogenannten E-Literatur aussieht, weiß ich nicht so genau. Dort werden, vor allem wenn es sich um Hardcoverausgaben handelt, höherer Honorare gezahlt, die aber, wenn ich den Meldungen des VdÜ so folge, auch kaum gestiegen sein dürften. Das aktuelle vom Verband der Übersetzer durch eine Umfrage unter den Mitgliedern ermittelte Durchschnittshonorar von 18 Euro pro Normseite liegt übrigens deutlich über dem, was im Genre in der Regel pro Seite gezahlt wird. Wer da als Übersetzer*in auf einen für Freiberufler empfohlenen Stundenlohn von 60 bis 90 Euro kommen will (Lohnneben- und sonstige Kosten müssen ja selbst getragen werden), muss sich ganz schön ranhalten.

Im Genrebereich waren die Honorare schon immer grenzwertig (mal abgesehen davon, dass sie auch nicht vom Schwierigkeitsgrad der Übersetzung abhängen). Übersetzer*innen müssen, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen, im Prinzip viel schneller und viel mehr Titel übersetzen, als es für die Qualität der Übersetzung eigentlich gut ist. Ich weiß gar nicht, wie viele Kolleginnen ich kenne, die bis in die Nacht hinein übersetzen und für die ein freies Wochenende ein Fremdwort ist, das auch ihnen zu übersetzen schwer fällt. Da findet seit Jahrzehnten Selbstausbeutung statt, aus Liebe zum Beruf, zur Sprache und zum Genre. Weil man*frau macht, was man*frau liebt, auch wenn es aus ökonomischer Sicht wenig sinnvoll erscheint. Burnout und Depressionen sind durchaus nicht unüblich.

Für Übersezter*innen gibt es zwar einen Normvertrag, an den halten sich aber viele Verlage nicht, und er enthält auch kein Mindesthonorar. Eigentlich ist das Honorar eine Verhandlungssache zwischen Verlag und Übersetzer*in. Im Prinzip haben die Verlage aber festgesetzte Honorare, von denen sie nur in den seltensten Fällen und vor allem seit knapp 20 Jahren kaum abweichen. In den Buchkalkulationen großer Konzernverlage werden die Übersetzungskosten oft als störender Faktor wahrgenommen, den es möglichst klein zu halten gilt. Während für die Bücher diverser Prominenter, aber dann mehrer hunderttausend Euro Vorschuss zu Verfügung stehen (um mal etwas Polemik in die Diskussion zu bringen).

Eine Branche in der Krise

Irgendwie scheint sich die Buchbranche immer in der Krise zu befinden, zumindest nach eigener Aussage. In den letzten Jahren, seit dem Aufstieg von Netflix und Co. ist die Zahl der Buchkäufer*innen wohl wirklich stark zurückgegangen. Die Umsätze selbst sind es insgesamt aber wohl nicht. Im Phantastikgenre sind sie es aber tatsächlich, seit der Boom der Völkerfantasy vorbei ist und Megabesteller wie »Harry Potter«, »Twillight«, »Hunger Games« oder »Game of Thrones« schon seit Jahren auf sich warten lassen, ebenso wie neue Trends, die relativ sichere Verkaufserfolge kalkulieren lassen.

Die Zahl der Übersetzungen im Bereich der Phantastik geht schon seit Jahren zurück (ich hatte das 2014 mal für einen Artikel im Magazin phantastisch! für den Zeitraum von 2010 bis 2014 nachgezählt, seitdem ist es kaum besser geworden). Selbst Kolleg*innen, die teils seit Jahrzehnten als Stammübersetzer*innen für bestimmte Verlage tätig sind, berichten davon, dass plötzlich Aufträge ausbleiben. Gibt es zu viele Übersetzer*innen und zu wenig Auftäge, wird es für uns Übersetzer*innen schwierig, ein höheres Honorar auszuhandeln, da sich immer jemand findet, der es für weniger macht.

