Die Entwicklung der amerikanischen Sitcom

Da TV-Serien ja ein Schwerpunkt meines Blogs sind, hier ein längerer Eintrag zur Entwicklung der amerikanischen Sitcom. Der ist ursprünglich, in leicht abgewandelter Form, ein Kapitel in meiner Bachelorarbeit Die Darstellung von Armut und Unterschicht in amerikanischen TV-Serien, analysiert am Beispiel der Serien „Raising Hope“ und „Shameless“ gewesen.

 
Da es sich um einen akademischen Text für eine deutsche Universität handelt, ist er sprachlich etwas trocken und langweilig geworden. Aber die wollen das so (seufz).
Hauptsächlich orientiere ich mich in diesem Kapitel an dem Buch „Honey, I’m Home: Selling the American Dream“ von Gerard Jones.

Die Entwicklung der amerikanischen Sitcom

Das Format der Sitcom ist älter als das Fernsehen selbst. In den 1920er und 30er Jahren erfreute sich das in den USA weitverbreitete Radio großer Beliebtheit. Eines der gängigen Formate war die „Situational Comedy“ (Sitcom). Vorbilder dafür waren Comicstrips. Die Sitcoms bestanden vor allem aus familientauglichen Sendungen und sogenannten Vaudevilleshows. Meist waren diese ethnischen Komödien, in denen Einwandererfamilien oder einzelne Figuren aus Irland, Italien oder anderen europäischen Ländern durch die kulturellen Unterschiede in komische Situationen gerieten.

Diese Sitcoms wurden wie viele andere Radiosendungen, die auf den Networks wie NBC, CBS oder ABC liefen, von Unternehmen (wie z. B. Kraft Food) gesponsert (vgl. Jones, 24). Diese Unternehmen übten erheblichen Einfluss auf die Inhalte der Sendungen aus. Der Großteil der Radiohörer (und damit auch der Werbezielgruppe) gehörte zur konservativen Mittelschicht, dementsprechend bestanden die Sponsoren auf unkritische, konservative Themen.

Der Start des Fernsehens verlief, anders als der des Radios, etwas holprig. Es dauerte lange, bis der Fernseher Einzug in die Mehrheit der US-Haushalte hielt. Auch für die Fernsehsender verlief der Start eher schleppend. Aufgrund der hohen Kosten für die Technik konnten es sich nur die größten Radiosender (also Networks wie NBC, ABC und CBS) leisten, ins TV-Geschäft einzusteigen. Hinzu kamen technische Hürden: Aufgrund fehlender Aufnahmekapazitäten wurden Sendungen live aufgeführt und waren in der Produktion sehr teuer, auch die Übertragung über den großen nordamerikanischen Kontinent stellte sich als schwierig heraus. Es gab nur wenige Zuschauer, was es für Werbekunden wenig attraktiv machte. Es war der Sport, genauer gesagt Baseball, der dem Fernsehen endgültig zum Erfolg bei den Zuschauern verhalf (vgl. Jones, 39).

Sitcoms gab es in den ersten Fernsehjahren noch nicht. Ende der 1940er Jahre konnten aber Sitcoms wie „Ozzie and Harriet“ und „My Friend Irma“ erste Erfolge feiern. Ethnische Sitcoms wie „The Goldbergs“ und „Mama“ folgten einem Muster, dass sich bis zu „Famous Teddy Z.“ von 1989 hielt (vgl. Jones 45). The older generation struggles under its traditional culture as the younger one apes American values (Jones, 45). Die ethnischen Sitcoms kamen im Zuge des Red Scares in Schwierigkeiten, Assimilation und die Verleugnung der eigenen Herkunft verbreitete sich immer mehr im Land und machte es solchen Sendungen schwierig, sich zu halten.

In den1950er Jahre präsentierten Sitcoms eine homogene, assimilierte Gesellschaft, die ausschließlich amerikanische Werte vertrat. Man wandte sich von größeren sozialen Gruppen ab  und konzentrierte sich auf die Familie (vgl. Jones 61). Es entstanden Shows mit Namen wie „My favorite Husband“, „The Honeymooners“, „Father knows best“ und „I love Lucy“.

