Japanuary #2: Kirschblüten und rote Bohnen (An)

Die Schönheit des Lebens erwartet uns manchmal dort, wo wir sie nicht vermuten, und oft sind es einfache, unscheinbare Dinge, die uns dort hinführen. Ein bestimmter Klang, ein vertrauter Anblick oder ein feiner Geruch, der in uns Erinnerungen weckt, uns berührt und in Bewegung setzt. Für Tokoue ist es der süßliche Geruch von Dorayaki, der sie zum schlichten Imbissstand von Sentaro mit den traurigen Augen bringt.

Blu-ra-Hülle des Film "Kirschblüten und roten Bohnen", auf der die drei Hauptdarsteller*innen vor einem prächtig blühenden Kirschbaum zu sehen sind.

Seine Bohnenpaste schmeckt nicht, ihre ist meisterhaft, und so findet sich ein ungleiches Duo, das gemeinsam Besonderes erreicht. Tokue ist schon 76 und trägt ebenso wie der deutlich jüngere Sentaro ein Geheimnis. Dazu kommt noch die Schülerin Wakana, die zwischen den beiden vermittelt. Womit alle drei Generationen vertreten wären.

Der Film erzählt von der Poesie des Alltags, vom Wesen der einfachen Dinge, die nur auf den ersten Blick einfach scheinen, oft aber eine Komplexität enthalten, die wir erst mit der Zeit zu erfassen vermögen. Wenn sich ungleiche Außenseiter zusammentun und etwas erschaffen, das über die Summe der einzelnen Teile hinausgeht, reagiert die Gesellschaft meist abwehrend und mit Vorurteilen. Mit denen hat Tokue schon ihr ganzes Leben zu kämpfen, doch die kurze Zeit im Dorayaki-Imbiss ließ sie dies vergessen und gab ihr eine Würde, die ihr von anderen Menschen oft abgesprochen wird.

Wir als Gesellschaft sind nur so stark und stabil, wie wir jene behandeln, die von der vermeintlichen Norm abweichen, und es ist nicht nur deren Würde, die wir damit nehmen, sondern auch unsere eigene. Naomi Kawase zeigt mit ihrem Film auf, wie wir solches Verhalten überwinden können, welche Schönheit darin liegen kann, Menschen, die wir als anders betrachten, zuzuhören, auf sie zuzugehen und die Welt mit ihnen zusammen zu erleben. Und wie wir selbst daran wachsen können.

Die Schönheit der Kirschblüte liegt nicht allein in ihr selbst, sondern auch in unsere Betrachtung. Was wir ihn ihr sehen, macht aus einer Naturschönheit etwas Persönliches. Erst wenn wir uns auf etwas einlassen, können wir die Schönheit darin erkennen. Und welche Schönheit vermuten wir schon in einer alten, krummen Frau, und darin, wie mit welcher Hingabe sie Bohnenpaste kocht.

Die 2018 verstorbene Kirin Kiki, die in vielen Filme Hirokazu Koreedas mitgespielt hat, und die manche vermutlich als die Oma aus Shoplifters kennen, spielt diese gebeugte alte Frau mit einer solchen Anmut und Zärtlichkeit, dass es mir beim Zuschauen die Tränen vor Freude in die Augen treibt. Ihre zurückhaltende, aber doch so intensive Darstellung ist ein einziges Gedicht, das uns von der Schönheit des Lebens erzählt, seiner Verwundbarkeit und unsere Resilienz, alle widrigen Umstände überwinden zu können. Frei zu sein, wie ein Vogel, wenn auch nur für kurze Augenblicke.

Masatoshi Nagase, der durch Jim Jarmuschs Mystery Train bekannt wurde, spielt seiner Rolle entsprechend noch viel zurückhaltender, arbeitet vor allem mit seiner subtilen Mimik und den Augen. Zeigt einen von der Bürde der Schuld belasteten Mann, der alles in sich hineinfrisst, und nicht so recht weiß, wohin mit seinen Gefühlen. Bis Tokue kommt.

Stilistisch ist Kirschblüten und roten Bohnen zunächst noch recht spröde fast dokumentarisch inszeniert, wird mit der Zeit aber immer poetischer und berührender. Wie eine Blüte, die sich langsam öffnet.

Abseits der Hektik Tokyos, unter prächtigen und mächtigen Kirschbäumen, in einer abgehalfterten Imbissbude, entfaltet sich eine kleine, aber bewegende Geschichte dreier Menschen, in der sich hinter Schuld, Vorurteilen, vermeintlicher Gebrechen und dem Gefühl, nicht dazuzugehören, Anmut und Schönheit verbergen. Eine Geschichte, die Mut macht, berührt und Würde vermittelt, wo wir als Gesellschaft oft versagen.

Der Film basiert auf dem gleichnamigen Roman von Durian Sukegawa, der 2016 in der Übersetzung von Ursula Gräfe bei uns erschienen ist, den ich aber leider noch nicht gelesen habe, was ich aber demnächst nachzuholen gedenke.

2 Gedanken zu “Japanuary #2: Kirschblüten und rote Bohnen (An)

  1. JA, ein wahrhaft schöner und berührender Film. Eine absolute Empfehlung. Ich habe die DVD schon vor einigen Jahren gekauft und sie liegt noch immer greifbar in der Nähe, um hin und wieder einmal benutzt zu werden. Den Roman kenne ich nicht, aber ich würde ihn auch nicht lesen, um das Sehvergnügen nicht zu schmälern. Das ist für mich Grundsatz – kein Roman zum Film, kein Film zum Roman…

  2. Pingback: The Mourning Forest (Mogari no mori, 2007) – translate or die

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