Trend zur Science Fiction? – Die phantastischen Verlagsvorschauen im Überblick

So, mit den phantastischen Verlagsvorschauen der großen Publikumsverlage bin ich jetzt durch. Es wird noch ein kurzer Blick auf das Programm der Hobbit Presse von Klett-Cotta folgen (das Telefonbuch von Hobbingen scheint es alleine nicht mehr zu bringen), eventuell werde ich mich noch kurz mit phantastischen Titeln in allgemeinen Reihen beschäftigen (falls ich da was für den Herbst finde, will auch nicht alle Programme durchgehen), und dann werde ich mich den Kleinverlagen widmen. Zunächst aber ein kleiner Überblick über die bisher vorgestellten Programme/Vorschauen.

Die ganze Artikelreihe begann ja mit der Frage: Phantastikvorschauen Herbst/Winter 2016: Wo sind die Frauen?

Ich enthalte mich jetzt mal jeglicher Wertung und spekuliere auch nicht über die Gründe, warum der Anteil an Autorinnen in den aktuellen phantastischen Programmvorschauen der großen Publikumsverlage nur bei 29 Prozent liegt. Von 141 Neuerscheinungen stammen 41 von Frauen. In der Science Fiction liegt der Anteil sogar nur bei 19 Prozent, mit 8 von 49 Titeln.

Mit dem Blick auf die einzelnen Vorschauen der Verlage wollte ich vor allem die Titel der Frauen darin hervorheben, aber auch einen Gesamtblick auf das werfen, was da auf uns zukommt. Denn mit den neuen Phantastikprogrammen von Knaur und Fischer/Tor stellte sich mir die Frage: Ob hier Gamechanger auf dem phantastischen Buchmarkt das Parkett betreten? Denn durch zwei neue große Player scheint tatsächlich etwas Bewegung auf den zuletzt stagnierenden phantastischen Buchmarkt zu kommen, dessen Neuerscheinungen seit 2010 relativ stark zurückgegangen sind.

Beide Verlage legen interessante Programme mit anspruchsvollen aber auch massentauglichen Titeln sowohl in der Fantasy als auch in der Science Fiction vor. Ob und wie diese beim deutschen Publikum ankommen werden, wird sich aber erst noch zeigen müssen. Dass sie aber bereits für Veränderungen auf dem Markt sorgen zeigt nicht nur, dass der Festa Verlag sein neues (auf Fantasy und Science Fiction ausgelegtes) Imprint Deltus.de direkt nach Bekanntwerden der Pläne von Fischer/Tor, und nur wenige Monate nach Programmstart!, wieder einstampfte (Das Leben des Tao und Die Tode des Tao von Wesley Chu sollten dort ursprünglich erscheinen, wechselten dann aber zu Fischer/Tor), sondern auch der Blick auf die aktuellen Vorschauen der anderen großen Phantastikverlage.

Beim Platzhirsch Heyne erscheint mit Die drei Sonnen von Cixin Liu erstmals ein chinesischer SF-Roman auf Deutsch. Und auch sonst habe ich den Eindruck, dass man mit den neuen Werken von Autoren wie Kim Stanley Robinson, Ian McDonald oder Robert Charles Wilson wieder mehr originelle und anspruchsvollere Science Fiction jenseits der (durchaus unterhaltsamen) Popcorn-Space-Action im Programm hat.

Auch Piper setzt wieder verstärkt auf Science Fiction und hat, nachdem man in den letzten Jahren nur vereinzelte SF-Werke (z. B. von Hannu Rajaniemi) veröffentlichte, jetzt wieder ein eigenständiges SF-Programm am Start (allerdings schon seit letztem Jahr).

Und auch Bastei/Lübbe bringt wieder mehr eigenständige SF-Titel, nachdem das Programm in den letzten Jahren auf ein paar Dauerläufer unter den Serien von Autoren wie David Weber, Peter F. Hamilton oder Jack Campbell zusammengeschrumpft worden war.

Einzig an Blanvalet scheint der Trend (oder doch nur Hype?) zur Science Fiction völlig vorbeigegangen zu sein. Der Verlag setzt sein von SF freiem Programm mit wenig origineller Fantasy fort.

An dieser Stelle stellt sich die Frage, ob der aktuelle Boom der SF (nein nicht der Dirk 😉 ) in den Verlagen auch bei den Leserinnen und Lesern ankommen wird. Auf dem englischsprachigen Buchmarkt bringt die Science Fiction regelmäßig Bestseller hervor (siehe The Martian, The Three-Body Problem usw.), und sie scheint sich generell etwas besser zu verkaufen als bei uns. Vor allem boomt die SF aber im Kino, wo neben den sehr SF-lastigen Superheldenfilme und Star Wars aber auch regelmäßig waschechte SF-Filme wie Interstellar, Ex-Machina, Mad Max: Fury Road, Edge of Tomorow uvm. erfolgreich laufen. Bei den Serien sieht es da (vor allem, wenn es um den Weltraum geht) leider etwas magerer aus, aber auch hier kommt mit Serien wie (der auf einer Buchvorlage basierenden) The Expanse und der neuen Star Trek-Serie Bewegung in die Sache. Ob sich dieser Trend (der im Kino ja schon seit einigen Jahren läuft) aber auf den Buchmarkt übertragen lässt, ist eine andere Frage.

