Deadwood – Die Entwicklung des amerikanischen Western und die Möglichkeiten, die das moderne Serienformat diesem Genre eröffnet

Nachdem es zuletzt etwas viele Einträge zu »Captain Future« gab, gibt es heute zur Abwechslung mal einen thematischen Wechsel. Im letzten Sommer habe ich in einem Uni-Seminar über den amerikanischen Western eine Hausarbeit über die Entwicklung des Westerns und die Serie „Deadwood“ geschrieben. Die Arbeit ist insgesamt etwas oberflächlich und deskriptiv geraten und hätte sprachlich etwas akademischer formuliert werden können, hat aber trotzdem noch eine 2,0 erhalten. Falls jemanden das Thema interessiert oder lesen möchte, was ich so an der Uni verzapfe, gibt es hier einen kurzen Auszug. Am Ende des Textes kann man sich auch die komplette Hausarbeit als PDF-Datei ansehen.

1.     Die Bedeutung der Gewalt für den Western, für die Frontier und die USA als Nation

 

Die Geschichte der USA ist leider nicht von dem Thema Gewalt zu trennen. Zunächst richtete sich die Gewalt gegen die Ureinwohner, die aus ihrem natürlichen Lebensraum verdrängt wurden, um den Siedlern Platz zu machen. Dann richtete sich die Gewalt gegeneinander. Im Unabhängigkeitskrieg von 1775 – 1783 richteten sich die Siedler gegen die „eigene“ britische Regierung bzw. Krone. Und im amerikanischen Bürgerkrieg von 1861 – 1865 richteten sich die ehemaligen Siedler in Form von Bundesstaaten gegeneinander.

Aber auch unabhängig von diesen großen Ereignissen war der Alltag vor und nach dem Sezessionskrieg von Gewalt geprägt. Afrikanische Sklaven wurden gewaltsam zur Sklaverei gezwungen; chinesische Bahnarbeiter wurden bei der Verlegung von Eisenbahnschienen in den Westen nicht viel besser als Sklaven behandelt; die Ureinwohner wurden weiterhin gewaltsam unterdrückt und ihn Reservate gezwungen, es kam immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen und Massakern; und auch im Alltag der Weißen an der Frontier, in den Minenstädten wie Deadwood herrschte eine gewalttätige Atmosphäre und es kam immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen einzelner Personen.

Das Genre des Westerns bezieht sich ja vor allem auf die Zeit nach dem Bürgerkrieg ab 1865 bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts, und genau in dieser Zeit gab es auch einen maßgeblichen Fortschritt bei der Entwicklung von Schusswaffen. Während im Bürgerkrieg noch mit einschüssigen Vorderladern gekämpft wurde, entstanden danach sowohl mehrschüssige Pistolen wie der Colt als auch mehrschüssige Gewehre wie die Winchester.

Zudem wurde die Produktion dieser Waffen durch die Industrialisierung einfacher in Bezug auf die Herstellung hoher Mengen und kostengünstiger. Schusswaffen waren also nicht nur leichter zu bedienen, sondern auch erschwinglicher. Ihrer Ausbreitung stand also nichts mehr im Wege und durch ihre leichte und mehrfache Benutzung war auch der Typ bzw. Mythos des „gunfighter“ geboren.

Der spielt für das Genre des Westerns eine wichtige Rolle. Kaum ein Western kommt ohne einen „gunfighter“ oder einen „gunfight“ aus. Schon „The Great Train Robbery“ erschreckte seine Zuschauer, indem einer der Schauspieler seine Pistole direkt auf die Kamera, und damit auf das Publikum, richtete und abdrückte.

„Stagecoach“ verzichtet erstaunlich lange auf den Einsatz von Gewalt. Ford zieht die bedrohliche Atmosphäre zwecks Spannung lieber in die Länge, um sie dann in einem spektakulären Showdown mit den Indianern explodieren zu lassen. Ganz am Ende gibt es aber auch noch eine klassische Schießerei unter Cowboys.

 Kaum ein Western kommt ohne Gewalt (meist durch Schusswaffen) aus. Neben den historischen Gegebenheiten hat dies maßgeblich zum Selbstverständnis der USA als Schusswaffennation beigetragen.

Der zweite Verfassungszusatz von 1791 garantiert den Besitz und das Tragen von Schusswaffen auf Bundesebene: A well regulated Militia being necessary to the security of a free State, the right of the people to keep and bear Arms shall not be infringed (Constitution of the United States of America, Article 2).

Aber warum spielt die Gewalt im Western eine so entscheidende Rolle?