Pandemie und weitere Krisen

Zu all dem kam 2020 dann noch die Pandemie hinzu: geschlossene Buchhandlungen, ausgefallene Buchmessen und sinkende Leselust im Homeoffice bzw. in Krisenzeiten. Und 2022 dann der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, der die gesamte Globalisierung ins Wanken brachte, was sich in der Buchbranche z. B. durch eine Knappheit bestimmter Papiersorten und gestiegene Druckkosten bemerkbar machte. Steigende Inflation, Energiekosten und Unabwägbarkeiten für die Zukunft verschärfen die Situation nur noch mehr.

Es gibt also gute Gründe, für Verlage, Kosten zu sparen. Aber das gilt für alle Unternehmen. Und während für Arbeitnehmer von den Gewerkschaften (oft trotzdem unzureichende) Tariferhöhungen ausgehandelt werden, bleiben wir Freiberufler*innen weiter auf der Strecke. Was bisher häufig die schon oben erwähnte Selbstausbeutung war, wird jetzt existenzbedrohend.

Eine Zukunft in der Branche?

Den Beruf, die Branche zu wechseln, habe ich mir in den letzten Jahren immer wieder überlegt, allein um mal ein stetiges Einkommen zu haben, mit dem ich mir wieder eine Wohnung in Berlin leisten könnte (was aber auch mit normalem Gehalt immer utopischer wird). Inzwischen – und da bin ich sicher nicht der Einzige – muss ich mich fragen, ob ich es mir in Zukunft überhaupt noch leisten kann, in der Buchbranche zu arbeiten, wenn sich nicht bald etwas in Sachen Honorarerhöhungen tut.

Wie oben erwähnt, es gibt gute Gründe, für Verlage, Kosten einzusparen. Aber wenn das Geschäftsmodell nur noch funktioniert, wenn sich einzelne (freie) Mitarbeiter*innen selbst ausbeuten, bzw. nicht mehr genügend damit verdienen, um davon leben zu können, dann sollte dieses Geschäftsmodell doch mal überdacht werden. Und da habe ich noch gar nicht die deutschsprachigen Autor*innen erwähnt, deren Vorschüsse und Einahmen insgesamt meist sogar noch niedriger ausfallen, als die der Übersetzer*innen, weshalb viele von ihnen nebenher selbst noch übersetzen.

Eine Lösung für das Problem habe ich auch nicht parat. Höhere Buchpreise wären eine Möglichkeit. Aber, obwohl sie in den letzten 20 Jahren selbst kaum gestiegen sind, werden sie von den Leser*innen trotzdem jetzt schon oft als zu Hoch empfunden, weshalb viele auf gebrauchte Titel bei Medimops oder günstige Selfpublisher-E-Books umsteigen.

Eine für uns Kreative unschöne Lösung wird wohl sein, dass manche Verlage in den nächsten zehn Jahren vermehrt auf Übersetzungs-KIs wie DeepL setzen werden, deren Ergebnis dann nur noch vom Lektorat überarbeitet wird. Und Buchcover aus KIs wie Midjourney.

Aber so lange wir noch nicht von „Robotern“ ersetzt werden, sollten wir uns als Freiberufler*innen gerade jetzt für höhere Honorare einsetzen und versuchen, uns nicht gegenseitig zu unterbieten.

Liebe Buchbranche

Liebe Buchbranche, wenn ich als Übersetzer oder sonstiger Mitarbeiter bei euch nicht mehr genug verdiene, um mir eure Produkte, also die Bücher, die jetzt keine Luxusprodukte wie ein Porsche sind, nicht mehr leisten kann, dann läuft etwas falsch. Und wenn ich mir Sorgen machen muss, dass ich meine monatlichen Fixkosten nicht mehr decken kann, dann werden euch bald qualifizierten Mitarbeiter*innen wegbrechen, so wie es kürzlich der Gastronomie oder dem Sicherheitsgewerbe auf Flughäfen passiert ist.

Nachbemerkungen

Ist jetzt schon länger her, dass ich auf diesem Blog einen Beitrag gebracht habe, der jener Branche ans Bein pinkelt, in der ich weiterhin mein Einkommen verdiene. Aber das bisschen Kritik wird sie schon verkraften können.

Und keine Sorge, momentan geht es mir finanziell noch gut.

Zum Ausklang gibt es noch etwas Musik:

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..