Was bisher geschah

Ausgelöst durch Peter Jacksons Verfilmungen von Tolkiens Herr der Ringe, kam es durch die geschickte Vermarktung der sogenannten Völkerfantasy (die es so nur bei uns hier in Deutschland gab) zu einem fast zehn Jahre anhaltenden Boom der Fantasyliteratur. Angefangen hatte alles mit dem Sammelband Die Orks von Stan Nicholls (drei Romane in einem Band), den man mit dem Spruch: Die Orks schlagen zurück! Ein etwas anderes Fantasy Epos – mit den Bösen aus J. R. R. Tolkiens »Herr der Ringe in den Hauptrollen vermarktete. Und geboren war die Völkerfantasy. Es folgten die extrem erfolgreichen Bücher Die Zwerge von Markus Heitz und Die Elfen von James Sullivan und Bernhard Hennen (die sich zu langanhaltenden Serien entwickelten), mit denen es dann so richtig losging. Ein Trend, der vielen deutschsprachigen Fantasyautoren (die es bis dahin sehr schwer hatten) plötzlich Türen bei den großen Verlagen öffnete, und die dann irgendwelche Fantasyvölker als Titel verpasst bekamen: Die Trolle, Die Drachen usw. Und als die Völker ausgingen, fing man an sie zu kombinieren: Die Drachenelfen, Orks vs. Zwerge usw.

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Doch nach ca. 10 Jahren war wohl auch der letzte Fantasyfan mit von Thematik gesättigt. Die Verkaufzahlen gingen deutlich zurück. Zwischenzeitlich gab es ein paar andere Trends, wie der durch Twillight ausgelöste Vampirboom oder die aktuelle noch in den letzten Zügen liegende Jugenddystopie (Hunger Games und Co.). Andere prophezeite Trends wie Engel oder Steam Punk erwiesen sich allerdings als Rohrkrepierer. Und der Erfolg der TV-Serie Game of Thrones führte zwar zu einem enormen Anstieg der George-R.-R.-Martin-Leser, wirkte sich allerdings nicht wirklich verkaufssteigernd auf andere Fantasywerke aus, auch wenn die Verlage erfolglos versucht haben, alle möglichen ambivalenten und düsteren Grim-and-Gritty-Fantasybücher in diese Schiene zu pressen.

In der Branche hieß es in den letzten Jahren, dass niemand wisse, was der nächste Trend sein könne, aber man versuche verzweifelt etwas zu finden, das einen neuen Boom in der Phantastik auslösen könnte.

Nachdem man in der Fantasy inzwischen wahrscheinlich alles abgegrast hat, kam man wohl aufgrund des oben erwähnten Erfolgs im Kino, aber auch auf dem englischsprachigen Buchmarkt, auf die – über viele Jahre als Kassengift angesehene – Science Fiction, die bei vielen großen Genreverlagen seit dem Boom der Fantasy eher ein Schattendasein fristete.

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Dabei war sie gar nicht fort. Sowohl SF-Leser und eine Nachfrage gab es durchaus, und diese Nische wurde von Kleinverlagen wie Atlantis, Wurdack, Begedia oder Golkonda gefüllt. Hier hatten vor allem auch deutschsprachige SF-Autoren eine Chance, veröffentlicht zu werden. Aber auch die Zahl der Übersetzungen von amerikanischen und englischen SF-Romanen stieg durch Verlage wie Mantikor und Cross Cult in den letzten Jahren deutlich an. Waren es bei Cross Cult zunächst noch Franchiseromane wie z. B. aus dem Star Trek-Universum (die früher noch bei Heyne erschienen), wird dort seit ca. zwei Jahren auch die SF-Sparte mit eigenständigen und anspruchsvolleren Titeln ausgebaut (ein Artikel dazu folgt demnächst noch).

Und auch größere Verlage brachten durchaus noch Science Fiction, die sich gut verkauft hat. Nur eben nicht in den Genresparten, sondern in den allgemeinen Reihen, ohne das SF-Label auf dem Buchumschlag. Bücher wie Drohnenland von Tom Hillenbrand, Die Frau des Zeitreisenden von Audrey Niffenegger Limit von Frank Schätzing, Der Circle von Dave Eggers, Die Unvollendete von Kate Atkinson oder Die Landkarte der Zeit von Felix J. Palma. Die Science Fiction war nie fort, sie fand zum einen in der Nische der Kleinverlage statt, ist aber auch längst im Mainstream angekommen (wenn auch vielleicht etwas verschämt, weshalb sie sich dort nicht so gerne als SF präsentiert).