… middle- and working-class family sitcoms to promote the commodities necessary for middle-class assimilation, but also to position working-class characters as stern object lessons in the battle to promote a „classless“ American post–World War II idyll. (Williams, 8)

Hinter den Sitoms dieser Zeit steckte also nicht nur die Absicht, die Zuschauer zu unterhalten, sondern eine politische und eine wirtschaftliche Agenda, die dabei helfen sollte die Zivilgesellschaft im Sinne von amerikanischen Werten und dem Corporate America umzustrukturieren und umzuerziehen.

Der Erfolg dieser Serien lag aber nicht an dieser ideologischen Agenda, die den meisten Zuschauern vermutlich gar nicht bewusst war. I love Lucy“ came along at the moment when Americans were finally putting the depression and the war behind them and trying  to shift back into “normalcy,” which for women meant domesticity (Jones, 70).
Die Darstellung dieser „Normalität“ zeichnete sich allerdings nicht durch wirklichen Realismus aus, sondern durch Kombination aus idealisierter Realität und komödiantischer Überzogenheit, wenn z. B. Lucy, für ihren vermeintlich vom Heimweh befallenen Partner ein kubanisches Dorf in der Wohnung samt Esel und Hühnern nachbaut.

Der Erfolg dieser Sitcoms hängt auch mit der steigenden Verbreitung von TV-Geräten zusammen, standen sie 1952 nur in 24 Prozent der Haushalte, waren es 1956 schon 72 Prozent (vgl. Jones, 73)

Sitcoms liefen oft nach dem gleichen Schema ab. Im Mittelpunkt steht eine Familie, die die klassischen amerikanischen Werte und Familienstrukturen repräsentiert. Die Mutter bleibt als Hausfrau zu Hause, kümmert sich um die Kinder und sorgt dafür, dass das Essen auf dem Tisch steht, wenn der Familienvater von seinem harten Arbeitstag zurückkommt. Dabei leben diese Familien in einer Art Blase, in der jeder Tag abläuft, als hätte es den vorigen nicht gegeben. Mit jeder neuen Folge wird ein Resetknopf gedrückt, der verhindert, dass es folgenübergreifende Handlungen gibt. Eine Folge besteht meist daraus, dass kleinere Probleme gelöst werden müssen, was im Verlauf für allerlei komische Situationen sorgt, am Ende aber mit Hilfe amerikanischer Werte gelöst werden kann.

Diese Familien leben meist in den „Suburbs“, den Vorstädten Amerikas und sind Teil der antikommunistischen Ideologie der 1950er Jahre. William Levitt, the master builder of the earliest mass market suburbias, put it most succinctly: „No man who owns his own house and lot can be a Communist. He has to much to do. (Jones, 89).

Die Sitcom wurde zum ideologischen Vehikel des Corporate America, sie präsentierten den Zuschauern, wie sie mit ihrem Familienleben zum Wohle Amerikas beitragen konnten, zum Kampf gegen den Kommunismus und zum Konsum, der neuen Religion des Corporate America. Die Familien in den Sitcoms leben den konsumorientierten Lebensstil vor, für den die Werbeunterbrechungen die passenden Produkte liefern. Die idealisierte Sitcomfamilie wurde zur „City upon a Hill“ für eine neu entstandene Fernsehnation.

Aber auch damals gab es schon Ausnahmen, Sendungen, die nicht hundertprozentig in das Schema passten und durchaus subversive Untertöne enthielten, wie z. B. „Make Room for Daddy“, eine Sendung, in der es um die Familie Nelson geht, die versucht, dem Ideal der amerikanischen Familie zu entsprechen, dieses Ziel aber stets verfehlt. Die Sendung machte sich über die Künstlichkeit und Bigotterie dieses Ideals lustig.

Bis zu Beginn der 1960er Jahre hatte sich bei den Sitcoms ein Schema verfestigt, das die nächsten 10 Jahre, mit nur kleinen Variationen, anhalten sollte (vgl. Jones, 134). Die drei großen Networks („The Big Three“: NBC, ABC und CBS) beherrschten das Feld. Die Sitcom war zu einem ähnlichen Massenprodukt geworden, wie die vielen Gebrauchsgegenstände, die in den Werbepausen angepriesen wurden.