Der Western spielt in der Regel an der Frontier. Also in den noch „gesetzlosen“ Gebieten des westlichen Teils des Kontinents, die zu diesem Zeitpunkt noch keine Bundesstaaten sind. Die Regierung der damaligen Union hatte also noch keine Verfügungsgewalt über diese Gebiete. Sie übte dort keine Autorität aus und setzte keine Gesetze durch.

Wenn in einer Gegend keine Gesetze herrschen, dann herrscht meist Anarchie oder der Anarchie ähnliche Zustände. Anarchie bedeutet in der Regel das Gesetz des Stärkeren, und der Stärkere setzt seine Interessen mit Gewalt durch.

Richard Slotkin bezeichnet diese gewalttätigen Prozesse und deren Mythologisierung in der Geschichte der USA regeneration through violence.

In each stage of is development, the Myth of the Frontier relates  the achievement of „progress“ to a particular form or scenario of violent action. “Progress” itself was defined in different ways: the Puritan colonists emphasized the achievement of spiritual regeneration through frontier adventure; Jeffersonians (and later, the disciples of Turner “Frontier Thesis”) saw the frontier settlement as a re-enectment and democratic renewal of the original “social contract”; while Jacksonian Americans saw the conquest of the Frontieras a means to the regeneration of personal fortunes and/or of patriotic vigor and virtue. But in each case, the Myth represented the redemption of American spirit or fortune as something to be achieved by playing through a scenario of separation, temporary regression to a more primitive or “natural” state, and regeneration through violence (Slotkin, 11,12).

 Das Element der Gewalt im Western dient also nicht nur Unterhatltungszwecken, sondern der Bildung eines nationalen Mythos und einer nationalen Identität, in der Fortschritt und Wiedeherstellung bestimmter Zustände nur durch Gewalt möglich sind.

In vielen Western wird dies auf einfache Konflikte heruntergebrochen. Oft ist es eine Bande von gesetzlosen Banditen, die mit brutaler Gewalt ihre Interessen gegen eine meist wehrlose Gemeinschaft durchsetzt, bis eben jemand auftaucht, der es in puncto Gewalt mit ihnen aufnehmen kann. Oder es geht um Großgrundbesitzer, die ihre Interessen gegen kleine Farmer auf ähnliche Weise durchsetzen wie Banditen. In „Deadwood“ ist es der vermögende und rücksichtlose George Hearst, der seine Interessen gegenüber den kleinen Goldschürfern mit Gewalt durchsetzt. Im Falle von „Deadwood“ wird deutlich, wie der Fortschritt im Westen durch Gewalt vorangetrieben wird. Aber dazu mehr in Kapitel 3.

Die Naturgewalten, mit denen sich die Siedler an der Frontier rumschlagen mussten, lass ich an dieser Stelle aus, weil sie für die Analyse der Serie „Deadwood“ keine Rolle spielen.

1.     Deadwood

3.1 Der Western als Serie

Der Western im Serienformat ist schon älter als das Fernsehen selbst. Es gab ihn nicht nur als Fortsetzungsgeschichten in der Literatur, sondern auch als Serie im Radio. Bevor das Fernsehen seinen Siegeszug nach dem 2. Weltkrieg antrat, erfreute sich das Radio in vielen Haushalten großer Beliebtheit. Zu den beliebten Programmen gehörten nicht nur Nachrichten, Reportagen und Musik, sondern auch zahllose Radiohörspiele im Serienformat, wie z.B. „The Shadow“, „The Green Hornet“ und die Westernserie „The Lone Ranger“ (1933). Letzterer schaffte es im Jahre 1949 auch ins Fernsehen und lief dort bis 1957. Der maskierte Westernheld mit seinem indianischen Freund Tonto hat sich zu einer Art Kulfigur des amerikanischen Fernsehens entwickelt, sein Ausruf „Hi-yo, Silver! Away!“ ist in den gängigen Sprachgebrauch mit eingeflossen, ebenso wie Tontos „Kemosabe“, das inzwischen als Begriff für einen vertrauensvollen Freund benutzt wird. Aktuell entsteht sogar ein Hollywoodremake mit Johnny Depp.

Vor allem in den 60er und 70er Jahren erfreuten sich Westernserien wie „Bonanza“ und „Gunsmoke“ großer Beliebtheit, auch außerhalb der USA. Clint Eastwood, der mit den Italo-Western von Sergio Leone seinen großen Durchbruch feierte, spielte zuvor in der Fernsehserie „Rawhide“ mit.

Den Western ins Serienformat zu bringen ist also keine Neuerung, sondern schon so alt, wie das Genre selbst. Was „Deadwood“ so besonders macht, ist die Art, wie die Serie inszeniert ist. Hier unterscheidet sie sich deutlich von bisherigen Westernserien und Filmen. Um dies näher zu erläutern, werde ich einen kurzen Exkurs zur Entwicklung des Serienformats beim Sender HBO machen.

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