Übersetz mich! „The Three-Body Problem“ von Cixin Liu

Die angloamerikanische Science Fiction dominiert das Genre seit Jahrzehnten und stellt auch in meinem Bücherregal die größte Fraktion. Ein paar deutsche Autoren wie Andereas Eschbach, Michael Marrak, Wolfgang Jeschke und Herbert W. Franke sind natürlich auch dabei, aber dann wird es auch schon dünn. Klassiker wie die Stanislav Lem aus Polen und die Gebrüder Strugatzki aus Russland dürfen natürlich nicht fehlen. Vor einigen Jahren sorgte Sergej Lukianenko dafür, das vermehrt russische SF bei deutschen Verlagen erschien, darunter auch Dmitry Glukhovsky. Hier und da erscheint auch mal ein Franzose wie Pierre Bordage oder ein japanischer Autor wie To Ubukata, aber das war es auch schon. Dabei hat z. B. Andreas Eschbach mit seiner Anthologie Eine Trillion Euro, in der SF-Kurzgeschichten aus viele europäischen Ländern wie Finnland, Griechenland oder Spanien vertreten sind, gezeigt, dass die SF viele Sprachen kennt. Das Japan und Frankreich eine lang SF-Tradition haben, zeigen die seit Jahrzehnten erscheinenden Animes, Mangas und Comics, die es auch nach Deutschland schaffen. Im Literaturbereich ist das aber leider nicht der Fall.

Dabei findet Science Fiction auf allen Kontinenten statt. Kürzlich ging z. B. ein afrikanisches SF-Magazin an den Start. Mit André Carneiro starb im November einer der bekanntesten brasilianischen SF-Autoren im Alter von 92 Jahren. Und auch in Indien findet die Zukunft statt, wie dieser Artikel zeigt. Nnedi Okorafor wiederum lässt ihre SF in Nigeria spielen.

Aber China war bisher noch unentdecktes Land, auch wenn The Three-Body Problem anders als vom Verlag angekündigt, nicht der erste ins Englische übersetzte SF-Roman aus China ist, wie Gary K. Wolfe in der Locus-Ausgabe vom Dezember 2014 feststellte. In einem Artikel auf Tor. com schreibt Autor Cixin Liu, dass SF in China ein Genre wäre, dass nicht viel Respekt bekomme.

Science fiction is not a genre that has much respect in China. Critics have long been discouraged from paying attention to the category, dismissed as a branch of juvenile literature

SF würde vor allem von Schülern und Studenten gelesen. Und doch wurde The Three Body (der Übertitel für alle drei Romane der Trilogie) zu einem Erfolg, auch in anderen Gesellschaftsschichten. Vielleicht liegt das auch am deutliche Hard-SF-Charakter des Romans, der sich streckenweise wie eine komplexe wissenschaftliche Abhandlung liest (was für mich aber kein negatives Merkmal ist). Dabei hat die SF in China laut Liu eine lange Tradition.

Of course, these events are only the latest entries in the century-long history of science fiction in China.

Der längere Artikel von Cixin Liu lohnt sich wirklich, ist aber nur auf Englisch verfügbar. Ich werde mich jetzt nach der langen Vorrede lieber dem Roman selbst zuwenden.

P1000276

Die Geschichte beginnt während der Kulturrevolution, die junge Physikstudentin Ye Wenjie muss mit ansehen, wie ihr Vater von der revolutionären Garde (die zum Teil aus jungen Mädchen besteht) zu Tote geprügelt wird. Sie selbst landet in einer Arbeitseinheit bei Forstarbeiten und später beim Red-Coast-Projekt, das dem SETI-Projet nicht unähnlich ist. Aber die Geschichte wird nicht linear erzählt, Lui springt zwischen den Zeitebenen hin und her. Ihr Anker liegt ungefähr in der Gegenwart, in der der an Nanomaterial forschende Wang Miao die Hauptfigur ist, und einer unglaublichen Geschichte auf die Spur kommt. Warum begehen plötzlich so viele Spitzenwissenschaftler Selbstmord? Was hat es mit dem Ende der Wissenschaft auf sich? Wang wird von einem geheimen Sonderkommando aus Militärs und Polizei (dem auch CIA und Natomitarbeiter angehören?) auf die Sache angesetzt, und macht schon bald eine unglaubliche Entdeckung.