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Ob es jetzt wirklich die neuen Programme von Knaur und Fischer/Tor sind, die zu einem Verlagstrend zur SF führten und die Mitbewerber aufrüttelten, oder ob dahinter andere Gründe stecken (Genretrends finden ja häufig zyklisch statt und lösen sich gegenseitig ab), vermag ich nicht zu sagen. Aber für Leser und Liebhaber von SF-Literatur, die auch gerne auf Deutsch lesen, stehen interessante Zeiten an. Ob der SF-Boom (der Verlage) auch bei den Lesern ankommt, wird sich zeigen müssen.

Für die Fantasy könnte das Abflauen der Trendwellen wieder zu mehr Vielfältigkeit im Angebot führen. Nach meinen Erfahrungen ist der durchschnittliche Fantasyleser der letzten 20 Jahre relativ konservativ eingestellt und möchte gerne immer mehr vom Gleichen lesen. Aber irgendwann tritt dann wohl trotzdem eine gewisse Sättigung ein, man wächst vielleicht auch aus dem verengten Genreblick raus und sehnt sich doch nach etwas Neuem. Trends bedeuten, dass Verlage versuchen, ganz viel Ähnliches und Gleiches auf den Markt zu werfen, um im Kielwasser des Trendsetters mitzuschwimmen. Flauen Trends ab, wird nach etwas Neuem gesucht. Aber um etwas Neues zu finden, muss man experimentieren. Und das könnte (wenn auch womöglich nur kurzfristig) zu einem vielseitigeren, anspruchsvolleren und originelleren Angebot führen.

Oder ist die Zeit der Trends und Booms vorbei? Was meint ihr?

 

Hier noch mal die bisherigen Artikel in chronologischer Reihenfolge:

Phantastikvorschauen Herbst/Winter 2016: Wo sind die Frauen?

„Wo sind die Frauen“ – Einige Ergänzungen zum Beitrag vom 26.4.

Gamechanger auf dem phantastischen Buchmarkt? Die Programme von Fischer/Tor und Knaur Fantasy

Der Platzhirsch – Das SF- und Fantasyprogramm 16/17 von Heyne

Phantastikvorschau Herbst/Winter 2016/17 von Piper – Wo sind die Frauen?

Phantastikvorschau Herbst/Winter 16/17 von Blanvalet – Wiedersehen mit alten Bekannten

Phantastikvorschau Herbst/Winter 16/17 von Bastei/Lübbe – Hier sind die Frauen!

9 Gedanken zu “Trend zur Science Fiction? – Die phantastischen Verlagsvorschauen im Überblick

  1. Trends und Booms wird es immer geben, was mir allerdings fehlt, ist ein umfangreiches und sich weiterentwickelndes Universum. Klar es gibt, wie von dir angesprochen, die beiden großen Star… – Franchises, aber ich würde mir wieder mal etwas wie das großartige und sehr lebendige BattleTech-Universum (stolzer Besitzer aller 63 Bände der ursprünglichen Reihe und auch der leider nicht mehr so packenden Dark Age-Romane) wünschen. Die meisten „Reihen“ sind ja mittlerweile eher Trilogien oder Vierteiler.

    • Franchise-Romane! Mit denen hatte ich es auch immer wieder mal versucht (Shadowrun, DSA usw.), aber es hat nie so richtig zwischen uns geklappt. Nur mit den D&D- bzw. Forgotten-Realms-Romanen von R. A. Salvatore und Hickman und Weis. Ansonsten habe ich von den bekannteren Franchiseautoren wie Michael Stackpole oder William King nur eigenständige Werke gelesen. Will aber unbedingt mal einen Warhammer-40k-Roman von Dan Abnett lesen, und auch mal „Gortrek und Felix“ von King.

      Bei den Tie-in-Sachen habe ich ein paar Star-Trek-Romane gelesen (die mir auch gefallen haben) und die großartige Admiral-Thrawn-Reihe von Timothy Zahn im Star-Wars-Universum. Das wars aber auch. 😉

  2. Mir ist der Trend eigentlich schnuppe, da eh schon mehr erscheint, als ich lesen kann. Von dem neuen Kram werd ich mir wohl erstmal nur das Körperproblem holen. Aber auf jeden Fall wird es für mich ein sehr Frauen-lastiges SF-Jahr. Zwar stehts da noch 5:4 für die Männer, aber drei weitere Romane von Frauen stehen schon bereit.

  3. Trends und Booms wird es immer geben, und wenn’s grad mal keinen gibt, wird versucht, einen zu erschaffen. 😀
    Auf jeden Fall bin ich auch froh, wenn es Einzelromane gibt – nix gegen Reihen, Serien, Trilogien etc., hat alles seine Berechtigung und kann Spaß machen, aber da ich gern querbeet lese, mag ich nicht zu viel Lesezeit damit binden.

  4. Pingback: Maiansichten 2016 | Fragment Ansichten

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