Die besten Filme, die ich 2023 erstmals gesehen habe

Auf dieser Liste stehen Filme, die ich dieses Jahr das erste Mal gesehen habe, und die in meiner internen Wertungsliste 9/10 oder gar 10/10 Punkte bekommen haben. Wobei das eine rein subjektive Wertung ist, bei der es nur danach geht, wie sehr mir der Film gefallen hat. Im Kino bin ich dieses Jahr nur einmal in Equalizer 3 gewesen, der war nur okay, aber etwas zu sadistisch (Denzel Washington goes Jason, hat nur die Eishockeymaske gefehlt.) Das war mein erster Kinobesuch seit Januar 2020 (damals 1917). Eigentlich wollten wir Oppenheimer schauen, haben uns aber spontan aus einer Laune heraus umentschieden.

One More Time With Feeling

Huch, zu dem Film habe ich weder auf meinem Blog noch auf Facebook oder Letterboxd was geschrieben. Andrew Dominik begleitet Nick Cave bei den Aufnahmen zu dessen Album Skeleton Tree. Wunderschöne Aufnahmen, poetisch inszeniert, Nick Cave sagt viel kluge und witzige Dinge, Warren Ellis. Ein sehr intimer Film, in dem es auch um den Tod von Caves Sohn Arthur und den Umgang mit der Trauer geht. Ich habe den Film im Februar gesehen, deswegen kann ich jetzt nicht mehr so viel dazu schreiben.

Pom Poko (平成狸合戦ぽんぽこ)

Mitte/Ende der 1990er, bevor bei uns in der Westerwälder Provinz das Internet kam, war Helen McCarthys Animeguide für mich die Bibel für japanische Zeichentrickfilme und primäre Informationsquelle. Zu Pom Poko schreibt sie in der Anime Encyclopedia, im Vergleich zu Mein Nachbar Totoro sei der Film wenig universal und könne auf Außenstehende ethnozentrisch wirken. Was aber wohl als Kompliment gemeint ist, da ihre Besprechung im Anime Guide durchgehend positiv ausfällt. Die Elemente mögen japanischer sein, als bei den vielen europäisch beeinflussten Filmen Miyazakis. Doch die Themen Fortschritt durch Umweltzerstörung und die Entfremdung von den eigenen kulturellen Wurzeln sind doch sehr universelle.

Aber, wer hier ein kitschig-knuffiges Umweltmärchen mit süßen Knuddelbärchen erwartet, kennt Regisseur Isao Takahata schlecht. Der Film beginnt relativ trocken, fast wie eine TV-Reportage, ohne emotionale Bezugspunkte und Identifikationsfiguren unter den Marderhunden, die hier Stück für Stück ihre Heimat verlieren. Doch im weiteren Verlauf, wenn die mystischen Tiere sich zusammentun und um ihre Heimat kämpfen, gewinnt er eine ungeheure Wucht, die in der grandiosen Geisterparade mündet, da aber lange noch nicht endet, sondern erst danach so richtig rührend wird.

Der Film, der auf den Postern so knuffig aussieht, macht allerdings keine Gefangenen, der Protest der Marderhunde ist teils sehr clever, aber teils auch so brutal, dass Menschen sterben, und später sogar einige der Hauptfiguren.

Pom Poko ist eine grandiose Ballade über den Zusammenprall von Tradition und Moderne, Mensch und Natur und den Wert von Gemeinschaft und Heimat (ob selbstgewählt oder hineingeboren). Aufgrund seiner sperrigen Struktur und dem krassen Kontrast zwischen knuffigen Tieren und gewalttätigen Aktionen ist er, neben Meine Nachbarn die Yamadas, wohl der (gerade für ein nicht-japanisches Publikum) unzugänglichste aller Ghibli-Filme. Für mich, mit meinem Interesse an japanischen Mythen und Legenden, aber einer der besten. Ist mir ein Rätsel, warum ich ihn mir nicht schon vorher angesehen habe.

Call Me Chihiro (Chihirosan)

Ein wunderbarer Slice-of-Life-Film über eine ehemalige Sexarbeiterin, die an einem Bento-Stand arbeitet, ihre Mitmenschen mit ihre Gutmütigkeit und Laune ermutigt und ermuntert, und so einen herzlichen Kosmos um sich herum schafft, in dem sich die Leute, die sich vorher nicht kannte, gegenseitig helfen.

Es gibt Kritiker, die schreiben, der Film würde weder showen noch tellen, es würde nichts passieren, aber das sind Leute, die – wie Wolfgang M. Schmitt wohl schreiben würde – nur schauen, aber nicht sehen. Denn es passiert eine Menge. Für uns Zuschauer*innen wirkt es wie Kleinigkeiten, doch für die Figuren sind das teils gravierende Veränderungen. Der Film ist eine Hommage an die Poesie des Alltags und zwischenmenschliche Beziehungen, die ohne große dramatische Momente auskommen. Ein heißer Kandidat für meinen Lieblingsfilm des Jahres.

