Wir stark darf man bei der Übersetzung vom Original abweichen?

Ich muss sagen, ich bin verwirrt und verunsichert. Was nicht gut ist, für einen Übersetzer.

Der eine Lektor sagt, man solle sehr nah am Original bleiben, man sei schließlich kein Autor. Der andere Lektor weicht in seiner Überarbeitung deutlich vom Original ab.

Von meiner Überzeugung her tendiere zur zweiten Variante (wobei ich es mich bisher nicht genug traue), da der Text vor allem im Deutschen gut lesbar und stilistisch schön sein soll. Ein Übersetzer meinte mal zu mir, man übersetze nicht den Originaltext, sondern die Wirkung des Originals auf dessen Leser.

Was aber, wenn das Original nicht gut geschrieben ist? Darf man den Text aufpolieren? Muss man es sogar? Wenn man es nicht tut, liefert man vermutlich eine Übersetzung ab, die sich nicht gut liest.

Es darf natürlich keine inhaltlichen Abweichungen geben, aber wie sieht es mit Stil, Wortwahl, Satzstruktur usw. aus?

Man kann die englische Satzstruktur nicht einfach 1:1 übernehmen. Im Deutschen benutzt man oft eine andere Struktur. Die Übersetzung muss sich lesen, als wäre sie von einem guten deutschen Autor geschrieben worden. Der Übersetzer fällt im Idealfall gar nicht auf.

Was sagen die hier mitlesenden Übersetzer und Lektoren dazu?

5 Gedanken zu “Wir stark darf man bei der Übersetzung vom Original abweichen?

  1. Ich finde das eine Übersetzung möglichst nahe dem Original sein sollte. Sätze abändern, streichen oder gar dazudichten geht gar nicht. Als Übersetzer ist man es dem Autor schuldig ihn so wieder zu geben wie er es geschrieben hat. Klar kostet das mehr Zeit, aber die sollte oder muss investiert werden. Wenn in jeder zweiten Zeile Fuck steht, so muss das auch in der Übersetzung stehen – und sollte nicht entfernt werden, weil es zu viel ist. Ebenso wenig sollten Textpassagen aus Zeitmangel oder Faulheit nicht einfach ausgelassen werden. Und für Dialoge sollte viel Feingefühl mitgebracht werden und sie sollten nicht zu verdeutscht werden. (haste, siehste, kannste, ach Mensch … geht gar nicht)
    Hatte da schon einige Diskussionen, denn viele Übersetzer oder Lektoren sehen das anders.

  2. Die Frage, die man sich als Übersetzer immer stellen muss, ist diese hier: Will der Leser einen Roman von mir, dem Übersetzer, lesen oder den Roman des Autors, den ich hier übersetze? Und natürlich ist es so, dass die Leser den Roman zu lesen bekommen sollen, den der Autor auch geschrieben hat – nicht mehr, nicht weniger.
    Als Leser finde ich es deshalb immer ärgerlich, wenn der Stil des Autors verschwindet und zugunsten des Stils des Übersetzers oder Lektors in den Hintergrund tritt. Ein Autor, der lange Schachtelsätze bevorzugt, sollte nicht in kurze Aussagehäppchen übersetzt werden – und anders herum. Die Devise sollte deshalb immer lauten: So frei wie nötig, so originalgetreu wie möglich zu übersetzen. Der Übersetzer muss sich hier zurücknehmen, seine Arbeit muss im besten Falle sozusagen unsichtbar sein. Und die des Lektors übrigens auch: der Lektor einer Übersetzung ist nicht der Lektor des Originalmanuskripts.

  3. „So frei wie nötig, so originalgetreu wie möglich zu übersetzen.“

    Das ist ein guter Grundsatz. Den muss ich mir immer wieder vor Augen führen.

  4. So frei wie nötig klingt gut. Aber wie schon erwähnt ist es mehr Aufwand. Ich sehe immer öfter, dass viele Übersetzer diesen Aufwand scheuen wie der Teufel das Weihwasser. Stellen, die nicht auf Anhieb verstanden werden, werden irgendwie übersetzt oder ausgelassen. Im schlimmsten Fall ist es dann so, dass man als Leser den weiteren Verlauf nicht versteht und der Meinung ist, der Autor XY kann nicht schreiben …

    Einen Text man natürlich nicht 1:1 runter ratschen, deswegen muss man sich mit dem Text auseiander setzen und ich wage zu behaupten, dass das die wenigsten Übersetzer heutzutage tun.

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