Die großen Sitcoms der 60er Jahre waren „The Andy Griffith Show“ und „The Dick van Dyke Show“. „The Andy Griffith Show“ spielt in einer Kleinstadt in North Carolina. … one could never be quite sure whether the townsfolk were being mocked or sympathized with (Jones, 140). Eine Ambivalenz, die man auch bei „Raising Hope“ und „Shameless“ wiederfindet.

Aber in diesem Jahrzehnt gab es auch einen Bruch mit dem Idealbild der Normativität. In „The Beverly Hillibillies“ zieht eine Hinterwäldlerfamilie nach einer Erbschaft in die feine Gesellschaft von Beverly Hills ein und stellt die Homogenität der amerikanischen Gesellschaft infrage, laut Jones soll dies aber das einzig relevante soziale Thema gewesen sein, dass man mit dieser Sendung in Verbindung bringen könne, ansonsten würde sie sich weit abseits jeglicher Realität bewegen (vgl. Jones, 166).

In „The Munsters“ und „The Addams Family“ rücken gesellschaftliche Außenseiter in den Fokus. Das kann durchaus den Einflüssen von Gegenkulturen wie den Beatniks und später der Hippiebewegung zugeschrieben werden. Die jüngere Generation lehnt sich gegen die Homogenität der älteren auf. Hier zeigt sich, dass Sitcoms durchaus den Zeitgeist widerspiegeln, wenn auch auf abstrakte und codierte Weise. Wobei es das primäre Ziel von „The Munsters“ ist, zu zeigen, wie sich die Außenseiter anpassen können, um von der normalen Gesellschaft akzeptiert zu werden. Man erkennt zwar gewisse heterogene Anteile in der Gesellschaft an und auch eine gewisse Gegenkultur, aber am Ende ist es Ziel, diese wieder zu assimilieren. Damit hat sich die Serie selbst das subversive Potenzial entzogen und reiht sich zu den Sitcoms ein, die amerikanische Werte vertreten.

In den 1970er Jahren befassten sich Sitcoms wie „The Mary Taylor Moore Show“ auf differenziertere Weise mit dem Thema Emanzipation, als es noch Shows wie „I Love Lucy“ getan haben. Hier geht es um eine junge Frau, die versucht sich beruflich in einer Männerdomäne durchzuschlagen. Mary Taylor Moore wurde Vorbild für viele amerikanische Frauen (und auch für die Sitcom „Roseanne“), was nicht darüber hinweg täuschen sollte, dass die Sendung viele ihre Lacher durch sexistische Witze bezieht, die zwar durchaus kritisch behandelt werden, am Ende aber auch vom Sexismus der Zuschauer leben.

In den 70ern versuchte man etwas mehr Schärfe und Sozialkritik in das Sitcomformat zu bringen, in dem man z. B. die britische Sitcom „Til Death do us apart“ adaptierte. Die Sendung hieß „All in the Family“ und lief 10 Jahre sehr erfolgreich. Auch wenn sie etwas softer ausfiel als das britische Vorbild, war sie doch ein Meilenstein im amerikanischen Fernsehen, da es die erste Sendung war, die sich mit ernsthaften Themen wie, Rassismus, Homosexualität, Vergewaltigung, Abtreibung usw. auseinandersetzte.

„All in the Family“ geht mit einer ähnlichen Ambivalenz an diese Themen heran, wie „Shameless“. Familienvater Archie Bunker ist ein politisch völlig unkorrekter Rassist, der trotzdem auf eine sentimentale Weise präsentiert wird, die es dem Zuschauer schwierig macht, ihn nicht als Helden der Sendung zu sehen. Dadurch werden diese kontroversen Themen nicht direkt konkretisiert, zentraler Inhalt sind nicht die gesellschaftlichen Missstände, für die sie sorgen, sondern die persönlichen Konflikte der Protagonisten, und wie sie damit umgehen. Die Serie bricht thematisch zwar Tabus, folgt aber noch zu sehr dem Muster der frühen Ethnic Comedys, in denen Stereotypen vor allem zu Belustigung verwendet werden.