Wie schon erwähnt ist The Three-Body Problem Hard-SF in Reinkultur. Vor allem gegen Ende des Romans war es mir nicht mehr möglich, den komplexen wissenschaftlichen Erklärungen zu folgen, was den Roman aber nicht schlechter macht. Gleichzeitig muss Wang aber auch ein faszinierendes Krimipuzzle lösen, und während seiner Ermittlungen erhalten wir immer wieder Einblicke in die Vergangenheit des Red-Coast-Projekts. Diese Rückblicke sind die große Stärke des Romans, in ihnen wird der Wahnsinn der Kulturrevolution und ihre Folgen anhand des Schicksals der jungen Ye Wenjie eindrucksvoll geschildert. In der Gegenwart schwächelt der Roman ein wenig auf der Figurenebene. Wang Miao bleibt ziemlich blass. Zunächst lernt man noch seine Familie mit Frau und Kind kennen, und welche Auswirkungen sein verstörtes Verhalten aufgrund seiner Erkenntnisse auf seine Frau hat. Aber die verschwindet schon bald gänzlich vom Radar. Plötzlich reist er in der Weltgeschichte rum, ohne auch nur an seine Familie zu denken. Dabei verbleibt er größtenteils passiv, und mir als Leser sehr distanziert.

Das war aber das Einzige, was mich an dem Buch gestört hat. Für diese kleine Schwäche entschädigt das faszinierende wissenschaftliche und die Grenzen unser Vorstellung sprengende Szenario, das zwar teils sehr abstrakt wirkt, mit Hilfe eines Computerspiels, das Wang spielt, aber Schritt für Schritt erklärt wird, und die wirklich tollen Ideen Lius. Für jedes Geheimnis das aufgedeckt und jedes Rätsel, das gelöst wird, tauchen unzählige neue auf, und halten die Geschichte stets spannend.

Liu schildert die Ereignisse der Kulturrevolution erstaunlich kritisch, man merkt aber auch, dass er in der Gegenwart sehr vage bleibt, was die politische Lage angeht. In der westlichen Wissenschaftsgeschichte und Literatur kennt er sich deutlich besser aus, als wir vermutlich mit der chinesischen. Es lohnt, wenn man vor der Lektüre mal nach dem Dreikörperproblem googelt. Die englische Übersetzung von Ken Lui lies sich ausgezeichnet. Für mich war das Buch ein echter Pageturner, den ich kaum weglegen konnte. Am ehesten könnte man es noch mit den Hard-SF Werken von Jack McDevitt vergleichen (ich denke da vor allem an Erstkontakt) und vielleicht noch mit Robert Charles Wilson.

Ich hoffe sehr, dass dieses Buch den Weg in einen deutschen Verlag finden wird. Ich hoffe aber auch, dass man es aus dem Chinesischen übersetzten lässt und nicht die Übersetzung einer Übersetzung in Auftrag gibt, wie leider es bei vielen japanischen Romane gemacht wird. Hard-SF hat es in Deuschland momentan schwer, aber The Three-Body Problem ist ein sehr spannender und voller aufregender Ideen steckender Roman. Ein Verlag, der Stolz auf sein SF-Programm ist und den Anspruch hat, die aufregendsten Werke des Genres zu veröffentlichen, der sollte sich diesen Roman nicht entgehen lassen.

Jetzt habe ich gar nicht so viel über den Inhalt verraten, aber das möchte ich auch gar nicht. Ist viel spannender, wenn Ihr euch überraschen lasst. Nur soviel, Ye Wenjie schickt in ihrer Zeit beim Red-Coast-Projekt eine Botschaft ins All hinaus, und erhält auch eine Antwort: Don’t Answer! Don’t Answer!! Don’t Answer!!!

Nachtrag vom 16.03.2015: Inzwischen habe ich erfahren, dass mehrere deutsche Verlage an dem Buch interessiert sind. Die Chancen, dass es 2016 oder 2017 auf Deutsch erscheinen wird, stehen also ganz gut.

Nachtrag vom 28.08.2015: Das Buch wird auf Deutsch bei Heyne erscheinen.

3 Gedanken zu “Übersetz mich! „The Three-Body Problem“ von Cixin Liu

  1. SF aus China ist definitiv lesenswert und es gibt neben Liu Cixin noch viele weitere interessante AutorInnen. Es gibt jetzt auch ein deutsches Magazin „Kapsel“, das sich chinesischer SF widmet. In jeder Ausgabe findet man eine Kurzgeschichte in deutscher Übersetzung direkt neben dem chinesischen Original. Außerdem gibt es noch ein Interview und einen Begleittext zur Geschichte chinesischer SF: http://kapsel-magazin.de/

Hinterlasse eine Antwort zu Frederike Antwort abbrechen

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..