Leaving on the 15th Spring (Tabidachi no Shima Uta – 15 Go Haru)

Erzählt vom Leben auf einer kleinen Insel östlich von Okinawa und Yunas letztem Jahr dort, bevor sie für die Oberschule aufs Festland ziehen muss. Gelungene Mischung aus Coming-of-Age, leisem Familiendrama und dem Überlebenskampf der kleinen Gemeinschaft in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage. Ein richtig schöner Film, der das Leben auf dem Land in Japan nicht romantisiert, sondern zeigt, welche Nachteile es mit sich bringt.

Der von Yuna gesungene Abschiedssong. Ganz tolles Lied!

Der schlimmste Mensch der Welt (Verdens verste menneske)

Ui, der Film hat mich überrascht. Habe zwar einen guten Film erwartet, aber nicht so eine interessante Mischung. Am Anfang nimmt er noch die üblichen Beziehungsmuster mit provokanten und gekonnten Regieeinfällen auseinander, im letzten Drittel bekommt er richtig Tiefgang und wird bittersüß emotional. Über eine junge Frau, die das Gefühl hat, nichts wirklich zu Ende zu bringen, und ständig zu was Neuem zu wechseln (kommt mir bekannt vor).

Judy Blume Forever

Ganz tolle Doku über und mit der wunderbaren amerikanischen Autorin Judy Blume, die ganze Generationen von Kindern und Jugendlichen geprägt und viel zur Liberalisierung der Gesellschaft beigetragen hat.

An einem schönen Morgen

Über eine junge verwitwete Mutter, die als Übersetzerin und Dolmetscherin arbeitet, sich um ihren kranken Vater kümmert und eine Affäre mit einem alten, aber verheirateten Freund anfängt. Wunderbar unaufgeregt über den Alltag, die Unzulänglichkeiten des französischen Gesundheitssystems und wie es ist, einen Menschen zu verlieren, der zwar noch da ist, aber nicht mehr er selbst.

Wo in Paris die Sonne aufgeht (Les Olympiades)

Vom Leben dreier junger Pariser*innen, deren Wege sich überschneiden, voneinander entfernen und wieder annähern. Erzählt eigentlich nichts Neues, aber die Inszenierung hat was ganz Besonderes. Ist zärtlich und poetisch, gleichzeitig aber auch dynamisch und voller Energie. Mit drei tollen Hauptdarsteller*innen.

This Is England

Packende Mischung aus Coming-of-Age und Milieustudie, die zeigt, wie schnell sich Kinder und Jugendliche radikalisieren lassen. Und wer kennt ihn nicht, den Arschloch-«Kumpel«, der die Stimmung killt, ständig für Ärger sorgt und die Clique sprengt. Erzählt wird von Shaun, der in der Schule gemobbt wird und dessen Vater im Falklandkrieg ums Leben kam. Er gerät an eine Gruppe linker Skinheads, die ihn bei sich aufnehmen, sich aber spaltet, als einer von ihnen rechte Ideen bekommt. (Die darauf folgende Serie ist übrigens noch besser.)

Retour à Séoul

Retour à Séoul/Return to Seoul erzählt von der jungen Französin Freddie, die – auch für sich selbst – überraschend in Seoul landet und nach ihren leiblichen Eltern sucht, die sie zur Adoption freigaben, als sie noch ein Baby war. Eine Sache, die ihr durchaus schwerfällt, die sie aber trotzdem sehr konsequent durchzieht. Die Begegnungen mit ihren Wurzeln führen wohl nicht zu den erhofften Ergebnissen, so wie ich Freddies Reaktionen darauf deute.

Was den Film so interessant macht, sind die Lücken, die er lässt, was alles nicht erzählt bzw direkt ausgesprochen wird. Er ist außergewöhnlich themenzentriert, es geht ausschließlich um Freddie, und wie sie mit der Adoptionsgeschichte umgeht. Alles, was jenseits davon liegt, ihr Leben in Frankreich, ihre Eltern, ihre Ausbildung verbleibt als vage Umrisse im Nebel. Es gibt ein Telefonat mit der Mutter, in dem so viel unausgesprochen bleibt, und doch so viel gesagt wird. Am Ende bleibt ein verletztes Umfeld zurück.

Retour à Séoul ist ein Film, der mich als Zuschauer herausgefordert hat, diese Lücken mit Spekulationen selbst zu füllen oder eben mit der Ungewissheit zu leben, zu akzeptieren, dass Menschen und Geschichten Leerstellen haben, die mich nichts angehen.