All in the Family“ could be viewed on different levels. Liberals, intellectuals, the upper middle class, the „New Youth“ could see their beliefs vindicated, if they wished. At the same time old white conservatives found a new hero and felt that the world had acknowledged them (Jones, 211).

Zu den erfolgreichsten Sitcoms der 80er Jahre gehören „The Cosby Show“ und „Alf“, beides Sendungen, in denen es um den Wert einer intakten Familie geht. Erst „Married with Children“ brach 1987 mit diesem Ideal der Familie. Hier sind die Hölle die anderen Familienmitglieder, bildlich sogar in einer Episode dargestellt, in der Al Bundy tatsächlich in die Hölle kommt, nur um festzustellen, dass es sich dabei um sein Haus und seine Familie handelt. Die Serie beschäftigt sich durchaus mit dem Thema Armut, ist dabei aber so überzogen und zynisch, und seine Protagonisten verhalten sich so dumm, dass dabei jegliche soziale Relevanz verpufft.

Anders ging es die Serie „Roseanne“ an. „Roseanne“ is more attached to its happy resolutions, but it does show the optimism of the genre beginning to crack (Jones, 266).

Es gab immer wieder einzelne Sitcoms, die kontroverse Themen aufgegriffen haben, diese aber letztendlich nicht auf ernsthafte bzw. differenzierte Weise behandeln konnten, da sie zu sehr im gängigen Schema des Sitcom-Formats gefangen waren. Die wohl erfolgreichste Sitcom in der Arbeiterklasse seit „Roseanne“ ist „King of Queens“, die von 1998 bis 2007 lief. Zwar sind die Protagonisten einfache Arbeiter (die Hauptfigur Doug Heffernan arbeitet für einen Paketdienst) und die finanziellen Probleme der Heffernans werden gelegentlich thematisiert, insgesamt, folgt die Serie aber dem klassischen Sitcomschema, ohne dabei kontroverse Themen zu behandeln.

Mitte der 90er Jahre verschob sich der Fokus bei Sitcoms ein wenig von Familien hin zum Freundeskreis, vor allem durch den Erfolg der Serie „Friends“, gefolgt von Sitcoms wie „Sex and the City“, „Big Bang Theory“ und „How I Meet Your Mother“ (letztere Serie setzt übrigens auf eine innovative Narration, die man bei Sitcoms vorher so nicht gesehen hat).  Zwar gab es solche Freunde-Sitcoms zuvor schon, wie z. B. die sehr erfolgreiche Serie „Cheers“, aber nicht in dieser Anzahl. Hier zeigte sich eine deutliche Verschiebung von Werten und Lebensgefühl in den 90er Jahren, weg von klassischen Familienwerten hin zu einer hedonistischen, individualisierten Lebensweise abseits alter Modelle.

Eine der wenigen Ausnahmen ist „Malcolm in the Middle“ (2000-2006), die das Leben von Malcolm und seiner dysfunktionalen Familie zeigt, die sich stets am Rande zum Abstieg in die Unterschicht befindet.

Aktuell befindet sich die Sitcom ein wenig in der Krise. „Big Bang Theory“ fährt zwar immer noch Rekordquoten ein, hat sich thematisch aber stark abgenutzt, ebenso wie „How I Met Your Mother“. Durch den Erfolg der Kabel-TV-Dramaserien ist das Interesse an Sitcoms (vor allem nach dem klassischen Schema) stark zurückgegangen. Viele werden nach ein bis zwei Staffeln wieder eingestellt, Ausnahmen sind teilweise Sitcoms, die thematisch ungewöhnliches Terrain betreten, wie „Parks and Recreation“ über eine Forstbehörde, oder „Community“ über ältere Studenten auf dem zweiten Bildungsweg an einem staatlichen College.

Statt weiter auf das klassische Sitcommodell zu bauen, hat man einzelne Sitcomelemente in Dramaserien wie „Shameless“ übernommen.

 

Literatur

Jones, Gerard. „Honey, I’m Home: Selling the American Dream“. New York: St. Martins Press 1992.

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