Freddie ist kein einfacher Mensch, handelt nicht sympathisch, aber verständlich. Park Ji-min (in ihrer allerersten Rolle!) stellt diese Verletzlichkeit und Verletztheit, die sich in Härte im Umgang mit jenen Menschen zeigt, die sei unterstützen, wirklich hervorragend dar. Erst ist sie sehr charismatisch und einnehmend, dann schroff und stößt jene Leute vor den Kopf, während es sie innerlich zerreißt, weil sie sich vor der zunehmenden Nähe fürchtet. Auch wenn sie ihrer koreanischen Familie begegnet, womit sie selbst jenseits der kulturellen Differenzen überfordert ist.

Freddie ist eine der interessantesten Figuren, die ich seit langem im Film gesehen habe, die immer wieder Veränderungen durchmacht, neue Identitäten ausprobiert, ohne wirklich eine zu finden, die passt.

Die Zeitsprünge in der Handlung sind ebenfalls herausfordernd, erschließen sich nicht direkt, bleiben aber sinnvoll. Der Film trifft Entscheidungen und hat Ansätze, die es in einem Hollywoodfilm so nie geben würde, was ihn auch so faszinierend macht.

Im Prinzip ist der Retour à Séoul wie ein Gegenstück zum leisen und nüchtern erzählten Past Lives (hat die Liste ganz knapp verpasst), auch wenn es dort um ein ganz anderes Thema geht. Der aber trotzdem großartige subtile und poetische Momente hat. Und wunderschön gefilmt ist. Ein toller Film über die Widersprüchlichkeit und Ambivalenz von Menschen, und die Belastung, die die Suche nach Identität mit sich bringen kann.

Retour à Séoul vom kambodschanisch-französischen Regisseur Davy Chou basiert auf dem Leben von Laure Badufle, die er 2011 zu ihrem Treffen mit ihren biologischen Eltern in Südkorea begleitete.

Mark Kermode hatte den Film vor sieben Monaten empfohlen und ich habe mir den Titel gemerkt, bis ich ihn kürzlich im 99-Cent-Angebot von Prime entdeckte. Hier seine Besprechung, da er die Begeisterung für den Film viel besser vermitteln kann als ich.

Bemerkungen

Was auffällt: Kein Film aus Deutschland dabei, keiner aus Hollywood, mit Judy Blume Forever nur eine Produktion aus den USA. Japan ist stark vertreten, weil ich aktuell einen starken Fokus auf japanischen Filmen habe, eigentlich hätte auch noch Like Father, Like Son auf die Liste gemusst. Und M – eine Stadt sucht einen Mörder, den ich dieses Jahr tatsächlich zum ersten Mal gesehen habe. Irgendwie auch bezeichnend, dass der einzige deutsche Film der es auf die Liste hätte schaffen können, von 1931 ist.

Von 165 Filmen, die ich 2023 gesehen habe, stammen nur vier aus Deutschland. Aber Heikos Welt war dann doch nur mittelprächtig und Gugelhupfgeschwader erwähne ich lieber gar nicht. Rheingold war zumindest ganz in Ordnung. Und Sonne und Beton will ich noch sehen. Immerhin habe ich zwei Filme mit Franz Rogowski (Freaks Out u. Passages) und einen mit Sandra Hüller (Brownian Movement) gesehen, sind aber alles keine Deutschen.

Oppenheimer werde ich mir erst an Silvester ansehen, aber der taucht ja auch schon in genügend Jahresbestenlisten auf. Gleiches gilt für Killers of the Flowers Moon, da hat es immerhin die Buchvorlage in meine Top 10 geschafft.

Für mehr Hollywood könnt ihr zum Beispiel bei David Hain vorbeischauen, dessen Filmkritiken ich mir sehr gerne ansehe, auch wenn ich nicht immer einer Meinung mit ihm bin. Er hat z. B. Freaks Out auf der Liste, und der ist auch ziemlich gut, aber ich habe inzwischen Schwierigkeiten mit Filmen, die den 2. Weltkrieg und die Nazis einfach als Kulisse für eine coole Inszenierung benutzen.

Der Junge und der Reiher habe ich auch noch nicht gesehen, und vermeide bisher jegliche Trailer und Kritiken dazu. Wenn er ins Heimkino kommt, möchte ich ihn so sehen wie die japanischen Zuschauer*innen, also ganz ohne Infos darüber.

Besonders erwähnen möchte ich noch Nimona, ein Film, der wirklich frischen Wind ins Animations-Genre gebracht hat. Bezeichnend, dass Disney ihn mitten in der Produktion (zwei Drittel waren schon fertig) gecancelt hat, und toll, dass Netflix ihn übernommen hat.

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